Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.07.2014, Az. 4 StR 126/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 3721

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 126/14

vom
29.
Juli
2014
in der Strafsache
gegen

wegen Betrugs

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 29.
Juli
2014
gemäß §
349 Abs.
4 [X.] beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 17.
Oktober 2013 mit den Feststellun-gen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige [X.] des Land-gerichts zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betrugs in 15
Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat es angeordnet, dass von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vier Monate als vollstreckt
gelten. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit einer auf den Verstoß gegen §
243 Abs.
4 Satz
1 [X.] gestützten Verfahrensrüge Erfolg.
1
-
3
-
I.
Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Nachdem die Anklage am 2.
Juni 2010 beim [X.] [X.] einge-gangen war, fand im [X.] 2011 ein Gespräch
zwischen dem zuständigen Staatsanwalt, den Verteidigern des Angeklagten und der [X.] in der damaligen Besetzung statt. Aufgrund von Neubesetzungen, die vor dem [X.] vom 16.
Januar 2013 erfolgten, gehörte keiner der an diesem Gespräch
beteiligten Richter der später zur Entscheidung berufenen [X.] an. In dem Gespräch wurde u.a. die Möglichkeit einer Bewährungsstrafe für den Fall erörtert, dass sich der Angeklagte in einzelnen, in dem Gespräch näher bezeichneten Fällen der Anklageschrift geständig zeigt. Zu einer Eini-gung kam es zu diesem Zeitpunkt nicht. Der seinerzeitige Vorsitzende der [X.] sagte zu, die Sache im Hinblick auf Einwendungen der Verteidi-gung bezüglich bestimmter Tatvorwürfe nochmals zu prüfen. Zu einem weiteren Gespräch kam es in der Folgezeit nicht mehr.
Zu Beginn des ersten [X.], am 26.
Juni 2013, [X.] der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes und Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht die Sitzung und regte u.a. im [X.] auf die lange Verfahrensdauer und im Hinblick darauf, dass früher einmal Gespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten stattgefunden hätten, wenn-gleich noch in anderer Besetzung, ein Gespräch zwischen den Verfahrensbetei-ligten an. In dem anschließenden Gespräch wurde nunmehr u.a. die Möglichkeit einer Unterschreitung der Grenze von einem Jahr Freiheitsstrafe erörtert, weil die Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr dazu führen würde, dass dieser nicht mehr Geschäftsführer einer GmbH 2
3
4
-
4
-
sein kann (§
6 Abs.
2 Satz
2 Nr.
3e GmbHG)
und ihm dies die wirtschaftliche Lebensgrundlage entziehen würde. Das Gespräch führte zunächst nicht zu
einem Ergebnis. Nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung gab der [X.] den wesentlichen Inhalt des Gesprächs zwischen den Verfahrensbetei-ligten wie folgt bekannt:

e-klagten und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft ein Gespräch über
eine mögliche Verständigung gem.
§
257c [X.] geführt. Ein Ergebnis konnte bislang

Nach erneuten Erörterungen wurde am zweiten Hauptverhandlungstag eine Verständigung gemäß §
257c [X.] erzielt, wonach das Gericht im Fall einer geständigen Einlassung zu den Fällen Nr.
7

10
und 14

25
der Ankla-geschrift eine Strafobergrenze von 24
Monaten Gesamtfreiheitsstrafe bei einer Strafuntergrenze von 21
Monaten, jeweils mit Strafaussetzung zur Bewährung, für angemessen erachtete. Hinsichtlich des Vorwurfs der Beteiligung an
einer kriminellen Vereinigung sollte eine Beschränkung gemäß §
154a [X.] und be-züglich der übrigen angeklagten
Taten eine Einstellung gemäß §
154 [X.] er-folgen. Der Vorschlag des Gerichts wurde protokolliert. Nach Belehrung des Angeklagten gemäß §
257c Abs.
5 [X.] stimmten dieser und der Vertreter der Staatsanwaltschaft dem Vorschlag der [X.] zu. Das [X.] enthält folgenden Eintrag:

§
257c [X.] auf der Basis des gerichtlichen Vorschlages zu Stande ge-

5
-
5
-
Am nächsten Sitzungstag gab der Angeklagte eine geständige Einlas-sung ab.
Die Revision rügt
einen Verstoß gegen §
243 Abs.
4 Satz
1 und 2 [X.] und macht hierzu u.a. geltend, der Vorsitzende habe im Rahmen seiner [X.] nicht über sämtliche vor der Hauptverhandlung geführte Verständi-gungsgespräche berichtet.
II.
Die zulässige Rüge einer Verletzung von §
243 Abs.
4 Satz
1 [X.] hat bereits im Hinblick auf die Nichtmitteilung des Verständigungsgesprächs im Zwischenverfahren Erfolg. Auf die weiteren Beanstandungen des Verfahrens, insbesondere auf die Rüge einer Verletzung des §
243 Abs.
4 Satz
2 [X.] hin-sichtlich des weiteren Gesprächs am zweiten Hauptverhandlungstag, kommt es deshalb nicht an.
1.
Nach §
243 Abs.
4 Satz
1 [X.] ist der Vorsitzende verpflichtet, zu Be-ginn der Hauptverhandlung nach Verlesung des Anklagesatzes und vor der Be-lehrung und Vernehmung des Angeklagten zur Sache mitzuteilen, ob Erörte-rungen nach den §§
202a, 212 [X.] stattgefunden haben, wenn deren Gegen-stand die Möglichkeit einer Verständigung (§
257c [X.]) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Die Mitteilungspflicht greift bei sämtlichen Vorge-sprächen ein, die auf eine Verständigung abzielen; die Mitteilung bloß des letz-ten zwischen den Verfahrensbeteiligten geführten Gesprächs reicht nicht aus ([X.], Urteil vom 13.
Februar 2014

1
StR
423/13, [X.], 217, 218; [X.] vom 8.
Oktober 2013

4
StR
272/13, [X.], 67; Urteil vom 10.
Juli 2013

2
StR
195/12, [X.]St 58, 310, 313
f.). Solche [X.] 6
7
8
9
-
6
-
liegen vor, wenn das Einlassungsverhalten des Angeklagten im [X.] mit [X.] oder gar konkrete Vorstellungen zum Straf-maß thematisiert werden ([X.] in Löwe/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
243 Rn.
52c). Die Mitteilungspflicht bezieht sich dabei auch auf erfolglos gebliebene Gespräche. In einem solchen Fall ist jedenfalls über den Verständigungsvor-schlag und die zu diesem abgegebenen Erklärungen der übrigen Verfahrensbe-teiligten zu informieren ([X.], Beschluss vom 9.
April 2014

1
StR
612/13, [X.], 416, 417; KK-[X.]/[X.], 7.
Aufl., §
243
Rn.
37).
Nach diesen Grundsätzen unterlag das von der [X.], wenn-gleich in anderer Besetzung, mit den Verfahrensbeteiligten im Zwischenverfah-ren geführte Gespräch
der Mitteilungspflicht gemäß §
243 Abs.
4 Satz
1 [X.], da die [X.] mit den Verfahrensbeteiligten erörtert hat, dass eine Be-währungsstrafe dann möglich sei, wenn sich der Angeklagte zu bestimmten Anklagevorwürfen geständig zeige. Insbesondere handelte es sich bei dem [X.], das in Anwesenheit der gesamten [X.] stattgefunden hat, nicht [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 20.
Oktober 2010

1
StR
400/10, [X.]R [X.] §
243 Abs.
4 Hinweis
1).
2.
An der Mitteilungspflicht ändert sich auch durch die zwischen dem Vorgespräch und der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgte vollständige Neu-besetzung der [X.] nichts. Schon aus dem Wortlaut des
§
243 Abs.
4 Satz
1 [X.] ergeben sich keine Hinweise darauf, dass [X.], die mit dem Gericht in anderer Besetzung geführt worden sind, nicht von der Mitteilungspflicht erfasst wären. Ein Wechsel der Gerichtsbesetzung im Zeitraum zwischen
Eingang der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens ist gesetzlich zulässig und insbesondere bei länger andauernden Zwischenverfah-10
11
-
7
-
ren keine Seltenheit. Schon im Hinblick auf die Regelung des §
76 Abs.
2 Satz
4 GVG (reduzierte Besetzung der [X.]n)
und im Hinblick auf die fehlende Beteiligung der Schöffen bei Vorgängen außerhalb der Hauptverhand-lung (§
76 Abs.
1 Satz
2 GVG) besteht zwischen der Besetzung der Kammer im Zwischenverfahren einerseits und im Hauptverfahren andererseits regelmäßig keine Identität.
Gleichwohl hat der Gesetzgeber darin keinen Anlass gesehen, die Mittei-lungspflicht gemäß §
243 Abs.
4 Satz
1 [X.] einzuschränken. Gegen eine sol-che Ausnahme spricht insbesondere der Sinn und Zweck des Gesetzes. Die Pflicht zur Mitteilung sämtlicher auf eine Verständigung abzielenden Vorgesprä-che dient neben der notwendigen Information der Öffentlichkeit vor allem der des Angeklagten, der bei derartigen Gesprächen

ebenso wie die Schöffen

in der Regel nicht anwesend ist (vgl. [X.], Urteil vom 13.
Februar 2014

1
StR
423/13, [X.], 217, 218). Nach dem gesetzlichen Regelungskon-zept soll durch umfassende Transparenz-
und Dokumentationspflichten eine wirksame Kontrolle von Verständigungen sichergestellt werden ([X.],
[X.], 295, 297
f.). Zudem ist es für die Willensbildung des Angeklagten von Bedeutung, dass er durch das Gericht umfassend über sämtliche vor
der Hauptverhandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten geführten [X.] informiert wird ([X.],
Urteil vom 13.
Februar 2014

1
StR
423/13, aaO). Mit diesem Schutzzweck wäre es nicht vereinbar, in
dem Umstand, dass die Besetzung der [X.] zwischen dem Gespräch und der Hauptverhandlung hinsichtlich [X.] ge-wechselt hat, einen Grund für den Ausschluss der Mitteilungspflicht zu sehen.
3.
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem [X.] beruht.
12
13
-
8
-
Ein Mangel des Verfahrens an Transparenz und Dokumentation der [X.]e, die mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden, führt regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf die-sem Gesetzesverstoß nicht auszuschließen ist ([X.], [X.], 295, 298; [X.], Urteile vom 13.
Februar 2014

1
StR
423/13, [X.], 217, 218, und
vom 10.
Juli 2013

2
StR
195/12, [X.]St 58, 310, 313). Dem Gesetz zur Rege-lung der Verständigung im Strafverfahren liegt ein einheitliches Regelungskon-zept zugrunde, nach dem der grundsätzlichen Zulassung von Verständigungen auf der anderen Seite Schutzmechanismen gegenüberstehen, namentlich Transparenz-
und Dokumentationspflichten des Gerichts, die u.a. eine effektive Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittel-gericht gewährleisten sollen ([X.], [X.], 295, 297
f.). Dies hat zur Fol-ge, dass jeder Verstoß gegen derartige Vorschriften die Verständigung insge-Urteil
vom 13.
Februar 2014

1
StR
423/13, [X.], 217, 218). [X.] sich das Gericht an eine solche gesetzeswidrige Verständigung, beruht auch das Urteil regelmäßig auf dem [X.].
Das Gericht hat das vom Angeklagten nach einer
unter Verstoß gegen §
243 Abs.
4 Satz
1 [X.] zustande gekommenen Verständigung abgelegte Geständnis
verwertet und seiner Beweiswürdigung zugrunde gelegt. Das Urteil beruht daher auf einer rechtswidrigen Verständigung (vgl. [X.], Urteil vom 13.
Februar 2014

1
StR
423/13, [X.], 217, 218, aaO).
Umstände, die zur Annahme eines Ausnahmefalls, in dem
ein Beruhen auszuschließen wäre, führen könnten, sind nicht ersichtlich.
14
15
16
-
9
-
III.
Da die Rüge der Verletzung des §
243 Abs.
4 Satz
1 [X.] durchgreift, kommt es auf die weiterhin erhobene Sachrüge nicht an. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
1.
Hinsichtlich der Fälle
III.
1.

3. des Urteils wird die zu neuer Entschei-dung berufene [X.] die Abgrenzung zwischen mittäterschaftlich be-gangenem Diebstahl und Hehlerei in den Blick zu nehmen haben, etwa vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte nach den Feststellungen die von dem [X.] K.

erworbenen Mobiltelefone allein im Eigeninteresse weiterveräußerte
(vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Januar 2005

3
StR
473/04, [X.], 567).
2.
Soweit die [X.] den Angeklagten in den Fällen
III.
4.

15.
von mehr als 800.000
Euro angenommen hat, den sie durch Addition der an den Angeklagten gezahlten Beträge ermittelt, weist der Senat auf die [X.] an die Feststellung eines Schadens und dessen Höhe in diesen Fäl-len hin ([X.], NJW 2012, 907, 916; vgl. [X.], Beschluss vom 4.
Juni 2013

2
StR
59/13, NStZ-RR 2014, 13). Das [X.] hat den [X.] in der Minderwertigkeit der von den Leasinggebern erworbenen
Zahlungs-ansprüche gesehen (UA
26). Vor dem Hintergrund, dass die Leasingraten in den Fällen
III.
5., 6., 7., 8., 11., 13. und 14. vollständig vertragsgemäß erbracht wurden und die Leasinggegenstände jedenfalls teilweise, wenn auch nicht als Neuware, vorhanden waren, versteht es sich ohne nähere Begründung nicht von selbst, dass ein mit der Minderwertigkeit der erworbenen Ansprüche aus
17
18
19
-
10
-
dem Leasingvertrag begründeter [X.] in voller Höhe der an den Angeklagten ausgekehrten Beträge besteht.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Ri[X.] Dr.
Mutzbauer ist ur-laubsbedingt abwesend und deshalb an der Unterschrifts-leistung gehindert.
Sost-Scheible
Bender
Quentin

Meta

4 StR 126/14

29.07.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.07.2014, Az. 4 StR 126/14 (REWIS RS 2014, 3721)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3721

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 126/14

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