Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.07.2022, Az. III R 28/21

3. Senat | REWIS RS 2022, 5375

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Gegenstand

Kindergeldrechtliche Ausschlussfrist bei Wanderarbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union


Leitsatz

1. Stellt ein Wanderarbeitnehmer, der die Anspruchsvoraussetzungen für einen Kindergeldanspruch im Inland erfüllt, seinen Antrag auf Kindergeld bei der inländischen Familienkasse erst nach Ablauf der in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG vorgesehenen sechsmonatigen Ausschlussfrist, kann sein Auszahlungsanspruch erst abgelehnt werden, wenn festgestellt wird, dass weder der Wanderarbeitnehmer selbst noch eine andere berechtigte Person für das betreffende Kind im Heimatland des Kindes einen die Frist wahrenden Antrag auf Kindergeld oder eine vergleichbare ausländische Familienleistung gestellt haben.

2. Bezieht der Wanderarbeitnehmer oder eine andere berechtigte Person laufend Familienleistungen für das betreffende Kind, genügt es für einen nach § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Antrag auch, dass der Wanderarbeitnehmer oder eine andere berechtigte Person gegenüber dem zuständigen Träger des Heimatlandes innerhalb der Sechsmonatsfrist den durch die in Deutschland ausgeübte Tätigkeit entstandenen grenzüberschreitenden Sachverhalt anzeigt und hierdurch die Durchführung des Koordinierungsverfahrens ermöglicht.

3. Die Feststellungen zum Vorliegen eines Antrags oder einer Mitteilung beim ausländischen Träger sind durch an diesen gerichtetes Auskunftsersuchen zu treffen. Der Anspruchsteller trägt die Feststellungslast (objektive Beweislast) hinsichtlich der Nichterweislichkeit eines entsprechenden Antrags oder einer entsprechenden Mitteilung.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom [X.] - 3 K 1589/20 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist der Kindergeldanspruch eines Wanderarbeitnehmers für den Zeitraum März bis April 2019.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist [X.] Staatsangehöriger und war im Zeitraum vom ...03.2019 bis ...05.2019 in der [X.] ([X.]) als Arbeitnehmer beschäftigt. [X.]r ist der Vater eines im November 2007 geborenen [X.] (A).

3

Mit Schreiben vom [X.], bei der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) eingegangen am [X.], beantragten die Prozessbevollmächtigten des [X.] Kindergeld für [X.] Mit Schriftsatz vom 09.09.2020 legten die Prozessbevollmächtigten eine Geburtsurkunde des Kindes, eine Heiratsurkunde der [X.]ltern (beides in [X.] Sprache), das teils ausgefüllte Formblatt [X.] 411, eine [X.] in [X.] und [X.] vom ...11.2019 (Kind und beide [X.]ltern wohnen in "…, [X.]"), einen Ausdruck der [X.] elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2019 mit der Angabe eines Beschäftigungszeitraums vom ...03. bis ...05., einen förmlichen Antrag auf [X.] Kindergeld und einen [X.]inkommensteuerbescheid des Finanzamts für 2019 vom 31.08.2020 vor, bei dem in den [X.]rläuterungen ausgeführt wird, dass eine Veranlagung nach § 1 Abs. 3 des [X.]inkommensteuergesetzes ([X.]StG) durchgeführt wurde.

4

Mit Bescheid vom 05.11.2020 setzte die Familienkasse Kindergeld für März bis Mai 2019 in Höhe eines Unterschiedsbetrages zwischen dem gesetzlichen Kindergeld und der [X.] Familienleistung zugunsten des [X.] fest. Im selben Bescheid verfügte die Familienkasse unter der Überschrift "Berechnung des zustehenden Unterschiedsbetrages an Kindergeld", dass sich eine Nachzahlung des Kindergelds für den Zeitraum Mai 2019 in Höhe von … € ergebe. [X.]ine Berechnung der Festsetzung für März und April 2019 wurde nicht vorgenommen. Die [X.]ntscheidung wurde damit begründet, dass eine Auszahlung nach § 70 Abs. 1 Satz 2 [X.]StG nur sechs Monate rückwirkend vor Antragstellung möglich sei. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 [X.]StG bleibe von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt.

5

Den dagegen gerichteten [X.]inspruch wies die Familienkasse mit [X.]inspruchsentscheidung vom 08.12.2020 als unbegründet zurück.

6

Im sich anschließenden Klageverfahren erließ die Familienkasse unter dem 14.07.2021 einen geänderten Bescheid. Darin setzte sie wiederum für März bis April 2019 Kindergeld in Höhe eines Unterschiedsbetrages zwischen dem gesetzlichen Kindergeld und der [X.] Familienleistung zugunsten des [X.] für dessen [X.] fest. Sie änderte jedoch die Anlage "Berechnung des zustehenden Unterschiedsbetrages an Kindergeld" dahin, dass unter Anrechnung von … [X.] (… €) für März 2019 und … [X.] (… €) für April 2019, Kindergeld in Höhe von … € für März 2019 und … € für April 2019 berechnet wurde. Die Auszahlung von Kindergeld für die Monate März bis April 2019 wurde weiterhin abgelehnt.

7

Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage als unbegründet ab.

8

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

9

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid vom 05.11.2020 in Gestalt der [X.]inspruchsentscheidung vom 08.12.2020 und des Änderungsbescheids vom 14.07.2021 dahingehend abzuändern, dass an die Klägerin ein Differenzkindergeld für März 2019 in Höhe von … € und für April 2019 in Höhe von … € auszuzahlen ist,
hilfsweise,
eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.]uropäischen Union zu der Frage einzuholen, ob § 70 Abs. 1 Satz 2 [X.]StG mit dem [X.] Recht vereinbar ist.

Die Familienkasse beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 [X.]bs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur [X.]ufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Das [X.] ist auf der Basis der getroffenen Feststellungen zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund des Eingreifens der [X.]usschlussfrist des § 70 [X.]bs. 1 Satz 2 EStG keinen [X.]nspruch auf [X.]uszahlung des [X.] in Höhe von … € für März 2019 und in Höhe von … € für [X.]pril 2019 hat.

1. Zu Recht hat das [X.] angenommen, dass sich der Kläger mit seiner [X.]nfechtungsklage i.S. des § 40 [X.]bs. 1 [X.]lternative 1 [X.]O gegen eine [X.]brechnungsentscheidung der Familienkasse i.S. des § 218 [X.]bs. 2 der [X.]bgabenordnung ([X.]) gewandt hat.

Insoweit kann offenbleiben, ob es sich bereits bei dem unter der Überschrift "Nachzahlung" im Bescheid vom 05.11.2020 enthaltenen [X.]brechnungsteil um einen förmlichen [X.]brechnungsbescheid i.S. des § 218 [X.]bs. 2 [X.] handelt (ablehnend etwa [X.] Münster vom 26.09.2019 - 8 K 2081/18 Kg, juris, Rz 28, unter Hinweis auf das Fehlen einer Streitigkeit). Denn jedenfalls regelte die Familienkasse mit diesem Bescheid, der dem Bescheid beigefügten [X.]nlage und der Begründung des Bescheides gegenüber dem Kläger den Zeitraum, für den nach ihrer [X.]uffassung ein [X.]uszahlungsanspruch bestand. Die Familienkasse setzte zwar [X.] für den Zeitraum März bis Mai 2019 fest, einen [X.]uszahlungsanspruch erkannte sie aber unter Hinweis auf § 70 [X.]bs. 1 Satz 2 EStG nur für den Monat Mai 2019 an. Durch den nur gegen die unterbliebene [X.]uszahlung gerichteten Einspruch entstand auch eine Streitigkeit zwischen der Familienkasse und dem Kläger, über welche die Familienkasse durch die Einspruchsentscheidung vom 08.12.2020 und den nach § 68 Satz 1 [X.]O zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewordenen Änderungsbescheid vom 14.07.2021 entschieden hat. Unerheblich ist dabei, dass die Familienkasse ihre Entscheidungen nicht ausdrücklich als [X.]brechnungsbescheid oder als Bescheid nach § 218 [X.]bs. 2 [X.] bezeichnete (Urteil des [X.] --BFH-- vom 07.08.1990 - VII R 120/89, [X.] 1991, 569, unter [X.]). Denn aus der Begründung aller drei Bescheide ergibt sich, dass die Familienkasse jeweils (auch) über den [X.]uszahlungsanspruch entschieden hat.

2. Zu Unrecht hat das [X.] aber angenommen, dass für die Monate März und [X.]pril 2019 die Voraussetzungen der in § 70 [X.]bs. 1 Satz 2 EStG vorgesehenen [X.]uszahlungsbeschränkung erfüllt sind. Die zur Stellung eines Familienleistungsantrags im Heimatland ([X.] --[X.]--) getroffenen Feststellungen tragen nicht die Schlussfolgerung, dass dort kein berücksichtigungsfähiger [X.]ntrag vorliegen kann. Dies stellt einen materiellen Fehler der Entscheidung dar (z.B. Senatsurteil vom 22.02.2017 - III R 20/15, [X.], 274, [X.] 2017, 913, Rz 19, m.w.N.).

a) Nach § 70 [X.]bs. 1 Satz 2 EStG i.d.[X.] (SozialMissbrG) vom [X.] ([X.], 1066, BStBl I 2019, 814) erfolgt die [X.]uszahlung von festgesetztem Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der [X.]ntrag auf Kindergeld eingegangen ist. Die Vorschrift ist nach § 52 [X.]bs. 50 EStG i.d.F. des SozialMissbrG auf nach dem 18.07.2019 eingehende Kindergeldanträge anzuwenden.

Insofern ist das [X.] zwar zu Recht davon ausgegangen, dass der vom Kläger gestellte und am [X.] bei der Familienkasse eingegangene [X.]ntrag die Sechsmonatsfrist für die Monate März und [X.]pril 2019 nicht wahrt. Das [X.] hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, ob im Heimatland des [X.] ([X.]) vom Kläger oder einer anderen berechtigten Person ein diese Frist wahrender [X.]ntrag gestellt wurde.

b) Das [X.] Recht zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sieht ein umfassendes Prinzip der europaweiten [X.]ntragsgleichstellung vor.

[X.]) Nach [X.]rt. 68 [X.]bs. 3 der Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 des [X.] und des [X.] ([X.] --[X.]-- 2004 Nr. L 166, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung ([X.] 883/2004) gilt für den Fall, dass beim zuständigen Träger eines Mitgliedst[X.]ts, dessen Rechtsvorschriften gelten, aber nach den Prioritätsregeln des [X.]rt. 68 [X.]bs. 1 und 2 der [X.] 883/2004 nachrangig sind, ein [X.]ntrag auf Familienleistungen gestellt wird, ein besonderes Verfahren. Der betreffende Träger leitet den [X.]ntrag unverzüglich an den zuständigen Träger des Mitgliedst[X.]ts weiter, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, teilt dies der betroffenen Person mit und zahlt unbeschadet der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die vorläufige Gewährung von Leistungen erforderlichenfalls den Unterschiedsbetrag aus. Der zuständige Träger des Mitgliedst[X.]ts, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, bearbeitet den [X.]ntrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre; der Tag der Einreichung des [X.]ntrags beim ersten Träger gilt als der Tag der Einreichung bei dem Träger, der vorrangig zuständig ist. Diese Regelung wird durch die Verordnung ([X.]) Nr. 987/2009 des [X.] und des Rates vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ([X.] 2005 Nr. L 117, S. 1) in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung ([X.] 987/2009) zum einen dahingehend ergänzt, dass im Falle der unterbliebenen [X.]ntragstellung durch einen berechtigten Elternteil auch der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellter [X.]ntrag zu berücksichtigen ist ([X.]rt. 60 [X.]bs. 1 Satz 2 der [X.] 987/2009). Zum anderen ergibt sich aus [X.]rt. 60 [X.]bs. 2 Satz 3 der [X.] 987/2009, dass die [X.]ntragsgleichstellung nicht nur für den Fall des [X.] beim nachrangig verpflichteten Leistungsträger, sondern auch für den Fall des [X.] beim vorrangig zuständigen Leistungsträger gilt. Denn auch für Zwecke der Zahlung eines bloßen Unterschiedsbetrages soll der [X.]ntrag an den nachrangig zuständigen Leistungsträger weitergeleitet werden. Zudem ergibt sich auch aus [X.]rt. 81 der [X.] 883/2004, dass [X.]nträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe, die gemäß den Rechtsvorschriften eines Mitgliedst[X.]ts innerhalb einer bestimmten Frist bei einer Behörde, einem Träger oder einem Gericht dieses Mitgliedst[X.]ts einzureichen sind, innerhalb der gleichen Frist bei einer entsprechenden Behörde, einem entsprechenden Träger oder einem entsprechenden Gericht eines anderen Mitgliedst[X.]ts eingereicht werden können. In diesem Fall übermitteln die in [X.]nspruch genommenen Behörden, Träger oder Gerichte diese [X.]nträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe entweder unmittelbar oder durch Einschaltung der zuständigen Behörden der beteiligten Mitgliedst[X.]ten unverzüglich der zuständigen Behörde, dem zuständigen Träger oder dem zuständigen Gericht des ersten Mitgliedst[X.]ts. Der Tag, an dem diese [X.]nträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe bei einer Behörde, einem Träger oder einem Gericht des zweiten Mitgliedst[X.]ts eingegangen sind, gilt als Tag des Eingangs bei der zuständigen Behörde, dem zuständigen Träger oder dem zuständigen Gericht. Somit ist das "Prinzip der europaweiten [X.]ntragstellung" zu beachten (Senatsurteil vom 09.12.2020 - III R 73/18, [X.], 508, [X.] 2022, 178, Rz 16).

bb) Zweck dieser Regelungen ist es, den Wanderarbeitnehmern und den ihnen Gleichgestellten die Teilnahme am zwischenst[X.]tlichen Verwaltungsverfahren zu erleichtern. Statt sich direkt an die für sie zuständige ausländische Einrichtung zu wenden, können sie ihr [X.]nliegen an die entsprechende Stelle ihres Wohnst[X.]ts richten, ohne einen [X.] aufgrund langer Postwege, Unkenntnis über den Verwaltungsaufbau im ausländischen St[X.]t und ähnlicher rechtlicher und praktischer Schwierigkeiten befürchten zu müssen (Pabst/Otting in: [X.], [X.]ufl. 2021, [X.]rt. 81 VO ([X.]) 883/2004 Rz 8, m.w.N.). Zudem wird aus der den beteiligten Trägern auferlegten Pflicht zur unverzüglichen [X.]ntragsweiterleitung deutlich, dass die genannten Vorschriften auf eine zeitnahe Durchführung des Koordinierungsverfahrens abzielen.

c) [X.]) Insoweit ist das [X.] zwar unter Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 09.09.2020 - III R 37/19 ([X.] 2021, 449, Rz 19) zu Recht davon ausgegangen, dass ein mutmaßlich bei Geburt des Kindes (November 2007) in [X.] gestellter [X.]ntrag schon deshalb nicht unter diese [X.]ntragsgleichstellung fallen kann, weil die [X.] 883/2004 erst am 01.05.2010 in [X.] getreten ist.

bb) Es fehlen jedoch Feststellungen dazu, ob nach Inkrafttreten der [X.] 883/2004 vom Kläger oder einer anderen berechtigten Person --insbesondere von der Kindsmutter, die im Kindergeldantrag (Bl. 8 der Kindergeldakte) als die Bezugsberechtigte für die [X.] Familienleistungen angegeben wurde-- bis zum [X.]blauf der hier streitigen Sechsmonatsfrist ein [X.]ntrag auf Familienleistungen für die streitigen Monate März bis [X.]pril 2019 gestellt wurde.

Im Streitfall kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein solcher [X.]ntrag gestellt wurde. Denn nach den von der [X.] zur Verfügung gestellten Informationen zu den Familienleistungen in den EU-Mitgliedst[X.]ten ist die in [X.] vorgesehene Familienbeihilfe (alocație pentru susținerea familiei) u.a. von dem Schulbesuch des Kindes, von der im Verhalten erzielten Note und dem Durchschnittseinkommen pro Familienmitglied abhängig (https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1126&intPageId=4749&langId=de). Dies legt nahe, dass auch in [X.] schon während der Minderjährigkeit des [X.] mehrere [X.]nträge erfolgt sein können (z.B. bei Schulwechsel des [X.], bei Wieder-/Erfüllung der sonstigen [X.]nspruchsvoraussetzungen). Ein entsprechender [X.]ntrag könnte deshalb mit einem innerhalb der [X.]usschlussfrist liegenden Eingangsdatum bei dem [X.] Träger auch von der [X.] Familienkasse zu berücksichtigen sein.

Hat der Kläger oder eine berechtigte Person --wie im vorliegenden [X.] im anderen Mitgliedst[X.]t laufend Familienleistungen für das betreffende Kind bezogen, wäre es aus Sicht des Senats für die [X.]nnahme eines [X.]ntrags auch ausreichend, dass der Kläger oder ein anderer Berechtigter gegenüber dem zuständigen Träger seines [X.] innerhalb der Sechsmonatsfrist den durch die in [X.] ausgeübte Tätigkeit entstandenen grenzüberschreitenden Sachverhalt angezeigt und hierdurch die Durchführung des Koordinierungsverfahrens für die Monate März bis [X.]pril 2019 ermöglicht hätte.

cc) Soweit das [X.] darüber hinaus darauf abgestellt hat, dass ein etwaiger [X.]ntrag mangels Zusammentreffens von Leistungsansprüchen auch nicht weiterzuleiten gewesen sei, kann dies für den Streitzeitraum schon deshalb nicht zutreffen, weil der Kläger insoweit erklärt hat, dass Familienleistungen für [X.] in [X.] erbracht wurden. Ebenso hat die Familienkasse eine [X.]nrechnung dieser Leistungen vorgenommen. Zudem kommt es für die Frage der Rechtzeitigkeit des [X.]ntrags nicht darauf an, ob der Träger in [X.] Kenntnis von einem Zusammentreffen von [X.] hatte und daher zur Weiterleitung des [X.]ntrags verpflichtet gewesen wäre. Sofern ein [X.]ntrag rechtzeitig gestellt worden wäre, wäre er nach dem Prinzip der europaweiten [X.]ntragsgleichstellung auch zu berücksichtigen. Gleichwohl liegt es freilich im Interesse des [X.]nspruchsberechtigten, von sich aus zumindest einem der beteiligten Träger zeitnah und nach den jeweils anzuwendenden nationalen Rechtsordnungen rechtzeitig den grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuzeigen, um die Koordinierung zu ermöglichen und [X.]e in dem einen oder dem anderen Mitgliedst[X.]t zu vermeiden.

3. Da somit schon unklar ist, ob der Kläger durch die [X.]nwendung der [X.]usschlussfrist des § 70 [X.]bs. 1 Satz 2 EStG überhaupt einen Rechtsnachteil erlitten hat oder ein solcher durch die insbesondere für Wanderarbeitnehmer geschaffenen --und für reine Inlandsfälle nicht geltenden-- Vereinfachungsregelungen des [X.]n Koordinierungsrechts vermieden wird, ist die Frage, ob der Kläger in verfassungs- und europarechtswidriger Weise diskriminiert wird, im Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich.

4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das [X.] wird im zweiten Rechtsgang durch [X.]uskunftsersuchen gegenüber dem zuständigen Träger in [X.] aufzuklären haben, ob eine berechtigte Person während der [X.]usschlussfrist einen Familienleistungsanspruch für [X.] im Heimatland [X.] geltend gemacht hat. Im Falle der Nichterweislichkeit eines entsprechenden [X.]ntrags oder einer entsprechenden Mitteilung trägt der Kläger die Feststellungslast (objektive Beweislast) für diesen ihm günstigen Umstand.

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 [X.]bs. 2 [X.]O.

Meta

III R 28/21

14.07.2022

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Nürnberg, 28. Juli 2021, Az: 3 K 1589/20, Urteil

§ 70 Abs 1 S 2 EStG 2009 vom 11.07.2019, Art 68 Abs 3 EGV 883/2004, Art 81 EGV 883/2004, Art 60 Abs 1 S 2 EGV 987/2009, Art 60 Abs 2 S 3 EGV 987/2009, EStG VZ 2019

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.07.2022, Az. III R 28/21 (REWIS RS 2022, 5375)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5375


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 3 K 1589/20

FG Nürnberg, 3 K 1589/20, 28.07.2021.


Az. III R 28/21

Bundesfinanzhof, III R 28/21, 14.07.2022.


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