Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.05.2017, Az. 2 StR 219/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 10393

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:240517U2STR219.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 219/16

vom
24. Mai
2017
in der Strafsache
gegen

wegen
Verdachts des Totschlags u.a.
-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 24. Mai 2017, an der
teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Appl
als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Prof. Dr. [X.],
[X.],
[X.],
[X.],

Staatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

,
Rechtsanwalt

als Verteidiger des Angeklagten,

[X.]

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
Die Revision der
Staatsanwaltschaft
gegen
das Urteil des [X.]s
Marburg
vom 23. November 2015
wird
verworfen.
Die
Kosten des
Rechtsmittels und die dem
Angeklagten
hier-durch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staats-kasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den
Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes einer Präzisionsschleuder zu einer Geldstrafe verurteilt und ihn vom Vorwurf des [X.] freigesprochen. Gegen den Freispruch richtet
sich die auf die Sachbe-schwerde gestützte
Revision
der Staatsanwaltschaft. Das
Rechtsmittel, das vom [X.] nicht vertreten wird,
ist
unbegründet.

I.
1. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten einen Totschlag zur Last.
Am 12. Oktober 2014 habe gegen 5.40 Uhr in der R.

in M.

aus nicht näher geklärtem
Anlass eine Auseinandersetzung zwischen dem [X.] und den Zeugen S.

und W.

einerseits sowie
dem später
getöteten

Ho.

und
den [X.].

, Hü.

, [X.]

und
1
2
3
-
4
-
D.

andererseits stattgefunden. Der erste tätliche Angriff sei durch
den Zeugen S.

gegen den [X.].

ausgeführt worden. An der
Auseinandersetzung
habe sich sodann der Zeuge Hü.

aktiv beteiligt, wäh-
rend die [X.]

, D.

und W.

versucht hätten, die Kontra-
henden zu trennen. Gleichzeitig oder
kurz darauf seien einige Meter entfernt der Angeklagte und

Ho.

aneinander
geraten. Dabei habe der
Angeklagte ein Taschenmesser gezogen, dieses geöffnet und dem unbewaffne-ten Gegner
einen gezielten Stich ins Herz
versetzt. Trotz der tödlichen Verlet-zung
habe

Ho.

ein bewegliches Verkehrsschild aus seiner
Halte-
rung genommen und sei mit
diesem, die Stange quer vor der Brust haltend,
auf den Angeklagten zugegangen. Dieser habe ihm die Stange entrissen und
damit auf ihn eingeschlagen.

Ho.

sei daraufhin zusammengebrochen

und wenig später im Krankenhaus verstorben.
2. Nach den Feststellungen des [X.]s nahm
der Angeklagte am 11.
Oktober 2014 als Verbindungsstudent an
einer Feier im Verbindungshaus teil und
trank
erhebliche Mengen Alkohol. Danach hielt er sich in der Gaststätte D.

auf, wo er die Zeugen S.

und W.

traf. Gemeinsam
suchten sie die Kellerbar R.

auf, die in den frühen Morgenstunden auch von

Ho.

und dessen
Bekannten Sc.

, [X.]

, [X.]

, [X.]

, D.

und Hü.

besucht wurde. Im Verlauf des Aufenthalts in der Keller-
bar kam es dazu, dass einer
aus der Gruppe um den Geschädigten auf der [X.] dem Angeklagten dessen
Einstecktuch aus der Anzugjacke wegnahm und dieses im Scherz
einem anderen als Ersatz für Toilettenpapier anbot; der [X.] erhielt das Einstecktuch aber kurz darauf zurück.
Nachdem alle Personen
die Kellerbar gegen 5.40 Uhr
verlassen hatten, kam es auf der Straße erneut zu
einem Streit um das Einstecktuch. Die Zeugen
Sc.

, [X.]

und Hü.

sprachen
den Angeklagten auf den Vorfall auf der
[X.] an. Der Zeuge Hü.

nahm dem Angeklagten erneut das
4
5
-
5
-
Einstecktuch weg und entfernte sich.
Der Zeuge S.

und der Angeklagte
folgten ihm, worauf es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen den [X.].

und S.

kam. Kurz danach
kam es ohne feststellbaren
Grund zu einer weiteren körperlichen Auseinandersetzung zwischen
den [X.] Hü.

und S.

, in die sich die [X.]

, D.

und W.

einmischten. Auch der Angeklagte näherte sich dieser
Gruppe. Bevor er
diese erreichte,
lief

Ho.

auf ihn zu und beschimpfte ihn. Der An-
geklagte wurde dabei zurückgedrängt und mindestens einmal getreten. Die
Zeugen [X.]

und [X.]

versuchten vergeblich, den aggressiv auftretenden

Ho.

zu beruhigen. Der Angeklagte wich
zwei Meter
zurück. Da-
nach kam es zu einer weiteren körperlichen Auseinandersetzung mit

Ho.

,
in deren Verlauf der Angeklagte diesem
mit seinem mitgeführten
[X.] Taschenmesser den tödlichen Stich in die Brust
versetzte.
Die genaue Abfolge der Einzelakte
konnte das Gericht nicht feststellen.

Ho.

nahm jedenfalls die Stange eines mobilen Verkehrsschildes

mit einer Länge von drei Metern aus dessen
Halterung, hielt die Stange quer vor sich und bewegte sich
so auf den Angeklagten zu. In
dieser Situation erfolg-te der Messerstich, wobei nicht zu klären war, ob der
Stich vor oder nach dem Einsatz
der Stange erfolgte. Das [X.] vermochte nicht auszuschließen, dass

Ho.

mit der Stange des
Verkehrsschilds
in der Hand auf
den Angeklagten zulief, um ihn damit zu verletzen, worauf der Angeklagte ihm
in die Brust stach, um sich zu verteidigen.
Das [X.] hat
den Messereinsatz als Totschlag gewertet, der -
im Zweifel zugunsten des Angeklagten -
durch Notwehr gerechtfertigt sei.

6
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6
-
II.
Die Revision
ist
unbegründet.
1. Das Urteil genügt den formalen Anforderungen gemäß §
267 Abs.
5 Satz
1 StPO an eine freisprechende Entscheidung.
Wird der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, müssen nach der Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen
Tatsa-chen festgestellt werden, die das Tatgericht für erwiesen erachtet. Erst auf die-ser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen zur Verurteilung notwendige weitere
Feststellungen nicht getroffen werden konnten (vgl. [X.], Urteile vom 8. Mai 2014 -
1 StR 722/13, [X.], 220, und vom 5.
November 2014 -
1 [X.]). Bei einem Freispruch wegen Notwehr müssen auch dessen Tatsachengrundlagen
dargestellt werden (vgl. [X.], Urteil vom 21.
März 2017 -
1 StR
486/16). Nur so
ist
das Revisionsgericht in der Lage nachzuprüfen, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien [X.] beruht.
Diesen formalen Anforderungen
genügen die Gründe des angefochtenen Urteils. Das [X.] hat nach Wiedergabe des Anklagevorwurfs diejenigen Feststellungen mitgeteilt, die es sicher treffen konnte. Außerdem hat es erklärt, weshalb
ihm weiter
gehende Feststellungen im Sinne des Anklagevorwurfs nicht möglich waren.

2. Die Beweiswürdigung des [X.]s ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Es hat
keine überzogenen
Anforderungen an die für eine Verur-teilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt. Vielmehr hat es erläutert, warum die Einlassung des Angeklagten, der sich auf Notwehr berufen hat, nicht zu widerlegen sei. Angesichts
der erheblichen Alkoholisierung
aller Beteiligten zur Tatzeit und deren Ablenkung durch das übrige Geschehen vermochte kein Zeuge
belastbare Angaben im Sinne des Anklagevorwurfs zu machen. Auch 8
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-
7
-
der Augenzeuge des [X.] [X.]

hat zuletzt erklärt

Andererseits
wurde die Notwehrbehauptung
des Angeklagten teilweise
bestätigt, so dass dem [X.] nicht entgegengehal-ten werden kann, es habe überspannte Anforderungen an seine Überzeu-gungsbildung gestellt. Danach
ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das [X.] im Zweifel zugunsten des Angeklagten von einem Sachverhalt im Sinne
seiner Einlassung ausgegangen ist.

Eine Lücke in den Beweisgründen liegt nicht darin, dass das [X.]
nicht näher erläutert hat, inwieweit

Ho.

dem Angeklagten körper-
lich überlegen war. Es hat jedenfalls festgestellt, dass dieser größer war als der Angeklagte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte stärker alkoholisiert war, [X.]

Ho.

durch den vorherigen Konsum von Amphetamin in sei-
ner physischen Leistungsfähigkeit gestärkt, zugleich aber nach den Ausführun-gen des sachverständig beratenen [X.]s aggressiver als sonst üblich war.
Der Hinweis des [X.]s darauf,

Ho.

habe aus einer
zahlenmäßig überlegenen Gruppe heraus gehandelt, weist ebenfalls keinen
Rechtsfehler auf.
Schließlich
ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das [X.] die Erkennbarkeit des vorangegangenen Alkohol-
und [X.] durch

Ho.

für den Angeklagten verneint hat. Es fehlt an jeglichen
Anhaltspunkten dafür, dass er dies erkennen konnte und tatsächlich erkannt hat.
3. Auf der Grundlage der vom [X.] rechtsfehlerfrei getroffenen Mindestfeststellungen ist dessen rechtliche Wertung nicht zu beanstanden.
a) Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß §
32 Abs.
2 StGB ge-rechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs 13
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8
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führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem [X.] in der konkreten Situation zur Verfügung steht (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juni 2016 -
5 [X.], [X.], 598, 599 mit [X.] [X.]). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der [X.] Verhältnisse im [X.]punkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden. Danach kann auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Ein-satz einer Waffe durch Notwehr gerechtfertigt sein. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Ab-wehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend [X.] zur Abschätzung der [X.] zur Verfügung steht. Die mildere Einsatzform muss im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines [X.] und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglich-keiten zugemutet werden kann. Angesichts der geringen
Kalkulierbarkeit des [X.] dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Ent-scheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung [X.] überhöhten Anforderungen gestellt werden. Können keine sicheren Feststel-lungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich dies
nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken
([X.] aaO).
Hatte der körperlich überlegene

Ho.

den stärker alkoholi-
sierten Angeklagten zuerst zurückgedrängt, beleidigt und getreten
und
war

Ho.

danach
mit der Eisenstange in der Hand auf den Angeklagten
zugegangen,
ohne dass andere Personen aus seiner Gruppe ihn beruhigen konnten, so
war für den Angeklagten
keine ausreichende [X.] und Gelegenheit vorhanden, um in zumutbarer Weise ein milderes Mittel zu wählen, das
in glei-cher Weise geeignet gewesen wäre,
den Angriff sicher abzuwehren. Der [X.], dass der Angeklagte
letztlich die Stange
in seinen Besitz
gebracht hatte, spricht nicht gegen einen solchen Ablauf; dies konnte
die Folge
einer Schwä-chung seines Gegners durch tödliche Verletzung gewesen sein.
18
-
9
-
Soweit
die Beschwerdeführerin meint,

Ho.

hätte mit der
vor der Brust gehaltenen Metallstange dem Angeklagten
allenfalls geringfügige Verletzungen beibringen können, weshalb sein Messerstich keine erforderliche Verteidigungshandlung gewesen sei, zeigt sie keinen Rechtsfehler auf. Das [X.] hat nicht ausschließen können, dass mit der drei Meter langen [X.] aus der Sicht des Angeklagten ein gefährlicher Angriff auf ihn geführt werden konnte.
b) Die Rechtfertigung des Totschlags durch Notwehr führt dazu, dass auch eine Beteiligung des Angeklagten an einer Schlägerei mangels Vorwerf-barkeit dieser einzigen Beteiligungshandlung gemäß §
231 Abs.
2 StGB nicht in Betracht kommt. Die Rechtfertigungswirkung der Notwehr erstreckt sich in der vorliegenden Konstellation auf eine Beteiligung an einer Schlägerei
(vgl. [X.], Urteil vom 24.
August 1993 -
1 [X.], [X.]St 39, 305, 308), denn weiter gehende Beteiligungshandlungen liegen nicht vor.

Appl

[X.]

Eschelbach

Grube

[X.]
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Meta

2 StR 219/16

24.05.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.05.2017, Az. 2 StR 219/16 (REWIS RS 2017, 10393)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10393

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