Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.11.2011, Az. 1 C 21/10

1. Senat | REWIS RS 2011, 1437

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Gegenstand

Anordnung über die Aufnahme von Ausländergruppen aus dem Ausland; jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion; kein unmittelbarer Anspruch auf Aufnahmezusage; Anspruch auf Gleichbehandlung; Nachweis der Abstammung


Leitsatz

Eine Anordnung des Bundesministeriums des Innern nach § 23 Abs. 2 AufenthG über die Aufnahme bestimmter Ausländergruppen begründet für die von ihr begünstigten Ausländer keine unmittelbaren Ansprüche auf Erteilung einer Aufnahmezusage. Es besteht lediglich ein Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der vom Bundesministerium des Innern gebilligten praktischen Anwendung der Anordnung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Tatbestand

1

Die Kläger, ein moldawisches Ehepaar und seine beiden minderjährigen Kinder, begehren die Erteilung einer Aufnahmezusage als [X.] Zuwanderer aus der ehemaligen [X.].

2

Das [X.] - [X.] - lehnte ihre entsprechenden Anträge mit Bescheid vom 20. April 2009 ab und führte zur Begründung aus, die Kläger erfüllten nicht die Aufnahmevoraussetzungen nach der Anordnung des [X.] vom 24. Mai 2007. Danach könnten - in Anknüpfung an das Nationalitätenrecht in der ehemaligen [X.] - als [X.] Zuwanderer nur Personen aufgenommen werden, die nach staatlichen, vor 1990 ausgestellten Personenstandsurkunden selbst [X.]r Nationalität seien oder von mindestens einem Elternteil [X.]r Nationalität abstammten. Aus den von den Klägern vorgelegten und vor 1990 ausgestellten staatlichen Personenstandsurkunden ergebe sich nur die [X.] Nationalität eines Großelternteils des Klägers zu 1.

3

Die hiergegen erhobenen Klagen hat das [X.] mit Urteil vom 11. März 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei der auf § 23 Abs. 2 [X.] gestützten Anordnung des [X.] über die Aufnahme [X.]r Zuwanderer aus der ehemaligen [X.] vom 24. Mai 2007 in der Fassung vom 22. Juli 2009 handele es sich um eine innerdienstliche Richtlinie, die unmittelbar keine Rechte und Pflichten für Ausländer begründe. Die ablehnende Entscheidung des [X.]s könne vom Gericht daher lediglich auf eine mögliche Verletzung des Willkürverbots bzw. des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes überprüft werden. Die in dem angefochtenen Bescheid zum Ausdruck kommende Auffassung, wonach der in der Anordnung geforderte Nachweis der [X.]n Nationalität oder der Abstammung von mindestens einem [X.]n Elternteil nicht durch Urkunden der Großeltern oder die [X.] Abstammungslehre erbracht werden könne, beruhe mit Wissen und Wollen des [X.] auf einer einheitlichen und durchgängigen Verwaltungspraxis und verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

4

Der [X.] hat mit Urteil vom 15. November 2010 den Berufungen der Kläger im Wesentlichen stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids des [X.]s zur Neubescheidung verpflichtet. Er hat dies wie folgt begründet: Zwar bestehe kein (Rechts-)Anspruch, von einer Regelung nach § 23 Abs. 2 [X.] erfasst zu werden. [X.] das [X.] jedoch von der dort normierten Ermächtigung Gebrauch, müsse sein Handeln rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen und bestehe ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die festgelegten Aufnahmekriterien nach Maßgabe des Gleichheitssatzes, des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Rechtsstaatsgebots. Ergehe die Anordnung in Gestalt einer Verwaltungsvorschrift, entfalte sie im Rahmen ihrer die Ermächtigungsgrundlage konkretisierenden Funktion Außenwirkung. Es unterliege deshalb gerichtlicher Kontrolle, ob und in welchem Umfang die Voraussetzungen ihrer Anwendung gegeben seien. [X.] die Exekutive von ihrer Befugnis zur autonomen Rechtssetzung mittels der Veröffentlichung von Verwaltungsvorschriften Gebrauch, gebe sie zu erkennen, dass sie eine Selbstbindung kraft eigenen Normsetzungswillens eingehe, aufgrund dessen ein Anspruch auf Einhaltung des Zugesagten erwachse. In Anwendung dieses Prüfungsrahmens könne ein Anspruch auf Erteilung einer Aufnahmezusage vorliegend nicht unter Hinweis auf Nr. I 2 Buchst. a der Anordnung verneint werden. Danach genüge die [X.] Abstammung. Aus der vom Kläger zu 1 vorgelegten Geburtsurkunde seiner Mutter ergebe sich, dass er von einem [X.]n Großelternteil abstamme. Entgegen der Auffassung der Beklagten müsse er nicht die [X.] Nationalität seiner Mutter nachweisen. Die Behauptung einer abweichenden Verwaltungspraxis rechtfertige keine andere Beurteilung. Dem [X.] stehe eine autonome, vom Wortlaut der Vorschrift abweichende Interpretation nicht zu. Sie stünde in Widerspruch zu den eigenen Leitvorstellungen und wäre ermessensfehlerhaft. Dies gelte auch, wenn man mit der Beklagten davon ausgehe, dass es sich bei der Anordnung lediglich um eine Willenserklärung handele. Auch dann wäre sie angesichts ihrer Kundgabe nach außen und der existenziellen Auswirkungen für die Betroffenen aus objektiver Empfängersicht auszulegen. Aus den gewählten Anknüpfungskriterien ergebe sich, dass der Kreis der Begünstigten bezogen auf den jeweiligen Familienverband möglichst weit gefasst werden sollte, um ein willkürliches Auseinanderreißen zu verhindern.

5

Die Beklagte wendet sich mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision gegen ihre Verpflichtung zur Neubescheidung. Zur Begründung macht sie insbesondere geltend, das Berufungsgericht habe den [X.] und die gerichtliche Überprüfbarkeit der auf § 23 Abs. 2 [X.] gestützten Anordnung über die Aufnahme [X.]r Zuwanderer verkannt. Auf diese seien die in der Rechtsprechung des [X.] zu Anordnungen nach § 32 AuslG 1990 entwickelten Grundsätze übertragbar. Das Berufungsgericht hätte die Anordnung daher nicht selbst auslegen dürfen. Nach ständiger Verwaltungspraxis setze die Erteilung einer Aufnahmezusage den Nachweis entweder der eigenen [X.]n Nationalität oder der [X.]n Nationalität eines Elternteils durch vor 1990 ausgestellte staatliche Personenstandsurkunden voraus.

6

Die Kläger treten der Revision entgegen und verteidigen das angegriffene Urteil.

7

Der Vertreter des [X.] hat sich am Verfahren beteiligt. Er ist ebenfalls der Auffassung, dass das Berufungsgericht die Anordnung nicht abweichend von der Praxis der Beklagten auslegen durfte.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von [X.]recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat unter Verstoß gegen [X.]recht die Anordnung des [X.] über die Aufnahme [X.] Zuwanderer aus der ehemaligen [X.] mit Ausnahme der [X.] vom 24. Mai 2007 in der Fassung vom 22. Juli 2009 - Anordnung - wie einen Rechtssatz behandelt und daraus mit Blick auf die [X.] Abstammung des [X.] zu 1 einen Anspruch der Kläger auf Neubescheidung ihrer Anträge auf Erteilung einer Aufnahmezusage hergeleitet (1.). Das angegriffene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das [X.] - [X.] - hat die Anträge der Kläger ermessensfehlerfrei und ohne Verletzung ihres Anspruchs auf Gleichbehandlung abgelehnt (2.). Auf die Revision der Beklagten ist das Urteil des Berufungsgerichts daher zu ändern und sind die Berufungen der Kläger in vollem Umfang zurückzuweisen.

9

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts können die Kläger unmittelbar aus der auf § 23 Abs. 2 [X.] gestützten Anordnung des [X.] über die Aufnahme [X.] Zuwanderer keinen Anspruch auf Neubescheidung herleiten. Nach dieser Anordnung können als [X.] Zuwanderer nur Personen aufgenommen werden, die nach staatlichen, vor 1990 ausgestellten Personenstandsurkunden selbst [X.] Nationalität sind oder von mindestens einem Elternteil [X.] Nationalität abstammen ([X.]. a der Anordnung). Der dabei verwendete Begriff der "[X.]n Nationalität" beruht auf einer Besonderheit in der ehemaligen [X.] und ihren Nachfolgestaaten. Diese unterscheiden zwischen der Staatsangehörigkeit und der Nationalität. Das [X.] wird der Nationalität zugerechnet, die in staatlichen Personenstandsurkunden angegeben ist.

Das [X.] gewährt keinen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Aufnahme aus dem Ausland. Gemäß § 22 [X.] kann ein Ausländer im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen im Ermessenswege aus dem Ausland aufgenommen werden. Außerdem kann das [X.] nach der - mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des [X.] vom 16. Mai 2007 ([X.]) eingeführten - Neuregelung in § 23 Abs. 2 [X.] zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der [X.] im Benehmen mit den obersten Landesbehörden anordnen, dass das [X.] Ausländern aus bestimmten [X.] oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage erteilt. Dass der Gesetzgeber es für erforderlich angesehen hat, die Anordnungsbefugnis des [X.] ausdrücklich zu regeln, und sie in § 23 Abs. 2 [X.] zugleich als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufnahmezusage durch das [X.] ausgestaltet hat, besagt nichts darüber, wie eine solche Anordnung rechtlich einzuordnen ist.

Sinn und Zweck der Regelung in § 23 Abs. 2 [X.] besteht darin, einen gesetzlichen Rahmen und das Verfahren zu schaffen, um bestimmten Gruppen von noch nicht eingereisten Ausländern zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der [X.] einen rechtmäßigen Aufenthalt im [X.] zu ermöglichen. Hierdurch kann bei [X.], die typischerweise eine größere Zahl von Ausländern in gleicher oder vergleichbarer Weise betreffen, ein gleichmäßiger Verwaltungsvollzug sichergestellt werden. Nach den Gesetzesmaterialien enthält § 23 Abs. 2 [X.] daher eine der Anordnungsbefugnis der Länder nach § 23 Abs. 1 [X.] nachgebildete Anordnungsbefugnis des [X.], derer es wegen der gleichzeitigen Verlagerung der Zuständigkeit für das Aufnahmeverfahren von den Ländern auf den [X.] (vgl. § 75 Nr. 8 [X.]) bedurfte, da Anordnungen der Länder als Rechtsgrundlage für den [X.]vollzug nicht in Betracht kommen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des [X.], BTDrucks 16/4444 S. 6).

Ob das [X.] nach § 23 Abs. 2 [X.] eine Anordnung erlässt, steht in seinem Ermessen ("kann"). Dieses Ermessen ist lediglich durch das im Gesetz genannte Motiv ("zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der [X.] [X.]") dahin begrenzt, dass eine Anordnung nicht aus anderen Gründen erlassen werden darf. Dabei ergibt sich aus der Natur der Sache, dass das [X.] bei der Definition der besonders gelagerten politischen Interessen der [X.] und der Festlegung der Aufnahmekriterien weitgehend frei ist. Es handelt sich hierbei um eine politische Leitentscheidung, die - entsprechend der ständigen Rechtsprechung des [X.]verwaltungsgerichts zum [X.] vergleichbarer Anordnungen (vgl. Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 1 [X.] 19.99 - BVerwGE 112, 63 zur Anordnungsbefugnis einer obersten Landesbehörde nach der Vorgängerregelung zu § 23 Abs. 1 [X.] in § 32 AuslG 1990) - grundsätzlich keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Das [X.] kann im Rahmen seines [X.] den von einer Anordnung erfassten Personenkreis bestimmen. Es kann dabei positive Kriterien (Erteilungsvoraussetzungen) und negative Kriterien (Ausschlussgründe) aufstellen. Ein Anspruch des einzelnen Ausländers, von einer Anordnung nach § 23 Abs. 2 [X.] erfasst zu werden, besteht nicht (vgl. Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. <66>).

Neben der Festlegung der für die Erteilung einer Aufnahmezusage zu erfüllenden Voraussetzungen enthalten Anordnungen nach § 23 Abs. 2 [X.] zugleich die Weisung an das [X.], einem Ausländer bei Erfüllung der Aufnahmevoraussetzungen eine Aufnahmezusage zu erteilen. Hierdurch wird das [X.], dessen Ausübung in den Fällen des § 23 Abs. 2 [X.] dem [X.] obliegt, intern gebunden. Als innerdienstliche, das behördliche Ermessen lenkende Richtlinie begründet eine Anordnung nach § 23 Abs. 2 [X.] für die von ihr begünstigten Ausländer keinen unmittelbaren Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufnahmezusage. Sie bindet unmittelbar nur das [X.] bei der Ausübung seines [X.]s. Selbst soweit das [X.] in einer Anordnung nach § 23 Abs. 2 [X.] Wendungen benutzt, die an Rechtsansprüche erinnern, kennzeichnet dies lediglich den Grad der [X.]en Bindung. Gegenüber dem Ausländer bleibt die Entscheidung über die Erteilung einer Aufnahmezusage eine Ermessensentscheidung des [X.]s (vgl. Urteil vom 19. September 2000 a.a.O.).

Handelt es sich bei der Anordnung über die Aufnahme [X.] Zuwanderer um eine innerdienstliche Richtlinie, unterliegt sie auch nicht wie eine Rechtsnorm einer eigenständigen richterlichen Auslegung. Als eine das Ermessen lenkende Willenserklärung des [X.] gegenüber dem [X.] ist sie vielmehr unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung, d.h. der vom Urheber gebilligten und geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis, auszulegen und anzuwenden. Bei Unklarheiten hat das [X.] den wirklichen Willen des [X.] - ggf. durch Rückfrage - zu ermitteln (vgl. Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. <67>).

Außenwirkung kommt der Anordnung nur mittelbar zu über die Verpflichtung der Behörden und Gerichte zur Beachtung von Art. 3 Abs. 1 GG, wenn und soweit sich eine der Richtlinie entsprechende Behördenpraxis tatsächlich herausgebildet hat (sog. Selbstbindung der Verwaltung). Weicht das [X.] im Einzelfall von der konkreten Handhabung der Anordnung ab, erwächst dem Ausländer aus Art. 3 Abs. 1 GG ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der tatsächlichen Anwendung der Anordnung. Denn der Sinn der Regelung besteht gerade darin, eine einheitliche Aufnahmepraxis zu erreichen. Die Gerichte haben daher nachzuprüfen, ob der Gleichheitssatz bei der Anwendung der Anordnung durch das [X.] gewahrt worden ist (vgl. Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. <67>).

Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts, wonach die Anordnung im Rahmen ihrer die Ermächtigungsgrundlage konkretisierenden Funktion unmittelbar rechtliche Außenwirkung entfalte und daher wie ein Gesetz aus sich heraus auszulegen und anzuwenden sei und den Begünstigten einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch gewähre, überzeugt nicht. Sie berücksichtigt nicht, dass es sich bei Anordnungen nach § 23 Abs. 2 [X.] nicht um normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, sondern um das behördliche Ermessen lenkende politische Leitentscheidungen handelt. Sie dienen nicht dem Schutz und der Verwirklichung von Grundrechten der hierdurch begünstigten Ausländer, sondern der Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der [X.]. Der politische [X.]harakter einer nach § 23 Abs. 2 [X.] erlassenen Anordnung verbietet eine Auslegung, die ihr entgegen der Intention ihres Urhebers und der tatsächlichen Verwaltungspraxis einen weitergehenden Anwendungsbereich zuweist. Der Anwendungsbereich kann auch nicht mit Verhältnismäßigkeitserwägungen ausgeweitet werden. Denn es steht grundsätzlich allein im weiten - allenfalls durch das [X.] und das Willkürverbot begrenzten - Ermessen der Exekutive zu bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen über die im [X.] zum Schutz individueller Rechte normierten Zuwanderungsmöglichkeiten hinaus zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der [X.] bestimmte Gruppen von Ausländern aus dem Ausland aufgenommen werden. Da die Betroffenen nach Art. 3 Abs. 1 GG einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Gleichbehandlung im Rahmen der bestehenden Verwaltungspraxis haben, ist die fehlende Außenwirkung und gerichtliche Überprüfbarkeit von Anordnungen nach § 23 Abs. 2 [X.] auch mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu beanstanden.

Die Kläger können daher unmittelbar aus der Anordnung des [X.] keine Rechte herleiten. Diese regelt [X.], unter welchen Voraussetzungen das [X.] Juden aus der ehemaligen [X.] im Ermessenswege eine Aufnahmezusage erteilen darf, indem sie den begünstigten Personenkreis durch positive Erteilungsvoraussetzungen und negative Ausschlussgründe näher eingrenzt. Zu den positiven Erteilungsvoraussetzungen zählt u.a. das Erfordernis, dass als [X.] Zuwanderer nur Personen aufgenommen werden können, die nach staatlichen, vor 1990 ausgestellten Personenstandsurkunden selbst [X.] Nationalität sind oder von mindestens einem [X.]n Elternteil abstammen. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht das Kriterium der "Abstammung von einem [X.]n Elternteil" aus sich heraus und ungeachtet der tatsächlichen Verwaltungspraxis der Beklagten dahingehend ausgelegt, dass hierfür der Nachweis der Abstammung von einem [X.]n Großelternteil genügt, und daraus einen Neubescheidungsanspruch der Kläger hergeleitet. Als Teil einer ermessenslenkenden Richtlinie unterliegen die in der Anordnung festgelegten Aufnahmevoraussetzungen keiner eigenständigen richterlichen Auslegung und begründen keinen unmittelbaren Anspruch. Sie sind nach den obigen Ausführungen vielmehr allein nach Maßgabe der vom [X.] gebilligten Verwaltungspraxis des [X.]s auszulegen und anzuwenden (dies entspricht auch der h.M. im Schrifttum, vgl. [X.], in: GK-[X.], Band 2, Stand September 2011, § 23 Rn. 37 f. und 13 ff.; [X.], [X.], Stand September 2011, § 23 [X.] Rn. 23 und 8 ff.).

2. Die Kläger haben auch nicht aus anderen Gründen einen Anspruch auf Neubescheidung ihrer Anträge auf Erteilung einer Aufnahmezusage. Das [X.] hat die Anträge ermessensfehlerfrei abgelehnt. Die Ablehnung verletzt mit Blick auf die bestehende Verwaltungspraxis nicht den Anspruch der Kläger auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der bestehenden Verwaltungspraxis.

Dabei steht einem Durchentscheiden zu Lasten der Kläger nicht entgegen, dass das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine tatrichterlichen Feststellungen zur tatsächlichen Handhabung der in der Anordnung festgelegten Aufnahmevoraussetzungen getroffen hat. Das [X.]verwaltungsgericht ist als Revisionsgericht zwar grundsätzlich nur zur [X.] berufen. Gleichwohl ist ihm im Rahmen einer sinnvollen Prozessführung in Ausnahmefällen auch die Berücksichtigung von der Vorinstanz nicht nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend festgestellter Tatsachen möglich, etwa wenn diese - wie hier - erstmals aufgrund einer von der Vorinstanz abweichenden Rechtsauffassung des [X.] entscheidungserheblich werden, sie zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehen und keiner Beurteilung durch das Berufungsgericht bedürfen und sich der Rechtsstreit hierdurch endgültig erledigt (vgl. hierzu auch [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], VwGO, 21. Ergänzungslieferung 2011, § 137 Rn. 188 ff. m.w.N. aus der Rspr des BVerwG).

Nach dem von den Klägern nicht bestrittenen und nach Aktenlage nicht anzuzweifelnden Vortrag der Beklagten geht das [X.] in ständiger, vom [X.] gebilligter Praxis bei der Entscheidung über Anträge auf Erteilung einer Aufnahmezusage für [X.] Zuwanderer aus der ehemaligen [X.] davon aus, dass für eine Abstammung von mindestens einem [X.]n Elternteil allein der Nachweis der [X.]n Nationalität eines Großelternteils nicht genügt, sondern die [X.] Nationalität eines Elternteils nachgewiesen werden muss. Die Beklagte hat bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass das [X.] in Kontinuität mit der Verwaltungspraxis des früher zuständigen [X.] bezüglich der Abstammung von einem [X.]n Elternteil auf dessen [X.] Nationalität abstellt und die [X.] Nationalität eines Großelternteils nicht genügt. Auch dem erstinstanzlichen Urteil ist zu entnehmen, dass nach der vom Wissen und Wollen des [X.] getragenen einheitlichen Verwaltungspraxis des [X.]s der Nachweis der Abstammung von mindestens einem [X.]n Elternteil nicht durch Urkunden der Großeltern, die [X.] Abstammungslehre o.ä. erbracht werden kann ([X.]). Dem sind die Kläger nicht entgegengetreten. Sie haben auch nichts vorgetragen, was für eine abweichende Verwaltungspraxis sprechen könnte.

Die Kläger haben weder ihre eigene [X.] Nationalität noch die eines Elternteils durch staatliche, vor 1990 ausgestellte Personenstandsurkunden nachgewiesen. Hinweise für eine eigene [X.] Nationalität ergeben sich für den Kläger zu 1 zwar aus den im Verfahren vorgelegten Geburtsurkunden seiner Kinder, der Kläger zu 3 und 4, aus den Jahren 2002 und 2008 und einem [X.] Urteil aus dem Jahr 2007. Ungeachtet der Frage, welcher Beweiswert diesen Urkunden zukommt, handelt es sich hierbei aber nicht um vor 1990 ausgestellte Urkunden. Die Kläger haben auch nicht ihre Abstammung von mindestens einem Elternteil [X.] Nationalität durch staatliche, vor 1990 ausgestellte Personenstandsurkunden nachgewiesen. Der - 1987 neu ausgestellten - Geburtsurkunde der Großmutter des [X.] zu 1 mütterlicherseits und der - 1986 neu ausgestellten - Geburtsurkunde seiner Mutter ist zwar zu entnehmen, dass die Großmutter von Eltern [X.] Nationalität abstammte und selbst [X.] Nationalität war. Daraus ergibt sich aber nur, dass die Mutter des [X.] zu 1 von einem Elternteil [X.] Nationalität abstammt. Da der Großvater des [X.] zu 1 mütterlicherseits moldawischer Nationalität war, stand ihr nach dem [X.] [X.] bezüglich ihrer eigenen Nationalität bei Erhalt des ersten [X.] Inlandspasses mit Vollendung des 16. Lebensjahrs ein Wahlrecht zwischen der [X.]n Nationalität ihrer Mutter und der [X.] Nationalität ihres Vaters zu. Dass die Mutter des [X.] zu 1 dieses Wahlrecht zugunsten der [X.]n Nationalität ausgeübt hat, wurde nicht durch staatliche, vor 1990 ausgestellte Personenstandsurkunden nachgewiesen. Soweit sie in der - 1999 neu ausgestellten - Geburtsurkunde des [X.] zu 1 mit [X.] Nationalität eingetragen ist, reicht dies in zeitlicher Hinsicht nicht aus.

Die Ablehnung der Erteilung einer Aufnahmezusage verletzt daher mit Blick auf die bestehende Verwaltungspraxis nicht den Anspruch der Kläger auf Gleichbehandlung. Insoweit unterscheidet sich der Fall des [X.] zu 1 auch von dem seiner Mutter und seines Bruders, die beide in [X.] Aufnahme gefunden haben. Denn seine Mutter konnte anhand der vorgelegten - vor 1990 ausgestellten - Personenstandsurkunden nachweisen, dass sie von einem Elternteil [X.] Nationalität abstammt, und sein Bruder fand lediglich als in das Aufnahmeverfahren der Mutter einbezogener Familienangehöriger Aufnahme.

Dahinstehen kann, ob die in der Anordnung festgelegten Aufnahmevoraussetzungen in ihrer konkreten Anwendung durch das [X.] inhaltlich zumindest einer verwaltungsgerichtlichen Willkürkontrolle unterliegen. Dies bedarf hier keiner Vertiefung. Nach den obigen Darlegungen liegt die Aufnahme bestimmter Gruppen von Ausländern nach § 23 Abs. 2 [X.] im weiten politischen Ermessen der Exekutive. Die Beschränkung der Aufnahme auf Ausländer, die bestimmte Aufnahmekriterien erfüllen, und der damit verbundene Ausschluss von Ausländern, die diese Kriterien nicht erfüllen, kann daher allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen willkürlich sein, wenn für die vorgenommene Differenzierung keinerlei nachvollziehbare Gründe ersichtlich sind. Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

Nach der tatsächlichen Handhabung der Anordnung werden gegenwärtig nur Personen aus der ehemaligen [X.] aufgenommen, die durch staatliche, vor 1990 ausgestellte Personenstandsurkunden entweder ihre eigene [X.] Nationalität oder die eines Elternteils nachweisen können. Hierdurch ist der Kreis der Aufnahmeberechtigten von vornherein auf Personen begrenzt, die in der [X.] wegen der in ihren Personenstandsdokumenten eingetragenen [X.]n Nationalität entweder selbst in besonderem Maße der Gefahr antisemitischer Pressionen ausgesetzt waren oder als Abkömmlinge ersten Grades einen besonders engen familiären Bezug zum Schicksal dieses Personenkreises haben. Dass der Nachweis der [X.]n Nationalität inzwischen nur noch durch vor 1990 ausgestellte Urkunden erbracht werden kann, stellt zwar gegenüber der früheren Regelung im Teilrunderlass des [X.] vom 25. März 1997 eine Änderung dar. Der zwingende Ausschluss neuerer Urkunden ist aber darauf zurückzuführen, dass nach den langjährigen Erfahrungen des [X.] nach 1990 ausgestellten Personenstandsurkunden nur eine geringe Beweiskraft zukommt. [X.] sich aus den Aufnahmevoraussetzungen ergebenden familiären Härten wird im Übrigen durch die Erstreckung der Aufnahme auf (nicht[X.]) Ehegatten und minderjährige ledige Kinder Rechnung getragen (vgl. I 4 der Anordnung).

Meta

1 C 21/10

15.11.2011

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 15. November 2010, Az: 19 BV 10.871, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 22 AufenthG 2004, § 23 Abs 2 AufenthG 2004, § 75 Nr 8 AufenthG 2004, § 137 Abs 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.11.2011, Az. 1 C 21/10 (REWIS RS 2011, 1437)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1437

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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