Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.01.2024, Az. 2 B 13/23

2. Senat | REWIS RS 2024, 280

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Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 30. November 2022 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

1. [X.]ie [X.]eklagte wendet sich gegen ihre Entfernung aus dem [X.]eamtenverhältnis.

2

[X.]ie im Jahr 1964 geborene [X.]eklagte wurde 1982 in den Postdienst eingestellt, 1990 zur Postobersekretärin ([X.]esoldungsgruppe [X.]) befördert und nach Umstrukturierungen 1995 zur [X.] versetzt; sie war zuletzt in einer Filiale der [X.] tätig.

3

Mit Urteil vom 12. November 2013 verurteilte das [X.] die [X.]eklagte wegen veruntreuender Unterschlagung in 9 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte sie im Zeitraum zwischen März und Oktober 2012 im Kassensystem ihrer Filiale [X.] über angeblich von Kunden veranlasste Rücknahmen von Produkten vorgelegt und sodann die im Normalfall an die Kunden auszuzahlenden [X.]arbeträge in Höhe von insgesamt rund 1 600 € aus dem Kassenbestand entnommen und für sich behalten. [X.]as [X.] ermäßigte im von der [X.] auf das Strafmaß beschränkten [X.]erufungsverfahren die Anzahl der Tagessätze auf 90. [X.]ie Revision der [X.] beim [X.] blieb erfolglos.

4

[X.]as Verwaltungsgericht hat auf die im Jahr 2016 erhobene [X.] die [X.]eklagte aus dem [X.]eamtenverhältnis entfernt. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat wie bereits zuvor das Verwaltungsgericht die amtsgerichtlichen Feststellungen als bindend zugrunde gelegt und die [X.]erufung der [X.] zurückgewiesen.

5

2. [X.]ie gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete und auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen [X.]edeutung und des Verfahrensfehlers gestützte [X.]eschwerde der [X.] hat keinen Erfolg. Sie ist zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet.

6

a) [X.]ie Revision ist nicht wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache (§ 69 [X.], § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

7

Eine Rechtssache hat grundsätzliche [X.]edeutung i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender [X.]edeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne [X.]urchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 [X.] 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4; vom 9. April 2014 - 2 [X.] 107.13 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9, vom 20. Juni 2017 - 2 [X.] 84.16 - juris Rn. 9 und vom 26. April 2023 - 2 [X.] 41.22 - juris Rn. 5). [X.]ie Prüfung des [X.] ist dabei auf die mit der [X.]eschwerde dargelegten Rechtsfragen beschränkt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

8

[X.]ie nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche [X.]arlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass der [X.]eschwerdeführer eine konkrete Frage des revisiblen Rechts bezeichnet und aufzeigt, dass diese Frage sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist. Aus der [X.]eschwerdebegründung muss sich ergeben, dass eine die [X.]erufungsentscheidung tragende rechtliche Erwägung des [X.]erufungsgerichts im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung der Nachprüfung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 6. Januar 2012 - 2 [X.] - [X.] 2012, 104 und vom 6. Oktober 2016 - 2 [X.] 80.15 - juris Rn. 6).

9

[X.]iesen Anforderungen wird die [X.]eschwerdebegründung nicht gerecht. Sie formuliert schon keine Frage, die auf die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit untersucht werden könnte. Eine solche Frage ist dem [X.]eschwerdevorbringen auch nicht der Sache nach zu entnehmen. [X.]ie [X.]eschwerde rügt lediglich eine vermeintlich unrichtige Anwendung der Rechtsprechung des [X.], insbesondere der Entscheidung des Senats vom 28. August 2018 - 2 [X.] 5.18 - ([X.] 235.2 L[X.]isziplinarG [X.]), im konkreten Einzelfall. [X.]erartige Mängel können ggf. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils begründen, die nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zur Zulassung einer [X.]erufung führen. [X.]ie Zulassung der Revision dagegen hat der Gesetzgeber an engere Voraussetzungen gebunden, zu denen (bloße) Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung selbst nicht gehören (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 1. März 2023 - 2 [X.] 33.22 - juris Rn. 7 m. w. N.).

b) [X.]ie Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 69 [X.], § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

[X.]ie [X.]eschwerde rügt, dass das [X.]erufungsgericht nicht berücksichtigt habe, dass die Strafgerichte den seriellen, gleichartigen [X.]harakter der Straftaten und ihren "insgesamt noch recht engen zeitlichen Zusammenhang" bei der Strafzumessung zugunsten der [X.] gewürdigt hätten; es habe damit die [X.]indungswirkung gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] insoweit nicht beachtet, so dass der Mangel einer falschen und unvollständigen [X.]eweiswürdigung vorliege. Sie rügt mithin der Sache nach, dass das [X.]erufungsgericht durch eine defizitäre Gesamtwürdigung den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzt habe. [X.]iese Rüge greift nicht durch.

aa) Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im [X.]isziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Verwaltungsgericht bindend. [X.]iese [X.]indungswirkung soll verhindern, dass zu ein- und demselben Sachverhalt unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. [X.]er Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung primär den Strafgerichten zu übertragen. [X.]em liegt die Annahme zugrunde, dass tatsächliche Feststellungen, die ein Gericht auf der Grundlage eines Strafprozesses mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Sicherungen trifft, eine erhöhte Gewähr der Richtigkeit bieten. [X.]aher haben die Verwaltungsgerichte die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ihrer Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen, soweit die [X.]indungswirkung reicht. Sie sind insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Feststellungen zu treffen. [X.]ie [X.]indungswirkung entfällt nur, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind (stRspr, vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 [X.] 3.12 - [X.]VerwGE 146, 98 Rn. 13; [X.]eschluss vom 25. Februar 2016 - 2 [X.] 1.15 - juris Rn. 7).

[X.]ie erhöhte Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des Strafprozesses gilt für diejenigen tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils, die sich auf die Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Strafnorm beziehen. [X.]ie Feststellungen müssen entscheidungserheblich für die [X.]eantwortung der Frage sein, ob der objektive und subjektive Straftatbestand erfüllt ist. Im Falle einer Verurteilung müssen sie diese tragen ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 1. März 2012 - 2 [X.] 120.11 - juris Rn. 13 und vom 9. Oktober 2014 - 2 [X.] 60.14 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 26 Rn. 11). Von der [X.]indungswirkung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht erfasst werden nach der Rechtsprechung des [X.] hingegen Tatsachen, die lediglich für die Strafzumessung maßgeblich sind ([X.]VerwG, Urteile vom 31. März 1998 - 1 [X.] 59.97 - juris Rn. 20 und vom 20. April 2023 - 2 A 18.21 - Z[X.]R 2023, 420 Rn. 30; [X.]eschluss vom 27. [X.]ezember 2016 - 2 [X.] 126.15 - juris Rn. 15).

[X.]ass die [X.]indungswirkung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] sich nicht auf Tatsachen erstreckt, die lediglich für die Strafzumessung maßgeblich sind, trägt auch dem Umstand Rechnung, dass Straf- und [X.]isziplinarrecht unterschiedliche Zwecke verfolgen (vgl. hierzu [X.]VerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 - 2 [X.] 9.14 - [X.]VerwGE 152, 228 Rn. 37). [X.]as Strafrecht ist vom Vergeltungsprinzip mit dem Ziel der individuellen Sühne durch ein Unwerturteil über gemeinschaftswidriges Verhalten und strafrechtliche Sanktionen geprägt. [X.]emgegenüber ist es ausschließlich Zweck des [X.]isziplinarverfahrens, das Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der [X.]eamten und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen [X.]ienstes sicherzustellen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 28. August 2018 - 2 [X.] 5.18 - [X.] 235.2 L[X.]isziplinarG [X.] Rn. 18).

bb) [X.]anach hat die [X.]eschwerde einen Verfahrensfehler nicht dargetan. [X.]ie [X.]indungswirkung des amtsgerichtlichen Strafurteils nach § 57 Abs. 1 [X.] erstreckte sich nicht auf die von der [X.]eschwerde angeführten Feststellungen im Rahmen der Strafzumessung. [X.]ie [X.]isziplinargerichte hatten vielmehr hiervon unabhängig die Entscheidung über die Maßnahmebemessung nach § 13 [X.] zu treffen.

3. [X.]ie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das [X.]eschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis erhoben werden (Anlage zu § 78 [X.]).

Meta

2 B 13/23

09.01.2024

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 30. November 2022, Az: 11 Bf 155/22.F, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.01.2024, Az. 2 B 13/23 (REWIS RS 2024, 280)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 280

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