Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30.06.2010, Az. XI R 47/07

11. Senat | REWIS RS 2010, 5288

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

(Divergenzanfrage nach § 11 Abs. 3 FGO: Verstoß des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität)


Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Sie ist examinierte Krankenschwester und arbeitete 1992 als angestellte Pflegedienstleiterin in einer Sozialstation. Daneben betreute sie ab Anfang 1993 einzelne Patienten selbständig und meldete zum 1. Juni 1993 einen ambulanten Pflegedienst an. Auf ihren Antrag vom 27. August 1993 wurde sie zum 1. Oktober 1993 für die Leistungen der Häuslichen Krankenpflege (§ 37 des [X.] in der damals geltenden Fassung --SGB V--), Häuslichen Pflegehilfe (§§ 53 bis 56 SGB V) und Haushaltshilfe (§ 38 SGB V) zu den Krankenkassen zugelassen.

2

In den Umsatzsteuererklärungen für 1993 und 1994 (Streitjahre) behandelte sie ihre Umsätze als gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) steuerfrei.

3

[X.] stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) fest, dass die Klägerin (mit ihrem Personal) im [X.] insgesamt 76 "Fälle" behandelt hatte, von denen 52 "Fälle" (= 68 %) Privatzahler betrafen. Daraufhin versagte das [X.] die Steuerfreiheit der von der [X.] erbrachten Leistungen gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG unter Hinweis darauf, dass nach dieser Vorschrift in mindestens zwei Drittel der Fälle die Kosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssten. Die Steuerfreiheit für die von der [X.] erbrachten Leistungen nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG versagte das [X.], weil die Vorschrift auf die Verhältnisse des Vorjahres abstelle. Allerdings greife die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG ein, soweit die Klägerin Leistungen der Behandlungspflege erbracht habe; deren Anteil schätzte das [X.] auf ein Drittel (Umsatzsteuerbescheide für 1993 und 1994 vom 27. April 1999).

4

Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage.

5

Während des Klageverfahrens legte sie ein an sie gerichtetes Schreiben der Verwaltung A vom 19. Oktober 2005 vor. Darin heißt es:

6

"... Ich kann Ihnen bestätigen, dass Sie auf dem Gebiet der häuslichen Krankenpflege die gleichen Leistungen erbrachten bzw. die gleichen Tätigkeiten ausführten wie die Pflegestationen (Sozialstationen) aus dem Kreise der Liga der Verbände der [X.] in A. Die Aufgabenbeschreibung und der Inhalt der Tätigkeit der privaten Leistungsanbieter war identisch mit denen der Sozialstationen der [X.]. Eine solche Identität der Leistungsinhalte ist nach meinen Unterlagen spätestens seit 1988 gegeben.

Ich weise darauf hin, dass ab dem 01.01.1992 in § 4 Nr. 16e UStG die Befreiung von der Umsatzsteuer von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Ob diese Voraussetzungen vorlagen, kann und möchte ich nicht beurteilen. Unabhängig von dieser Regelung bin ich aber der Auffassung, dass Sie bzw. Ihr Unternehmen in sozialrechtlicher Hinsicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt wurde."

7

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage überwiegend statt. Es führte zur Begründung aus, die im Streitjahr 1993 bis zum 1. Oktober ausgeführten Umsätze der Klägerin seien, soweit sie auf die Behandlungspflege entfielen, gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG steuerfrei; deren Anteil schätzte das [X.] auf der Grundlage von Berechnungen, die die Klägerin im Klageverfahren vorgelegt hatte, auf 75 %.

8

Für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1994 könne die Klägerin die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG beanspruchen. Die in dieser Vorschrift vorgesehene Bedingung werde bei gesonderter Beurteilung des Zeitraums ab dem 1. Oktober 1993 erfüllt; mindestens zwei Drittel dieser Umsätze seien auf Personen entfallen, bei denen die Pflegekosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder überwiegend getragen worden seien. § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sei richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass erst der Zeitraum ab Oktober 1993 heranzuziehen sei, denn die Klägerin habe die Bedingungen, an welche die Steuerbefreiung anknüpfe, vor ihrer kassenärztlichen Zulassung gar nicht erfüllen können. Würde auf die im gesamten [X.] von der Klägerin erbrachten Leistungen abgestellt, würde die Befreiung erst 1995 greifen, obwohl die Voraussetzungen der Kostentragung bereits ab dem 1. Oktober 1993 erfüllt worden seien.

9

Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 624 abgedruckt.

Mit seiner Revision macht das [X.] die Verletzung des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG geltend. Die Klägerin habe in ihrem im Januar 1993 eröffneten Betrieb der ambulanten Krankenpflege bis zum 30. September 1993 ausschließlich Privatpatienten und ab dem 1. Oktober 1993 --mit einem Anteil von mehr als zwei [X.] auch Patienten behandelt, für die die Sozialversicherungsträger die Kosten übernommen hätten. § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG stelle hinsichtlich des Kriteriums der Übernahme der Pflegekosten durch die Sozialversicherungsträger auf die Verhältnisse im gesamten (vorangegangenen) Kalenderjahr ab, und nicht erst --wie das [X.]-- auf den Zeitraum ab Kostenübernahme. Lediglich im Jahr der Firmengründung komme es auf die (schlüssige) Prognose des Unternehmers an. Die Klägerin habe aber bei Aufnahme ihrer Tätigkeit im Januar 1993 keinesfalls davon ausgehen können, sie werde Patienten im Verhältnis zwei Drittel [X.] zu einem Drittel Privatzahler behandeln. Für das Streitjahr 1994 verbleibe es bei der gesetzlichen Regelung, die auf die Verhältnisse des Vorjahres abstelle.

§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG setze Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/[X.]) zutreffend um. Die Vorschrift verstoße insoweit auch nicht gegen das steuerliche Neutralitätsgebot.

Das [X.] beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit das [X.] die Klagestattgabe für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis zum 31. Dezember 1994 auf § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG gestützt hat.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Hilfsweise regt sie an, die im Schriftsatz vom 21. Mai 2010 formulierten Fragen dem [X.] ([X.]) zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Sie könne sich für die Steuerfreiheit ihrer Umsätze unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.] berufen. Entgegen der Auffassung des [X.] und des [X.] ([X.]) in seinem Urteil vom 24. Januar 2008 [X.] ([X.]E 221, 391, [X.], 643) verstoße die in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG aufgenommene Bedingung, wonach die Pflegekosten zu einem bestimmten Anteil der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssten, gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der steuerlichen Neutralität.

Dieser von der Rechtsprechung des [X.] herausgestellte Grundsatz umfasse nicht nur das Gebot der steuerlichen Gleichbehandlung, sondern insbesondere auch das der [X.] - wobei für die Frage, ob Leistungen im Wettbewerb stehen, auf die Sicht der Verbraucher abzustellen sei. Aus deren Sicht mache es keinen Unterschied, ob die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung von einer gewerblich tätigen Pflegeeinrichtung oder von Pflegediensten (Sozialstationen) aus dem Kreis der amtlich anerkannten Verbände der [X.] ausgeführt würden. Es verletze daher das Gebot der steuerlichen Neutralität in Gestalt der [X.], wenn die Steuerfreiheit bestimmter von ihr erbrachter Leistungen nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG von Bedingungen abhänge, die die amtlich anerkannten Verbände der [X.] und deren Mitglieder für die Steuerfreiheit der gleichen Leistungen nicht erfüllen müssten.

Die vom [X.] vorgenommene richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sei im Ergebnis zutreffend. Jedenfalls sei aber ein Teil der von ihr ab dem 1. Oktober 1993 ausgeführten Leistungen gemäß § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei.

Entscheidungsgründe

II. Der [X.] beabsi[X.]htigt, die Revision des [X.] als unbegründet zurü[X.]kzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgeri[X.]htsordnung --[X.]O--). Er hält die Auffassung der Klägerin, § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG verstoße gegen den Grundsatz der steuerli[X.]hen Neutralität und sei deshalb im Streitfall ni[X.]ht anwendbar, für zutreffend. Der [X.] sieht insoweit eine Divergenz zur Re[X.]htspre[X.]hung des V. [X.]s des [X.] in [X.]E 221, 391, [X.], [X.] Er fragt daher gemäß § 11 Abs. 3 [X.]O beim V. [X.] an, ob dieser einer Abwei[X.]hung von seiner Re[X.]htspre[X.]hung in diesem Urteil zustimmt.

1. a) Na[X.]h § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG in der in den Streitjahren 1993 und 1994 geltenden Fassung waren von den unter § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei u.a.

"die mit dem Betrieb ... der Einri[X.]htungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn

...

e) bei Einri[X.]htungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und bei Einri[X.]htungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzli[X.]hen Trägern der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind."

b) Die mit dem [X.] 1992 vom 25. Februar 1992 ([X.], 297, 317) mit Wirkung vom 1. Januar 1992 eingefügte Vors[X.]hrift setzt Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] um (so die Gesetzesbegründung in BTDru[X.]ks 12/1506, S. 178).

Dana[X.]h befreien unbes[X.]hadet sonstiger Gemeins[X.]haftsvors[X.]hriften

"die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfa[X.]hen Anwendung der na[X.]hstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräu[X.]hen festsetzen, von der [X.]

...

g) die eng mit der Sozialfürsorge und der [X.] Si[X.]herheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, eins[X.]hließli[X.]h derjenigen der Altenheime, dur[X.]h Einri[X.]htungen des öffentli[X.]hen Re[X.]hts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einri[X.]htungen mit sozialem Charakter anerkannte Einri[X.]htungen."

Na[X.]h Art. 13 Teil A Abs. 2 Bu[X.]hst. a der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] können die Mitgliedstaaten die Gewährung der unter Abs. 1 Bu[X.]hst. g vorgesehenen Befreiung für Einri[X.]htungen, die keine Einri[X.]htungen des öffentli[X.]hen Re[X.]hts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung näher bezei[X.]hneter Bedingungen abhängig ma[X.]hen.

[X.]) Die Steuerbefreiung na[X.]h Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] zielt dadur[X.]h, dass sie für bestimmte im [X.] Sektor erbra[X.]hte Leistungen, die dem Gemeinwohl dienen, eine günstigere Mehrwertsteuerbehandlung gewährt, darauf ab, die Kosten dieser Leistungen zu senken und dadur[X.]h diese Leistungen dem Einzelnen, der sie in Anspru[X.]h nehmen könnte, zugängli[X.]her zu ma[X.]hen ([X.]-Urteil vom 26. Mai 2005 Rs. [X.]/03 --Kings[X.]rest Asso[X.]iates und [X.], [X.]. 2005, I-4427, [X.]/NV Beilage 2005, 310, Rz 30).

2. Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG ni[X.]ht erfüllt.

a) § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG stellt für die Steuerbefreiung auf die Übernahme der Pflegekosten dur[X.]h die gesetzli[X.]hen Träger der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe "im vorangegangenen Kalenderjahr" ab. Dies ist bei der Beurteilung von Umsätzen, die im Jahr der Betriebsgründung ausgeführt werden --wie hier im Streitjahr 1993-- unmögli[X.]h. In einem sol[X.]hen Fall sind die Umsätze des Jahres der Eröffnung der Einri[X.]htung maßgebend (vgl. das zu § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. b UStG ergangene [X.]-Urteil vom 25. November 1993 [X.], [X.]E 173, 242, [X.] 1994, 212, unter [X.]; so au[X.]h Abs[X.]hn. 99a Abs. 8 der Umsatzsteuer-Ri[X.]htlinien 2008).

Der [X.] folgt ni[X.]ht der Auffassung des [X.] (S. 19 des Urteils), dass "die Vors[X.]hrift des § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG dahingehend ri[X.]htlinienkonform auszulegen ist, dass für die Einordnung der Klägerin erst der [X.]raum ab Oktober 1993 heranzuziehen ist, da sie die Bedingungen, an wel[X.]he die Steuerbefreiung anknüpft, für die [X.] vor Erteilung der kassenärztli[X.]hen Zulassung gar ni[X.]ht erfüllen konnte". Die dafür vom [X.] angeführte "Re[X.]htspre[X.]hung des [X.]" re[X.]htfertigt diese Auffassung ni[X.]ht. Die Klägerin hat im Jahr 1993 nur eine Einri[X.]htung i.S. des § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG betrieben. Daher ist auf die im gesamten Jahr des Beginns des [X.] erbra[X.]hten Leistungen abzustellen (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 221, 391, [X.], 643, unter II.1.b).

Na[X.]h den Feststellungen des [X.] wurden bei den von der Klägerin im gesamten Streitjahr 1993 erbra[X.]hten Leistungen die Pflegekosten ni[X.]ht in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzli[X.]hen Trägern der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen.

b) Für das Streitjahr 1994 ist die in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG aufgestellte Bedingung glei[X.]hfalls ni[X.]ht erfüllt. Für dieses Jahr ist auf die Verhältnisse des Vorjahres 1993 abzustellen (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 221, 391, [X.], 643).

3. Die ab dem 1. Oktober 1993 ausgeführten Umsätze der Klägerin sind gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] steuerfrei.

a) Zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] hat der [X.] dur[X.]h Urteil vom 10. September 2002 Rs. [X.]/00 --Kügler-- ([X.]. 2002, [X.], [X.]/NV Beilage 2003, 30, Leitsatz 3b und [X.]) u.a. Folgendes ents[X.]hieden:

"Auf die Steuerbefreiung des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Bu[X.]hstabe g der [X.] kann si[X.]h ein Steuerpfli[X.]htiger vor einem nationalen Geri[X.]ht berufen, um si[X.]h einer nationalen Regelung zu widersetzen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar ist. Es ist Sa[X.]he des nationalen Geri[X.]hts, anhand aller maßgebli[X.]hen Umstände zu bestimmen, ob der Steuerpfli[X.]htige eine als Einri[X.]htung mit sozialem Charakter anerkannte Einri[X.]htung im Sinne dieser Bestimmung ist."

Für die Steuerbefreiung na[X.]h Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.], der die Tätigkeiten, die steuerfrei sind, hinrei[X.]hend genau und unbedingt aufzählt ([X.]-Urteil in [X.]. 2002, [X.], [X.]/NV Beilage 2003, 30, Rz 53), genügt es, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar

- zum einen, dass es si[X.]h um Leistungen handelt, die mit der Fürsorge oder der [X.] Si[X.]herheit verbunden sind, und

- zum anderen, dass diese Leistungen von Einri[X.]htungen des öffentli[X.]hen Re[X.]hts oder anderen Einri[X.]htungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einri[X.]htungen mit sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbra[X.]ht werden (vgl. [X.]surteil vom 17. Februar 2009 [X.], [X.]E 224, 183, [X.]/NV 2009, 869).

b) Leistungen der Grundpflege und der hauswirts[X.]haftli[X.]hen Versorgung, die körperli[X.]h oder wirts[X.]haftli[X.]h hilfsbedürftigen Personen von einem ambulanten Pflegedienst erbra[X.]ht werden, stellen eng mit der Sozialfürsorge und der [X.] Si[X.]herheit verbundene Dienstleistungen i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] dar (so [X.]-Urteil in [X.]. 2002, [X.], [X.]/NV Beilage 2003, 30, [X.]).

[X.]) In der Folgeents[X.]heidung zu diesem [X.]-Urteil hat der [X.] im Urteil vom 22. April 2004 [X.] ([X.]E 205, 514, [X.] 2004, 849) ents[X.]hieden, die Anerkennung eines Unternehmens als eine Einri[X.]htung mit sozialem Charakter könne au[X.]h aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen dur[X.]h Krankenkassen oder andere Einri[X.]htungen der [X.] Si[X.]herheit abgeleitet werden. Maßgebend sei insoweit, dass es si[X.]h ihrer Art na[X.]h um die Leistungen handele, für die die Kosten von den Sozialversi[X.]herungsträgern übernehmbar gewesen seien (vgl. unter [X.] der Urteilsgründe).

d) Na[X.]h dieser --zum Re[X.]htszustand vor Inkrafttreten von § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG am 1. Januar 1992 ergangenen-- Re[X.]htspre[X.]hung ist die Klägerin grundsätzli[X.]h als Einri[X.]htung mit sozialem Charakter i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] anzuerkennen, weil es si[X.]h bei den von ihr erbra[X.]hten Leistungen der Art na[X.]h um sol[X.]he handelt, für die die Kosten von den Sozialversi[X.]herungsträgern übernehmbar waren und für die ab dem 1. Oktober 1993 --jedenfalls teilweise-- die Kosten au[X.]h übernommen wurden (ebenso [X.]-Urteil in [X.]E 221, 391, [X.], 643).

4. Die Steuerbefreiung na[X.]h Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] kann der Klägerin bei Bea[X.]htung des Gebots der steuerli[X.]hen Neutralität --hier in Gestalt der [X.] ni[X.]ht unter Berufung darauf versagt werden, dass der nationale Gesetzgeber ab dem 1. Januar 1992 in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung für eine Steuerfreiheit verlangt, dass die Pflegekosten im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzli[X.]hen Trägern der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.

a) Der [X.] hat im Urteil vom 8. Juni 2006 Rs. [X.]/05 --L. u. P. GmbH-- ([X.]. 2006, [X.], [X.]/NV Beilage 2006, 442) ents[X.]hieden, dass die in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. [X.] UStG 1980/1991/1993 aufgestellte 40 %-Grenze grundsätzli[X.]h mit [X.] Re[X.]ht vereinbar sei (Rz 42 und 54). Er führt jedo[X.]h weiter in Rz 50 aus:

"Insoweit ist vorab darauf hinzuweisen, dass die Wahrung des Grundsatzes der steuerli[X.]hen Neutralität zunä[X.]hst verlangt, dass für alle in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Bu[X.]hstabe b der Se[X.]hsten Ri[X.]htlinie genannten Kategorien privatre[X.]htli[X.]her Einri[X.]htungen die glei[X.]hen Bedingungen für ihre Anerkennung in Bezug auf die Erbringung verglei[X.]hbarer Leistungen gelten. Im vorliegenden Fall hat daher das vorlegende Geri[X.]ht zu prüfen, ob die nationale Regelung diesem Erfordernis entspri[X.]ht oder aber die Anwendung der fragli[X.]hen Bedingungen auf bestimmte Arten von Einri[X.]htungen bes[X.]hränkt, während andere von ihr ausgenommen sind."

b) In seiner Folgeents[X.]heidung vom 15. März 2007 [X.]/03 ([X.]E 217, 48, [X.], 31) ist der V. [X.] im Rahmen der ihm aufgegebenen Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die nationalen Regelungen in § 4 Nr. 14 UStG, § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. b und [X.] UStG ni[X.]ht mit dem unionsre[X.]htli[X.]hen Grundsatz der steuerli[X.]hen Neutralität zu vereinbaren seien, weil dana[X.]h ni[X.]ht für alle Kategorien privatre[X.]htli[X.]her Einri[X.]htungen i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. b der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] in Bezug auf die Erbringung verglei[X.]hbarer Leistungen ... die glei[X.]hen Bedingungen für ihre Anerkennung gelten.

[X.]) Entspre[X.]hendes gilt im Streitfall. § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG stellt für die Steuerfreiheit von Pflegeleistungen Bedingungen auf, die Wettbewerber, die verglei[X.]hbare Leistungen erbringen, für eine Steuerfreiheit ni[X.]ht erfüllen müssen.

aa) Na[X.]h § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG, der --wie § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. [X.] auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] beruht (vgl. Begründung des Entwurfs eines Umsatzsteuergesetzes 1979, [X.] 145/78, S. 25 f.), sind steuerfrei

"die Leistungen der amtli[X.]h anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körpers[X.]haften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied anges[X.]hlossen sind, wenn

a) diese Unternehmer auss[X.]hließli[X.]h und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kir[X.]hli[X.]hen Zwe[X.]ken dienen,

b) die Leistungen unmittelbar dem na[X.]h der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung begünstigten Personenkreis zugute kommen und

[X.]) die Entgelte für die in Betra[X.]ht kommenden Leistungen hinter den dur[X.]hs[X.]hnittli[X.]h für glei[X.]hartige Leistungen von [X.] verlangten Entgelten zurü[X.]kbleiben".

bb) Damit hat der Gesetzgeber für die Steuerfreiheit der Leistungen amtli[X.]h anerkannter Verbände der [X.] und deren Mitglieder Bedingungen aufgestellt, die von denen des § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG abwei[X.]hen. So ist für die Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 18 UStG unerhebli[X.]h, ob die Pflegekosten zu einem bestimmten Anteil von den gesetzli[X.]hen Trägern der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe getragen wurden; es kommt insoweit au[X.]h ni[X.]ht auf die Verhältnisse des Vorjahres an.

[X.][X.]) "Glei[X.]he Bedingungen" für die Steuerfreiheit verglei[X.]hbarer Leistungen würden zwar au[X.]h dann bestehen, wenn die in § 4 Nr. 18 UStG aufgestellten Voraussetzungen im Ergebnis gewährleisten würden, dass tatsä[X.]hli[X.]h die in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG enthaltene [X.] stets (und zwar im Vorjahr) errei[X.]ht ist. Das ist aber ni[X.]ht der Fall.

Es ist vielmehr mögli[X.]h, dass das [X.]. [X.] UStG erfüllt, aber glei[X.]hwohl die in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG enthaltene [X.] ni[X.]ht errei[X.]ht ist. Denn das [X.] bewirkt, dass au[X.]h von privat Versi[X.]herten oder Ni[X.]htversi[X.]herten ein niedrigerer Preis genommen werden muss. Das [X.] kann daher au[X.]h dann gewahrt sein, wenn die Leistungen in weniger als zwei Drittel der Fälle von den Trägern der Sozialversi[X.]herung getragen werden. So geht au[X.]h die [X.] [X.] in einer Verfügung vom 13. Mai 2005 - Kurzinformation Umsatzsteuer Nr. 10 (Umsatzsteuer-Runds[X.]hau 2005, 516) davon aus, dass für ambulante Pflegeleistungen "unters[X.]hiedli[X.]he" Bedingungen für die Steuerbefreiung gelten. Denn sie führt aus, dass die Steuerbefreiung na[X.]h § 4 Nr. 18 UStG gewährt werden kann, wenn die Voraussetzungen der 40 %-Grenze des § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG ni[X.]ht erfüllt sind.

5. Der V. [X.] hat in dem Urteil in [X.]E 221, 391, [X.], 643 ents[X.]hieden, dass § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG 1999 weder verfassungsre[X.]htli[X.]h no[X.]h gemeins[X.]haftsre[X.]htli[X.]h zu beanstanden sei, soweit diese Vors[X.]hrift für die Steuerfreiheit der dort genannten Umsätze voraussetzt, dass im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzli[X.]hen Trägern der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. In dem damaligen Verfahren haben zwar [X.] als hier-- § 4 Nr. 18 UStG und der Gesi[X.]htspunkt der [X.] keine Rolle gespielt. Wegen des weiten Wortlautes des Leitsatzes der Ents[X.]heidung hält der [X.] aber eine Anfrage na[X.]h § 11 Abs. 3 [X.]O bei dem V. [X.] für geboten.

Meta

XI R 47/07

30.06.2010

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend FG Berlin, 16. August 2006, Az: 2 K 5218/01, Urteil

§ 11 Abs 3 FGO, § 4 Nr 16 Buchst e UStG 1993, Art 13 Teil A Abs 1 Buchst g EWGRL 388/77

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30.06.2010, Az. XI R 47/07 (REWIS RS 2010, 5288)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5288


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XI R 47/07

Bundesfinanzhof, XI R 47/07, 19.03.2013.

Bundesfinanzhof, XI R 47/07, 02.03.2011.

Bundesfinanzhof, XI R 47/07, 30.06.2010.


Az. V ER-S-3/10

Bundesfinanzhof, V ER-S-3/10, 16.12.2010.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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