Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.10.2023, Az. VIa ZR 186/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 7677

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des [X.] vom 17. Januar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht den Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 46.174,27 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die [X.] zu 2, zu 3 und zu 4 betreffend eine deliktische Schädigung der Klägerin durch das Inverkehrbringen des im Berufungsantrag zu 1 bezeichneten Fahrzeugs zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin kaufte am 17. Februar 2017 von der Beklagten einen von dieser hergestellten neuen [X.] [X.], der mit einem Dieselmotor der Baureihe [X.] (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Die im Fahrzeug erfolgende Abgasrückführung wird abhängig von der Außentemperatur gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei niedrigeren Temperaturen reduziert. Das Fahrzeug verfügt über einen SCR-Katalysator, bei dem die Zufuhr der Harnstofflösung "AdBlue" in bestimmten Betriebszuständen verringert wird. In der Folge steigen die Stickoxidemissionen an. Das Fahrzeug ist nicht von einem vom [X.] veranlassten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.

3

Die Klägerin hat die Beklagte in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts vom Kaufvertrag und in zweiter Linie unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Sie hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2), die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten an ihre Rechtsschutzversicherung und an sie jeweils nebst Prozesszinsen und die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 3) sowie die Feststellung der teilweisen Erledigung des [X.] zu 1 wegen weiterer Nutzung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 4) begehrt.

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 1 geltend gemachten Deliktszinsen weiter, soweit sie die Anträge auf ihre deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Entscheidungsgründe

5

Die wirksam auf deliktische Schadensersatzansprüche beschränkte Revision (vgl. [X.], Urteil vom 24. April 2023 - [X.], NJW 2023, 2635 Rn. 4 ff., zur [X.] bestimmt in [X.]Z; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22, [X.] 2023, 1133 Rn. 8 f.) hat Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Der Klägerin stünden keine deliktischen Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu. Sie habe eine sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB nicht hinreichend vorgetragen. Dabei könne unterstellt werden, dass das im Fahrzeug eingebaute [X.] als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sei. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV sei ebenfalls nicht gegeben. Ein solcher Anspruch setze Vorsatz im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung voraus, den die Klägerin nicht schlüssig dargelegt habe. Ferner liege das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV wegen der Verwendung des [X.]s abgelehnt hat. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein solcher Schadensersatzanspruch der Klägerin nicht verneint werden.

a) Wie der [X.] nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur [X.] bestimmt in [X.]Z).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.).

b) Ebenfalls von Rechtsfehlern beeinflusst ist die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe den für eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV notwendigen Vorsatz hinsichtlich der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung nicht schlüssig dargelegt. Für das nach § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB erforderliche Verschulden des Fahrzeugherstellers genügt es, dass er fahrlässig trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgibt (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 38 und 59). Bei einem objektiven Verstoß gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV wird sein Verschulden vermutet ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 59; Urteil vom 25. September 2023 - [X.] 1/23, zVb).

III.

Die Berufungsentscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen der jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des von der Revision angeführten [X.]s verneint werden könnte. Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.] 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen zu haben.

[X.]     

      

Krüger     

      

Götz   

      

Rensen     

      

Wille     

      

Meta

VIa ZR 186/22

23.10.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Bamberg, 17. Januar 2022, Az: 10 U 100/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.10.2023, Az. VIa ZR 186/22 (REWIS RS 2023, 7677)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7677

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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III ZR 303/20

III ZR 267/20

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