Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.06.2013, Az. VI R 17/12

6. Senat | REWIS RS 2013, 5058

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

1 %-Regelung bei Überlassung mehrerer Kfz - Ermessensfehlerhafte Inhaftungnahme des Arbeitgebers


Leitsatz

1. Überlässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehr als ein Kfz auch zur privaten Nutzung, so ist der in der Überlassung des Fahrzeugs zur privaten Nutzung liegende geldwerte Vorteil für jedes Fahrzeug nach der 1 %-Regelung zu berechnen .

2. Die Inhaftungnahme des Arbeitgebers nach § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG ist regelmäßig ermessensfehlerhaft, wenn der Arbeitgeber entsprechend einer Billigkeitsregelung der Finanzbehörden Lohnsteuer materiell unzutreffend einbehält .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt ein Gebäudereinigungsunternehmen. Gesellschafter-Geschäftsführer sind die Eheleute A und B.

2

Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten [X.] für die Jahre 2004 bis 2006 wurde festgestellt, dass die [X.] zwei Kfz zur uneingeschränkten Nutzung überlassen habe. Dabei handelt es sich um eine [X.] und eine [X.] Der Prüfer erfasste wegen der unterschiedlichen Nutzungseigenschaften die Nutzung beider Fahrzeuge als Sachbezug und setzte für die [X.] auf der Grundlage der sog. 1 %-Regelung einen weiteren Sachbezug in Höhe von 8.484 € jährlich an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) schloss sich der Auffassung des Prüfers an und erließ einen auf § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) gestützten Haftungsbescheid für Lohnsteuer 2004 bis 2006. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies das [X.] mit Einspruchsentscheidung vom 18. März 2009 als unbegründet zurück. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 2104 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

3

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] des Saarlandes vom 19. Oktober 2011  2 K 1123/09 und den Haftungsbescheid vom 18. Oktober 2007 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 18. März 2009 aufzuheben.

4

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Feststellungen des [X.] erlauben keine abschließende Beurteilung, ob für die [X.] über den bereits für die [X.] erfassten geldwerten Vorteil hinaus ein weiterer geldwerter Vorteil als Lohn zu erfassen und ob die Inanspruchnahme der Klägerin durch Haftungsbescheid ermessensgerecht war.

6

1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn --auch soweit er durch einen [X.] gewährt wird-- für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat.

7

2. a) Überlässt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung, führt das nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zu einem als Lohnzufluss nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu erfassenden steuerbaren [X.] (Senatsurteil vom 21. März 2013 VI R 31/10, [X.], 167, m.w.N.). Der Arbeitnehmer ist um den Betrag bereichert, den er für eine vergleichbare Nutzung aufwenden müsste und den er sich durch die Überlassung des Fahrzeugs durch den Arbeitgeber erspart. Die Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt damit unabhängig von den tatsächlichen Nutzungsverhältnissen zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers. Denn der Vorteil aus der Nutzungsüberlassung umfasst das Zurverfügungstellen des Fahrzeugs selbst sowie die Übernahme sämtlicher damit verbundener Kosten wie Steuern, Versicherungsprämien, Reparatur-, Wartungs- und Treibstoffkosten und damit nutzungsabhängige wie -unabhängige Kosten (zuletzt Senatsurteil in [X.], 167, m.w.N.). Der geldwerte Vorteil aus der unentgeltlichen bzw. verbilligten Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung fließt dem Arbeitnehmer mit der Inbesitznahme des Dienstwagens und nicht (erst) mit der tatsächlichen privaten Nutzung des PKW zu (Senatsurteil in [X.], 167, m.w.N.).

8

b) Der als Lohnzufluss zu erfassende geldwerte Vorteil aus der unentgeltlichen oder verbilligten Überlassung eines Kfz zu privaten Zwecken ist grundsätzlich nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG zu bewerten. Der tatsächliche Umfang der Privatnutzung wird nur berücksichtigt, wenn der Steuerpflichtige diesen durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachweist. Ist dies der Fall, ist der für die Überlassung eines dienstlichen Kfz zur privaten Nutzung anzusetzende geldwerte Vorteil entsprechend dem Anteil der Privatnutzung an den insgesamt für das Kfz angefallenen Aufwendungen zu berechnen (§ 8 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG). Werden dem Arbeitnehmer zwei Fahrzeuge zur privaten Nutzung überlassen und fehlt es an ordnungsgemäßen Fahrtenbüchern, so ist der in der Überlassung des Fahrzeugs zur privaten Nutzung liegende geldwerte Vorteil für jedes Fahrzeug nach der 1 %-Regelung zu berechnen (§ 8 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG).

9

Der Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG bietet keinen Anhalt für die Annahme, dass in Fällen, in denen der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich mehr als ein Fahrzeug unentgeltlich oder verbilligt privat nutzen darf, die 1 %-Regelung nur für ein Fahrzeug gelten soll. Es besteht auch kein Grund, die Vorschrift einschränkend auszulegen. Denn werden dem Arbeitnehmer arbeitsvertraglich zwei Fahrzeuge zur privaten Nutzung überlassen, wird ihm ein doppelter Nutzungsvorteil zugewandt. Er kann nach Belieben auf beide Fahrzeuge zugreifen und diese entweder selbst nutzen oder --soweit arbeitsvertraglich [X.] einem [X.] überlassen. Hierdurch erspart er sich den Betrag, den er für die Nutzungsmöglichkeit vergleichbarer Fahrzeuge am Markt aufwenden müsste (vgl. Senatsurteil in [X.], 167). Der Arbeitnehmer hat es überdies selbst in der Hand, durch Führung eines Fahrtenbuchs eine Besteuerung anhand der tatsächlich für die Privatfahrten angefallenen Kosten zu erreichen oder, falls er auf die Nutzungsmöglichkeit zweier PKW keinen Wert legt, eine abweichende entsprechende arbeitsvertragliche Regelung zu treffen.

3. Die Feststellungen in der Vorentscheidung tragen die Folgerung des [X.] nicht, aufgrund der Überlassung der [X.] sei Lohnsteuer abzuführen gewesen. In der Vorentscheidung ist lediglich ausgeführt, anlässlich einer Betriebsprüfung sei festgestellt worden, dass die [X.] zwei Fahrzeuge auch zur privaten Nutzung überlassen habe. Festgestellt ist hingegen nicht, ob auch das zweite Fahrzeug arbeitsvertraglich überlassen wurde. Fehlt es hieran, kann eine vertragswidrige Nutzung vorliegen, die im Falle der Überlassung eines PKW an einen Gesellschafter-Geschäftsführer zu einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) führen kann. Eine vertragswidrige Nutzung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn die Nutzung ohne eine fremdübliche Vereinbarung erfolgt oder darüber hinausgeht (Urteil des [X.] --BFH-- vom 23. Januar 2008 I R 8/06, [X.], 276, [X.], 260; Senatsurteil vom 23. April 2009 VI R 81/06, [X.], 33, [X.], 262). Sollte das [X.] im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis kommen, dass hinsichtlich der Überlassung des zweiten Fahrzeugs eine vGA vorliegt, kann der hierauf entfallende Betrag im angefochtenen [X.] nicht angesetzt werden.

4. Kommt das [X.] hingegen zu dem Ergebnis, dass die [X.] als lohnsteuerbarer geldwerter Vorteil anzusetzen ist, wird es zu beachten haben, dass die Erfüllung des Haftungstatbestands nicht ohne weiteres die Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner zu rechtfertigen vermag. Über dessen Inanspruchnahme hat das [X.] vielmehr aufgrund pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden (§ 42d Abs. 3 Satz 2 EStG). Die Ermessensausübung hat das [X.] im Rahmen des § 102 [X.]O zu überprüfen und dabei vorliegend [X.]. I.2 des Schreibens des [X.] ([X.]) vom 28. Mai 1996 IV B 6 [X.] 2334- 173/96 ([X.], 654) in den Blick zu nehmen. Danach kann bei Überlassung mehrerer Fahrzeuge der Listenpreis des überwiegend genutzten Fahrzeugs zugrunde gelegt werden, wenn die Nutzung der Fahrzeuge durch andere zur Privatsphäre des Arbeitnehmers gehörende Personen so gut wie ausgeschlossen ist. Das vom [X.] genannte [X.][X.]chreiben vom 21. Januar 2002 IV A 6 [X.] 2177- 1/02 (BStBl I 2002, 148, [X.]. 9 Satz 2) --ersetzt durch das [X.][X.]chreiben vom 18. November 2009 IV C 6[X.] 2177/07/10004 (BStBl I 2009, 1326, vgl. [X.]. 36)-- betrifft Nutzungsentnahmen und ist daher im Streitfall nicht einschlägig. Das [X.] hat die Anwendungsvoraussetzungen dieser Verwaltungsvorschrift zu Unrecht offengelassen, weil --unterstellt, es handle sich um eine Billigkeitsvorschrift-- eine Steuerfestsetzung im Billigkeitswege in einem gesonderten Verfahren gemäß § 163 Satz 1 der Abgabenordnung angestrebt werden müsse. Denn diese für das Steuerfestsetzungsverfahren zutreffenden Ausführungen (vgl. BFH-Urteil vom 9. März 2010 VIII R 24/08, [X.], 499, [X.], 903) gelten für einen Haftungsbescheid nicht. Liegen die Voraussetzungen der [X.]. 2 des [X.][X.]chreibens in [X.], 654 nach den vom [X.] noch zu treffenden Feststellungen vor, hat die Klägerin unter Berücksichtigung dieser Billigkeitsregelung die Lohnsteuer korrekt abgeführt: sie hat die 1 %-Regelung entsprechend den Vorgaben in § 8 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG auf das teurere der beiden Fahrzeuge angewandt, die Lohnsteuer hierfür angemeldet und abgeführt. Die Inanspruchnahme der Klägerin im Wege des [X.] wäre dann ermessensfehlerhaft.

Meta

VI R 17/12

13.06.2013

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 19. Oktober 2011, Az: 2 K 1123/09, Urteil

§ 19 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 8 Abs 2 S 2 EStG 2002, § 6 Abs 1 Nr 4 S 2 EStG 2002, § 42d Abs 3 S 2 EStG 2002, EStG VZ 2005, EStG VZ 2006, § 5 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.06.2013, Az. VI R 17/12 (REWIS RS 2013, 5058)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5058

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 K 4/17 (Finanzgericht Hamburg)


VI R 31/10 (Bundesfinanzhof)

Anwendungsvoraussetzung der 1 %-Regelung --Entkräftung des Anscheinsbeweises-- Übernahme von Beiträgen für die Mitgliedschaft in einem …


8 K 611/19 (FG München)

Der für die Anwendung der Fahrtenbuchmethode geforderte Belegnachweis kann ergänzt werden


VI R 27/14 (Bundesfinanzhof)

(Fahrtenbuchmethode; Leasingsonderzahlung - Bloß zeitanteilige Berücksichtigung einer Leasingsonderzahlung bei den "gesamten Kfz-Aufwendungen" i.S. des § …


VI R 39/13 (Bundesfinanzhof)

Geldwerter Vorteil aus der Überlassung eines Dienstwagens - Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.