Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.10.2017, Az. 2 StR 118/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 3350

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:251017U2STR118.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHO[X.]

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 118/16
vom
25.
Oktober
2017
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 25.
Oktober
2017, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Appl

als Vorsitzender,

[X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
[X.] am [X.]
Dr. [X.],

Staatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwalt

als Vertreter des [X.]

,

[X.]

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 11. November 2015 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwen-digen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten unter Auflösung der Gesamtgeld-strafe und Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des [X.] vom 17.
Mai 2015 sowie unter Aufrechterhaltung der dort an-geordneten Maßregel wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefähr-licher Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz verbotener Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht [X.] verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
Das [X.] hat im Wesentlichen folgende [X.]eststellungen und Wer-tungen getroffen:
1.
Am 20.
September 2013 arbeitete der Angeklagte als Türsteher einer Diskothek in [X.].

. Gegen 23.00
Uhr begegneten ihm vor
der Diskothek der Zeuge S.

und der Geschädigte [X.]

, woraufhin
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S.

den ihm bekannten Angeklagten verbal attackierte. Nach kurzem Wort-
wechsel begaben sich S.

und [X.]

auf eine mehrstündige Knei-
pentour durch A.

, bei der sie der Zeuge T.

begleitete.
Gegen 4.00
Uhr morgens kam es in einem Club in unmittelbarer Nähe der Diskothek
des Angeklagten zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwi-schen
[X.]

und T.

einerseits und den Betreibern des Clubs ande-
rerseits. Daraufhin bat der Türsteher des Clubs, der Zeuge P.

, den Ange-
klagten
um Hilfe. Gemeinsam gelang es ihnen, [X.]

und T.

aus
dem Club zu befördern und auf die Straße zu setzen. Dort begegneten [X.]

und T.

wieder dem Zeugen S.

.
Auf der Straße vor dem Club trafen [X.]

und der Angeklagte er-
neut aufeinander. Nach einem von [X.]

ausgehenden verbalen Streit
kam es zwischen beiden zu einem Gerangel und wechselseitigen [X.]austschlä-gen. Zu Gunsten des Angeklagten ist das [X.] davon ausgegangen, dass [X.]

den ersten Schlag ausführte.
Während der weiteren Aus-
einandersetzung zog der Angeklagte, ohne dass [X.]

dies bemerkte,
ein Messer und stach bzw. schnitt diesem ohne Vorwarnung [X.] in den Bauchbereich, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Zu [X.] und
genauer Beschaffenheit des Messers konnten keine [X.]eststellungen getroffen werden. Der Geschädigte [X.]

erlitt durch die Tat vier Schnitt-

und Stichverletzungen im Bereich des Rumpfes und des Bauchs, die potentiell geeignet waren, einen lebensbedrohlichen Zustand herbeizuführen. Die Zeugen S.

und T.

hatten die Auseinandersetzung zunächst gemeinsam aus

.

den Geschä-
digten [X.]

mit der Aufforderung weg, die Schlägerei zu beenden. Da-
raufhin äußerte dieser, der Angeklagte habe ihn abgestochen. Auf Nachfrage S.

, der die Messerstiche nicht wahrgenommen hatte, zog [X.]

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5
-
sein T-Shirt hoch und zeigte S.

die erlittenen Verletzungen. Als [X.]

dieser und warf dabei das verwendete Messer an einem unbekannten Ort weg.
Der Angeklagte hatte vor seinem Dienstantritt am 20.
September 2013 etwa gegen 21.00
Uhr die damals für ihn übliche tägliche Dosis von ca. 2 bis 3
Gramm Kokain konsumiert. [X.]erner hatte er im Verlaufe des Abends alkoholi-sche Getränke zu sich genommen; die genaue Trinkmenge konnte nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Zum [X.]punkt der Tat
war jedoch weder die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben noch seine Steue-rungsfähigkeit (erheblich) vermindert.
2.
Der Angeklagte bewahrte am 21.
September 2013 im Schlafzimmer seiner Wohnung in R.

ein Springmesser und zwei Schlagringe aus Metall
auf. Dabei war ihm bewusst, dass es sich bei den Waffen um verbotene [X.] im Sinne des Waffengesetzes handelte.
3.
Das [X.] hat das Verhalten des Angeklagten als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten
Besitz verbotener Waffen gewertet. Es hat [X.], der Angeklagte sei vom Versuch des Totschlags nicht zurückgetreten, da die Tat infolge des Eingreifens des Zeugen S.

fehlgeschlagen sei. Die
Tat sei auch nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Zwar habe sich der Angeklagte objektiv in einer Notwehrlage befunden, der mehrfache und ohne vorherige [X.] erfolgte Einsatz des Messers sei in der konkreten
Kampfsituation
aller-dings
nicht verhältnismäßig gewesen. Auch intensiver [X.] habe nicht vorgelegen.
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II.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
Die auf die Sachrüge hin gebotene umfassende Prüfung des [X.] lässt keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler erken-nen.
Im Einzelnen ist auf [X.]olgendes näher einzugehen:
1.
Die Beweiswürdigung des [X.]s begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere lässt die Begründung, mit der die [X.] die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung zur Zahl der ihm beim Tatgeschehen gegenüberstehenden Personen als widerlegt erachtet hat, kei-nen Rechtsfehler erkennen.
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, zum Tatzeitpunkt hätten auf der Straße vier Personen aus dem Lager des Geschädigten [X.]

auf
ihn gewartet, die bereits zuvor an der Auseinandersetzung im Club beteiligt
gewesen seien. Demgegenüber ist das [X.] aufgrund der überein-stimmenden Angaben der Zeugen [X.]

, [X.]

, B.

und

G.

davon ausgegangen, dass es sich
im Club um eine Auseinanderset-
zung mit nur zwei Personen

[X.]

und T.

gehandelt habe. Der
die Einlassung stützenden Angabe des [X.]

, der

abweichend von
seiner polizeilichen Vernehmung

in der Hauptverhandlung angab, im Club habe es eine Auseinandersetzung mit drei Personen gegeben, ist das [X.] mit tragfähiger Begründung nicht gefolgt.
2.
Auch die Erwägungen, mit denen das [X.] eine Rechtfertigung des Angeklagten durch Notwehr abgelehnt hat, halten rechtlicher Nachprüfung stand.
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a)
Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß §
32 Abs.
2 StGB ge-rechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Ange-griffenen
in der konkreten Situation zur Verfügung steht (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Juni 2016

5
StR
138/16, [X.], 593, 594). Ob dies der [X.]all ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen [X.] im [X.]punkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden. Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, ist sie grundsätzlich berechtigt, dasjenige Ab-wehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewähr-leistet. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend [X.] zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht
(Senat, Beschluss vom 21.
November 2012

2
StR
311/12, [X.], 105, 106). Auch der [X.], das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann da-nach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Gegenüber einem unbewaffneten An-greifer ist der Gebrauch eines Messers jedoch in der Regel anzudrohen, wenn die Drohung unter den konkreten Umständen eine so hohe
Erfolgsaussicht hat, dass dem Angegriffenen das Risiko eines [X.]ehlschlags und der damit verbun-denen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann
([X.], Beschluss vom 27.
September 2012

4
StR
197/12, [X.], 139, 140 mwN). Dies
ist auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrach-tung der tatsächlichen Verhältnisse im [X.]punkt der Verteidigungshandlung zu beurteilen. Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des [X.]ehlschlagrisikos dür-fen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten An-forderungen gestellt werden
([X.], Beschluss vom 27.
September 2012

4
StR 197/12,
aaO).
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b)
Nach diesen Maßstäben begegnet die Annahme des [X.]s, der Angeklagte hätte in der konkreten Kampfsituation vor dem mehrfachen Ein-satz des Messers dessen Gebrauch androhen oder zuwarten müssen, wie der Geschädigte [X.]

auf den ersten Stich reagieren würde, keinen durch-
greifenden rechtlichen Bedenken.
Das [X.] hat sich bei seiner Wertung mit allen wesentlichen Um-ständen auseinandergesetzt. Zur objektiven Kampflage hat es festgestellt, dass der Geschädigte [X.]

erheblich alkoholisiert war und von dem Zeugen
P.

und dem über mehrjährige Erfahrung als Türsteher verfügenden Angeklag-
ten kurz zuvor ohne größere Schwierigkeiten aus dem Club gedrängt worden war. Es hat außerdem festgestellt, dass die Zeugen S.

und T.

im
[X.]punkt der (von ihnen nicht wahrgenommenen) Messerstiche die Auseinan-dersetzung zwischen dem Geschädigten und dem körperlich überlegenen An-oder diesbezügliche Andeutungen zu machen. Die [X.] hat auch ge-sehen, dass dem Angeklagten die Zugehörigkeit des Zeugen S.

zu einer
gewaltbereiten [X.]angruppierung ebenso bekannt war wie der Umstand, dass der Zeuge T.

an der vorangegangenen Schlägerei im nahen Club beteiligt
gewesen war. Im Hinblick auf deren passives Verhalten und angesichts der [X.], deeskalierenden Reaktion des Zeugen S.

nach den [X.] ist
das [X.] davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte keiner zahlen-mäßigen Übermacht gegenüber sah (UA S.
40) und erst im [X.]punkt seiner [X.]lucht nach Offenbarwerden des [X.]es mit dem Eingreifen von S.

und T.

rechnen musste.
Angesichts dieser Umstände konnte das [X.] rechtsfehlerfrei da-von ausgehen, dass der Angeklagte gehalten war, den [X.] gegen-14
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über dem unbewaffneten Geschädigten anzudrohen, ohne dadurch eine Ver-schlechterung seiner Verteidigungsmöglichkeiten befürchten zu müssen.
3.
Auch die Erwägungen, mit denen die [X.] bei dem Angeklag-ten eine alkoholbedingt erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des §
21 StGB verneint hat, begegnen keinen durchgreifenden recht-lichen Bedenken. Insbesondere konnte das [X.] von einer Schätzung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit absehen.
a)
[X.]ehlen zuverlässige Berechnungsgrundlagen für die Bestimmung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit, ist der Tatrichter zwar gehalten, sich unter Beachtung des Zweifelssatzes eine Überzeugung davon zu verschaffen, welche Höchstmenge aufgenommenen Alkohols nach der Sachlage in Betracht kommt ([X.], Beschluss vom 18.
August 1992

4
StR
332/92, [X.], 466; Be-schluss
vom 28.
April 2010

5
StR
135/10, [X.], 257, 258). Bei [X.] hinreichender tatsächlicher [X.]spunkte ist eine Schätzung zulässig und geboten ([X.], Beschluss vom 18.
August 1992

4
StR
332/92; Beschluss vom 28.
April 2010

5
StR
135/10, jeweils
aaO). Der Tatrichter ist aber nicht verpflichtet, Sachverhalte zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, für die es keinen begründeten [X.] gibt ([X.], Urteil vom 6.
März 1986

4
StR
48/86, [X.]St 34, 29, 34; Beschluss vom 7.
Oktober 2014

4
StR
397/14, juris Rn.
8). Lassen sich nach Erschöpfung aller Beweismöglichkeiten keine Erkenntnisse darüber gewinnen, dass der Täter erheblich alkoholisiert war, ist daher volle Schuldfähigkeit anzunehmen ([X.], Urteil vom 15.
September 1987

5
StR 260/87, [X.]R StGB §
21 Blutalkoholkonzentration
9).
b)
Daran gemessen war das [X.] nicht gehalten, die Trinkmen-genangaben des Angeklagten einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration zugrunde zu
legen. Das [X.] ist zwar davon ausgegangen, dass der 17
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Angeklagte im Verlauf des [X.] Alkohol zu sich genommen hat. Die Ein-lassung des Angeklagten, er habe im Verlauf des Abends ca. sechs bis sieben Gläser Whiskey-Cola je 0,5
Liter getrunken, hat das [X.] aber aufgrund der Angaben des Zeugen We.

33).
Konkrete
[X.]eststellungen zum Trinkverhalten des Angeklagten am [X.] nicht getroffen werden (UA S.
11, 43).
Damit fehlte die für eine Schätzung der Blutalkoholkonzentration erforderliche ungefähre zeitliche und mengenmä-ßige Eingrenzung des [X.].
Ri[X.] Dr.
Appl ist krank-heitsbedingt an der [X.] gehindert.
[X.]
[X.]
[X.]
[X.]
[X.]

Meta

2 StR 118/16

25.10.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.10.2017, Az. 2 StR 118/16 (REWIS RS 2017, 3350)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 3350

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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