Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.11.2010, Az. 2 StR 483/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 1487

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 483/10 vom 10. November 2010 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 10. November 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels sowie die dem [X.] entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrü-ge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). 1 1. Nach den Feststellungen des [X.] traf der 25jährige Ange-klagte am 15. November 2009 nach 1 Uhr nachts auf die vor einer Gaststätte stehenden 17-19jährigen Zeugen [X.], [X.]und [X.]. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, die von allen Beteiligten in zunehmend ag-gressiver Weise geführt wurde. Auf Vorschlag eines der Zeugen stellte sich der Angeklagte schließlich einem Zweikampf mit dem 17jährigen [X.] , den der Angeklagte für sich entschied. Beide Kämpfer, die zu Boden gefallen waren, erhoben sich. Im nächsten Moment trat einer der beiden anderen Zeugen dem 2 - 3 - Angeklagten in den Rücken, wodurch dieser zu Boden stürzte. Nachdem er wieder aufgestanden war, zogen die Zeugen [X.] und [X.] und ih-nen folgend auch der Angeklagte ihre Gürtel aus. In dem anschließenden Schlagabtausch erlitt der Angeklagte zahlreiche oberflächliche Verletzungen und Abschürfungen, während seine Gegner unverletzt blieben ([X.], 7). Der Angeklagte geriet zunehmend in Bedrängnis und hatte Angst, dass ihm seine Gegner nahe kommen und ihn zusammenschlagen würden ([X.]). Wäh-rend [X.] und [X.] mit ihren Gürteln weiter auf ihn einschlugen, stach er mit einem Messer, das er zuvor unbemerkt von allen Beteiligten aus seiner Tasche gezogen hatte, mit Wucht in die Brust des in diesem Moment von links herannahenden [X.], "um sich seiner zu erwehren" ([X.], 10). Der Stich durchtrennte eine nahe des Herzens verlaufende Arterie sowie den Herzbeutel des Zeugen [X.]. 2. Das [X.] hat den mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Messerstich in die Brust des Zeugen [X.] (Nebenkläger) als nicht durch Notwehr gerechtfertigt gewertet. Der Angeklagte sei in seinem Notwehrrecht beschränkt gewesen, da er sich selbst provozierend auf die Auseinanderserset-zung mit mehreren Gegnern eingelassen habe. Schon vor dem Zweikampf ha-be es sich ihm aufgedrängt, dass es mit diesem Zweikampf nicht sein Bewen-den haben würde. Trotzdem sei er bewusst nicht ausgewichen, sondern habe die Auseinandersetzung gesucht ([X.]). Seine Verteidigung im Rahmen des solchermaßen eingeschränkten Notwehrrechts sei unverhältnismäßig ge-wesen. Da der Angeklagte nur zwei Gegnern gegenüber gestanden habe, hätte es ausgereicht, wenn er die Angreifer mit seinem Gürtel auf Distanz gehalten oder aber das Messer deutlich gezeigt hätte. Auch Flucht sei möglich gewesen. 3 - 4 - 3. Diese Bewertung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Auf [X.] der getroffenen Feststellungen ist die Annahme einer dem Angeklagten vorwerfbaren Provokation der [X.] und einer damit einhergehenden Einschränkung seiner Notwehrbefugnisse rechtsfehlerhaft. 4 a) Nach der Rechtsprechung des [X.] erfährt das [X.] unter anderem dann eine Einschränkung, wenn der Verteidiger ge-genüber dem Angreifer ein pflichtwidriges [X.] an den Tag gelegt hat, das bei vernünftiger Würdigung aller Umstände des Einzelfalles den folgenden Angriff als eine adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheinen lässt. In einem solchen Fall muss der Verteidiger dem Angriff unter Umständen auszuweichen suchen und darf zur lebensgefähr-lichen Trutzwehr nur übergehen, wenn andere Abwehrmöglichkeiten erschöpft oder mit Sicherheit aussichtslos sind ([X.]St 26, 143, 145; [X.], Urteil vom 7. Februar 1991 - 4 StR 526/90). Darüber hinaus vermag bereits ein sozial-ethisch zu missbilligendes [X.] das Notwehrrecht nur einzuschränken, wenn zwischen diesem [X.] und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Ursachenzusammenhang besteht und es nach [X.] des Täter auch geeignet ist, einen Angriff zu provozieren (vgl. [X.] NStZ 2006, 332, 333; [X.]St 42, 97, 100). 5 b) Die Feststellungen des [X.] belegen nicht, dass der Ange-klagte die [X.] in rechtswidriger oder sonst sozialethisch zu missbilli-gender Weise vorwerfbar provoziert hätte. 6 Der Angeklagte hat - nachdem der auf Vorschlag der Gegenseite begon-nene Zweikampf für alle erkennbar abgeschlossen war und er sich wieder er-hoben hatte - in keiner Weise zum Fortgang der Auseinandersetzung sei es verbal oder körperlich beigetragen und von daher den anschließenden [X.] - gegen ihn provoziert. Er wurde von diesem ersichtlich überrascht. Auch an sein Verhalten vor dem abgeschlossenen Zweikampf kann nicht zu seinen Lasten angeknüpft werden. Allein der Umstand, dass der Angeklagte mit den drei [X.] eine verbale Auseinandersetzung mit wechselseitigen Beleidigungen ge-führt und sich auf einen Zweikampf mit einem der Zeugen eingelassen hat, vermag keine vorwerfbare Provokation des nachfolgenden Angriffs gegen ihn begründen. Die Auseinandersetzung gründete zwar darauf, dass der [X.] fälschlicherweise auf sich bezogen hatte. Es fehlt indes bisher ein Anhalt, dass der Angeklagte die Auseinandersetzung als solche gezielt gesucht oder besonders gefördert hätte. Das Notwehrrecht erfährt vorliegend auch nicht deshalb eine [X.], weil sich der Angeklagte auf den Zweikampf eingelassen hat, obgleich er damit rechnen musste, dass es aufgrund der aggressiven Stimmung der [X.] mit diesem Zweikampf nicht sein Bewenden haben würde. Denn ein für sich genommen erlaubtes Tun führt nicht allein deshalb zu Einschränkungen der Notwehr, weil der Täter wusste oder wissen konnte, dass andere durch die-ses Verhalten zu einem rechtswidrigen Angriff veranlasst werden könnten (vgl. [X.] NJW 2003, 1955, 1959; Beschluss vom 4. August 2010 - 2 StR 118/10). 8 4. Ergänzend bemerkt der Senat, dass auch die Begründung der Unver-hältnismäßigkeit der [X.] nicht trägt, denn die Kammer hat bei ihrer Bewertung außer Acht gelassen, dass die beiden Angreifer jeweils mit Gürteln bewaffnet waren und nur der Angeklagte infolge des Schlagabtauschs Verletzungen davon trug. Auch vermögen die von der Kammer aufgezeigten theoretisch denkbaren milderen Verteidigungsmittel die Erforderlichkeit der er-folgten [X.] nicht in Frage zu stellen, da nicht aufgezeigt wird, dass es dem Angeklagten in der konkreten Situation auch tatsächlich möglich gewesen wäre, diese Erfolg versprechend zu ergreifen. 9 - 6 - 5. Da weitergehende Feststellungen nicht ausgeschlossen sind, war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. [X.]

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2 StR 483/10

10.11.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.11.2010, Az. 2 StR 483/10 (REWIS RS 2010, 1487)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1487

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2 StR 483/10

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