Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30.01.2012, Az. III B 20/10

3. Senat | REWIS RS 2012, 9674

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Gegenstand

(Zur unterlassenen Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 AO als Verfahrensmangel)


Leitsatz

NV: Die vom FG nach § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 AO unterlassene Beiladung kann zwar auf Rüge der Familienkasse, nicht aber auf Rüge des Kindergeldberechtigten zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO führen. Denn § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 AO bezweckt nicht, die Verfahrensposition des Kindergeldberechtigten zu verbessern und in seinem Interesse die Möglichkeiten der Sachaufklärung zu erweitern.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bezog zunächst Kindergeld für ihre im August 1996 geborene Tochter [X.].

2

Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung für [X.] mit Bescheid vom 12. Oktober 2007 gegenüber der Klägerin auf, weil [X.] in den Haushalt ihrer Pflegemutter in [X.] aufgenommen sei. Zugleich forderte sie das Kindergeld für den Zeitraum von [X.]eptember 2005 bis [X.]uli 2007 in Höhe von 3.542 € zurück. Der Einspruch blieb erfolglos.

3

Im anschließenden Klageverfahren beantragten sowohl die Klägerin als auch die Familienkasse die Beiladung der Pflegemutter von [X.]. In der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2009 stellte die Familienkasse den Antrag, die Klage abzuweisen, "hilfsweise" die Pflegemutter von [X.] gemäß § 174 Abs. 5 [X.]atz 2 der Abgabenordnung [X.]) beizuladen (vgl. [X.]itzungsprotokoll vom 10. Dezember 2009).

4

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage ab. Zu der Beiladung nahm das [X.] weder in einem eigenen Beschluss noch in dem angefochtenen Urteil [X.]tellung. Zur Begründung der Klageabweisung führte das [X.] im Wesentlichen aus, die Pflegemutter sei gemäß § 64 Abs. 2 [X.]atz 1 des Einkommensteuergesetzes in der für den [X.]treitzeitraum maßgeblichen Fassung (E[X.]tG) vorrangig kindergeldberechtigt. Es bestehe ein die Kindergeldberechtigung der Klägerin (§ 63 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 E[X.]tG) ausschließendes Pflegekindschaftsverhältnis (§ 63 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 E[X.]tG). Insbesondere liege ein familienähnliches Band zu den Pflegeeltern vor, zudem habe kein Obhuts- und Pflegeverhältnis der Klägerin zu [X.] mehr bestanden. Ein Fall einer Kindesentziehung liege nicht vor.

5

Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen Rechts (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), weil das [X.] --auch wenn kein Fall einer notwendigen Beiladung (§ 60 Abs. 3 [X.]O) vorliege-- es unterlassen habe, die Pflegemutter der [X.] am Verfahren zu beteiligen. Hierdurch sei die Klägerin beschwert, weil bei Vornahme der gebotenen Beiladung eine weitere Aufklärung des [X.]achverhalts hätte erwartet werden können. Daneben verstoße das Urteil gegen materielles Recht. Das [X.] habe aufgrund einer unzutreffenden Würdigung der nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) maßgeblichen Kriterien zu Unrecht angenommen, dass das Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen der Klägerin und [X.] nicht mehr bestehe. Aber selbst wenn dieses Verhältnis beendet gewesen sein sollte, lägen ausreichende Kontakte zwischen der Klägerin und [X.] vor, die ein solches Verhältnis neu begründet hätten.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 [X.]O).

7

1. Die Revision ist nicht wegen des von der Klägerin gerügten [X.], wonach es das [X.] trotz Antrags der Familienkasse unterlassen habe, die Pflegemutter der [X.] zu dem Verfahren beizuladen, zuzulassen.

8

Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O ist die Revision nur zuzulassen, wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann der [X.] bereits in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zurückverweisen (§ 116 Abs. 6 [X.]O).

9

a) Ein solcher Verfahrensmangel läge zwar vor, wenn das [X.] eine notwendige Beiladung gemäß § 60 Abs. 3 [X.]O unterlassen und damit gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen hätte (z.B. [X.]-Beschluss vom 17. [X.]uli 2003 [X.]28/03, [X.]/NV 2003, 1539). Ein Verstoß gegen § 60 Abs. 3 [X.]O ist aber nicht gegeben, weil die Entscheidung des [X.] über die Kindergeldberechtigung der Klägerin nicht unmittelbar die Rechte der Pflegemutter berührt (s. dazu [X.]-Beschluss vom 25. September 2001 VI B 153/01, [X.]/NV 2002, 160).

b) Aber auch dann, wenn im Streitfall ein Verfahrensmangel vorläge, weil das [X.] eine nach § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 [X.] vorgeschriebene Beiladung versäumt hätte (s. dazu [X.]-Beschlüsse vom 2. Oktober 1998 V B 79/98, [X.]/NV 1999, 442, und in [X.]/NV 2002, 160), könnte die Klägerin hiermit nicht die Zulassung der Revision erreichen.

Ein Verfahrensmangel ist nur dann erheblich, wenn die angefochtene Entscheidung auf ihm "beruhen kann". Auch wenn hierfür lediglich die Möglichkeit einer anderen Entscheidung bestehen muss (z.B. [X.]-Urteil vom 16. November 1993 VIII R 7/93, [X.]/NV 1994, 891), ist im Streitfall nicht erkennbar, dass bei einer erfolgten Beiladung der Pflegemutter nach § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 [X.] eine für die Klägerin andere Entscheidung hätte ergehen können.

Der Sache nach geht es bei dem selbständigen [X.] nach § 174 Abs. 5 Satz 2 [X.] um die Anwendbarkeit einer Korrekturvorschrift und um den Rechtsschutz des [X.]. So liegt nach dem Gesamtzusammenhang der in § 174 Abs. 4 und 5 [X.] getroffenen Regelung die Entscheidung, den [X.] zu dem Verfahren hinzuzuziehen oder beizuladen, allein im Ermessen der Finanzbehörde. Nur diese hat zu prüfen und zu entscheiden, ob wegen eines möglichen Verfahrenserfolges des Steuerpflichtigen oder Kindergeldberechtigten (hier der Klägerin) rechtliche Folgen gegenüber einem [X.] (hier der Pflegemutter) möglich sind, dessen Beiladung deshalb veranlasst oder beantragt werden müsste ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2002, 160). Wird die erforderliche Beteiligung des [X.] zu Unrecht unterlassen, hat dies nach § 174 Abs. 5 Satz 1 [X.] lediglich zur Folge, dass gegenüber dem [X.] keine Folgerungen aus einer Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Kindergeldbescheides gezogen werden können. [X.] die Finanzbehörde diese Konsequenz verhindern, muss sie die unterlassene Beiladung als Verfahrensfehler rügen (Senatsurteil vom 13. März 1997 III R 300/94, [X.]/NV 1997, 659). Danach kann zwar die angefochtene Entscheidung, soweit die Rechtsstellung der Finanzbehörde betroffen ist, auf einem solchen Verfahrensmangel beruhen. Die Möglichkeiten der Klägerin, auf das Verfahrensergebnis einzuwirken, werden aber durch die unterlassene Beiladung nicht beeinträchtigt. Im Übrigen bezweckt § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 [X.] nicht, die Verfahrensposition der Klägerin zu verbessern und in deren Interesse die Möglichkeiten der Sachaufklärung zu erweitern.

2. Soweit die Klägerin rügt, das [X.] habe gegen materielles Recht verstoßen, indem es den Einzelfall unzutreffend gewürdigt habe, wird schon kein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 [X.]O behauptet. Mit der Rüge einer vermeintlich fehlerhaften Rechtsanwendung durch das [X.] lässt sich die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreichen (Senatsbeschluss vom 8. März 2010 III B 123/09, [X.]/NV 2010, 1288, m.w.N.).

Meta

III B 20/10

30.01.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 10. Dezember 2009, Az: 5 K 3464/08, Urteil

§ 64 Abs 2 S 1 EStG 2002, § 60 Abs 3 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 174 Abs 5 AO, § 174 Abs 4 S 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30.01.2012, Az. III B 20/10 (REWIS RS 2012, 9674)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9674

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