Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.08.2012, Az. X ZR 138/11

X. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 3814

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BUNDESGERI[X.]HTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
X [X.]
Verkündet am:

21. August 2012

Wermes,

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
VO ([X.]) 261/2004 ([X.]) Art. 5 Abs. 3
a)
Ruft eine [X.] im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung die Piloten eines [X.] zur Arbeitsniederlegung auf, kann dies außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art.
5 Abs.
3 der Fluggastrechtsverordnung zur Folge haben.
b)
Das Luftverkehrsunternehmen ist in diesem Fall davon befreit, [X.] für die Annullierung derjenigen Flüge zu leisten, die es absagt, um den Flugplan an die zu erwartenden Auswirkungen des [X.] anzupassen.
[X.], Urteil vom 21. August 2012 -
X [X.] -
LG [X.]

[X.]
-
2
-

Der
X.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhand-lung vom 5. Juni 2012 durch [X.], die Richter [X.], [X.], [X.] und die Richterin Schuster
für Recht erkannt:
Auf die Revision der [X.] wird das Urteil der 6. Zivil-kammer des [X.] vom 27. Oktober 2011 auf-gehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten der Revision, an das [X.] zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt Ausgleichszahlungen nach Art.
7 Abs.
1
Buchst.
c, Art.
5 Abs.
1
Buchst.
c der Verordnung ([X.]) Nr. 261/2004 des [X.] und des Rates vom 11. Februar 2004 über
eine gemeinsame Rege-lung für Ausgleichs-
und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 295/91 ([X.]. [X.] L 46 vom 17. [X.] S.
1 ff.; nachfolgend: Verordnung oder Fluggastrechteverordnung).
Sie buchte bei der [X.] für sich und ihren Lebensgefährten, der seine Ansprüche an sie abgetreten hat, einen Flug von [X.] nach [X.] 1
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-
3
-

und zurück. Der Rückflug war für den 22. Februar 2010 vorgesehen. Für den Zeitraum vom 22. bis 25. Februar 2010 wurde von der Pilotenvereinigung [X.]ockpit am 17. Februar 2010 ein Streik angekündigt. Die Beklagte annullierte daraufhin den Rückflug und buchte die Reisenden um, was der Klägerin am 19.
Februar 2010 mitgeteilt wurde. Die Reisenden trafen schließlich am 25.
Februar 2010 in [X.] ein.

Zinsen stattgegeben. Die Berufung der [X.] ist zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der [X.], mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagte schulde die in der Fluggastrechteverordnung vorgesehene Ausgleichszahlung, da die [X.] des gebuchten [X.] nicht durch ein außergewöhnliches Ereignis im Sinne des Art.
5 Abs.
3 der Verordnung verursacht worden sei. Zwar habe die Beklagte hinreichend dargetan, alles Zumutbare zur Vermeidung der [X.] getan zu haben. Ein Streik eigener Mitarbeiter des ausführenden [X.] stelle jedoch kein außergewöhnliches Ereignis dar. Mit der Verordnung sollten die Rechte der Fluggäste gestärkt werden, weswegen bei der Beurteilung, welche Ereignisse als außergewöhnlich anzusehen seien, mit der Folge, dass der grundsätzlich bei Annullierungen vorgesehene [X.] entfalle, enge Maßstäbe anzulegen seien. Bei einem Streik einer [X.] [X.], mit der die Beklagte in Tarifverhandlungen ste-he, handle es sich um äußere Umstände, die als Betriebsrisiko dem normalen Geschäftsbetrieb der [X.] zuzurechnen seien. Mit Streiks müsse bei Ta-3
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4
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rifverhandlungen grundsätzlich gerechnet werden und damit auch mit dem [X.] und der Annullierung von Flügen. Insoweit handle es sich um ein typisches, in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit zu erwartendes und nicht um ein [X.] Ereignis im Sinne der Verordnung.
II.
Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt im Streitfall in Betracht, dass die geltend gemachten Ausgleichsansprüche unbegründet sind, weil außergewöhn-liche Umstände zu einer von der [X.] nicht zu vermeidenden Annullierung des gebuchten Flugs geführt haben.
1.
Der Klägerin und ihrem Mitreisenden stehen wegen der Annullierung des Fluges von [X.] nach [X.] keine Ansprüche auf eine Ausgleichs-zahlung nach Art.
7 Abs.
1
Buchst.
c, Art.
5 Abs.
1
Buchst.
c der Verordnung zu, wenn sich die Beklagte auf außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art.
5 Abs.
3 der Verordnung berufen kann, die diesen Anspruch ausschließen. Nach dieser Vorschrift ist ein ausführendes Luftverkehrsunternehmen nicht verpflich-tet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnah-men ergriffen worden wären.
2.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Streikauf-ruf einer [X.] im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung wie die an-gekündigte Arbeitsniederlegung der der [X.] angehörenden Piloten der [X.], auf den die Annullierung nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts zurückgeht, außergewöhnliche Umstän-den im Sinne des Art.
5 Abs.
3 der Verordnung begründen.
a)
Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände ist weder in Art.
2, der verschiedene Begriffsbestimmungen enthält, noch in sonstigen Vorschriften der 5
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5
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Verordnung definiert. Inhalt und Reichweite des Tatbestands sind daher im Wege der Auslegung des Art.
5 Abs.
3 der Verordnung zu ermitteln.
Dabei sind die Bedeutung und die Tragweite von Begriffen, die das [X.] nicht definiert, entsprechend ihrem Sinn, dem gewöhnlichen [X.] und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie
ver-wendet werden, und der mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziele zu be-stimmen. Auch die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts können seinen Inhalt präzisieren und sind daher zur Auslegung heranzuziehen. [X.], die eine Ausnahme von unionsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften darstellen, sind ferner eng, d.h. so auszulegen, dass das vom [X.] gewollte Schutzniveau gewahrt bleibt (vgl. nur [X.], Urteil vom 10. März 2005, [X.]/03, [X.]. 2005,
I-1947, Rn. 21 -
easy[X.]ar;
Urteil vom 10. Januar 2006, [X.]/04, [X.], 351, Rn. 76 -
[X.] und [X.]; Urteil vom 22. [X.] -
[X.]-549/07, [X.]. 2008 [X.] = NJW 2009, 347 = [X.], 35, Rn. 16-18 -
[X.]/[X.]).
b)
Nach seinem Wortlaut, der -
im Unionsrecht nicht
anders als im [X.] Recht
-
den Ausgangspunkt der Auslegung bildet, kennzeichnet es die gegebenenfalls zu einem Wegfall der Ausgleichsverpflichtung führenden Umstände, dass sie außergewöhnlich (englisch "extraordinary", französisch "extraordinaires") sind, d.h. nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspre-chen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann.
Der [X.] hat damit einen Begriff gewählt, der -
im [X.] ähnlich wie das auch in Betracht gezogene (Begründung des [X.] ([X.]) Nr. 27/2003 vom 18. März 2003, [X.]. [X.] Nr. [X.] E v. 27. Mai 2003, [X.]) Kriterium der höheren Gewalt -
auf die Er-fassung von Ereignissen abzielt, die nicht mit dem Luftverkehr verbunden sind, sondern als -
jedenfalls in der Regel von außen kommende -
besondere Um-9
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stände seine ordnungs-
und plangemäße Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Den dem Begriff der höheren Gewalt immanenten Gesichtspunkt der Unabwendbarkeit hat der Gesetzgeber dabei in der Weise berücksichtigt, dass außergewöhnliche Umstände nicht per se zum Wegfall der Ausgleichspflicht führen. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn sich die au-ßergewöhnlichen Umstände auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn von dem Luftverkehrsunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen [X.] wären. Dies macht zugleich deutlich, dass ein bestimmtes außergewöhnli-ches Ereignis wie beispielsweise ein Erdbeben oder ein Orkan nicht schon für sich genommen zur Entlastung des [X.] führt, sondern nur dann, wenn die hierdurch hervorgerufenen Bedingungen für die [X.] eines geplanten Flugs auch bei Aufbietung aller möglichen und zumutba-ren
Mittel nicht in der Weise verändert oder sonst beeinflusst werden können, dass der Flug planmäßig durchgeführt werden kann (vgl. [X.], [X.]/[X.] Rn. 22).
Dies entspricht der Zielsetzung der Verordnung, den Verbraucher vor dem "Ärgernis" insbesondere von Annullierungen zu bewahren, die aus der Sicht des [X.] wirtschaftlich vernünftig sind, die sich aber im Interesse der betroffenen Reisenden bei der gebotenen Rücksichtnahme auf deren Belange und der Aufbietung aller zumutbaren Mittel vermeiden ließen. Nach Erwägungsgrund 12 sollen das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen, dadurch verringert werden, dass die Luftverkehrsunternehmen veranlasst werden, die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten und ihnen darüber hinaus eine zumutbare anderweitige Beförderung anzubieten, so dass die Fluggäste umdisponieren können. (Nur) wenn dies nicht möglich ist oder nicht geschieht, sollen die Luftverkehrsunternehmen den Fluggästen einen Ausgleich leisten.
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Indem er für die Befreiung von der Ausgleichspflicht außergewöhnliche Umstände verlangt, lässt der Gesetzgeber zudem nicht jedes unvermeidbare Ereignis genügen, sondern weist auch unvermeidbare Hindernisse für die planmäßige Durchführung eines Flugs der Risikosphäre des Luftverkehrsunter-nehmens zu, sofern sie nicht als außergewöhnlich aus den üblichen und er-wartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen. Ein technischer Defekt, wie er beim Betrieb eines Flugzeugs auftreten kann, begründet daher regelmäßig auch dann, wenn das Luftverkehrsunternehmen alle Wartungsintervalle einge-halten und die Wartung ordnungsgemäß durchgeführt hat, regelmäßig keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art.
5 Abs.
3 der Verordnung ([X.], Urteil vom 12. November 2009 -
Xa [X.], NJW
2010, 1070 = [X.] 2010, 34, Rn.
23). Hierdurch wird dem angestrebten Verbraucherschutz zu praktischer Wirksamkeit verholfen, denn die Vermeidbarkeit eines technischen Defekts kann von den hierdurch betroffenen Verbrauchern regelmäßig nicht beurteilt werden und wäre auch in einem gerichtlichen Verfahren nur mit unver-hältnismäßigem Aufwand und ungewissem Ausgang zu klären, was sich zu-gleich, käme es hierauf an, regelmäßig als Hindernis für die Durchsetzung be-rechtigter Ansprüche erwiese.
c)
Erwägungsgrund 14 der Verordnung bestätigt und bekräftigt dieses sich aus Wortlaut und Zweck der Norm ergebende Verständnis. Danach können außergewöhnliche Umstände insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedin-gungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Be-trieb eines ausführenden [X.] beeinträchtigenden Streiks eintreten. Nach Erwägungsgrund 15 "sollte"
sogar vom Vorliegen außerge-wöhnlicher Umstände ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des [X.] zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es, obgleich alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermei-dung dieser Folge ergriffen wurden, bei einem oder mehreren Flügen des be-13
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treffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt. Beide Erwägungsgründe
zei-gen, dass für die Qualifikation der Umstände als außergewöhnlich weder ihre -
möglicherweise vielfältigen -
Ursachen noch ihre Herkunft aus dem Verantwor-tungsbereich des [X.] oder eines [X.] oder ihre gene-relle Unbeeinflussbarkeit entscheidend sind, sondern vielmehr der Umstand, dass sie sich von denjenigen Ereignissen unterscheiden, mit denen typischer-weise bei der Durchführung eines einzelnen Fluges gerechnet werden muss.
d)
In der Rechtssache [X.]/[X.], in der es um die [X.] ging, ob ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem außer-gewöhnliche Umstände begründen könne, hat der Gerichtshof der [X.] die Vorschrift in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen
ausge-legt: Auch wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber "unerwartete Flugsicherheits-mängel"
in die Aufzählung nach Erwägungsgrund 14 aufgenommen habe und ein technisches Problem eines Flugzeugs zu solchen Mängeln gezählt werden könne, könnten die Umstände im Zusammenhang mit einem solchen Vor-kommnis dennoch nur dann als "außergewöhnlich"
im Sinne von Art.
5 Abs.
3 der Verordnung qualifiziert werden, wenn sie ein Vorkommnis beträfen, das wie die in
Erwägungsgrund 14 aufgezählten nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen [X.] und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sei (Rn.
23). Angesichts der besonderen Bedingungen, unter denen der Luftverkehr durchgeführt werde, und des Maßes an technischer Komplexität der Flugzeuge sähen sich die Luft-verkehrsunternehmen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit gewöhnlich verschiede-nen technischen Problemen gegenüber, die der Betrieb solcher Maschinen un-ausweichlich mit sich bringe und zu deren Vermeidung diese regelmäßigen und strikten Kontrollen unterlägen, die Bestandteil der gewöhnlichen [X.] der Luftverkehrsunternehmen seien. Die Behebung eines technischen Problems, das auf die fehlerhafte Wartung einer Maschine zurückzuführen sei, 15
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sei daher Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des [X.]. Folglich könnten technische Probleme, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigten oder infolge einer unterbliebenen Wartung aufträten, als solche keine außergewöhnlichen Umstände darstellen (Rn.
24 f.). Es lasse sich indessen nicht
ausschließen, dass technische Probleme zu solchen außerge-wöhnlichen Umständen zu rechnen seien, soweit sie auf Vorkommnisse zu-rückzuführen seien, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des be-troffenen [X.] und von ihm tatsächlich nicht zu beherr-schen seien. So verhielte es sich z.B. dann, wenn der Hersteller der Maschinen, aus denen die Flotte des betroffenen [X.] bestehe, oder eine zuständige Behörde entdeckte, dass die bereits in Betrieb genommenen Maschinen mit einem versteckten Fabrikationsfehler behaftet seien, der die Flugsicherheit beeinträchtige, und Gleiches würde bei durch [X.]e oder terroristische Handlungen verursachten Schäden an den Flugzeugen gelten (Rn. 26).
Der [X.] hat hieraus abgeleitet, dass technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs typischerweise auftreten, grundsätzlich keine außergewöhnlichen Umstände begründen, und zwar auch dann nicht, wenn das Luftverkehrsunternehmen alle vorgeschriebenen oder sonst bei Be-achtung der erforderlichen Sorgfalt gebotenen Wartungsarbeiten frist-
und ord-nungsgemäß ausgeführt hat. Solche Defekte sind Teil der normalen Tätigkeit des betroffenen [X.] ([X.], Urteil vom 12.
November
2009 -
Xa
ZR
76/07, NJW 2010, 1070 = [X.] 2010, 34, Rn. 23). Anders verhält es sich dann, wenn ein technischer Defekt ein nicht beherrsch-bares Vorkommnis zur Folge hat, das außerhalb des Rahmens der normalen Betriebstätigkeit des [X.] liegt. Dies kann sich zum einen daraus ergeben, dass nicht nur ein einzelnes Flugzeug betroffen ist, sondern der gesamte über einen Flughafen abgewickelte Luftverkehr oder die gesamte Flotte eines [X.], beispielsweise weil die technischen 16
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Einrichtungen eines Flughafens versagen oder ein versteckter Fabrikationsfeh-ler die gesamte oder einen wesentlichen Teil der Flotte des Luftverkehrsunter-nehmens betrifft. Solche Fälle sind nicht Teil der normalen Betriebstätigkeit; in diesen Fällen kommt der Luftverkehr oder die Betriebstätigkeit eines oder meh-rerer Luftverkehrsunternehmen vielmehr ganz oder teilweise zum Erliegen. Die Außergewöhnlichkeit der Umstände kann sich zum anderen aber auch aus der Natur eines -
gegebenenfalls nur ein einzelnes Flugzeug betreffenden -
Vor-kommnisses ergeben, das wie ein [X.] oder ein terroristischer An-schlag außerhalb dessen liegt, womit im Rahmen der normalen Betriebstätigkeit eines [X.] gerechnet werden muss.
e)
Die Prüfung, ob ein technisches Problem in diesem Sinne auf ein Vorkommnis zurückzuführen ist, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tä-tigkeit des betroffenen [X.] und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist, hat der Gerichtshof [X.] überantwortet ([X.], [X.]/[X.] Rn. 27); sie ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters.
f)
Die vom Gerichtshof für technische Defekte
entwickelten Maßstäbe sind auch dann heranzuziehen, wenn Vorkommnisse, wie etwa die in [X.] 14 -
beispielhaft ([X.], [X.]/[X.] Rn. 22) -
ge-nannten Fälle politischer Instabilität, mit der Durchführung eines Flugs nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, und den Betrieb eines [X.] beeinträchtigende Streiks als Ursache außerge-wöhnlicher Umstände in Betracht kommen. Auch insoweit ist maßgeblich, ob die Annullierung auf ungewöhnliche, außerhalb des Rahmens
der normalen Betriebstätigkeit des [X.] liegende und von ihm nicht zu beherrschende Gegebenheiten zurückgeht.
Sofern -
wie im Streitfall
-
ein Streik in Rede steht, kommt es dabei -jedenfalls im Grundsatz -
nicht darauf an, ob der Betrieb des Luftverkehrsunter-17
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nehmens durch eine Tarifauseinandersetzung zwischen [X.], beispielsweise durch einen Streik von Beschäftigten des Flughafenbetreibers oder eines mit betriebswesentlichen Aufgaben wie etwa der Sicherheitskontrolle beauftragten anderen Unternehmens oder dadurch beeinträchtigt wird, dass eigene Mitarbei-ter des ausführenden [X.] wie Bodenpersonal oder flie-gendes Personal in den Ausstand treten. Weder der Wortlaut des Art.
5 Abs.
3 der Verordnung noch Erwägungsgrund 14 oder der vorstehend dargestellte Sinn und Zweck der Vorschrift bieten für eine solche Unterscheidung einen
An-haltspunkt.
Auch der Streik eigener Mitarbeiter geht typischerweise von einer [X.] aus, die von dem auf der Gegenseite stehenden Tarifpartner, der der Arbeitgeber der Mitarbeiter, aber auch eine Arbeitgeberorganisation sein kann, verbesserte Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne erstreiten will. Zu diesem Zweck ruft sie ihre Mitglieder zur Teilnahme am Arbeitskampf auf. Ein
solcher
Arbeitskampf ist Mittel der unionsrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit (Art.
12 Abs.
1 und Art.
28 der [X.] [[X.]. [X.] 364/1 ff. vom 18. Dezember 2000, vgl. hierzu [X.], [X.]V/A[X.]V, 2.
Aufl., Art.
28 GR-[X.]harta, Rn. 4]) und suspendiert, jedenfalls soweit zur Er-möglichung des [X.] erforderlich, die sonst bestehenden Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag. Der Streikaufruf wirkt -
auch soweit er zu einem Ausstand der eigenen Beschäftigten führt
-
"von außen"
auf das Luftver-kehrsunternehmen ein und ist nicht Teil der normalen Ausübung seiner [X.]. Denn er zielt gerade darauf, als Kampfmittel der Auseinandersetzung um einen neuen oder anderen Tarifvertrag die "normale Ausübung der Tätigkeit" zu beeinträchtigen und wenn möglich vollständig lahmzulegen. Er betrifft [X.] in aller Regel auch nicht nur einen einzelnen oder einzelne Flüge, sondern typischerweise die gesamte oder zumindest wesentliche Teile der gesamten Tätigkeit des [X.]. Der Zweck der Verordnung, die Flug-gäste -
auch durch die Pflicht zu Ausgleichszahlungen
-
vor dem "Ärgernis" 20
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12
-

([X.], [X.] und [X.] Rn.
69;
[X.]/[X.] Rn.
18)
-
grundsätzlich
-
vermeidbarer Annullierungen zu schützen, kommt bei einem solchen Streik ebenso wenig zum Tragen wie in denjenigen Fällen, in denen ein externer Arbeitskampf oder ein sonstiges Ereignis dazu führt, dass die normale Betriebstätigkeit eines [X.] ganz oder zu wesentlichen Teilen zum Erliegen kommt. Im Übrigen können, wie ein vom West London [X.]ounty [X.]ourt entschiedener Fall
belegt, in dem Mitarbeiter eines [X.] in einen wilden Streik traten, weil der Flughafen-betreiber die Betrauung des [X.] mit der [X.] nicht fortsetzen wollte (zitiert nach [X.], www.mondaq.com/article.asp?articleid=82136), beide Konstellationen ineinan-der übergehen.
g)
Der [X.] kann die vorstehende Auslegung der Verordnung seiner weiteren Sachprüfung zugrunde legen, ohne zuvor eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] einzuholen. Denn das dargelegte Norm-verständnis
ergibt sich, wie ausgeführt, aus Wortlaut und Zweck der Verord-nung und steht in Einklang mit der Auslegung des Art.
5 Abs.
3 der Verordnung durch die bereits ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs. Die [X.], auf die der Gerichtshof die Auslegung der Vorschrift in den oben angeführ-ten Entscheidungen gestützt hat, greifen auch im Streitfall. Der [X.] hat auf der Grundlage dieser Rechtsprechung keine Zweifel, dass der Gerichtshof für außergewöhnliche Umstände, die aufgrund eines Streiks eintreten, zu keiner anderen
Beurteilung gelangt als für die übrigen in Erwägungsgrund
14 der [X.] beispielhaft aufgezählten Fallgestaltungen.

Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht in Übereinstim-mung mit einigen Stimmen in der Literatur (s. etwa Bartlik, [X.], 272, 278; [X.], [X.], 1841, 1843; [X.], [X.] 2006, 254, 255 f. [anders derselbe in: [X.], [X.], 13. Bearb. 2012, § 651j Rn. 22 f.]) zu einem ab-21
22
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13
-

weichenden Ergebnis gelangt ist. Denn dies wird, soweit es näher begründet wird, zum einen mit einer entsprechenden Auslegung des Art.
19 des Montrea-ler Übereinkommens gerechtfertigt, zum anderen mit der Annahme, dass [X.] mit den eigenen Mitarbeitern zum allgemeinen Betriebsrisiko des [X.] zählten. Auf beide Gesichtspunkte kommt es indessen weder nach dem Wortlaut der Verordnung noch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] entscheidend an.
3.
Im Streitfall war die Streikankündigung der [X.], wie der [X.] aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts selbst beurteilen kann, geeignet, außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art.
5 Abs.
3 der Verordnung herbeizuführen.
a)
Im Streitfall musste die Beklagte damit rechnen, dass die überwie-gende Zahl ihrer angestellten Piloten dem Streikaufruf nachkommen würde. Es ging also nicht darum, einen etwa durch Krankheit eingetretenen Ausfall einer geringen Anzahl von Mitarbeitern zu kompensieren, sondern auf einen drohen-den Ausfall zumindest eines erheblichen Teils
des Pilotenpersonals zu reagie-ren. Die Beklagte musste davon ausgehen, dass ihr als Folge des Streiks keine zur Einhaltung des gesamten [X.] ausreichende Anzahl von Piloten zur Verfügung stehen würde und deshalb eine nicht unerhebliche Zahl
der von ihr geplanten Flüge nicht oder nicht wie vorgesehen würde durchgeführt werden können; sie hatte deshalb Anlass, bereits auf die Ankündigung des Streiks zu reagieren und den Flugplan so zu reorganisieren, dass zum einen die [X.] durch den Streik so gering wie unter den gegebe-nen Umständen möglich ausfallen würden und sie zum anderen in der Lage sein würde, nach Beendigung des Streiks sobald wie möglich zum Normalbe-trieb zurückzukehren. Eine solche Situation kann nicht zur
normalen Tätigkeit eines [X.] gerechnet werden.
23
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14
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b)
Die Berufung der [X.] auf außergewöhnliche Umstände schei-det nicht deswegen aus, weil die Situation für die Beklagte beherrschbar war.
In aller Regel kann eine außergewöhnliche Umstände ausschließende Beherrschbarkeit der Situation bei einer Tarifauseinandersetzung nicht ange-nommen werden. Die Entscheidung, einen Streik durchzuführen, wird von der Arbeitnehmerseite
im Rahmen der ihr zukommenden Tarifautonomie getroffen und damit außerhalb des Betriebs des ausführenden [X.]. Daraus folgt, dass das Luftverkehrsunternehmen regelmäßig auch bei eigenen Mitarbeitern keinen rechtlich erheblichen Einfluss darauf hat, ob [X.] wird oder nicht. Dabei verfängt das
Argument nicht, das ausführende Luftverkehrsunternehmen habe es bei betriebsinternen Streiks in der Hand, den Forderungen nachzukommen und dadurch den Streik abzuwenden. Damit wür-de von dem Luftverkehrsunternehmen verlangt, auf seine unionsrechtlich [X.] zu verzichten und sich im Arbeitskampf von vornhe-rein in die Rolle des Unterlegenen zu begeben. Dies wäre weder dem Luftver-kehrsunternehmen zumutbar noch läge es im längerfristigen Interesse der Fluggäste.
Aus den Feststellungen
des Berufungsgerichts ergibt sich nichts dafür, dass im Streitfall etwas anderes gelten könnte.
III.
Das Berufungsurteil kann demnach keinen Bestand haben, und die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs.
3 ZPO), weil das Berufungsgericht keine Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob die Beklagte alle zumutba-ren Maßnahmen im Sinne
des Art.
5 Abs.
3 der Verordnung ergriffen hat, um die Annullierung des von der Klägerin gebuchten Flugs zu vermeiden.
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27
28
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15
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1.
Welche Maßnahmen einem ausführenden Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, also in persönlicher, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht erwartet werden können, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zur Annullierung eines bestimmten Fluges führen, bestimmt sich nach den Um-ständen des Einzelfalls zu diesem Zeitpunkt ([X.], [X.]/[X.] Rn. 42; Urteil vom 12. Mai 2011 -
Rs. [X.]-294/10, NJW 2011, 2865 = [X.] 2011, 125 Rn. 25, 29 f. -

b-len und vom Einzelfall abhängigen Begriff der zumutbaren Maßnahme aus, wo-bei es Sache des nationalen Gerichts ist zu beurteilen, ob in dem ihm vorlie-genden Fall angenommen werden kann, dass das Luftverkehrsunternehmen [X.], Rn. 30). Auch bei einer streikbedingten Beeinträchtigung des Flug-plans sind demgemäß die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich.
2.
Das Berufungsgericht hat zwar im Rahmen der Begründung der Zu-lassung der Revision ausgeführt, die im Streitfall relevante Rechtsfrage, ob ein Streik des eigenen Personals zu außergewöhnlichen Umständen nach Art.
5 Abs.
3 der Verordnung führen könne, sei entscheidungserheblich, weil die [X.] hinreichend dargelegt habe, alles Zumutbare zur Vermeidung der [X.] getan zu haben. Diese allgemeine Äußerung zur Leistung des [X.] ersetzt aber nicht Feststellungen zu den von der [X.] zur Vermeidung der Annullierung angeblich durchgeführten Maßnahmen, zumal das Amtsgericht den Vortrag der [X.] hierzu als nicht ausreichend erachtet hat. Durch die Zurückverweisung erhält das Berufungsgericht Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen nachzuholen.
IV.
Dabei wird das Berufungsgericht Folgendes zu berücksichtigen ha-ben:
1.
Lassen außergewöhnliche Umstände besorgen, dass dem Luftver-kehrsunternehmen demnächst ein erheblicher Teil seiner Piloten nicht zur Ver-29
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16
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fügung stehen wird, können an die Darlegung der Gründe, warum ein bestimm-ter Flug annulliert worden ist, keine hohen Anforderungen gestellt werden.
In einer solchen Situation steht das Luftverkehrsunternehmen
vor der Aufgabe, den Betriebsablauf möglichst schon im Vorfeld entsprechend zu reor-ganisieren. Hierbei hat es wie bereits dargelegt vor allem darauf hinzuwirken, dass die Beeinträchtigung für die Gesamtheit der Fluggäste möglichst gering ausfällt und dass nach dem Wegfall der Beeinträchtigungen möglichst schnell wieder der Normalbetrieb aufgenommen werden kann. [X.] das Luftver-kehrsunternehmen unter Einhaltung dieser Anforderungen die ihm zur Verfü-gung stehenden Ressourcen
in dem gebotenen Umfang aus, kann die Nicht-durchführung eines einzelnen Fluges in der Regel nicht allein deshalb als ver-meidbar angesehen werden, weil stattdessen ein anderer Flug hätte annulliert werden können. In Anbetracht der
komplexen
Entscheidungssituation, bei der eine Vielzahl von Flügen sowie deren Verknüpfung untereinander zu berück-sichtigen sind,
ist dem Luftverkehrsunternehmen vielmehr der erforderliche
Spielraum bei der Beurteilung der zweckmäßigen Maßnahmen zuzubilligen. Eine Verkürzung der Verbraucherrechte ist hierdurch nicht zu besorgen, da es nicht zuletzt im eigenen wirtschaftlichen Interesse des [X.] liegt, die Auswirkungen des Streiks und die streikbedingten Beeinträchti-gungen der Fluggäste so gering wie möglich zu halten.
33
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17
-

2.
Soweit es um die Möglichkeit geht, [X.] einzusetzen, wird das Luftverkehrsunternehmen in der Regel nur dann Anlass zu detaillierte-rem Vortrag haben, wenn sich aus dem unstreitigen Sachverhalt oder aus dem Vortrag der Gegenseite konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die kurz-fristige Verpflichtung von [X.] möglich und zumutbar
war.

Meier-Beck
[X.]
Bacher

[X.]

Schuster

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 25.10.2010 -
142 [X.] 153/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 27.10.2011 -
6 [X.]/10 -

34

Meta

X ZR 138/11

21.08.2012

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.08.2012, Az. X ZR 138/11 (REWIS RS 2012, 3814)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3814

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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X ZR 138/11

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