Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.09.2023, Az. 5 StR 164/22

5. Strafsenat | REWIS RS 2023, 6588

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Befangenheit ehrenamtlicher Richter im Strafverfahren: Wartepflicht nach Selbstanzeige eines Schöffen


Leitsatz

Zur Wartepflicht gemäß § 29 StPO.

Tenor

1. Das Verfahren wird betreffend die Tat 1 der Urteilsgründe eingestellt. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. September 2021 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 78 Fällen schuldig ist.

3. Auf die Revision der [X.] wird das vorbenannte Urteil dahin geändert, dass gegen sie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.023.479,11 Euro angeordnet ist; der weitergehende Einziehungsausspruch (29.726,32 Euro) entfällt.

4. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

5. [X.] hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels; die [X.] hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 79 Fällen im Zeitraum von 2011 bis 2015 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monaten verurteilt, von der es drei Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt hat. Gegen die [X.] hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.053.205,43 Euro angeordnet. Hiergegen wenden sich der Angeklagte und die [X.] mit ihren Revisionen. Die [X.] erhebt lediglich die Sachrüge; der Angeklagte beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Die Rechtsmittel erzielen den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg und sind im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.].

A.

I.

2

1. Der [X.] stellt das Verfahren, soweit es sich gegen den Angeklagten richtet, auf Antrag des [X.] betreffend Tat 1 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 [X.] ein.

3

2. Der Ahndung der verbleibenden Taten steht kein Verfahrenshindernis entgegen. Verfolgungsverjährung ist nicht eingetreten.

4

a) Die Verjährungsfrist für Taten nach § 266a StGB beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 StGB). Sie beginnt mit dem Verstreichen des Fälligkeitszeitpunktes für jeden Beitragsmonat ([X.], Beschluss vom 3. März 2020 – 5 StR 595/19, [X.] 2020, 288, 289). [X.] Sozialversicherungsbeiträge sind spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem die Beschäftigung ausgeübt worden ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).

5

b) Die ältesten Beiträge, hier für den Monat Februar 2011 (Tat 2 der Urteilsgründe), waren am 24. Februar 2011 fällig. Die [X.] hat am Folgetag zu laufen begonnen und wäre mithin am 24. Februar 2016 abgelaufen (zur Fristberechnung vgl. [X.], Beschluss vom 2. März 2011 – 2 StR 275/10, [X.], 228).

6

c) Die Verjährung ist jedoch spätestens am 2. Februar 2016 gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 1, letzter Halbsatz StGB durch die Anordnung der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens an den Angeklagten unterbrochen worden.

7

aa) Die Anordnung der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens ist in dem vom [X.]unterzeichneten [X.] des [X.], der das Datum 26. Januar 2016 trägt, dokumentiert. Diese Anordnung genügt den Anforderungen des § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB (zum gleichlautenden § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG aF vgl. [X.], Beschluss vom 22. Mai 2006 – 5 [X.], [X.]St 51, 72, 76). Aus ihr geht der Wille der Ermittlungsbehörde hervor, dem Angeklagten die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen bestimmt bezeichneter Tatvorwürfe bekannt zu geben. Im Vermerk heißt es: „Die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens an den Beschuldigten ist angeordnet, aus ermittlungstaktischen Gründen jedoch nicht erfolgt.“ Weiter wird ausgeführt, dass hinreichende Anhaltspunkte bestünden, dass der Angeklagte als Arbeitgeber ab Beginn des Jahres 2011 bis mindestens Mai 2015 Arbeitnehmer in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis beschäftigt habe, die er nicht oder nicht richtig bei den zuständigen Einzugsstellen zur Sozialversicherung angemeldet und für die er keine oder zu niedrige Sozialversicherungsbeiträge abgeführt habe.

8

bb) Die verjährungsunterbrechende Wirkung der Anordnung trat spätestens am 2. Februar 2016 ein. Dies ergibt sich aus Folgendem:

9

Der auf den 26. Januar 2016 datierte [X.] verweist auf einen „beigefügten Sachstandsbericht“, dessen „Punkt 4. [...] die Gründe der Einleitung (bisherige Erkenntnisse) wiedergibt“. Dieser Sachstandsbericht datiert vom 2. Februar 2016 und nimmt seinerseits unter diesem Punkt Bezug auf die Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten am „26.01.2016“ als „nunmehr Beschuldigten“. Durch diese wechselseitigen Bezugnahmen wird eindeutig belegt, dass jedenfalls am 2. Februar 2016 die Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens bereits angeordnet war. Dies findet Bestätigung im Inhalt des Schreibens des [X.] an die Staatsanwaltschaft [X.] vom 10. Februar 2016, welches auf den „[X.] v. 26.01.16 sowie den Sachstandsbericht v. 02.02.16“ verweist.

Dem steht nicht entgegen, dass der Sachstandsbericht dem [X.] nicht unmittelbar als Anlage beigefügt, sondern erst im [X.] an zwischengeheftete Dokumente zur Akte gebracht wurde. Denn diese Schriftstücke weisen einen unmittelbaren Zusammenhang zu den Strafverfolgungsmaßnahmen auf. Sie betreffen sämtlich das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten und belegen eine Tätigkeit der Ermittlungsbehörde gerade im relevanten Zeitraum vom 26. Januar 2016 und 2. Februar 2016 (elektronische Auskunft aus dem [X.] vom 26. Januar 2016, [X.] vom 2. Februar 2016). Schließlich fügt sich die verjährungsunterbrechende Ermittlungsmaßnahme inhaltlich und zeitlich in den aus den Akten ersichtlichen sonstigen Verfahrensstand ein (zur Bedeutung aktenkundiger Anhaltspunkte insoweit vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. August 2017 – 1 [X.], [X.]R StGB § 78c Abs. 1 Nr. 1 Anordnung 2; vom 22. Mai 2006 – 5 [X.], [X.]St 51, 72, 79; Urteil vom 6. Oktober 1981 – 1 [X.], [X.]St 30, 215, 218 f.). So verweist der [X.] auf Erkenntnisse aus dem zunächst nur gegen die Lebensgefährtin des Angeklagten als eingetragene Geschäftsführerin der [X.]n geführten Verfahren. Weiter ist den Akten zu entnehmen, dass sich zu Beginn des Jahres 2016 die Verdachtslage gegen den Angeklagten als den (alleinigen) „Ansprechpartner“ der Gesellschaft verdichtete, der die Geschäfte „maßgeblich lenkt“ ([X.] vom 26. Januar 2016, Sachstandsbericht vom 2. Februar 2016, Vermerk des [X.] vom 25. Januar 2016).

Anhaltspunkte für eine Manipulation der Aktenlage sind danach nicht im Ansatz ersichtlich. Dass die Anordnung zum Zeitpunkt ihrer Abfassung aus ermittlungstaktischen Gründen noch nicht umgesetzt worden war, ist unschädlich, da die Bekanntgabe keine Wirksamkeitsvoraussetzung ist ([X.], Beschluss vom 24. August 1972 – 4 StR 292/72, [X.]St 25, 6, 8; [X.]/[X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., § 78c Rn. 6).

cc) Aufgrund weiterer Unterbrechungstatbestände – Eingang der Anklage bei Gericht am 5. Mai 2020 (§ 78c Abs. 1 Nr. 6 StGB) und Eröffnung des Hauptverfahrens am 17. November 2020 (§ 78c Abs. 1 Nr. 7 StGB) – wurde die Verjährungsfrist auch in der Folgezeit immer wieder unterbrochen.

d) Die absolute Verjährungsfrist, die gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB zehn Jahre beträgt, ist bei Eröffnung des Hauptverfahrens am 17. November 2020 noch nicht abgelaufen gewesen. Ab diesem Zeitpunkt hat die Verjährung für die Dauer von fünf Jahren gemäß § 78b Abs. 4 StGB geruht. Hierfür kommt es lediglich darauf an, ob das Gesetz – wie hier (§ 266a Abs. 4 StGB) – einen besonders schweren Fall mit einer Strafandrohung von über fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsieht ([X.], Beschlüsse vom 1. August 1995 – 1 [X.], [X.]R StGB § 78b Abs. 4 Strafdrohung 1; vom 8. Februar 2011 – 1 [X.], [X.]St 56, 146, 149 f.; vom 7. Dezember 2016 – 1 [X.] Rn. 4). Seit Erlass des erstinstanzlichen Urteils am 13. September 2021 ruht die Verjährung gemäß § 78b Abs. 3 StGB.

e) Vorstehende Erwägungen gelten auch für die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung der [X.]  für das Kalenderjahr 2011 (Tat 76). Anknüpfungspunkt ist insoweit der sich aus § 23 Abs. 3 SGB IV (in der Fassung vom 9. Dezember 2010) ergebende Fälligkeitszeitpunkt, da ein Teil der gezahlten Arbeitsentgelte der Einzugsstelle gemeldet worden war (vgl. [X.], Beschluss vom 3. März 2020 – 5 StR 595/19 Rn. 3). Nach den Urteilsfeststellungen wurden die Beiträge für das jeweilige Vorjahr nach dem Prinzip der nachträglichen Bedarfsdeckung im Umlageverfahren erhoben, so dass die im Jahr 2011 geschuldeten Beiträge frühestens 2012 fällig wurden und die Verjährungsfrist vor der Unterbrechung durch Anordnung der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens an den Angeklagten nicht abgelaufen war.

II.

Den vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen, die sämtlich die Mitwirkung eines [X.], dessen von der [X.] als Selbstanzeige im Sinne des § 30 [X.] behandelte Erklärung und sein anschließendes Ausscheiden aus dem Verfahren betreffen, bleibt der Erfolg versagt.

1. Den [X.]n mit unterschiedlicher Angriffsrichtung liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

Einer der bis dahin am Verfahren mitwirkenden [X.] erklärte unmittelbar vor Beginn des achten [X.] am 10. März 2021 gegenüber den [X.]mitgliedern, er leide an einer manischen Depression und nehme als Einschlafhilfe ein Antidepressivum. Da die Wirkung des Medikaments erst am Vormittag nachlasse, sei er an den bisher durchgeführten [X.] „nur zu 80 Prozent“ anwesend gewesen. Bei früheren Gesprächen, welche die [X.]mitglieder unter anderem wegen seiner geschlossenen Augen mit ihm geführt hatten, habe er die Müdigkeitserscheinungen der Wahrheit zuwider bestritten. Er habe das Medikament jedoch inzwischen abgesetzt, so dass er sich nunmehr in der Lage fühle, der Hauptverhandlung zu folgen. Trotz dieser Erklärung des [X.] führte die [X.] den [X.] an diesem Tag durch und setzte die Vernehmung eines Zeugen fort.

Am 12. März 2021 telefonierte der Vorsitzende mit der Ärztin des [X.], die ihm versicherte, dessen Verhandlungsfähigkeit sei nicht beeinträchtigt; er könne das Medikament problemlos absetzen. Im [X.] daran fragte der Vorsitzende den [X.] in einem Telefonat, ob seine mündliche Erklärung vom 10. März 2021 als Selbstanzeige eines möglichen Befangenheitsgrundes anzusehen sei, was dieser bejahte. Am selben Tag informierte der Vorsitzende die Verteidiger und den Vertreter der Staatsanwaltschaft per E-Mail über den Sachverhalt und stellte den Verfahrensbeteiligten anheim, den [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, was nicht geschah.

Mit Beschluss vom 23. März 2021 stellte die [X.] fest, dass die in der Selbstanzeige des [X.] mitgeteilten Umstände die Besorgnis seiner Befangenheit rechtfertigten. Grund sei nicht seine Erkrankung, sondern dass der Schöffe gegenüber der [X.] zunächst das Bestehen eines Müdigkeitsproblems ausdrücklich bestritten hatte. Erst am achten Hauptverhandlungstag habe er dann aber im [X.] an einen entsprechenden Antrag der Verteidigung eingeräumt, aufgrund der täglichen Einnahme eines Medikaments vormittags während der vorangegangenen [X.] nur „zu ca. 80 Prozent anwesend gewesen“ zu sein. Er habe mithin an mehreren Tagen unter Einfluss eines medizinisch nicht notwendigen, aber die Auffassungsfähigkeit einschränkenden Medikaments und unter fortlaufendem Ignorieren der Bitten des beisitzenden [X.]s und der Verteidiger um Aufklärung etwaiger Einschränkungen, an der Hauptverhandlung teilgenommen. Mit Ausscheiden des [X.] trat für diesen am nächsten Hauptverhandlungstag die [X.] in das Quorum ein.

2. [X.], die [X.] habe die [X.] gemäß § 29 Abs. 1 [X.] verletzt, indem sie am 10. März 2021 nach der Erklärung des [X.] weiterverhandelt habe, ist jedenfalls unbegründet.

Eine Pflicht, mit der Hauptverhandlung bis zur Entscheidung über die Selbstanzeige zuzuwarten, hat nicht bestanden; die [X.] durfte unter Mitwirkung des [X.] weiterverhandeln. Im Einzelnen:

a) Nach § 29 Abs. 1 [X.] gilt der Grundsatz, dass „ein abgelehnter [X.]“ sich aller Amtshandlungen zu enthalten hat, die nicht unaufschiebbar sind ([X.], Urteile vom 19. Mai 1953 – 2 StR 445/52, [X.]St 4, 208 f.; vom 14. Februar 2002 – 4 StR 272/01). Die Vorschrift begründet eine [X.] des Abgelehnten, die das Interesse des [X.] daran schützt, dass der von ihm für befangen erachtete [X.] in dem Verfahren nicht weiter mitwirkt. Ein abgelehnter [X.], dessen Ablehnung möglicherweise für begründet erklärt werden wird, soll nicht länger als unbedingt nötig auf das Prozessgeschehen einwirken können (vgl. [X.], Beschlüsse vom 3. April 2003 – 4 [X.], [X.]St 48, 264, 266; vom 28. Juli 2015 – 1 [X.], [X.], 164, 167 Rn. 44).

b) Ob diese [X.] über den Wortlaut des § 29 Abs. 1 [X.] hinaus auch auf den [X.] entsprechend anzuwenden ist, der eine Selbstanzeige gemäß § 30 [X.] erstattet hat, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Hieran bestehen allerdings Zweifel.

aa) Eine solche entsprechende Anwendbarkeit ist zwar von der älteren Rechtsprechung – ohne nähere Begründung – angenommen worden ([X.], Beschluss vom 13. Februar 1973 – 1 StR 541/72, [X.]St 25, 122, 125; Urteil vom 3. März 1982 – 2 StR 32/82, [X.]St 31, 3, 5; so auch [X.]/[X.], [X.], 27. Aufl., § 30 Rn. 25). Diese Entscheidungen basierten aber noch auf der Annahme, dass es sich bei der Selbstanzeige um interne Vorgänge handele und eine Anhörung der Verfahrensbeteiligten hierzu sachwidrig und entbehrlich sei. Dies erwies sich als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ([X.], Beschluss vom 8. Juni 1993 – 1 BvR 878/90, [X.]E 89, 28, 36 mwN zur älteren Rspr. des Bundesgerichtshofs).

bb) Nunmehr ist den Verfahrensbeteiligten zu der Selbstanzeige des [X.]s rechtliches Gehör zu gewähren, zu dessen effektiver Verwirklichung auch zählt, mit Aufschub gestattenden Amtshandlungen zuzuwarten, bis mit einer Reaktion der Verfahrensbeteiligten auf die Selbstanzeige zu rechnen ist. Auf diese Weise haben es die [X.] in der Hand, aufgrund der mitgeteilten Verhältnisse ihre Besorgnis der Befangenheit zu erklären, den [X.] deswegen abzulehnen und so die Rechtswirkungen des Verfahrens nach §§ 24 ff. [X.] und mithin auch die direkte Anwendbarkeit des § 29 [X.] herbeizuführen. Erachten sie aufgrund der mitgeteilten Selbstanzeige den [X.] nicht für befangen, so haben sie zum Ausdruck gebracht, keine Bedenken gegen die weitere Mitwirkung dieses [X.]s zu haben und ihre prozessuale Rechtsstellung hierdurch nicht berührt zu sehen. Damit besteht von ihrer Seite auch kein schützenswertes Interesse an einer [X.] des selbstanzeigenden [X.]s, welchem durch eine entsprechende Anwendung des § 29 [X.] Rechnung getragen werden müsste.

cc) Der [X.] verkennt nicht, dass das zivilprozessuale Schrifttum aus der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zur Gewährung rechtlichen Gehörs zur Selbstanzeige und der dadurch ausgelösten Streichung des § 48 Abs. 2 ZPO aF eine Gleichbehandlung des Verfahrens nach einem Ablehnungsgesuch durch eine Partei und der „[X.]“ nach § 48 ZPO – die Norm ist bis auf die Überschrift fast wortgleich mit § 30 [X.] – ableitet (vgl. nur [X.], ZPO, 23. Aufl. 2014 § 48 Rn. 4 f.; vgl. auch [X.], Urteil vom 28. März 2008 – 11 U 25/06 Rn. 61, 70). Dies lässt die durch die Gewährung rechtlichen Gehörs geschaffene Möglichkeit der Parteien, auf die mit der Selbstanzeige mitgeteilten Umstände ein Ablehnungsgesuch zu stützen (vgl. zum Verfahren bei „[X.]“ und hinzutretendem Ablehnungsgesuch [X.], Beschluss vom 11. Dezember 2019 – [X.] ([X.]) 50/19 Rn. 71) und so die Folgen des § 47 ZPO, der seinem Wortlaut nach ebenfalls nur für den „abgelehnten [X.]“ gilt, herbeizuführen, allerdings unberücksichtigt.

dd) In objektiv-rechtlicher Hinsicht gebietet das Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.] auf den gesetzlichen und mithin unbefangenen [X.] (vgl. [X.]/Herzog/Scholz/[X.], [X.], 100. EL Art. 101 Rn. 87 mwN) nicht die entsprechende Anwendung des § 29 [X.] auf das Verfahren nach alleiniger Selbstanzeige. Das grundrechtsgleiche Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.] hat einen materiellen Gewährleistungsgehalt, durch den garantiert wird, dass der Rechtssuchende im Einzelfall vor einem [X.] steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die [X.] und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 8. Februar 1967 – 2 BvR 235/64, [X.]E 21, 139, 145 f.; vom 27. Dezember 2006 – 2 BvR 958/06, [X.], 1670; vom 5. Mai 2021 – 1 BvR 526/19, NJW-RR 2021, 1436). Dies verpflichtet den Gesetzgeber dazu, Regelungen vorzusehen, die es ermöglichen, einen [X.], der im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, abzulehnen oder von der Ausübung seines Amts auszuschließen ([X.] aaO). Die Ausgestaltung im Einzelnen ist aber Sache des Gesetzgebers ([X.], Beschlüsse vom 8. Juni 1993 – 1 BvR 878/90, [X.]E 89, 28, 35; vom 2. Mai 2007 – 2 BvR 2655/06 Rn. 11, [X.], 709), der sich für ein gestuftes Nebeneinander von [X.] und Befangenheit entschieden hat.

Während die Ausschlussgründe nach §§ 22, 23, 148a Abs. 2 Satz 1 [X.] absolut und unabhängig von einem Antrag der Prozessbeteiligten wirken und auf sie nicht verzichtet werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 20. März 1956 – 1 BvR 479/55, [X.]E 4, 412, 417; RG, Urteil vom 10. Mai 1880 – g.U. Rep 1211/80, [X.], 209, 211; [X.]/[X.], [X.], 27. Aufl., § 22 Rn. 49), ist der im Sinne des § 24 Abs. 2 [X.] befangene [X.] nicht bereits mit dem Entstehen des [X.] von der weiteren Mitwirkung ausgeschlossen. Diese Wirkung tritt erst durch einen Gerichtsbeschluss ein, der seine Befangenheit feststellt ([X.]/[X.], [X.], 27. Aufl., § 24 Rn. 3; KK-[X.]/Heil, 9. Aufl., § 27 Rn. 13). Zudem findet eine Überprüfung der Befangenheit von Amts wegen nicht statt ([X.], Beschluss vom 2. Februar 2022 – 5 [X.], NJW 2022, 1470 mwN); auch kann die Geltendmachung von Befangenheitsgründen – verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. Mai 2007 – 2 BvR 2655/06 Rn. 12, 14 f., [X.], 709; vom 23. September 1987 – 2 BvR 814/87, NJW 1988, 477) – nach § 25 [X.] präkludiert sein. Würde der abgelehnte [X.] schon vor der Entscheidung des Gerichts über seine Befangenheit nicht mehr gesetzlicher [X.] sein, wäre dieses Stufenverhältnis unhaltbar. Hiermit ließe sich auch die Annahme einer Heilung eines Verstoßes gegen die [X.] bei Rechtskraft der Verwerfung des Ablehnungsgesuchs unter Verstoß gegen Verfassungsrecht ([X.], Beschluss vom 5. Juli 2005 – 2 BvR 497/03 Rn. 88, NVwZ 2005, 1304) nicht vereinbaren.

Der Gesetzgeber hat zudem durch § 30 [X.] sichergestellt, dass das Recht der Verfahrensbeteiligten auf einen unbefangenen [X.] auch dann effektiv durchgesetzt werden kann, wenn die eine Befangenheit begründenden Umstände nicht offen zu Tage treten. Denn nach dieser Vorschrift ist der [X.] verpflichtet, Mitteilung über solche Umstände zu machen, die seine Ablehnung oder die eines anderen [X.]s ([X.], Beschluss vom 11. Januar 2022 – 3 [X.] Rn. 20) rechtfertigen könnten. Es handelt sich um eine Dienstpflicht und eine im Verhältnis zu den Verfahrensbeteiligten bestehende und unmittelbar verfahrensrelevante Verpflichtung ([X.], Beschlüsse vom 8. Juni 1993 – 1 BvR 878/90, [X.]E 89, 28, 36). Eine pflichtwidrig unterlassene Selbstanzeige kann ihrerseits ein Ablehnungsgesuch rechtfertigen ([X.], Beschluss vom 11. Januar 2022 – 3 StR 452/22 Rn. 19). Nach Mitteilung dieser Selbstanzeige haben es die Verfahrensbeteiligten sodann in der Hand, durch entsprechende Antragstellung eine nicht unbedingt notwendige Mitwirkung des für befangen erachteten [X.]s im Rahmen der Regelung des § 29 [X.] zu verhindern. Dieses Zusammenspiel stellt sicher, dass das verfassungsgemäße Recht auf den neutralen [X.] effektiv durchgesetzt werden kann und die betroffene Rechtsposition der Verfahrensbeteiligten ausreichend geschützt ist.

ee) Auch im Übrigen erscheint eine entsprechende Anwendung nicht geboten. Vielmehr entspricht es der gesetzgeberischen Grundkonzeption, das Verfahren nach Ablehnung (§§ 24 ff. [X.]) und nach einer Selbstanzeige (§ 30 [X.]) unterschiedlich auszugestalten. Dies zeigt sich vor allem im Anwendungsbereich des § 338 Nr. 3 [X.]. Dieser absolute Revisionsgrund ist nur nach Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit eröffnet, wohingegen in den Fällen des § 30 [X.] die Entscheidung, durch welche die Selbstanzeige für begründet oder nicht begründet erklärt wird, für das Revisionsgericht für sich gesehen grundsätzlich nicht überprüfbar ist (vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 11. Januar 2022 – 3 [X.]; vom 11. Juli 2017 – 3 [X.], [X.], 720, auch zu den Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtüberprüfbarkeit, vgl. unten zu 3.b). Erst dann, wenn ein Ablehnungsberechtigter aufgrund des Vorbringens des Selbstanzeigenden diesen abgelehnt hat, ist das [X.] und mithin der Anwendungsbereich des § 338 Nr. 3 [X.] im Revisionsverfahren eröffnet (vgl. zu einer solchen Konstellation [X.], Beschluss vom 11. Januar 2022 – 3 [X.]). Insoweit ist das hohe Rechtsschutzniveau des § 338 Nr. 3 [X.] an den Ablehnungsantrag gebunden. Der [X.] neigt dazu, auch die Sicherungen des § 29 [X.], der nach der gesetzlichen Überschrift und nach dem [X.] allein das Verfahren nach Ablehnung betrifft, auch nur diesem Verfahren vorzubehalten.

c) Diese Fragen bedürfen hier indes keiner Entscheidung, denn selbst wenn eine [X.] auch für das durch Selbstanzeige gemäß § 30 [X.] ausgelöste Befangenheitsverfahren gelten sollte, erstreckte sie sich jedenfalls gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht auf die Hauptverhandlung.

Durch das [X.] vom 10. Dezember 2019 ([X.]) ist die grundsätzliche [X.] des § 29 Abs. 1 [X.] für die Mitwirkung eines abgelehnten [X.]s an der Hauptverhandlung weiter eingeschränkt worden (vgl. BT-Drucks.19/14747, [X.]). In § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist seitdem geregelt, dass die Hauptverhandlung keinen Aufschub gestattet und bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch stattfindet. Diese die [X.] begrenzende Vorschrift gilt gemäß § 31 [X.] auch für [X.] ([X.], Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 [X.], NStZ 2023, 168; KK-[X.]/Heil, 9. Aufl., § 31 Rn. 2; MüKo-[X.]/[X.]/[X.], 2. Aufl., 2023, § 31 Rn. 7).

Eine Übertragung der grundsätzlichen [X.] für Aufschub gestattende Handlungen nach § 29 Abs. 1 [X.] auf das Verfahren nach Selbstanzeige führt dazu, dass die gesetzgeberische Wertung des § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] zur Unaufschiebbarkeit der Hauptverhandlung für diese Konstellation ebenfalls Geltung beanspruchen muss. Denn der Gesetzgeber hat durch die Schaffung des § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] die [X.] nach Absatz 1 der Vorschrift beschränkt; eine die Hauptverhandlung miterfassende [X.] kennt die Strafprozessordnung seit der Änderung des § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht mehr.

Ein anderes Ergebnis würde zu Wertungswidersprüchen und zu dem gesetzgeberischen Willen widerstreitenden Ergebnissen führen. So hat derjenige, der einen [X.] für befangen erachtet, bis zur Entscheidung über seinen Antrag dessen weitere Mitwirkung in der Hauptverhandlung hinzunehmen. Sein Interesse daran, dass der abgelehnte [X.] bis zur Entscheidung über sein Gesuch nicht mehr an der Hauptverhandlung mitwirkt, muss nach der Wertung des § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] zugunsten des öffentlichen Interesses an der beschleunigten Durchführung der Hauptverhandlung zurücktreten (vgl. hierzu BT-Drucks. 19/14747, [X.]). Erst Recht ist kein Grund dafür ersichtlich, dass demgegenüber im Fall einer Selbstanzeige nach § 30 [X.] die Hauptverhandlung nicht mehr durchgeführt werden können sollte, ohne dass ein Antragsberechtigter einen Anschein der Befangenheit geltend gemacht hat. Vielmehr würde das gesetzgeberische Anliegen der Vereinfachung des [X.]s durch die Gestattung der unbeschränkten Mitwirkung des abgelehnten [X.]s in der Hauptverhandlung ohne sachlichen Grund unterlaufen.

Soweit in der Literatur nach wie vor vertreten wird, § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] sei bei einer Anzeige nach § 30 [X.] nicht anwendbar (vgl. [X.]/[X.], [X.], 27. Aufl., § 30 Rn. 20 zu § 29 Abs. 2 aF; KK-[X.]/Heil, 9. Aufl., § 30 Rn. 4; [X.]/[X.], [X.], 66. Aufl., § 30 Rn. 4; noch in der Vorauflage: BeckOK-[X.]/[X.], § 30 Ed. 46 Rn. 4), orientiert sich diese Ansicht ersichtlich noch an der alten Fassung des § 29 Abs. 2 [X.] und lässt den abweichenden Regelungsgehalt der Neufassung außer Betracht.

3. [X.], die Kammer habe durch den Ausschluss des [X.] nach dessen Selbstanzeige willkürlich gehandelt und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.], § 16 Satz 2 [X.] verletzt, bleibt ebenfalls erfolglos.

a) Es bestehen insoweit bereits erhebliche Bedenken gegen ihre Zulässigkeit, da das [X.] aufgrund des alternativen Vortrags zweier sich ausschließender Sachverhaltsvarianten widersprüchlich ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. August 1999 – 3 [X.]; vom 13. April 2021 – 5 StR 29/21; KK-[X.]/[X.], 9. Aufl., § 344 Rn. 39). So stützt der Beschwerdeführer seine Behauptung, der Schöffe sei willkürlich aus dem Spruchkörper herausgedrängt worden, darauf, dass der Vorsitzende diesen (erst) in einem Telefonat am 12. März 2021 dazu gedrängt habe, eine (noch nicht existente) Selbstanzeige „zu bestätigen“. [X.], mit der ein Verstoß gegen § 29 Abs. 1 [X.] geltend gemacht wird (vgl. zu 2.) begründet der Beschwerdeführer dem widerstreitend damit, dass die [X.] trotz des Vorliegens einer Selbstanzeige des [X.] die Hauptverhandlung am 10. März 2021 durchgeführt habe, ohne unmittelbar in die Prüfung seiner Befangenheit einzutreten.

b) [X.] ist jedenfalls unbegründet. Das Revisionsgericht kann den Beschluss, durch den die Selbstanzeige eines [X.]s für begründet oder für nicht begründet erklärt wird, grundsätzlich nicht überprüfen. Ausnahmen gelten nur, wenn das Vorgehen des Gerichts objektiv willkürlich ist, das heißt das Verfahren nach § 30 [X.] missbraucht wird, um den Angeklagten seinem verfassungsrechtlich garantierten gesetzlichen [X.] zu entziehen ([X.], Beschlüsse vom 11. Juli 2017 – 3 [X.], [X.]R [X.] § 30 Selbstanzeige 3; vom 2. Februar 2022 – 5 [X.] [§ 28 Abs. 2 [X.]]). Das ist hier nicht der Fall. Eine kollusive, auf Entziehung des gesetzlichen [X.]s angelegte Verfahrensweise der [X.] ist nicht erkennbar. Die für und gegen eine Befangenheit des [X.] sprechenden Aspekte wurden in dem zugrundeliegenden Beschluss vielmehr ausführlich – und keinesfalls nur auf die „eingestandene Müdigkeit als solche“ bezogen – dargestellt und abgewogen. Das Ergebnis, ein [X.] müsse den Anschein der Befangenheit gegen sich gelten lassen, wenn er im Bewusstsein, die Hauptverhandlung zu beachtlichen Teilen nicht wahrgenommen zu haben, die Aufdeckung dieses Umstands durch unzutreffende Angaben zunächst zu verschleiern sucht, ist jedenfalls vertretbar. Dass hierdurch der Revision aussichtsreich erscheinende [X.]n „neutralisiert“ worden sein könnten, führt für sich genommen nicht zur Willkürlichkeit der nachvollziehbar begründeten Entscheidung. Auch bei Gesamtbetrachtung des Vorgehens der [X.], insbesondere des Umstands, dass die Selbstanzeige erst zwei Tage nach der ersten Erklärung des [X.] hierzu den Verfahrensbeteiligten und allein durch ein Schreiben des Vorsitzenden bekannt gegeben worden ist, ergibt sich angesichts der Begründung der Befangenheit kein Verstoß gegen das Willkürverbot.

4. Ungeachtet der aufgezeigten Bedenken gegen die Zulässigkeit wegen der Widersprüchlichkeit der [X.] (vgl. zu 3.a), ist dem Vorbringen nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit eine auf einen Verstoß gegen das [X.] gemäß § 29 Abs. 4 Satz 1 [X.] gestützte [X.] zu entnehmen. Der [X.] muss daher nicht entscheiden, ob § 29 Abs. 4 [X.] über seinen Wortlaut hinaus auch für das Verfahren nach Selbstanzeige gilt, wozu er nicht neigt (vgl. zu 2.b). Zwar käme bei verspäteter Mitteilung der Selbstanzeige – wie hier (vgl. unter 5.) – eine entsprechende Anwendung für den Zeitraum bis zur Gewährung rechtlichen Gehörs in Betracht, dies setzte allerdings aus den oben dargestellten Gründen einen daraufhin gestellten Befangenheitsantrag voraus, woran es hier fehlt.

5. [X.]n der fehlerhaften Ablehnung von Befangenheitsanträgen, die an den Umgang der berufsrichterlichen Mitglieder der [X.] mit den Erklärungen des [X.] angeknüpft haben, bleiben aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift aufgezeigten Gründen ebenfalls ohne Erfolg. Ergänzend ist zu bemerken und der Revision zuzugeben, dass über die vom [X.] mitgeteilten Umstände, die der Selbstanzeige zugrunde lagen, nicht bereits vor dem [X.] und mithin verspätet informiert wurde. Allerdings stellen [X.], die auf Irrtum oder auf unrichtiger oder sogar unhaltbarer Rechtsansicht beruhen, grundsätzlich noch keinen Ablehnungsgrund dar ([X.], Beschluss vom 11. Januar 2022 – 3 [X.] mwN). Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn Entscheidungen oder Prozesshandlungen rechtlich völlig abwegig sind oder den Anschein von Willkür erwecken ([X.], Beschluss vom 8. Mai 2014 – 1 StR 726/13, [X.]R [X.] § 24 Abs. 2 Befangenheit 23 mwN). Solches kann in dem Verhalten der abgelehnten [X.] nicht gesehen werden. So hat der Vorsitzende in seiner dienstlichen Erklärung der Sache nach ausgeführt, angesichts der Mitteilung des [X.] vor dem [X.] am 10. März 2021 auf die Verhandlungsfähigkeit des [X.] an diesem Tag bedacht gewesen zu sein und die Bedeutung der Mitteilung im Übrigen ohne die Möglichkeit näherer rechtlicher Prüfung noch nicht durchdrungen zu haben. Dies habe er nachgeholt und nach dem seine Würdigung bestätigenden Telefonat mit dem [X.] den Verfahrensbeteiligten die Selbstanzeige bekannt gegeben. Danach ist nichts dafür ersichtlich, dass die Mitteilung des [X.] den Verfahrensbeteiligten gänzlich vorenthalten oder die Wahrnehmung ihrer hieran anknüpfenden Rechte vereitelt werden sollte.

III.

1. Die Teileinstellung des Verfahrens in Bezug auf den Angeklagten hat die Änderung des Schuldspruchs und den Wegfall der für die erste Tat verhängten [X.] zur Folge. Die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe bleibt davon unberührt, da der [X.] angesichts der Einsatzstrafe von zwei Jahren und weiteren 77 [X.] im Strafmaß von sechs Monaten bis zwei Jahren sowie der Vielzahl der Fälle ausschließen kann, dass das [X.] ohne die entfallene [X.] von einem Jahr und vier Monaten auf eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.

2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keine den Angeklagten beschwerende Rechtsfehler ergeben. Gegen die Beweiswürdigung ist rechtlich nichts zu erinnern.

a) Zwar erfordert die Bestimmung des Schuldumfangs bei Straftaten nach § 266a StGB die hinreichend genaue Feststellung der gegenüber der Einzugsstelle geschuldeten Beträge, wozu grundsätzlich eine Aufstellung nach Anzahl der Arbeitnehmer, den jeweiligen Beschäftigungszeiträumen, dem Beitragssatz sowie der gezahlten Bruttolöhne jeweils zu den einzelnen Fälligkeitsterminen gehört (zur konkreten Schadensberechnung vgl. [X.], Urteil vom 13. Juni 2001 – 3 [X.], [X.], 599 f.; Beschluss vom 8. März 2023 – 1 [X.]). Wenn jedoch keine hinreichend verlässlichen Anknüpfungstatsachen für die nähere Bestimmung der Bemessungsgrundlagen vorliegen, können an Wahrscheinlichkeitskriterien ausgerichtete Durchschnittswerte geschätzt werden ([X.], Beschlüsse vom 10. November 2009 – 1 [X.], [X.], 635 f.; vom 25. November 2021 – 5 [X.]/20).

b) Daran gemessen ist die Bestimmung der Schadenshöhe revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

[X.] erweist sich angesichts des hierbei bestehenden tatgerichtlichen [X.] als rechtsfehlerfrei. Das Tatgericht muss insoweit lediglich darlegen, warum es sich der gewählten Methode bedient hat und die Grundlagen der Schätzung nachvollziehbar darstellen ([X.], Beschluss vom 25. November 2021 – 5 [X.]/20). Dem wird das vorliegende Urteil gerecht.

Die [X.] hat, soweit aufgrund von sichergestellten Stundenaufzeichnungen eine ausreichende Tatsachengrundlage vorhanden war, eine konkrete personenbezogene Schadensberechnung vorgenommen (Taten zum Nachteil der S.           K.          , [X.]     , [X.]). In den ganz überwiegenden Fällen der unbekannten Arbeitnehmer ist sie davon ausgegangen, dass die insoweit nur fragmentarischen Aufzeichnungen sowie sonstigen Erkenntnisse eine personenbezogene Schadensberechnung nicht zuließen. Sie hat ferner ausführlich begründet, dass auch eine bauvorhabenbezogene Schätzung anhand repräsentativer Stichproben – ungeachtet des damit verbundenen unverhältnismäßigen Aufwands – nicht möglich und methodisch verfehlt sei. Die sich hieraus möglicherweise ergebenden (Teil-)Erkenntnisse stellten keine Grundlage für eine plausible Schadensschätzung bei dem auf Schwarzarbeit beruhenden Gesamtgeschäftskonzept der [X.]n dar. Soweit die [X.] zur Begründung der Wahl ihrer [X.] auch einen „beachtlichen Anteil von administrativen bzw. Fix-Personalkosten“ erwähnt hat, trifft dies zwar nicht zu. Denn nach den Feststellungen war der Angeklagte der zentrale Organisator der [X.] und führte auch sonst die Geschäfte der Gesellschaft (mit Unterstützung von höchstens zwei Bürokräften) allein, so dass sich der Anfall von beachtlichen „administrativen“ oder fixen Personalkosten auf der Grundlage der Feststellungen nicht erschließt. Angesichts der mannigfachen anderen tragfähigen Gründe für die Wahl der [X.] wird diese durch die vorgenannte Erwägung der [X.] nicht in Frage gestellt; in die Berechnung der Schadenssumme hat sie ohnehin keinen Eingang gefunden.

Das weitere Vorgehen der [X.], die für die Schätzung der Nettolöhne das Gesamtrechnungsvolumen der [X.] abzüglich eines Abschlags für Provisionen und verdeckte Gewinne herangezogen hat, hält sich innerhalb des ihr eingeräumten Spielraums. Sie hat die Grundlagen der Berechnung und diese selbst ausführlich und nachvollziehbar erörtert; das Ergebnis hat sie einer vergleichenden Kontrollrechnung nach der anerkannten Zwei-Drittel-Methode (vgl. [X.], Beschluss vom 10. November 2009 – 1 [X.], [X.]R [X.] § 370 Abs. 1 Steuerschätzung 4) unterzogen, die für den Angeklagten zu einem wesentlich ungünstigeren Ergebnis geführt hätte.

Ein Rechtsfehler ergibt sich nicht daraus, dass die [X.] das Jahr 2011 als Referenzjahr herangezogen hat. Zwar hat sie bei der Erläuterung des Rechenweges unzutreffend angegeben, dass in diesem Jahr gegenüber dem Finanzamt der „höchste (offizielle) Gewinn erklärt“ worden sei, obwohl dies nach den im Urteil mitgeteilten Daten im Jahr 2012 der Fall war. Jedoch lässt dies die Schätzung des [X.] unberührt. Denn der Sache nach hat das [X.] nicht auf die erklärten, sondern auf die tatsächlichen Gewinne abgestellt. Nach der Berechnung der [X.] auf der Basis statistischer Werte war aber 2011 das Jahr mit dem höchsten Gesamtgewinn, in dem auch offiziell ein Gewinn ausgewiesen wurde.

Die Schadensberechnung der [X.] wird schließlich nicht durch das Vorbringen der Revision in Frage gestellt, wonach sich die geschädigten Sozialversicherungsträger Jahre nach Erlass des verfahrensgegenständlichen Urteils in einem sozialgerichtlichen Verfahren auf andere Zahlbeträge geeinigt haben sollen. Denn der in einem solchen Verfahren zwischen den Parteien ausgehandelte Vergleichsbetrag wäre nicht mit der Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens gleichzusetzen, der im Strafverfahren von Amts wegen zu ermitteln ist, zumal da der Vergleich das Ergebnis von am Opportunitätsprinzip ausgerichteten und prozessökonomischen Überlegungen der Parteien jenes Verfahrens gewesen sein mag, deren Zielrichtung nicht mit derjenigen des Strafverfahrens gleichläuft. Fehler in der Schadensberechnung lassen sich daraus nicht ableiten.

B.

Die Anordnung des Wertes von Taterträgen gegen die [X.] war um 29.726,32 Euro zu reduzieren. Insoweit bezieht sich der Einziehungsausspruch auf die Tat 1 der Urteilsgründe. Hinsichtlich dieser Tat hat der [X.] das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 [X.] eingestellt. Mit ihrem Ausscheiden ist die Möglichkeit für eine darauf bezogene Einziehungsanordnung im subjektiven Verfahren entfallen ([X.], Beschluss vom 16. Juni 2020 – 2 StR 79/20).

Angesichts des geringen Erfolgs der Revision der [X.]n ist es nicht unbillig, sie mit den gesamten Kosten ihres Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 [X.]).

[X.]     

      

[X.]     

      

Köhler

      

Resch     

      

Werner     

      

Meta

5 StR 164/22

26.09.2023

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 13. September 2021, Az: 536 KLs 2/20

§ 29 Abs 1 StPO, § 29 Abs 2 S 1 StPO, § 30 StPO, § 31 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.09.2023, Az. 5 StR 164/22 (REWIS RS 2023, 6588)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6588

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 153/21 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Zulässige Revisionsrüge nach Verwerfung des Besetzungseinwands durch das Rechtsmittelgericht als unstatthaft; Besetzungsrüge nach für …


3 StR 452/20 (Bundesgerichtshof)

Revisionsgerichtliche Überprüfung der Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs gegen einen selbstanzeigenden Schöffen


2 StR 195/23 (Bundesgerichtshof)

Ablehnung einer Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit


5 StR 630/19 (Bundesgerichtshof)

Richterablehnung im Strafverfahren: Befangenheitsgrund der Wiederholung eines im Vorfeld der Hauptverhandlung gemachten und von einem …


3 StR 559/17 (Bundesgerichtshof)

Besorgnis der Befangenheit im Strafverfahren: Zeitpunkt des Einbringens des Gesuchs; spontane Unmutsäußerung eines Schöffen


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.