Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.06.2012, Az. 20 F 10/11

Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO | REWIS RS 2012, 5585

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Gestaltungsspielraum der Bundesregierung für die Regelung der auswärtigen Beziehungen


Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Verfahren auf der Grundlage des [X.] ([X.]) von der [X.], vertreten durch das [X.], Zugang zu Unterlagen, die Verhandlungen mit der [X.] über [X.] betreffen.

2

Mit Beschluss vom 25. August 2011 forderte das Verwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache die Beklagte auf, eine vom [X.] erarbeitete [X.] für den Leiter der Abteilung II des [X.]s für ein Gespräch mit Vertretern des [X.] sowie ein vom [X.] erstelltes Ergebnisprotokoll dieses Gesprächs vorzulegen. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 3 Buchst. a, § 4 Abs. 1 [X.] habe die Beklagte nicht plausibel dargelegt. [X.] komme es darauf an, ob die Beklagte sich zu Recht auf die Versagungsgründe nach § 3 Nr. 3 Buchst. b und Nr. 4 [X.] i.V.m. § 4 Abs. 2 [X.] berufe. Daraufhin legte das [X.] unter dem 26. September 2011 die teilweise geschwärzten Dokumente vor und gab in Bezug auf die geschwärzten Passagen eine Sperrerklärung ab. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Vorlage der ungeschwärzten Originale, die hinsichtlich der [X.] als "Verschlusssache - nur für den Dienstgebrauch" eingestuft seien, würde dem Wohl des [X.] Nachteile bereiten. Zu den insoweit geschützten [X.]interessen zählten die freundschaftlichen Beziehungen zu anderen [X.] und zu internationalen Organisationen sowie die unbeschwerte Erfüllung künftiger Aufgaben des zur Vorlage aufgeforderten [X.]s einschließlich dessen Zusammenarbeit mit anderen Behörden. Das Bekanntwerden des Verhandlungsverlaufs hätte nachteilige Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen und gefährde die notwendige Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen. Dadurch würde das Ansehen des [X.] im Verhältnis zu [X.] beschädigt sowie die Verhandlungsposition der [X.]regierung beeinträchtigt, weil mögliche Kompromisslinien vorzeitig veröffentlicht würden. Daneben würde die innere Handlungsfähigkeit der [X.]regierung beeinträchtigt; denn sie würde durch die Veröffentlichung des noch andauernden internen Beratungsprozesses daran gehindert, zügig einen einheitlichen sachlichen Standpunkt zur Frage der Visumserleichterungen mit [X.] zu finden. Diese Auswirkungen seien mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Im Rahmen einer Gesamtabwägung sei sowohl das öffentliche Interesse als auch das individuelle Interesse des [X.] an der Wahrheitsfindung im vorliegenden Verfahren berücksichtigt worden. Durch die nur teilweise Schwärzung der Dokumente sei den gegenläufigen Interessen in differenzierter Weise Rechnung getragen worden. Soweit eine Teilschwärzung einzig sachgerecht erscheine, sei - im Rahmen des der Natur der Sache nach Möglichen - der Inhalt der geschwärzten Passagen möglichst präzise umschrieben worden.

3

Auf den Antrag des [X.] hat das Verwaltungsgericht die Sache dem [X.] des [X.]verwaltungsgerichts vorgelegt.

II.

4

Der Antrag des [X.], die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung festzustellen, ist zulässig. Das Verwaltungsgericht hat, wie als Voraussetzung des Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO in der Regel geboten, mit dem Beschluss vom 25. August 2011 ausführlich dargelegt, dass die Vorlage der bezeichneten Unterlagen für das anhängige Klagebegehren entscheidungserheblich ist. Es hat insbesondere ausgeführt, dass nicht nur über den materiellen Geheimhaltungsgrund nach § 3 Nr. 4 [X.], sondern auch über den prozeduralen Informationsverweigerungsgrund nach § 3 Nr. 3 Buchst. b [X.] nicht ohne Kenntnis des konkreten [X.] befunden werden kann (vgl. Beschluss vom 2. November 2010 - BVerwG 20 F 2.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 61 Rn. 12).

5

Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Weigerung der [X.], dem Verwaltungsgericht die von ihm angeforderten Akten vorzulegen, ist rechtmäßig.

6

Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des [X.] oder eines [X.] [X.] Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

7

Allein die Tatsache der Einstufung eines Teils der angeforderten Unterlagen als Verschlusssache ist allerdings ohne Bedeutung. Denn die betreffenden Akten sind nicht schon deswegen ihrem Wesen nach oder nach einem Gesetz geheim zu halten. Vielmehr kommt es auch insoweit darauf an, ob sich nach den materiellen Maßstäben des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine [X.] ergibt, ob also der Grund für die Einstufung als Verschlusssache noch fortbesteht (Beschlüsse vom 19. April 2010 - BVerwG 20 [X.] - BVerwGE 136, 345 Rn. 21, 23 = [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 58 und vom 20. September 2010 - BVerwG 20 F 9.10 - NVwZ-RR 2011, 135 Rn. 7 f.).

8

Materiell-rechtlicher Maßstab zur Beurteilung der [X.] ist das Vorliegen eines Nachteils im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente und Unterlagen dem Wohl des [X.] oder eines [X.] Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls. Nachteile im Sinne dieses Geheimhaltungsgrundes erfassen Beeinträchtigungen und Gefährdungen des Bestands und der Funktionsfähigkeit des Staates und seiner wesentlichen Einrichtungen, insbesondere Beeinträchtigungen der inneren und äußeren Sicherheit. Der [X.] ist eng auszulegen, der Nachteil muss von erheblichem Gewicht sein (Beschluss vom 23. Juni 2011 - BVerwG 20 F 21.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 64 Rn. 19 m.w.N.).

9

Soweit das Verwaltungsgericht auf den fachgesetzlichen Versagungsgrund des § 3 Nr. 3 Buchst. b [X.] wegen des Schutzes der Entscheidungsfindungsprozesse innerhalb der Regierung abstellt, kann ein Nachteil für das Wohl des [X.] dann gegeben sein, wenn und soweit mit der Bekanntgabe des [X.] der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung berührt wird. Dieser Kernbereich bezeichnet einen Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich, der zur Wahrung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung grundsätzlich auch von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen nicht ausgeforscht werden darf. Zu diesem Bereich gehört die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen [X.] vollzieht; dabei sind laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen zur Wahrung eigenverantwortlicher Ausübung der Regierungstätigkeit grundsätzlich geschützt (siehe [X.], Urteil vom 17. Juli 1984 - 2 [X.], 2 [X.] - [X.]E 67, 100 <139> und Beschluss vom 17. Juni 2009 - 2 [X.] - [X.]E 124, 78 <120 ff.> sowie BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - BVerwG 7 [X.] 3.11 - DVBl 2012, 176 Rn. 30 f.). Ob die in der Sperrerklärung bezeichneten nachteiligen Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Regierung anhand der konkreten Umstände nachvollziehbar belegt sind (vgl. dazu bei abgeschlossenen Vorgängen [X.], Beschluss vom 30. März 2004 - 2 BvK 1/01 - [X.]E 110, 199 <218 f.>), bedarf hier keiner Prüfung. Denn das [X.] verweist zu Recht jedenfalls auf die nachteiligen Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen der [X.]republik.

Ein Nachteil für das Wohl des [X.] kann gegeben sein, wenn und soweit mit der Bekanntgabe des [X.] eine Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen des [X.] verbunden wäre (Beschlüsse vom 19. April 2010 a.a.[X.] Rn. 10, vom 23. November 2011 - BVerwG 20 F 22.10 - juris Rn. 15 und vom 10. Januar 2012 - BVerwG 20 F 1.11 - juris Rn. 12). [X.] wird damit zum einen der Schutz der auswärtigen Belange der [X.]republik; zum anderen sollen die Beziehungen zu anderen [X.] von Belastungen verschont und insbesondere das diplomatische Vertrauensverhältnis gewahrt bleiben (Urteil vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 7 [X.] 22.08 - [X.] 400 [X.] Nr. 1 Rn. 14). Ob hiernach die Geheimhaltung der Akten geboten ist, unterliegt gerade im Hinblick auf mögliche außenpolitische Folgen einer Beurteilungs- und [X.] der [X.]regierung. Für die Regelung der auswärtigen Beziehungen räumt das Grundgesetz der [X.]regierung einen grundsätzlich weit bemessenen Gestaltungsspielraum ein ([X.], Urteil vom 7. Mai 2008 - 2 [X.] - [X.]E 121, 135 <158>). Demgemäß ist auch die Prognose, ob eine Offenbarung bestimmter Dokumente eine Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen erwarten lässt, verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. Urteil vom 29. Oktober 2009 a.a.[X.] Rn. 20). Das gilt auch im Zwischenverfahren vor dem [X.] im Sinne des § 189 VwGO.

Nach diesen Maßstäben werden in der Sperrerklärung konkret befürchtete Nachteile für die auswärtigen Beziehungen unter Wahrung des in Anspruch genommenen Geheimnisschutzes nachvollziehbar dargelegt.

Das Schutzgut der auswärtigen Belange der [X.]republik Deutschland umfasst die Wahrung der eigenen außenpolitischen Interessen bei Verhandlungen mit fremden [X.]. Das setzt wiederum voraus, dass ungeachtet der - gegebenenfalls auf [X.] - offen ausgesprochenen allgemeinen Vorgaben die Verhandlungspositionen im Einzelnen nebst der Einschätzung der Positionen der Gegenseite und die [X.] im Hinblick auf mögliche Kompromisse im Prozess des wechselseitigen Gebens und Nehmens nicht ohne Rücksicht auf den Gang und den Stand der Verhandlungen offengelegt werden. Die Durchsicht der im Original vorgelegten Unterlagen hat gezeigt, dass die Schwärzungen schutzwürdige Angaben betreffen. Insbesondere in der [X.] des [X.]es finden sich Einschätzungen und Aussagen zur außenpolitischen Interessenlage.

Der Schutz des diplomatischen Vertrauensverhältnisses gebietet im Allgemeinen, dass der Verlauf von nicht-öffentlichen Verhandlungen und die dort vertretenen Standpunkte nicht einseitig, sondern nur einvernehmlich offenbart werden. Soweit das [X.] in der Sperrerklärung ausführt, dass das Ansehen des [X.] im Verhältnis zum Verhandlungspartner bei Bekanntwerden des Protokolls beschädigt werde, ist vor dem Hintergrund der Gepflogenheiten bei zwischenstaatlichen Verhandlungen sowie etwaiger besonderer Empfindlichkeiten des Verhandlungspartners auch diese Einschätzung der rechtlichen Bewertung zugrunde zu legen.

Die Sperrerklärung genügt schließlich auch den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Das [X.] hat erkannt, dass hiernach eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten im Prozess beruhende Ermessensentscheidung über die Aktenvorlage zu treffen war. Es war im Interesse des Anliegens des [X.] erkennbar bemüht, den Akteninhalt so weit als möglich verständlich zu machen und die Schwärzungen auf das absolut [X.] zu beschränken.

Meta

20 F 10/11

14.06.2012

Bundesverwaltungsgericht Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO

Beschluss

Sachgebiet: F

vorgehend VG Berlin, 25. August 2011, Az: 2 K 133.10, Beschluss

§ 99 VwGO, § 3 Nr 3 Buchst b IFG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.06.2012, Az. 20 F 10/11 (REWIS RS 2012, 5585)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5585

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

20 F 1/11, 7 A 15/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Einstufung als Verschlusssache; Verwendung von Decknamen


20 F 9/23 (Bundesverwaltungsgericht)

Beratungen und Beschlussfassungen des Bundessicherheitsrats als Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung; zum Verhältnis von parlamentarischem Informationsbegehren und …


20 F 5/20 (Bundesverwaltungsgericht)

Teilweise rechtswidrige Sperrerklärung zu Vorgängen betreffend die Europäische Patentreform


20 F 13/12 (Bundesverwaltungsgericht)

Zusammenhang zwischen Wohl des Bundes und auswärtigen Beziehungen; Kontrolldichte bei Berührung zu auswärtigen Beziehungen


20 F 22/10, 7 A 6/08 (Bundesverwaltungsgericht)


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.