Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.04.2013, Az. VI R 15/12

6. Senat | REWIS RS 2013, 6551

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Keine Aufhebung eines Beiladungsbeschlusses im Revisionsverfahren - Beizuladender im Rahmen der Prüfung eines Erstattungsanspruchs nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 2 SGB X)


Leitsatz

1. NV: Eine vom FG zu Unrecht beschlossene notwendige Beiladung kann im Revisionsverfahren --anders als im sozialgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren-- nicht aufgehoben werden.

2. NV: Auch ein vom FG zu Unrecht Beigeladener ist am Revisionsverfahren beteiligt.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die die [X.] Staatsangehörigkeit besitzt, beantragte im [X.]ugust 2004 unter Vorlage einer Haushaltsbescheinigung für ihre drei Kinder [X.], [X.] sowie [X.] die [X.]ewilligung von Kindergeld. Dies lehnte das damals zuständige [X.]rbeitsamt mit [X.]escheid vom 31. [X.]ugust 2004 ab.

2

Im Oktober 2004 beantragte die Klägerin, ebenfalls unter Vorlage einer Haushaltsbescheinigung aus Oktober 2004, erneut die Festsetzung von Kindergeld. Dieser [X.]ntrag wurde mit [X.]escheid vom 18. November 2004, der unter dem 25. November 2004 nochmals abgesandt worden war, bestandskräftig abgelehnt.

3

Unter Hinweis auf einen veränderten ausländerrechtlichen Status stellte die Klägerin im Februar 2008 bei der [X.]eklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) einen [X.]ntrag auf (auch rückwirkende) Festsetzung von Kindergeld.

4

Noch bevor über diesen [X.]ntrag entschieden worden war, wandte sich der [X.]rbeitsmarktservice im [X.] unter dem 14. März 2008 an die Familienkasse und machte gemäß den §§ 102 ff. des [X.] ([X.]) einen Ersatzanspruch auf die Nachzahlung des Kindergeldes geltend und führte in diesem Zusammenhang aus:

5

"Frau ...  (= Klägerin) hat für ihre Tochter [X.], Kindergeld beantragt. Frau ... und ihre Tochter erhalten seit dem 01.03.08 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SG[X.] II."

6

[X.]uf fernmündliche Nachfrage durch die Familienkasse erklärte der [X.]rbeitsmarktservice, dass sich der Erstattungsanspruch auf die Monate März und [X.]pril 2008 erstrecke und bezifferte diesen mit Schreiben vom 10. [X.]pril 2008 auf einen [X.]etrag in Höhe von ... €.

7

Unter dem 20. März 2008 machte die [X.] gegenüber der Familienkasse ebenfalls einen Erstattungsanspruch gemäß § 102 SG[X.] X i.V.m. § 74 [X.]bs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in [X.]ezug auf die Kinder der Klägerin, nämlich [X.], [X.] und [X.], geltend und verwies hierzu auf folgenden Sachverhalt:

8

"Familie ... hat bei [X.] bis zum 29.02.2008 laufende Leistungen nach dem [X.]sylbewerberleistungsgesetz ([X.]sylbLG), ohne [X.]nrechnung von Kindergeld, erhalten. (...)

9

Seitens der Familie ... wurde mitgeteilt, dass das Kindergeld eventuell rückwirkend ab dem [X.] bewilligt wird. Sollte dies zutreffen, bitte ich meinen Erstattungsanspruch zu berücksichtigen."

[X.]uf diesem Schreiben der [X.] befindet sich ein handschriftlicher Vermerk mit dem Namenszeichen "..." und einem Datumsstempel "10.04.08", wonach der Erstattungsanspruch auf die gesamte Nachzahlung 12/04-02/08 gerichtet sei.

        

Mit [X.]escheid vom 10. [X.]pril 2008 setzte die Familienkasse gegenüber der Klägerin Kindergeld ab Dezember 2004 wie folgt fest:

        

-       

Dezember 2004 bis [X.]ugust 2005 für [X.], [X.] und [X.] mit 462 €/Monat

-       

September 2005 bis [X.]ugust 2006 für [X.] und [X.] über 308 €/Monat

-       

September 2006 bis Februar 2008 für [X.], [X.] und [X.] in Höhe von 462 €/Monat

-       

ab März 2008 für [X.] und [X.] mit 308 €/Monat.

Die Familienkasse führte weiter aus, dass die Klägerin für den Zeitraum von Dezember 2004 bis Februar 2008 das in Höhe von insgesamt ... € festgesetzte Kindergeld nicht ausgezahlt erhalte, da dieser [X.]nspruch ihr gegenüber nach § 74 [X.]bs. 2 EStG i.V.m. § 107 SG[X.] X als erfüllt gelte. Denn die [X.] habe in dieser Höhe gemäß § 74 [X.]bs. 2 EStG i.V.m. §§ 103, 104 SG[X.] X einen Erstattungsanspruch geltend gemacht, da für diesen Zeitraum Sozialleistungen ohne [X.]nrechnung von Kindergeld gewährt worden seien.

Für den Zeitraum März bis [X.]pril 2008 sah die Familienkasse den [X.]nspruch der Klägerin in Höhe von ... € nach § 74 [X.]bs. 2 EStG i.V.m. § 107 SG[X.] X als erfüllt an, da die [X.] II-Stelle im [X.] in dieser Höhe gleichfalls einen Erstattungsanspruch geltend gemacht habe. Für diesen Zeitraum seien Sozialleistungen ohne [X.]nrechnung von Kindergeld gewährt worden.

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht ([X.]) weitgehend abgewiesen. Zuvor hat es mit [X.]eschluss vom 25. Januar 2010  12 K 326/09 zunächst die [X.] ([X.]eigeladene zu 1.) und den [X.] zu dem Verfahren beigeladen. [X.]uf die [X.]eschwerde des [X.] ist die ihm gegenüber erfolgte [X.]eiladung aufgehoben und die [X.] II-Stelle im [X.] ([X.]eigeladene zu 2.) zu dem Verfahren beigeladen worden ([X.]eschluss vom 18. Februar 2010  12 K 326/09).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

II. Der [X.] ist zu dem Verfahren notwendig beizuladen.

1. Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) hat eine Beiladung dann zu erfolgen, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die gerichtliche Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das ist der Fall, wenn die Entscheidung nach Maßgabe des materiellen Steuerrechts notwendigerweise und unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des [X.] gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (z.B. [X.] vom 17. März 2010 III R 71/09, [X.], 1291, m.w.N.; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 60 [X.]O Rz 43; Gräber/Levedag, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 60 Rz 23; Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 60 [X.]O Rz 19). Die notwendige Beiladung soll sicherstellen, dass eine Sachentscheidung, die die Rechte eines [X.] in der vorbezeichneten Weise betrifft und aus diesem Grunde auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann, nicht ohne Beteiligung dieses [X.] erlassen wird ([X.] vom 11. Mai 2005 VI R 38/02, [X.], 101, [X.] 2005, 776, m.w.N.).

a) Im Streitfall liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 Satz 1 [X.]O vor. Nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 [X.] X gilt der Anspruch der Klägerin gegen die Familienkasse auf Kindergeld als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch des nunmehr beigeladenen [X.] nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 2 [X.] X besteht. Der Erfolg der Klage ist somit davon abhängig, ob die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch vorliegen. Kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass kein Erstattungsanspruch besteht, hat der Beigeladene die von der Familienkasse gezahlten Beträge gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 112 [X.] X zurückzuerstatten. Deshalb beeinflusst die Entscheidung über die Auszahlung des [X.] auch die Rechtsposition des beigeladenen [X.]. Denn dieser ist der im Streitfall örtlich zuständige Träger der Sozialhilfe (§ 3 Abs. 2 des [X.]) und damit Inhaber des Erstattungsanspruchs nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 2 [X.] X, auch wenn der Erstattungsanspruch vorliegend gemäß der Satzung des [X.] über die Heranziehung der kreisangehörigen Städte, Gemeinden und Samtgemeinden zur Durchführung der dem Landkreis als örtlichem Träger der Sozialhilfe obliegenden Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch ([X.]), [X.] ([X.] XII) --Sozialhilfe-- (Heranziehungssatzung [X.] XII) vom …, zuletzt geändert am …, von der [X.] verfolgt wird. Zwar handelt es sich bei dem Kindergeldanspruch nach §§ 62 ff. EStG und dem Erstattungsanspruch bzw. dem Rückerstattungsanspruch um eigenständige Ansprüche. Sie hängen aber so eng miteinander zusammen, dass eine gerichtliche Entscheidung gegenüber dem [X.] und dem Erstattungsberechtigten nur einheitlich ergehen kann (vgl. [X.] vom 16. Januar 2007 III R 33/05, [X.], 720, m.w.N.).

b) Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung (hier des [X.]) begründet einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der vom [X.] wegen zu prüfen ist (vgl. [X.] in [X.], 720). Da die Beiladung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 [X.]O in der Revisionsinstanz nachgeholt werden kann, macht der Senat von dem ihm in dieser Vorschrift eingeräumten Ermessen dahingehend Gebrauch, dass er von einer Zurückverweisung der Sache an das [X.] absieht und die Beiladung selbst vornimmt.

c) Die vom [X.] zu Unrecht beschlossene notwendige Beiladung der [X.], die vorliegend gemäß § 2 Abs. 1 der Heranziehungssatzung [X.] XII lediglich den Erstattungsanspruch des [X.] verfolgt, kann im Revisionsverfahren --anders als im sozialgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen [X.] nicht aufgehoben werden (BFH-Urteile vom 27. Mai 1981 I R 112/79, [X.], 526, [X.] 1982, 192; vom 7. Dezember 1999 VIII R 26/94, [X.], 1, [X.] 2000, 300, und vom 31. März 2004 I R 83/03, [X.], 1482; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 60 [X.]O Rz 109). Auch ein vom [X.] zu Unrecht Beigeladener ist am Revisionsverfahren beteiligt ([X.] vom 7. Dezember 1999 VIII R 26/94, [X.], 1, [X.] 2000, 300, m.w.N.); welche Wirkung die Entscheidung des [X.] im Hinblick auf einen zu Unrecht Beigeladenen entfaltet (§ 110 [X.]O; vgl. auch BFH-Urteil vom 12. Januar 1968 VI R 206/66, [X.], 406, [X.] 1968, 396), ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

Meta

VI R 15/12

17.04.2013

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

§ 62ff EStG 2002, § 74 Abs 2 EStG 2002, § 107 SGB 10, § 104 SGB 10, § 103 SGB 10, § 3 Abs 2 SGB 12, § 60 Abs 3 S 1 FGO, § 110 FGO, § 123 Abs 1 S 2 FGO, § 62 EStG 2002, EStG VZ 2005, EStG VZ 2006, EStG VZ 2007, EStG VZ 2008

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.04.2013, Az. VI R 15/12 (REWIS RS 2013, 6551)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6551

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XI B 145/13 (Bundesfinanzhof)

Notwendige Beiladung des angeblich erstattungsberechtigten Sozialleistungsträgers bei Klage des Kindergeldberechtigten gegen Abrechnungsbescheid der Familienkasse


V S 6/12 (PKH) (Bundesfinanzhof)

Rangverhältnis von Abzweigungsanspruch und Erstattungsanspruch; Nachweis des Erstattungsanspruchs eines Sozialhilfeträgers; Divergenz


VI R 15/12 (Bundesfinanzhof)

(Kindergeld: Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers bei nachträglicher Kindergeldfestsetzung nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ …


III R 85/09 (Bundesfinanzhof)

(Erstattung oder Abzweigung von Kindergeld an einen Sozialleistungsträger, der von dem Kindergeldberechtigten nach § 94 …


V S 29/12 (PKH) (Bundesfinanzhof)

Erstattung von Kindergeld durch Familienkasse an Sozialleistungsträger


Referenzen
Wird zitiert von

6 K 2194/17

B 8 SO 13/17 R

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.