Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.01.2024, Az. VIa ZR 727/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 715

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats des [X.] vom 10. Februar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen worden ist.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin, die zunächst neben der Beklagten zu 2 (künftig: Beklagte) ein Autohaus verklagt hatte, nimmt nur noch die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Sie erwarb im Jahr 2014 einen von der Beklagten hergestellten [X.] Cabriolet 3.0 [X.] als Neuwagen, der mit einem von der Beklagten hergestellten [X.] ([X.] 5) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug verfügt über ein "[X.]". Für die Steuerung der Schaltpunkte, bei denen das Automatikgetriebe zwischen den verschiedenen Fahrstufen wechselt, verfügt das Fahrzeug über zwei verschiedene Programme, nämlich zum einen über ein "Dynamisches Schaltprogramm", das nur im realen Fahrbetrieb aktiv ist, und zum anderen über ein "Warmlauf-Schaltprogramm", das die Schaltpunkte auf dem Rollenprüfstand steuert.

3

Die Klägerin verlangt von der Beklagten mit ihrer Klage zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen zuzüglich Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden aus einer Beeinflussung des Abgasausstoßes im Prüfstandsbetrieb, hilfsweise Feststellung der Ersatzpflicht für Schäden wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen (Berufungsantrag zu 2), Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 3) und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4). Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht unbeschränkt zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Der Klägerin stehe kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Es fehle an einem sittenwidrigen Handeln. Selbst unterstellt, das "[X.]" stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem unterstellten Verstoß gegen die [X.] Regelungen weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Das "[X.]" sei nicht prüfstandsbezogen; andere Umstände, die die Sittenwidrigkeit indizieren könnten, habe die Klägerin nicht beachtlich dargetan. Dies gelte ebenso für die von der Klägerin monierte Schaltpunktsteuerung des Automatikgetriebes. Es fehle insoweit an greifbaren, über die schlichte Behauptung der Klägerin hinausgehenden Anhaltspunkten dafür, dass der Wechsel zwischen beiden Programmen für die Einhaltung gesetzlicher Abgasgrenzwerte relevant sei.

7

Es bestehe auch kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Vorschriften der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007, denn das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht in deren Aufgabenbereich.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat das Berufungsgericht hinsichtlich des "[X.]s" einen Anspruch der Klägerin mangels Prüfstandsbezogenheit der als unzulässig unterstellten Abschalteinrichtung ausgeschlossen (vgl. [X.], Urteil vom 19. Januar 2021 - [X.], NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.; Urteil vom 16. September 2021 - [X.]/20, NJW 2021, 3721 Rn. 12 ff.; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 48; Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 12). Hinsichtlich der zwei unterschiedlichen Programme der Getriebesteuerung hat das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des [X.] einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB an der fehlenden Grenzwertkausalität scheitern lassen (vgl. [X.], Urteil vom 6. November 2023 - [X.], [X.], 40 Rn. 11). Soweit die Revision gegen die entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts Verfahrensrügen erhebt, hat der [X.] diese geprüft und erachtet sie nicht für durchgreifend. Von einer Begründung wird insoweit nach § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

2. Doch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung im Hinblick auf die beiden unstreitig vorhandenen Vorrichtungen, bei welchen das Berufungsgericht einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 VO ([X.]) Nr. 715/2007 unterstellt hat ("[X.]", Getriebesteuerung), ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nicht verneint werden. Wie der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - [X.], juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des [X.]s getroffen.

III.

Das angefochtene Urteil ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im tenorierten Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen möglichen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.], [X.]Z 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen zu haben.

Fischer     

      

Möhring     

      

Götz   

      

Rensen     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 727/22

30.01.2024

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 10. Februar 2022, Az: 15 U 227/19

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.01.2024, Az. VIa ZR 727/22 (REWIS RS 2024, 715)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 715

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VII ZR 412/21

III ZR 303/20

III ZR 267/20

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