Bundessozialgericht, Urteil vom 20.02.2014, Az. B 14 AS 65/12 R

14. Senat | REWIS RS 2014, 7692

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Arbeitslosengeld II - Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung - keine rückwirkende Bewilligung für Zeiten vor Kenntnis von der Erkrankung


Leitsatz

Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung besteht nicht, solange der Leistungsberechtigte keine Kenntnis von dem objektiv bestehenden besonderen Ernährungsbedarf hat.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 26. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt vom beklagten Jobcenter höheres [X.] ([X.]) nach dem [X.] ([X.]) für die [X.] bis zum [X.] aufgrund eines geltend gemachten Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

2

Die im Jahr 1955 geborene, alleinlebende Klägerin bezieht seit dem 1.1.2005 [X.]. Nachdem ihr Hausarzt das Vorliegen einer Eisenmangelanämie bescheinigt hatte, bewilligte ihr der Beklagte bis zum 31.3.2009 einen monatlichen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 30,68 Euro, im anschließenden Bewilligungsabschnitt jedoch nicht mehr. Für die [X.] bis zum [X.] bewilligte der Beklagte der Klägerin [X.] in Höhe von monatlich 359 Euro Regelleistung und 564,80 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung, lehnte aber einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung ab, weil sie aufgrund der Eisenmangelanämie Vollkost benötige, die nach neueren medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen und unter Berücksichtigung der neuen Empfehlungen des [X.] vom 1.10.2008 (kurz: [X.] 2008 ) nur eine ausgewogene Ernährung erfordere, die aus dem Ernährungsanteil in der Regelleistung finanziert werden könne (Bescheid vom 22.9.2009, Widerspruchsbescheid vom 15.10.2009).

3

Im anschließenden Klageverfahren vor dem [X.] ([X.]) hat dieses verschiedene ärztliche Unterlagen sowie ein ärztliches Gutachten von [X.], nach dem bei der Klägerin insbesondere eine Sprue, die eine glutenfreie Kost erfordere, sowie eine Eisenmangelanämie vorliegen, beigezogen. Das [X.] hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin für die [X.] bis zum [X.] einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 72,00 Euro monatlich zu gewähren, und im Übrigen die Klage abgewiesen (Urteil vom 16.12.2011). Auf die Berufung des Beklagten hat das [X.] (L[X.]) das Urteil des [X.] geändert und die Klage insgesamt ab- sowie die Anschlussberufung der Klägerin, mit der sie einen höheren Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung begehrt hatte, zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Ein Mehrbedarfsanspruch wegen kostenaufwändiger Ernährung bestehe trotz der Erkrankungen an [X.]/Sprue und Eisenmangelanämie nicht, obwohl die [X.]/Sprue durch das Gutachten von [X.] vom [X.] und den Befundbericht von Dr. K vom 30.5.2010 eindeutig belegt sei. Wegen der [X.]/Sprue bestehe schon deshalb kein Anspruch, weil sie der Klägerin während des streitgegenständlichen [X.]raums nicht bekannt gewesen sei und eine durch sie veranlasste besondere und kostenaufwändige Ernährung nicht stattgefunden habe. Die rückwirkende Anerkennung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 [X.] komme nicht in Betracht. Eine krankheitsangemessene besondere Ernährung könne nicht für die Vergangenheit nachgeholt werden. Der Umstand, dass die Klägerin wegen ihrer gesundheitlichen Leiden auf ihre Ernährung geachtet und höherpreisige Lebensmittel konsumiert habe, begründe keinen Mehrbedarf. Die Ernährungsweise der Klägerin sei in der strittigen [X.] nicht auf ihre Erkrankung abgestimmt gewesen, weil zu dieser [X.] noch keine zutreffende Krankheitsdiagnose vorgelegen habe und die Besserung der Symptome erst eingetreten sei, als sie, ernährungsmedizinisch geschult, später zu speziell glutenfreier Kost übergegangen sei. Wegen der Eisenmangelanämie, an der die Klägerin leide und bereits im streitgegenständlichen [X.]raum gelitten habe, habe keine Notwendigkeit einer besonderen, kostenaufwändigen Ernährung bestanden.

4

Mit ihrer Revision macht die Klägerin die Verletzung von § 21 Abs 5 [X.] geltend. Ein Mehrbedarfsanspruch bestehe auch dann, wenn der Leistungsberechtigte zwar keine Kenntnis von der konkreten Krankheit habe, sich aber aufgrund krankheitsbedingter Beschwerden kostenaufwändiger ernähre und erst später eine Krankheit diagnostiziert werde, deren Heilung bzw Linderung der damit einhergehenden Beschwerden eine kostenaufwändige Ernährung erfordere. Der Wortlaut der Norm setze keine subjektive Kenntnis des Leistungsberechtigten von der den Mehrbedarf auslösenden Erkrankung im [X.]punkt der Antragstellung voraus. Es sei allein sein objektiver Gesundheitszustand maßgeblich und daher auch die erst nach Antragstellung erkannte Krankheit anspruchsauslösend. Die Argumentation des L[X.], dass die krankheitsbedingte Ernährung nicht nachgeholt werden könne, gehe fehl, da bei ihr - der Klägerin - ernährungsbedingte Kosten aufgelaufen seien. Sie habe nicht nur eine [X.] eingehalten, sondern sich auch eiweißhaltig, eisen- und vitaminreich ernährt und aufgrund der andauernden Beschwerden verschiedenste kostenaufwändige Diäten eingehalten. Da der Regelsatz an der untersten Schwelle des Existenzminimums angesiedelt sei und demzufolge jegliche Mehrbelastung der Leistungsberechtigten zu einer Unterschreitung des Existenzminimums führe, müsse auch eine fälschlicherweise, aber nachvollziehbar angenommene Belastung ausgeglichen werden. Die Kausalität zwischen der [X.]/Sprue und der eingehaltenen kostenaufwändigen Ernährung habe vorgelegen, da diese Erkrankung letztlich für ihre Beschwerden im streitigen Bewilligungszeitraum verantwortlich gewesen sei. Die Unsicherheit, aufgrund welcher Erkrankung letztlich ein ernährungsbedingter Mehrbedarf vorliege, könne nicht zu Lasten des Leistungsberechtigten gehen. Bei Vorlage eines ärztlichen Attestes, in dem eine bestimmte Erkrankung genannt werde, die nicht in den [X.] 2008 enthalten ist, sei der Leistungsträger zur weiteren Amtsermittlung durch individuelle Begutachtung sowohl bezüglich der Erkrankung als auch des durch sie ausgelösten [X.] und dessen Kosten verpflichtet.

5

Die Klägerin beantragt,
 das Urteil des [X.] vom 26. Juni 2012 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2011 zurückzuweisen.

6

Der Beklagte beantragt,
 die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der [X.]lägerin gegen das Urteil des [X.] ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>). Das [X.] hat zu Recht auf die Berufung des beklagten Jobcenters das Urteil des [X.] geändert und die [X.]lage insgesamt abgewiesen, denn die [X.]lägerin hat für den strittigen [X.]raum keinen Anspruch auf höheres [X.] wegen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 [X.]B II.

8

Prozessrechtliche Hindernisse stehen einer Entscheidung nicht entgegen. Die [X.]lägerin hat zu Recht eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Bewilligungsbescheid des Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2009 erhoben, weil der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Mehrbedarf nach §§ 19, 21 Abs 5 [X.]B II (in der Fassung des [X.] vom [X.], [X.] 2954, zuletzt geändert durch Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in [X.] vom [X.], [X.] 416; im Folgenden [X.]B II aF) kein eigenständiger Streitgegenstand im Rahmen der Bewilligung von [X.] ist (stRspr: B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] AS 50/07 R - B[X.]E 102, 290-295 = [X.]-4200 § 21 [X.], Rd[X.]; B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/08 R - B[X.]E 104, 48-57 = [X.]-1500 § 71 [X.], RdNr 11; B[X.] Urteil vom 14.2.2013 - [X.] [X.]/12 R - [X.]-4200 § 21 [X.] RdNr 9; B[X.] Urteil vom 12.12.2013 - [X.] [X.]/13 R - zur Veröffentlichung in B[X.]E und [X.] vorgesehen - RdNr 11 f).

9

1. Rechtsgrundlagen für den von der [X.]lägerin geltend gemachten und vom [X.] verneinten Anspruch auf höheres [X.] aufgrund eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung sind § 19 Satz 1, §§ 7, 21 Abs 5 [X.]B II aF. Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen [X.]punkt geltende Recht anzuwenden.

Zwar erfüllte die [X.]lägerin im streitigen [X.]raum vom 1.10.2009 bis zum [X.] die Grundvoraussetzungen nach § 7 [X.]B II, um Leistungen nach dem [X.]B II zu erhalten, auch hatte sie rechtzeitig einen Fortzahlungsantrag auf [X.] gemäß § 37 Abs 2 Satz 1 [X.]B II aF gestellt, jedoch sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 21 Abs 5 [X.]B II aF für einen Anspruch auf Mehrbedarf nach den für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] nicht gegeben, wie sich aus dem Zusammenhang des Mehrbedarfs mit dem Regelbedarf (dazu 2.) und den Voraussetzungen des Mehrbedarfs im Einzelnen (dazu 3.) ergibt.

Nach § 21 Abs 5 [X.]B II aF erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Die seit dem 1.1.2011 geltende Neufassung des § 21 Abs 5 [X.]B II, nach der bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt wird, beinhaltet, wie sich aus dem Wortlaut und der Gesetzesbegründung ergibt, keine inhaltliche Änderung, sondern nur eine redaktionelle Anpassung (BT-Drucks 17/3404 S 97).

2. Die [X.]onkretisierung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 [X.]B II muss im Zusammenhang mit § 20 [X.]B II erfolgen, der den Regelbedarf, früher Regelleistung, in Form einer pauschalierten Leistung vorsieht. Denn § 20 [X.]B II umfasst die für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen und üblichen Bedarfslagen und Bedürfnisse des täglichen Lebens, wie sich aus der nicht abschließenden Aufzählung in seinem Abs 1 - "insbesondere" Ernährung, [X.]leidung, [X.]örperpflege, Hausrat, einen Teil der Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens - ergibt. Grundlage für die Ermittlung der regelbedarfsrelevanten Anteile der einzelnen Bedarfsabteilungen und damit der Höhe des Regelbedarfs insgesamt sind die statistisch ermittelten Ausgaben und das Verbrauchsverhalten von Haushalten in unteren Einkommensgruppen auf der Datengrundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Die typisierend anerkannten Bedarfe gelten mit den in den Absätzen 2 bis 3 (aF) bzw bis 4 (nF) vorgesehenen Pauschalen als befriedigt (vgl § 3 Abs 3 Halbs 2 [X.]B II). Die Typisierung von existenzsichernden Bedarfen sowie deren Deckung durch einen pauschalen Festbetrag ist vom [X.] ([X.]) als verfassungskonform bestätigt worden (vgl [X.] Urteil vom [X.] - 1 BvL 1/09, 1 [X.], 1 [X.] - [X.]E 125, 175, Rd[X.]05).

Der notwendige Bedarf für Ernährung ist als ein Teil dieses Regelbedarfs typisierend zuerkannt worden, wobei von der Deckung der laufenden [X.]osten eines typischen Leistungsberechtigten im Rahmen eines soziokulturellen Existenzminimums für eine ausreichende ausgewogene Ernährung im Sinne einer ausreichenden Zufuhr von Proteinen, Fetten, [X.]ohlehydraten, Mineralstoffen und Vitaminen ausgegangen wurde (vgl [X.] in Eicher, [X.]B II, 3. Aufl 2013, § 20 RdNr 44; Busse in [X.] 2009, 142, 142; [X.] in [X.], [X.]B II/[X.]B XII, Stand 8/2013, § 21 Rd[X.]6). Damit gilt im Ergebnis eine Vollkosternährung als vom Regelbedarf gedeckt, weil es sich hierbei um eine ausgewogene Ernährungsweise handelt, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt (vgl [X.] 2008, [X.], auf die das [X.] in seinem Urteil vom [X.] - 1 BvL 1/09, 1 [X.], 1 [X.] - [X.]E 125, 175 Rd[X.]2 verweist; B[X.] Urteil vom 10.5.2011 - [X.] AS 100/10 R - [X.]-4200 § 21 [X.] Rd[X.]5, 26; [X.] in Gagel, [X.]B II/[X.]B III, Stand 2014, § 21 [X.]B II RdNr 34; von [X.]/[X.] in LP[X.]-[X.]B II, 5. Aufl 2013, § 21 Rd[X.]4).

Nach dem Ziel der Pauschalierung soll der Leistungsberechtigte über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen eigenverantwortlich entscheiden (vgl § 20 Abs 1 S 4 [X.]B II nF sowie zur alten Rechtslage bereits § 1 Abs 2 S 1 [X.]B II aF) und einen gegenüber dem statistisch ermittelten [X.] höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen, was ihm auch zumutbar ist (vgl [X.], aaO). Zudem ist es dem Leistungsberechtigten zumutbar, in unregelmäßigen Abständen entstehende Bedarfe - zB für Bekleidung, langlebige Gebrauchsgüter usw - vom Regelbedarf zu decken (vgl hierzu nun ausdrücklich § 20 Abs 1 S 4 [X.]B II nF) und dies bei seinem individuellen Verbrauchsverhalten, zB durch Ansparungen, zu berücksichtigen.

Da § 20 [X.]B II keine im Einzelfall abweichende Bedarfsermittlung und -festsetzung zulässt, soll nach § 21 [X.]B II für bestimmte, laufende, aufgrund besonderer Lebensumstände bestehende Bedarfe, die nicht (ggf ausreichend) vom Regelbedarf abgedeckt sind, Zugang zu zusätzlichen Leistungen eröffnet werden (§ 21 Abs 1 [X.]B II; BT-Drucks 15/1516 [X.]). Als einer dieser Mehrbedarfe soll der wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen nach § 21 Abs 5 [X.]B II helfen, im Hinblick auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums eine Ernährung zu finanzieren, mit der der Verlauf einer (bestehenden) gesundheitlichen Beeinträchtigung durch Abmilderung von deren Folgen, Verhinderung oder Hinauszögern einer Verschlechterung oder deren (drohenden) Eintretens beeinflusst werden kann (vgl B[X.] Urteil vom 10.5.2011 - [X.] AS 100/10 R - [X.]-4200 § 21 [X.] Rd[X.]0; [X.][X.] in Eicher, [X.]B II, 3. Aufl 2013, § 21 Rd[X.]2).

3. Unter Berücksichtigung dieses Zusammenhangs setzt der Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs 5 [X.]B II zunächst eine erwerbsfähige, hilfebedürftige - heute eine leistungsberechtigte - Person voraus (vgl für [X.] § 28 [X.]B II aF bzw § 19 Abs 1 Satz 2, 3, § 23 [X.]B II nF), was nach dem oben Gesagten vorliegend erfüllt ist. Weitere Voraussetzungen sind medizinische Gründe, womit gesundheitliche Beeinträchtigungen gemeint sind (dazu a), eine kostenaufwändige Ernährung (dazu b), ein [X.] zwischen den medizinischen Gründen und der kostenaufwändigen Ernährung (dazu c), ohne dass es auf deren Einhaltung ankommt (dazu d); hinzu kommt die [X.]enntnis der betreffenden Person von diesem medizinisch bedingten besonderen Ernährungsbedürfnis, die im Unterschied zu den zuvor genannten anderen Voraussetzungen hier fehlte (dazu e) (vgl zu den ersten Voraussetzungen: B[X.] Urteil vom 10.5.2011 - [X.] AS 100/10 R - [X.]-4200 § 21 [X.] Rd[X.] bis 20; [X.] in jurisP[X.]-[X.]B II, Online-Ausgabe, § 21 Rd[X.]5, Stand Einzelkommentierung 11/2013; von [X.]/[X.] in LP[X.]-[X.]B II, 5. Aufl 2013, § 21 Rd[X.]4; [X.][X.] in Eicher, [X.]B II, 3. Aufl 2013, § 21 Rd[X.]2; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B II, Stand 5/2011, [X.] § 21 Rd[X.]0; [X.] in [X.], G[X.]-[X.]B II, Stand 11/2009, § 21 RdNr 34; Busse, [X.] 2009, 142).

a) Die Voraussetzung "medizinische Gründe" lag vor, weil die bei der [X.]lägerin nach den bindenden Feststellungen des [X.] im streitgegenständlichen [X.]raum bestehende Eisenmangelanämie eine [X.]rankheit ist und damit eine gesundheitliche Beeinträchtigung iS des § 21 Abs 5 [X.]B II gegeben war. Hinsichtlich der [X.]/Sprue hat das [X.] keine klaren Feststellungen getroffen, ist aber davon ausgegangen, dass diese Erkrankung zwar unerkannt war, aber "anscheinend tatsächlich" bei der [X.]lägerin im streitigen [X.]raum vorhanden war. Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits zur Aufklärung dieser Frage scheidet aus, weil die Entscheidung des [X.] sich im Hinblick auf die Verneinung der Voraussetzung "[X.]enntnis" als zutreffend erweist (vgl § 170 Abs 1 Satz 2 [X.]G). Für die Prüfung der weiteren Voraussetzungen ist aber zugunsten der [X.]lägerin vom objektiven Vorliegen auch dieser Erkrankung im strittigen [X.]raum auszugehen.

b) Eine glutenfreie Ernährung - als hier in Betracht kommende, besondere [X.]ostform - ist, wie die [X.]lägerin zu Recht geltend macht, eine kostenaufwändige Ernährung iS des § 21 Abs 5 [X.]B II, für eine Vollkosternährung gilt dies aber nicht (siehe oben 2.).

Ausgehend von der [X.]onkretisierung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Relation zum Regelbedarf ist kostenaufwändiger iS des § 21 Abs 5 [X.]B II eine Ernährung, die von dem im Regelbedarf umfassten typisierten Bedarf abweicht und von diesem nicht gedeckt ist (so im Ergebnis auch B[X.] Urteil vom 24.2.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.]-4200 § 21 [X.]; B[X.] Urteil vom 10.5.2011 - [X.] AS 100/10 R - [X.]-4200 § 21 [X.]). Da die Vollkosternährung vom Regelbedarf gedeckt ist, besteht eine kostenaufwändige Ernährung iS des § 21 Abs 5 [X.]B II grundsätzlich nur bei einer besonderen, von der Vollkost abweichenden Ernährung(sform). Dass eine glutenfreie [X.]ost eine solche kostenaufwändige Ernährung ist, folgt aus den [X.] 2008. Bei diesen handelt es sich zwar nicht um ein antizipiertes Sachverständigengutachten, das normähnlich angewandt werden kann, sie können jedoch als Orientierungshilfe herangezogen werden, von der fachlich begründet abgewichen werden darf (vgl ausführlich B[X.] Urteil vom 22.11.2011 - [X.] AS 138/10 R - [X.]-4200 § 21 [X.] Rd[X.] ff; B[X.] Urteil vom 14.2.2013 - [X.] [X.]/12 R - [X.]-4200 § 21 [X.] RdNr 16; von [X.]/[X.] in [X.]-LP[X.], [X.]B II, 5. Aufl 2013, § 21 Rd[X.]5; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B II, 3. Aufl 2011, § 21 RdNr 30; [X.][X.] in Eicher, [X.]B II, 3. Aufl 2013, § 21 Rd[X.]7). Anhaltspunkte für eine Abweichung sind vorliegend nicht zu erkennen.

Eine andere in Betracht kommende kostenaufwändigere Ernährung der [X.]lägerin als eine glutenfreie hat das [X.] nicht festgestellt. Es hat lediglich ausgeführt, dass die [X.]lägerin wegen gesundheitlicher Leiden auf ihre Ernährung geachtet und höherpreisige Lebensmittel konsumiert habe. Dies beinhaltet jedoch nicht die Feststellung einer besonderen, von der Vollkosternährung abweichenden Ernährung. Aufklärungsrügen wurden von der [X.]lägerin im Revisionsverfahren nicht erhoben. Aus dem Vorbringen der Revision, der Beklagte habe seine Amtsermittlungspflichten verletzt, folgt nichts anderes, weil es nicht Aufgabe des Jobcenters ist, der leistungsberechtigten Person [X.]enntnis von ihrem konkreten Ernährungsbedarf zu verschaffen.

c) Der [X.] zwischen einer [X.]/Sprue und einer glutenfreien Ernährung ergibt sich aus den Feststellungen des [X.], die ihrerseits auf den [X.] 2008 beruhen.

Diese aus dem Wortlaut der Norm ("aus ... Gründen") folgende und in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 15/1516 [X.]) bestätigte Voraussetzung des [X.]s ist - wie auch sonst im Sozialrecht - nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilen (vgl zB B[X.] Urteil vom [X.] - B 5 R 68/11 R - [X.]-2600 § 43 [X.]; B[X.] Urteil vom 10.5.2007 - B 7a [X.] 14/06 R - [X.]-4100 § 128 [X.]; zusammenfassend B[X.] Urteil vom [X.] - B 2 U 1/05 R - B[X.]E 96, 196 = [X.]-2700 § 8 [X.] Rd[X.] ff) und muss zwischen einem medizinischen Grund und der besonderen, kostenaufwändigen Ernährung bestehen (B[X.] Urteil vom 10.5.2011 - [X.] AS 100/10 R - [X.]-4200 § 21 [X.] RdNr 16; [X.] in jurisP[X.]-[X.]B II, Online-Ausgabe, § 21 Rd[X.]4.1, Stand Einzelkommentierung 11/2013; [X.] in [X.], G[X.]-[X.]B II, Stand 11/2009, § 21 RdNr 34).

d) Die tatsächliche Einhaltung einer solchen Ernährung oder ggf der Nachweis tatsächlicher Mehraufwendungen seitens des Anspruchstellers ist keine Anspruchsvoraussetzung. Auch wenn § 21 Abs 5 [X.]B II anders als die übrigen in den Absätzen 2 bis 4 und 7 geregelten typisierten Mehrbedarfe keine prozentual am Regelbedarf orientierte pauschalierte Höhe des Mehrbedarfs vorsieht (so auch [X.] in Gagel, [X.]B II/[X.]B III, Stand 2014, § 21 [X.]B II Rd[X.]9; [X.] in [X.]/Zink, [X.]B II, Band 2, Stand April 2013, § 21 Rd[X.]; [X.] in [X.]-G[X.]-[X.]B II, Stand 7/2012, § 21 RdNr 3), hat der Gesetzgeber das Erfordernis eines zweckentsprechenden Einsatzes der konkreten Leistung in § 21 [X.]B II nicht normiert, obwohl ihm die Möglichkeit einer solchen Regelung bekannt war (vgl § 29 Abs 4 [X.]B II nF, § 24a S 4 [X.]B II aF).

Vielmehr sind die bislang geprüften Voraussetzungen des § 21 Abs 5 [X.]B II bereits beim Vorliegen der objektiven Bedarfslage erfüllt, zumal das Jobcenter im Entscheidungszeitpunkt vor oder bei Beginn des [X.] allein die objektive Bedarfslage beurteilen kann und nicht auch die Frage, ob tatsächlich - in dem in der Zukunft liegenden Bewilligungsabschnitt - eine kostenaufwändige Ernährung durchgeführt werden wird. Bei einer Entscheidung über einen in der Vergangenheit liegenden [X.]raum kann nichts anderes gelten, wenn die mit der Antragstellung begehrte Leistung rechtswidrigerweise abgelehnt wurde, der Leistungsberechtigte innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Rechtsbehelf eingelegt und sich im Rechtsbehelfsverfahren der Mehrbedarf bestätigt hat, er mithin bis dahin bereits wegen fehlender Geldmittel nicht gedeckt werden konnte. Zwar kann bei einer durch das Gericht nach Ablauf des streitgegenständlichen Bewilligungsabschnitts und damit den Leistungsträger nachträglich verpflichtenden Gewährung des Mehrbedarfs dessen Zweck nicht mehr erreicht werden, da die besondere Ernährung für diesen [X.]raum nicht mehr nachholbar und damit auch die Einflussnahme auf die gesundheitliche Beeinträchtigung nicht mehr möglich ist (vgl [X.] Hamburg Urteil vom [X.] AS 287/10 - Juris Rd[X.]3; Hessisches [X.] Urteil vom [X.] [X.]65/10 - Juris RdNr 30). In diesen Fällen ist aber dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Grundgesetz) Vorrang zu geben, da andernfalls der Sozialleistungsträger durch unberechtigtes Bestreiten des Anspruchs den Beginn der Leistung oder gar den ab Antragstellung entstandenen Anspruch vereiteln könnte und so die Einklagbarkeit abgelehnter Leistungen nicht effektiv wäre (vgl bereits BVerwG Urteil vom [X.], [X.] 35.72 - BVerwGE 40, 343; BVerwG Urteil vom 30.4.1992 - 5 C 12/87 - BVerwGE 90, 154). Die Entscheidung des 8. Senats des B[X.] vom [X.] - B 8 [X.] 16/08 R (B[X.]E 104, 213 = [X.]-1300 § 44 [X.]0, Rd[X.]) steht hierzu nicht im Widerspruch, weil diese im [X.]ontext der Anwendbarkeit von § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch im Sozialhilferecht zu sehen ist.

e) Der Anspruch der [X.]lägerin scheitert daran, dass sie nach den [X.] und für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] im streitgegenständlichen [X.]raum bis zum [X.] keine [X.]enntnis von ihrem Bedarf an glutenfreier und damit kostenaufwändiger Ernährung hatte.

Zwar ist dem Wortlaut des § 21 Abs 5 [X.]B II nicht ausdrücklich die [X.]enntnis der betreffenden Person von ihrem objektiv bestehenden und medizinisch begründeten besonderen Ernährungsbedarf zu entnehmen, diese weitere Voraussetzung folgt jedoch aus dem subjektive Elemente beinhaltenden Wort "bedürfen", der Zusammenschau mit den anderen Mehrbedarfen und den [X.]n sowie dem Sinn und Zweck des ernährungsbedingten Mehrbedarfs.

Wie sich aus dem Wortlaut des § 21 Abs 5 [X.]B II ergibt, muss die betreffende Person der kostenaufwändigen Ernährung "bedürfen". Dieses Tatbestandsmerkmal knüpft zunächst an eine objektive Bedarfslage an, die sich aus einer wertenden Berücksichtigung des aktuellen Stands der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklung zur Sicherung des physischen Existenzminimums ergibt und daran orientiert, was hiernach als notwendig betrachtet wird, wie etwa das Ersetzen von allergenhaltigen durch allergenfreie Nahrungsmittel oder der ersatzlose Verzicht auf allergenhaltige Nahrungsmittel. Diese Wertungen fließen in der Bundesrepublik [X.] aktuell etwa in die vom [X.] zusammen mit Ernährungsmedizinern erarbeiteten [X.] 2008 ein, nach denen bei einer [X.]/Sprue eine glutenfreie, spezielle [X.]ost notwendig ist. Darüber hinaus enthält der Begriff des "[X.]" auch ein subjektives Element, das auf die [X.] des jeweiligen Anspruchstellers verweist.

Für die Mehrbedarfe nach § 21 Abs 2 bis 4 [X.]B II und § 21 Abs 6 und 7 [X.]B II nF hingegen ist allein die objektive Bedarfslage anspruchsauslösend, da lediglich an den objektiven Umstand der Schwangerschaft (Abs 2), des Zusammenlebens mit und die Alleinerziehung von minderjährigen [X.]indern (Abs 3), der Erbringung bestimmter Leistungen für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte (Abs 4), des im Einzelfall unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfes (Abs 6) und der Warmwassererzeugung durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen (Abs 7) als Tatbestandsvoraussetzung angeknüpft wird. Gleiches gilt für die [X.] in Form der Einmalleistungen nach § 23 Abs 3 [X.]B II aF (Erstausstattungen und mehrtägige [X.]lassenfahrten) bzw § 24 Abs 3 [X.]B II nF (Erstausstattungen und Anschaffung/Reparatur orthopädischer Schuhe, Reparatur/Miete von therapeutischen Geräten, Reparatur von therapeutischen Ausrüstungen) und die Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 28 [X.]B II [X.] Hiervon grenzt sich § 21 Abs 5 [X.]B II ab, in dem er nicht allein auf den "Bedarf" für kostenaufwändige Ernährung abstellt, sondern auch darauf, dass die betreffenden Personen dieser Ernährung "bedürfen", womit auf ein subjektives Element abgestellt wird.

Im Gegensatz zu Leistungsberechtigten mit den zuvor genannten objektiv bestehenden Bedarfslagen muss der gesundheitlich beeinträchtigten Person der objektiv bestehende besondere, jedenfalls von der ausgewogenen Ernährung in Form der Vollkost und damit vom Regelbedarf abweichende Ernährungsbedarf bekannt sein. Ohne [X.]enntnis des Zusammenhangs zwischen den gesundheitlichen Einschränkungen und einer bestimmten Ernährungsempfehlung, also der bedarfsauslösenden Umstände, besteht kein "Bedürfnis" der Person, eine besondere [X.]ostform einzuhalten und hierfür höhere Beträge als im Regelbedarf eingepreist aufzuwenden, weil sie um die [X.] nicht weiß, der zu folgen der Mehrbedarf ermöglichen soll. Dies erfordert kein Wissen des Leistungsberechtigten um die genaue medizinische Ursache im Sinne einer zutreffenden Diagnose, wohl aber um die aus medizinischen Gründen einzuhaltende besondere - zB glutenfreie - Ernährung. Der Sinn und Zweck des [X.] würde leer laufen, wenn dem Leistungsberechtigten trotz fehlender [X.]enntnis seines objektiv bestehenden besonderen medizinisch begründeten [X.] die Mehrbedarfsleistung gewährt würde, weil die bezweckte Möglichkeit, auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch eine besondere Ernährung Einfluss zu nehmen und damit den objektiven Bedarf zu decken, bei fehlender [X.]enntnis nicht umgesetzt werden kann.

Dass der [X.]lägerin in der strittigen [X.] vom 1.10.2009 bis zum [X.] nicht bekannt war, dass sie an [X.]/Sprue litt, hat das [X.] ausführlich begründet unter Hinweis auf die eingeholten ärztlichen Unterlagen, einschließlich des Gutachtens von [X.] vom [X.], sowie die mündliche Anhörung der [X.]lägerin vor dem Senat. Von Seiten der [X.]lägerin wurden insofern keine [X.] erhoben.

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 65/12 R

20.02.2014

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Mainz, 16. Dezember 2011, Az: S 10 AS 1414/09, Urteil

§ 21 Abs 5 SGB 2, § 20 Abs 1 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 20.02.2014, Az. B 14 AS 65/12 R (REWIS RS 2014, 7692)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7692

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1 BvL 1/09

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