Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.04.2014, Az. 3 StR 171/14

3. Strafsenat | REWIS RS 2014, 6084

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 171/14
vom
29. April 2014
in dem Si[X.]herungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat na[X.]h Anhörung des [X.] und des Bes[X.]hwerdeführers am 29.
April 2014 gemäß §
349 Abs.
4 StPO einstimmig bes[X.]hlossen:

Auf die Revision des Bes[X.]huldigten wird das Urteil des [X.] vom 9.
Dezember 2013 mit den [X.] aufgehoben.

Die Sa[X.]he wird zu neuer Verhandlung und Ents[X.]heidung, au[X.]h über die Kosten des Re[X.]htsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurü[X.]kverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Unterbringung des Bes[X.]huldigten in einem
psy[X.]hiatris[X.]hen Krankenhaus (§
63 StGB) angeordnet und deren Vollstre[X.]kung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf
die allgemeine Sa[X.]hbes[X.]hwerde gestützte Revision des Bes[X.]huldigten hat Erfolg.

1. Na[X.]h den Feststellungen des [X.] misshandelte der Bes[X.]hul-digte im März 2013 gemeinsam mit drei anderen Personen [X.], weil dieser wenige Tage zuvor angebli[X.]h eine Frau aus dem Bekanntenkreis vergewaltigt hatte.

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Das [X.] hat -
dem Guta[X.]hten des psy[X.]hologis[X.]hen Sa[X.]hver-ständigen folgend -
ni[X.]ht auss[X.]hließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Bes[X.]huldigten, der seit 2003 an einer paranoiden S[X.]hizophrenie ([X.] [X.]), einem s[X.]hizophrenen Residuum ([X.] [X.].5) sowie an einer psy[X.]hi-s[X.]hen Störung dur[X.]h multiplen Substanzgebrau[X.]h ([X.] F19.1) leidet, bei der Tatbegehung aufgehoben war. Von der erhebli[X.]hen Eins[X.]hränkung der S[X.]huldfähigkeit
war es ebenso überzeugt wie von einer "hinrei[X.]henden" Wahr-s[X.]heinli[X.]hkeit dafür, dass der Bes[X.]huldigte zukünftig glei[X.]hartige Taten erneut begehen wird.

2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psy[X.]hiatris[X.]hen Kranken-haus hält re[X.]htli[X.]her Na[X.]hprüfung ni[X.]ht stand.

a) Die grundsätzli[X.]h unbefristete Unterbringung in einem psy[X.]hiatris[X.]hen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentli[X.]h belastende [X.], die einen besonders gravierenden Eingriff in die Re[X.]hte des Betroffenen darstellt. Sie darf
daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei fest-steht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psy[X.]his[X.]hen Defekts s[X.]huldunfähig oder vermindert s[X.]huldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrs[X.]heinli[X.]hkeit höhe-ren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebli[X.]he re[X.]htswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen s[X.]hwere Störungen des Re[X.]htsfriedens besorgen lassen. Die notwen-dige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Per-sönli[X.]hkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen Anlass-tat(en) zu entwi[X.]keln (st. Rspr.; vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 5.
Juni 2013 -
2 StR 94/13, juris
mwN). All dies gilt uneinges[X.]hränkt au[X.]h dann, wenn die [X.] der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt wird; insbesondere sind 3
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4
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au[X.]h in diesem Fall an die vorausgesetzte Gefährli[X.]hkeit des [X.] keine [X.] Anforderungen zu stellen. Der Tatri[X.]hter muss die die Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgeri[X.]ht in die Lage versetzt wird, die Ents[X.]heidung na[X.]hzuvollziehen ([X.], Bes[X.]hluss vom 24.
Oktober 2013 -
3
StR 349/13 juris).

b) Dur[X.]h die Urteilsgründe werden weder die vom [X.] ange-nommene erhebli[X.]he Verminderung der S[X.]huldfähigkeit des Bes[X.]huldigten bei Tatbegehung no[X.]h der notwendige Zusammenhang zwis[X.]hen der psy[X.]his[X.]hen Erkrankung und der Tat hinrei[X.]hend belegt.

Die Diagnose einer Psy[X.]hose aus dem Formenkreis der S[X.]hizophrenie führt für si[X.]h allein genommen ni[X.]ht zur Feststellung einer generellen oder [X.] längere Zeiträume überdauernden gesi[X.]herten erhebli[X.]hen Beeinträ[X.]h-tigung der S[X.]huldfähigkeit (st. Rspr.; vgl. [X.], Bes[X.]hlüsse vom 24.
April 2012
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StR 150/12, [X.], 239; vom 23.
August 2012 -
1 [X.], [X.], 98). Erforderli[X.]h ist vielmehr die Feststellung eines akuten S[X.]hubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in wel[X.]her Weise si[X.]h die festgestellte psy[X.]his[X.]he Störung bei Begehung der Tat auf die Einsi[X.]hts-
oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 29. Mai 2012 -
2 [X.], [X.], 306, 307).

Für seine Annahme, der Zeitraum um die Tat sei "mit hoher Wahrs[X.]hein-li[X.]hkeit mit psy[X.]hotis[X.]hen Zuständen zusammengefallen", benennt das [X.] ledigli[X.]h das Gefühl des Bes[X.]huldigten, er sei während der Tat "[X.]"
gewesen und habe "Angst vor den beiden Mittätern"
[X.]. Mit dieser im Allgemeinen verbleibenden Darlegung ist -
au[X.]h unter Be-rü[X.]ksi[X.]htigung des in Einzelheiten ungeklärt gebliebenen, vorangegangenen 6
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Konsums von Alkohol und Drogen -
ni[X.]ht genügend belegt, dass si[X.]h der Be-s[X.]huldigte im Zeitpunkt der Tat in einem Zustand gesi[X.]hert erhebli[X.]h einge-s[X.]hränkter S[X.]huldfähigkeit befand. Hinzu kommt, dass na[X.]h den [X.] die Tat bereits bei einem vorangegangenen gemeinsamen Treffen verab-redet
worden war, bei dem Anhaltspunkte dafür, dass der Bes[X.]huldigte akut psy[X.]hotis[X.]h gewesen wäre, ni[X.]ht festgestellt sind.

[X.]) Au[X.]h eine zukünftige Gefährli[X.]hkeit des Bes[X.]huldigten ist ni[X.]ht aus-rei[X.]hend dargetan. Das [X.] hat -
au[X.]h insoweit in Übereinstimmung mit dem Sa[X.]hverständigen -
in den Vordergrund seiner Darlegung die Tatsa[X.]he gestellt, der Bes[X.]huldigte sei unter dem Eindru[X.]k des letzten, zeitli[X.]h na[X.]h der Tat gelegenen Aufenthalts in einer psy[X.]hiatris[X.]hen Klinik krankheitseinsi[X.]htig, stehe unter dauerhafter Behandlung mit einem Depot-Neuroleptikum, besu[X.]he eine Tagesstätte und halte si[X.]h häufig in einer Selbsthilfegruppe für s[X.]hizo-phrene Erkrankte auf; es könne deshalb derzeit von einer "eher niedrigen Wahrs[X.]heinli[X.]hkeit"
neuer glei[X.]hartiger Taten ausgegangen werden; die [X.] vers[X.]hle[X.]htere si[X.]h indes, sobald der Bes[X.]huldigte die medikamentöse Behandlung abbre[X.]he und si[X.]h der fa[X.]hpsy[X.]hiatris[X.]hen Betreuung entziehe. Die Begründung des [X.] für eine vorhandene, die Unterbringung im Grundsatz re[X.]htfertigende Gefährli[X.]hkeit des Bes[X.]huldigten bes[X.]hränkt si[X.]h auf
den Hinweis, dass es bei fehlender Medikation "hinrei[X.]hend wahrs[X.]heinli[X.]h"
zu Straftaten komme, die der [X.] sowie früheren Taten verglei[X.]hbar seien.

Somit fehlt die notwendige umfassende Erörterung der Gefährli[X.]hkeit un-ter Eins[X.]hluss des bisherigen Lebens des Bes[X.]huldigten. Seit dem
Ausbru[X.]h der Erkrankung im Jahr 2003 wurde dieser zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, die er na[X.]h Widerruf der zunä[X.]hst angeordneten Bewährung ebenso verbüßte wie eine dana[X.]h verhängte zehnmonatige Freiheitsstrafe. 9
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Was den Verurteilungen im Einzelnen zugrunde lag, ist dem Urteil ebenso we-nig zu entnehmen, wie Anlass und Auswirkungen einer Aggressionstat inner-halb der [X.] und der Grund für eine zwangsweise Unterbrin-gung des Bes[X.]huldigten in der Psy[X.]hiatrie wegen "Fremdgefährdung"
im Jahr 2009. Eine genaue Darlegung dieser zum Teil lange zurü[X.]k liegenden [X.] wäre indes erforderli[X.]h gewesen, um die Prognose na[X.]hvollziehbar zu ma-[X.]hen (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 4.
Juli 2012 -
4 [X.], [X.], 337, 338), zumal der Bes[X.]huldigte seit seiner Entlassung aus dem Strafvollzug Anfang 2008 nur no[X.]h zweimal zu geringen Geldstrafen verurteilt wurde, denen keine Aggressionstaten zugrunde lagen.

Daneben lässt das Urteil eine Auseinandersetzung mit Tatbesonderhei-ten vermissen, die darin bestehen, dass der Bes[X.]huldigte zwar an der Verabre-dung zu der Tat teilgenommen hatte und das Opfer zu Beginn mit zwei Faust-s[X.]hlägen und einem Fußtritt und gegen Ende mit einem weiteren S[X.]hlag miss-handelte, si[X.]h indes an den na[X.]hhaltigen Gewalttätigkeiten und Erniedrigun-gen, die der Tat das Gepräge einer s[X.]hweren Gewalttat geben, ni[X.]ht beteiligte
und sogar teilweise vom [X.] abwesend war.

3. Die Sa[X.]he bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Ents[X.]heidung. Der [X.] sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:

a) Dur[X.]h das Gesetz zur Si[X.]herung der Unterbringung in einem psy[X.]hiat-ris[X.]hen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.
Juli 2007 ([X.]
I S. 1327) wurde der frühere Re[X.]htszustand dahin geändert, dass es gemäß §
358 Abs.
2
Satz 2 StPO nunmehr mögli[X.]h ist, in einer neuen Haupt-verhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psy[X.]hiatris[X.]hen Kranken-haus den Täter s[X.]huldig zu spre[X.]hen und eine Strafe zu verhängen, wenn si[X.]h 11
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herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat
s[X.]huldfähig war. Das Geri[X.]ht bleibt jedo[X.]h gehindert, na[X.]h Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psy[X.]hiatris[X.]hen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zuglei[X.]h erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Dru[X.]ks. 16/1344,
S.
17 f.; [X.], Bes[X.]hlüsse vom 27.
Oktober 2009 -
3 StR 369/09,
juris
Rn.
9; vom 14.
September 2010 -
5 [X.], StraFo 2011, 55).

b) Na[X.]hdem es si[X.]h bei der Erkrankung des Bes[X.]huldigten um eine
Psy[X.]hose handelt, wird si[X.]h für die erneut notwendige sa[X.]hverständige Bera-tung die Hinzuziehung eines Psy[X.]hiaters empfehlen (vgl. KG, Bes[X.]hluss vom 19.
Dezember 2007 -
2 Ws 762/07, [X.], 166, 167
mwN).

[X.]) Die detailgetreue Wiedergabe des [X.] in den [X.] ist untunli[X.]h (vgl. [X.], Urteil vom 23.
Mai 2013 -
4 [X.], [X.], 287). Sie liefert eine unübersi[X.]htli[X.]he Ansammlung von überwiegend nutzlosen Daten. Auf die Zeitpunkte der jeweils letzten Tat, des Urteils und der

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Re[X.]htskraft kommt es nur an, wenn die formellen Voraussetzungen von Ge-samtstrafenbildung, Anordnung der Si[X.]herungsverwahrung, Bildung einer ein-heitli[X.]hen Jugendstrafe o.ä. zu belegen sind. Die notwendige Darlegung des-sen, was einzelne Verurteilungen über die Lebensentwi[X.]klung des [X.] aus-sagen, kann dadur[X.]h ohnehin -
wie vorliegend ersi[X.]htli[X.]h -
ni[X.]ht ersetzt werden.

Be[X.]ker

Pfister

Ri[X.] Dr. S[X.]häfer befindet

si[X.]h im Urlaub und ist daher

gehindert zu unters[X.]hreiben

Be[X.]ker

Geri[X.]ke

Spaniol

Meta

3 StR 171/14

29.04.2014

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.04.2014, Az. 3 StR 171/14 (REWIS RS 2014, 6084)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6084

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