Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2011, Az. IX ZB 36/09

9. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 8256

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Gegenstand

Insolvenzrecht: Rechtsweg für insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen gegen Sozialversicherungsträger


Leitsatz

Für insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen gegen Sozialversicherungsträger ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des [X.] vom 28. Januar 2009 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Wert des Gegenstands der Rechtsbeschwerde wird auf 6.508,23 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Verwalter in dem am 21. April 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Er begehrt von der [X.], einer gesetzlichen Krankenkasse, im Wege der Insolvenzanfechtung nach § 133 Abs. 1 [X.] Rückzahlung von 19.524,68 €, die der Schuldner auf erhebliche Beitragsrückstände bei der [X.] im Zeitraum vom 15. April 1999 bis 15. Dezember 2001 geleistet hat, sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.561,28 €, jeweils zuzüglich Zinsen.

2

Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten gerügt. Das [X.] hat durch Beschluss den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für zulässig erklärt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, den Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit festzustellen.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 17a Abs. 4 Satz 4 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Der [X.] ist an die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das [X.] gebunden (§ 17a Abs. 4 Satz 6 [X.]). Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO).

4

Das Rechtsmittel ist jedoch in der Sache unbegründet. Gemäß § 13 [X.] ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nach § 51 SGG liegt nicht vor.

5

1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s gehört der [X.]streit als [X.]r Rechtsstreit gemäß § 13 [X.] vor die ordentlichen Gerichte. Für die Bestimmung des Rechtswegs ist die Natur des Rechtsverhältnisses entscheidend, aus dem der [X.] hergeleitet wird (Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 29. Oktober 1987 - [X.] - [X.] 1/86, [X.], 280, 283). Ob der Insolvenzverwalter bestimmte Rechtshandlungen anfechten und daraus einen [X.] herleiten kann, ist nach den Rechtssätzen der [X.] zu entscheiden. Dieser [X.] ist generell ein [X.]r Anspruch, der die materiellen Ordnungsvorstellungen des Insolvenzrechts gegenüber sämtlichen Gläubigern nach Maßgabe der §§ 129 ff [X.] durchsetzt. Er verdrängt grundsätzlich die außerhalb der Insolvenz geltenden allgemeinen Regelungen etwa im Sozialversicherungs-, Steuer- oder Abgabenrecht. Es handelt sich mithin nach der Rechtsnatur der zu beurteilenden Verhältnisse um einen Rechtsstreit im Sinne des § 13 [X.] ([X.], Urteil vom 7. Mai 1991 - [X.], [X.]Z 114, 315, 320 f; vom 21. September 2006 - [X.], [X.], 2234 Rn. 10; Beschluss vom 2. Juni 2005 - [X.], [X.], 1334, 1335; vom 2. April 2009 - [X.], [X.], 825 Rn. 10).

6

Der anfechtungsrechtliche [X.] ist von Ansprüchen aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis wesensverschieden und folgt eigenen Regeln. Er verdrängt in seinem Anwendungsbereich die allgemeineren Regeln der zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse und eröffnet dem Insolvenzverwalter eine Rückforderungsmöglichkeit, die nach dem außerhalb der Insolvenz geltenden Rechte dem [X.] selbst verwehrt ist. Bei dem [X.] handelt es sich um einen originären gesetzlichen Anspruch, der mit Insolvenzeröffnung entsteht und der dem Insolvenzverwalter vorbehalten ist, mit dessen Amt er untrennbar verbunden ist. Der Insolvenzverwalter handelt materiell-rechtlich wie prozessual im eigenen Namen und aus eigenem Recht, jedoch mit Wirkung für und gegen die Masse; er wird dabei in Erfüllung der ihm durch die [X.] auferlegten gesetzlichen Verpflichtungen tätig ([X.], Beschluss vom 2. April 2009 - [X.], aaO Rn. 13 mwN).

7

2. Soweit die Sozialgerichte sich bislang mit dieser Frage zu befassen hatten, haben sie den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für gegeben erachtet ([X.], Z[X.] 2003, 195). Derselben Meinung ist die sozialgerichtliche Literatur ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]. § 51 Rn. 39 Stichwort Insolvenz). Die Rechtsbeschwerde zeigt keine abweichende Entscheidung der Sozialgerichte oder abweichende Auffassungen in der Literatur auf.

8

3. Demzufolge werden in ständiger, bislang nicht in Frage gestellter Praxis die [X.] der Insolvenzverwalter und Treuhänder gegen Sozialversicherungsträger von den ordentlichen Gerichten entschieden.

9

4. An dieser Beurteilung etwas zu ändern gibt die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. September 2010 keinen Anlass. Dieser hat für insolvenzrechtliche [X.] gegen Arbeitnehmer auf Rückzahlung von Lohn die Arbeitsgerichte für zuständig erachtet (Beschluss vom 27. September 2010 - [X.] - [X.] 1/09, [X.], 2418, zur [X.] bestimmt in [X.]Z). Hieraus ergibt sich nichts für einen Rechtsweg zu den Sozialgerichten bei [X.] gegen Sozialversicherungsträger.

a) Der [X.] hat insolvenzrechtliche [X.] gegen Arbeitnehmer als [X.] angesehen und auf die bisherige Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats zur Abgrenzung öffentlich- und [X.]r Streitigkeiten Bezug genommen (Beschluss vom 27. September 2010 aaO Rn. 6). Danach richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, die Frage, ob eine Streitigkeit öffentlich oder bürgerlich-rechtlich ist, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der [X.] hergeleitet wird (Gemeinsamer Senat, Beschluss vom 10. April 1986 - [X.] - [X.] 1/85, [X.]Z 97, 312, 313 f; vom 29. Oktober 1987 - [X.] - [X.] 1/86, [X.], 280, 283). Es kommt darauf an, ob die an der Streitigkeit Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und ob sich die Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen, ihnen zugeordneten Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedienen, oder ob sie den für jedermann geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterstellt sind (Gemeinsamer Senat, Beschluss vom 10. April 1986 aaO; vom 29. Oktober 1987 aaO).

Für die Annahme einer [X.]n Streitigkeit ist zwar noch nicht ausreichend, dass sich der Kläger auf eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage beruft. Maßgebend ist, dass der [X.] - seine Richtigkeit unterstellt - Rechtsbeziehungen oder Rechtsfolgen ergibt, für welche die Zuständigkeit der Zivilgerichte besteht (Gemeinsamer Senat, Beschluss vom 10. April 1986 aaO S. 284).

Die Rechtsfolge, die sich aus der insolvenzrechtlichen Anfechtung ergibt, ist gemäß § 143 Abs. 1 [X.] der [X.]. Dabei handelt es sich - wie ausgeführt - um einen originären gesetzlichen Anspruch des Insolvenzverwalters. Die Rückgewährpflicht hat ihre Grundlage nicht im Sozialversicherungsrecht, sondern allein im Insolvenzrecht. Die [X.] eröffnet mit der Insolvenzanfechtung eine Rückforderungsmöglichkeit, die dem Schuldner selbst gerade verwehrt ist und die der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger dient. Die zugrunde liegende Rechtsbeziehung zwischen Schuldner und [X.] wird dadurch nicht umgestaltet. Die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind vielmehr an Verwaltungsakte, auch diejenigen der Sozialversicherungsträger, in den Grenzen ihrer Bestandskraft gebunden. Sie haben diese, selbst wenn sie fehlerhaft sind, zu beachten, solange sie nicht durch die zuständigen Behörden oder durch die zuständigen Gerichte aufgehoben worden sind. Sie haben sie folglich ihrer Entscheidungsfindung auch im Rahmen des Insolvenzanfechtungsrechts zugrunde zu legen, ohne deren Rechtmäßigkeit zu prüfen ([X.], Urteil vom 21. September 2006 - [X.], [X.], 2234 Rn. 14 mwN). Deshalb kommt die insolvenzrechtliche Anfechtung von Verwaltungsakten (und Gerichtsurteilen), auch wenn sie von [X.] erlassen wurden, nicht in Betracht.

Das Insolvenzverfahren schafft jedoch zwischen den Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem Schuldner, den Gläubigern und den Aus- und Absonderungsberechtigten, Rechtsbeziehungen, die [X.]r Natur sind. In der Gesamtvollstreckung gibt es keine Privilegierung von Hoheitsträgern; Gläubiger, die gegenüber dem Schuldner ihre Zahlungsansprüche in einem Über-/Unterordnungsverhältnis durch öffentlich-rechtliche [X.] selbst titulieren und außerhalb des Insolvenzverfahrens selbst vollstrecken können, verlieren im Insolvenzverfahren diese Befugnis (§ 89 [X.]; [X.]/[X.], [X.] § 89 Rn. 13). Sie sind im laufenden Insolvenzverfahren den anderen Gläubigern gleichgestellt. Maßgebend für die Insolvenzfestigkeit der erfolgten Befriedigung von [X.] ist allein die [X.].

b) Nur für das Verhältnis zwischen den ordentlichen Gerichten und der Arbeitsgerichtsbarkeit hat der [X.] im Beschluss vom 27. September 2010 den anfechtungsrechtlichen [X.] nicht als rechtswegbestimmend und die Rechtsnatur des [X.] für belanglos angesehen. Insoweit handele es sich um einen Streit aus einem Arbeitsverhältnis. Dies wird mit arbeitsrechtlichen Überlegungen, der schnelleren und kostengünstigeren Abwicklung der Verfahren in der Arbeitsgerichtsbarkeit, der Nutzung der Kenntnisse von im Arbeitsleben (nicht im Insolvenzrecht) erfahrenen Personen und mit dem geringeren Kostenrisiko vor den Arbeitsgerichten begründet. Auch dem Umstand, dass sich die Parteien kostenlos von volljährigen Familienangehörigen oder Gewerkschaftern (von letzteren in allen Instanzen) vertreten lassen können, wird Bedeutung beigemessen. Zudem wird auf die Möglichkeit des § 11a Arbeitsgerichtsgesetz Bezug genommen, wonach einem beklagten Arbeitnehmer auch dann ein Rechtsanwalt beigeordnet werden kann, wenn seine Rechtsverteidigung keine Aussicht auf Erfolg hat (Gemeinsamer Senat, aaO Rn. 10 ff). Diese Schutzbestimmungen des Arbeitsgerichtsgesetzes zugunsten der Arbeitnehmer sollen vollen Umfangs auch für [X.] gegen Arbeitnehmer aufrechterhalten werden (Gemeinsamer Senat aaO Rn. 13).

c) Diese Argumente sind auf die Sozialgerichtsbarkeit - aber auch auf die anderen Gerichtsbarkeiten, die über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zu entscheiden haben - nicht übertragbar. Den Sozialversicherungsträgern ist durch die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes gegenüber den Beitragspflichtigen kein besonderer verfahrensrechtlicher Schutz eingeräumt, den es gegenüber dem Insolvenzverwalter, der im Interesse der [X.] geltend zu machen hat, zu erhalten gilt.

5. Soweit der Kläger die außergerichtlich angefallene Vergütung seines Rechtsanwalts als Verzugsschaden geltend macht, wird von der Rechtsbeschwerde nichts gegen die Annahme eingewandt, dass es sich hierbei um eine [X.] Streitigkeit handelt.

[X.]                               Lohmann

                   Fischer                              Pape

Meta

IX ZB 36/09

24.03.2011

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Düsseldorf, 28. Januar 2009, Az: I-12 W 76/08, Beschluss

§ 13 GVG, § 51 Abs 2 SGG, § 133 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2011, Az. IX ZB 36/09 (REWIS RS 2011, 8256)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8256

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