Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.07.2023, Az. 5 StR 143/23

5. Strafsenat | REWIS RS 2023, 4740

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Gegenstand

Zurücktreten von Freiheitsberaubung hinter Vergewaltigung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. November 2022

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte

aa) im Fall [X.] der Urteilsgründe der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung schuldig ist; die tateinheitliche Verurteilung wegen Freiheitsberaubung entfällt;

bb) im Fall [X.] der Urteilsgründe der Bedrohung schuldig ist; die tateinheitliche Verurteilung wegen Beleidigung entfällt;

b) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen [X.] und [X.] der Urteilsgründe und im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen ([X.] und II.6), davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und vorsätzlicher Körperverletzung ([X.]), gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung (II.2) und in zwei Fällen in Tateinheit mit Bedrohung (II.3 und [X.]), vorsätzlicher Körperverletzung (II.4), versuchter Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung (II.8) und Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung ([X.]) unter Einbeziehung einer Einzelstrafe aus einer anderen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und das Verfahren wegen eines weiteren Anklagevorwurfs (II.1) eingestellt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

1. Der Schuldspruch im Fall [X.] bedarf der Korrektur; die tateinheitliche Verurteilung wegen Freiheitsberaubung entfällt.

3

a) Nach den Feststellungen betrat der – zu dieser [X.] von der Nebenklägerin getrennte – Angeklagte an einem Sonnabendmorgen im April oder Mai 2019 das von der Nebenklägerin und den Kindern genutzte Schlafzimmer, in dem diese sich aufhielten. Nachdem er die Kinder hinausgeschickt hatte, schloss er die Tür von innen ab und legte den Schlüssel, für die Nebenklägerin unerreichbar, auf den Kleiderschrank. Da die auf dem Bett sitzende Nebenklägerin seinen Versuch, sie zu küssen, abgewehrt und ihn weggestoßen hatte, versetzte er ihr eine schmerzhafte Ohrfeige und bezeichnete sie mit herabwürdigenden Worten. Gegen ihren Widerstand zog er ihr anschließend die Hose aus und riss ihren Slip weg. Ihre Versuche, sich zu erheben, unterband er, schubste sie auf das Bett zurück und legte sich auf sie. Nachdem er seine Hose heruntergezogen hatte, führte er gegen den erklärten Willen der Nebenklägerin sowie den von ihr geleisteten Widerstand überwindend den vaginalen Geschlechtsverkehr durch, wobei er außerhalb der Scheide ejakulierte. Anschließend öffnete er die Schlafzimmertür und ging ins Bad.

4

b) Das [X.] hat den Sachverhalt als schweren sexuellen Übergriff (Vergewaltigung) in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 und Abs. 6 Nr. 1, § 239 Abs. 1 und § 223 Abs. 1 StGB gewertet. Die tateinheitliche Verurteilung wegen Freiheitsberaubung hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.

5

Bildet die Behinderung in der Fortbewegungsfreiheit lediglich das tatbestandsmäßige Mittel zur Begehung eines anderen Deliktes und geht nicht über das hinaus, was zu dessen Verwirklichung dient, kommt § 239 StGB als das allgemeinere Delikt nicht zur Anwendung (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Februar 2019 – 3 StR 14/19; vom 15. November 2006 – 2 [X.]; vom 1. Oktober 1998 – 4 StR 347/98; vom 8. Juni 1995 – 4 [X.]; vom 7. Juni 1994 – 1 [X.], [X.]R StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 10; vom 19. Juni 1991 – 3 [X.], [X.]R StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 8; Urteil vom 3. August 1962 – 4 [X.], [X.]St 18, 26 f.).

6

Das ist hier der Fall. Die Freiheitsberaubung war Mittel der Verwirklichung der Vergewaltigung und ging nicht über das hierfür Erforderliche hinaus. Die tateinheitliche Verurteilung wegen Freiheitsberaubung hat daher zu entfallen. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend.

7

2. Soweit das [X.] den Angeklagten im Fall [X.] wegen tateinheitlicher Beleidigung verurteilt hat, fehlt es an dem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Strafantrag der Nebenklägerin als der Verletzten, weshalb dieser Schuldspruch zu entfallen hat.

8

Der Strafantrag ihrer Rechtsanwältin vom 13. November 2020, auf den der [X.] in seiner Zuschrift Bezug genommen hat, betraf inhaltlich nicht die im Fall [X.] abgeurteilte Tat vom 18. November 2020; dies ist bereits in zeitlicher Hinsicht ausgeschlossen. Auch ein weiterer Strafantrag vom 15. Dezember 2020 bezog sich auf eine andere, hier nicht verfahrensgegenständliche Tat. Die Strafanzeige der Nebenklägerin vom 14. Januar 2021 macht zwar insoweit ein hinreichendes Strafverfolgungsverlangen deutlich (vgl. [X.], Urteil vom 18. Januar 1995 – 2 StR 462/94, [X.], 353 f.), ist jedoch nicht von ihr unterzeichnet, sondern erst im Nachhinein am 10. Februar 2021 von einem Polizeibeamten auf Grund ihrer Angaben abgefasst und unterschrieben worden und erfüllt damit nicht die formellen Voraussetzungen eines wirksamen Strafantrags gemäß § 158 Abs. 2 [X.] (vgl. BayObLG, Beschluss vom 21. Juli 1993 – 2 St RR 91/93, [X.], 86; [X.]/[X.], § 158 Rn. 46; [X.]/[X.], 9. Aufl., § 158 Rn. 45 und 45a; [X.] [X.]/[X.], [X.]., § 158 Rn. 49; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 66. Aufl., § 158 Rn. 11).

9

3. [X.] begangener Nötigung steht kein Verfahrenshindernis entgegen. Verfolgungsverjährung ist nicht eingetreten.

Die fünfjährige Verjährungsfrist des § 78 Abs. 2 Nr. 4 StGB begann frühestens im [X.] 2016“ und ist jedenfalls durch die Vorladung des Angeklagten vom 31. Januar 2021 zu seiner ersten Beschuldigtenvernehmung gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB unterbrochen worden. Hierbei handelte es sich um eine wirksame Anordnung im Sinne des § 78c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz StGB, deren [X.]punkt und Inhalt sich aus den Ermittlungsakten ergaben, so dass sich der behördliche Wille zur Vornahme einer Unterbrechungshandlung mit Gewissheit feststellen ließ (zu den Anforderungen vgl. [X.], Beschluss vom 10. August 2017 – 1 [X.], [X.], 602 f.).

Dass die Nebenklägerin erstmals in einer Vernehmung am 25. Juni 2021 Einzelheiten zum Nötigungszweck mitteilte und der Tatbestand der Nötigung in der Ladung nicht genannt wurde, steht der Unterbrechungswirkung nicht entgegen. Insoweit gilt: Die Wirkung einer Unterbrechungshandlung nach § 78c Abs. 1 StGB erstreckt sich grundsätzlich auf die Tat als ein „historisches“ oder „konkretes“ Geschehen ([X.], Urteil vom 14. Juni 2000 – 3 [X.], [X.]R StGB § 78 Abs. 1 Tat 3; Beschluss vom 12. März 1968 – 5 [X.], [X.]St 22, 105, 106; Urteil vom 20. Mai 1969 – 5 [X.], [X.]St 22, 375, 385). Dabei braucht dieses Geschehen noch nicht in allen Einzelheiten, die zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens oft erst noch geklärt werden müssen, festzustehen. Ausreichend und insoweit auch erforderlich sind jedoch Anhaltspunkte, die es von denkbaren anderen ähnlichen oder gleichartigen Lebenssachverhalten unterscheiden ([X.] aaO; Beschluss vom 8. September 2020 – 4 StR 75/20, [X.], 222 f.). Solche Anhaltspunkte liegen hier vor.

Die Nebenklägerin hatte schon in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 17. Juni 2020 Angaben zum Tatgeschehen gemacht und bereits konkrete Körperverletzungshandlungen sowie die – mit der festgestellten Nötigung untrennbar im Zusammenhang stehende – Bedrohung mit einem Messer geschildert. Die Anordnung der Ladung des Angeklagten zur Beschuldigtenvernehmung vom 31. Januar 2021 zu den Tatvorwürfen der „Vergewaltigung, gefährlichen Körperverletzung, Bedrohung, Körperverletzung“, begangen im [X.]raum „zwischen dem 01.01.2016 [...] und dem 20.03.2020 […]“, erfasste das Geschehen in seiner Gesamtheit. Die Nötigung war ein Teil des im [X.]punkt der Untersuchungshandlung aktenkundigen geschichtlichen Vorgangs und damit vom Verfolgungswillen der Ermittlungsbehörden umfasst (zur Maßgeblichkeit und der Bestimmung des Verfolgungswillens vgl. [X.], Beschlüsse vom 30. März 2022 – 2 [X.], NStZ-RR 2022, 241; vom 8. September 2020 – 4 StR 75/20, [X.], 222 f.; vom 25. Juni 2015 – 1 [X.], [X.] 2015, 460; vom 8. Februar 2011 – 1 [X.], [X.]St 56, 146, 152 f.; Urteil vom 14. Juni 2000 – 3 [X.], [X.]R StGB § 78 Abs. 1 Tat 3).

4. Der Wegfall der tateinheitlichen Verurteilungen wegen Freiheitsberaubung im Fall [X.] und wegen Beleidigung im Fall [X.] entzieht den insoweit verhängten Einzelstrafen die Grundlage. Das [X.] hat jeweils die tateinheitliche Verwirklichung der hier bezeichneten Straftatbestände strafschärfend berücksichtigt. Aufgrund des Wegfalls der verhängten Einzelstrafen von drei Jahren und drei Monaten ([X.]) und neunzig Tagessätzen ([X.]) kann auch der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand haben. Die Sache bedarf insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Aufhebung der Feststellungen bedarf es insoweit nicht, weil diese von den [X.] nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 [X.]); sie können um solche Feststellungen ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

Cirener     

  

Mosbacher     

  

     Köhler

  

Resch     

  

Ri[X.] von Häfen ist im Urlaub
und kann nicht unterschreiben.

Cirener

  

Meta

5 StR 143/23

10.07.2023

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 15. November 2022, Az: 547/544 KLs 22/21

§ 177 Abs 1 StGB, § 177 Abs 5 Nr 1 StGB, § 177 Abs 6 Nr 1 StGB, § 239 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.07.2023, Az. 5 StR 143/23 (REWIS RS 2023, 4740)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4740

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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