Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.05.2012, Az. 9 AZR 575/10

9. Senat | REWIS RS 2012, 6231

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Gegenstand

(Verfall tarifvertraglicher Urlaubsansprüche - § 26 TVöD)


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 19. August 2010 - 10 [X.]/10 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Gewährung tariflichen [X.]s.

2

Der 1950 geborene Kläger ist seit 1974 bei der [X.] in der Fünftagewoche beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 ([X.]) Anwendung. In diesem Tarifvertrag in der für den streitigen [X.]raum maßgeblichen Fassung heißt es zum Erholungsurlaub ua.:

        

„§ 26 

        

Erholungsurlaub

        

(1)     

Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der [X.] beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr

                          

...     

                          

nach dem vollendeten 40. Lebensjahr

30 Arbeitstage.

                 

... Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden.

                 

...     

        

(2)     

Im Übrigen gilt das [X.] mit folgenden Maßgaben:

                 

a)    

Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten.

                 

b)    

Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Jahres, erhält die/der Beschäftigte als Erholungsurlaub für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des Urlaubsanspruchs nach Absatz 1; § 5 [X.] bleibt unberührt.

                 

...“   

        

3

In der [X.] vom 23. Juni 2007 bis 7. Oktober 2009 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Nach seiner Genesung beantragte er erfolglos die Gewährung des tariflichen [X.]s aus den Jahren 2007 und 2008.

4

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der tarifliche Anspruch auf [X.] im Umfang von je zehn Tagen sei nicht erloschen. Aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit sei er gehindert gewesen, den [X.] vor Ablauf der in § 26 Abs. 2 Buchst. a [X.] geregelten Fristen zu nehmen.

5

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihm zehn Tage Resturlaub aus dem [X.] und zehn Tage Resturlaub aus dem [X.] zu gewähren.

6

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, der tarifliche [X.] sei verfallen. § 26 [X.] regele den Erholungsurlaub eigenständig und in erheblicher Weise abweichend vom gesetzlichen Urlaubsregime.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet. Die während seiner Krankheit in den Jahren 2007 und 2008 entstandenen Ansprüche auf tariflichen [X.] sind am 31. Mai des jeweiligen Folgejahres erloschen.

9

I. Nach § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 [X.] muss der Erholungsurlaub im Falle der Übertragung in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 [X.] bis zum 31. Mai anzutreten. Da der Kläger wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit den tariflichen [X.] aus dem Kalenderjahr 2007 weder in diesem Jahr noch bis zum Ablauf des [X.] am 31. Mai 2008 antreten konnte, ist dieser Urlaub verfallen. Ebenso verfiel der tarifliche [X.] aus dem Kalenderjahr 2008 am 31. Mai 2009.

II. Entgegen der Ansicht des [X.] folgt aus dem Umstand, dass er auch über den 31. Mai 2008 bzw. 2009 hinaus arbeitsunfähig war, nichts anderes. Zwar hat der Senat nach der „Schultz-Hoff“-Entscheidung des [X.] vom 20. Januar 2009 (- [X.]/06 und [X.]/06 - Rn. 42 ff., Slg. 2009, [X.]) aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben angenommen, der gesetzliche [X.]anspruch sei im Falle fortdauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers entgegen der Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] nicht bis zum 31. März des Folgejahres befristet (vgl. [X.] 24. März 2009 - 9 [X.] - Rn. 47 ff., [X.]E 130, 119; zur erforderlichen Mindestlänge des Übertragungszeitraums: vgl. [X.] 22. November 2011 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 38, [X.] Richtlinie 2003/88/[X.] Nr. 6 = EzA [X.]-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7). Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen jedoch ausschließlich den [X.]anspruch von vier Wochen. Den Mitgliedstaaten steht es frei, Arbeitnehmern über diesen hinaus Urlaubsansprüche einzuräumen und die Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung des [X.] nach nationalem Recht festzulegen ([X.] 3. Mai 2012 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 34 ff. mwN, [X.], 688). Ebenso können Tarifvertragsparteien Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/[X.] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. [X.] 299 vom 18. November 2003 S. 9; im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 [X.] begründeten Anspruch auf [X.] von vier Wochen übersteigen, frei regeln (vgl. [X.] 3. Mai 2012 - [X.]/10 - [[X.]] aaO mwN; [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 21, EzA [X.] § 7 Nr. 123; 4. Mai 2010 - 9 [X.]/09 - Rn. 23 mwN, [X.]E 134, 196; 23. März 2010 - 9 [X.] - Rn. 19, 26 ff., [X.]E 134, 1). Diese Befugnis schließt die Befristung des [X.] ein. Einem von Tarifvertragsparteien angeordneten Verfall tariflichen [X.] steht [X.] damit nicht entgegen. Da nicht der durch die Arbeitszeitrichtlinie gewährleistete [X.] von vier Wochen betroffen ist, besteht keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. [X.] 23. März 2010 - 9 [X.] - Rn. 20 ff., aaO).

1. Die Tarifvertragsparteien haben in § 26 Abs. 2 [X.] hinsichtlich der Befristung und Übertragung und damit mittelbar auch zugleich bezüglich des Verfalls des Urlaubs von § 7 Abs. 3 [X.] abweichende, eigenständige Regelungen getroffen.

a) Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den [X.] einem eigenen, von dem des [X.] abweichenden Fristenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen (vgl. [X.] 23. März 2010 - 9 [X.] - Rn. 37 ff., [X.]E 134, 1; 24. März 2009 - 9 [X.] - Rn. 84, [X.]E 130, 119 ). Fehlen solche, ist von einem „Gleichlauf“ des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen [X.] auszugehen. Ein „Gleichlauf“ ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tarifvertraglichem [X.] unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom [X.] abweichende Regelungen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben (vgl. [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 22, EzA [X.] § 7 Nr. 123 ).

b) § 26 [X.] differenziert hinsichtlich der Befristung und der Übertragung des Urlaubs zwar nicht ausdrücklich zwischen gesetzlichem Mindest- und tariflichem [X.]. Die Tarifvertragsparteien des [X.] haben sich jedoch vom gesetzlichen Fristenregime gelöst, indem sie die Befristung und Übertragung und damit auch den Verfall des Urlaubsanspruchs abweichend vom [X.] eigenständig geregelt haben.

aa) Während nach § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] der Urlaub im Fall der Übertragung in den ersten drei Monaten des Folgejahres gewährt und genommen werden muss (vgl. [X.] 7. Dezember 1993 - 9 [X.] - zu I 3 der Gründe, [X.]E 75, 171; [X.]/[X.] Urlaubsrecht 2. Aufl. § 7 [X.] Rn. 126), reicht es gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 [X.] aus, dass der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten wird. Die tarifliche Regelung, nach der der bloße Urlaubsantritt genügt, weicht damit erheblich von der gesetzlichen Regelung ab.

bb) Eine weitere wesentliche Abweichung vom gesetzlichen Fristenregime beinhaltet § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 [X.]. Nach dieser Vorschrift ist der Erholungsurlaub bis zum 31. Mai anzutreten, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres angetreten werden kann. Die Tarifvertragsparteien haben damit anders als der Gesetzgeber im [X.] einen zweiten Übertragungszeitraum festgelegt und auf diese Weise ein eigenständiges, vom [X.] abweichendes Fristenregime geschaffen.

cc) Für die Frage des Vorliegens einer eigenständigen tariflichen Regelung ist es unerheblich, dass § 26 [X.] - anders als § 47 Abs. 7 [X.] - bei Fristablauf nicht ausdrücklich den Verfall des Urlaubsanspruchs vorsieht. Auch das [X.] ordnet die Rechtsfolge des Verfalls nicht ausdrücklich an ( vgl. [X.] 24. März 2009 - 9 [X.] - Rn. 62, [X.]E 130, 119). Einer solchen ausdrücklichen Anordnung des Untergangs des Anspruchs bedarf es nicht. Mit Fristende entfällt die Erfüllbarkeit des [X.] (vgl. [X.] 28. November 1990 - 8 [X.] - zu II 2 der Gründe mwN, [X.]E 66, 288; [X.]/[X.] 3. Aufl. Bd. 1 § 78 Rn. 12; [X.]/[X.] ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 104 Rn. 103). Dies gilt auch für den tariflichen [X.]. Dementsprechend hat der Senat für den umgekehrten Fall, dass ein Tarifvertrag ausdrücklich den Verfall des Urlaubs anordnet, entschieden, dass dies allein nicht genügt, um einen eigenständigen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien anzunehmen (vgl. [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 33, EzA [X.] § 7 Nr. 123).

2. Ohne Bedeutung ist, dass im Hinblick auf die dargestellte Rechtsprechung des [X.] zu Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie und des Senats zu § 7 Abs. 3 [X.] ein Verfall des [X.]anspruchs bei fortdauernder Erkrankung nach einem Übertragungszeitraum von nur fünf Monaten unionsrechtlich nicht zulässig ist. Entscheidend ist, dass für den vom Mindesturlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen [X.], die tarifliche Regelung wirksam bleibt (vgl. [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 27, EzA [X.] § 7 Nr. 123).

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Klose    

        

        

        

    Jungermann    

        

    Furche    

                 

Meta

9 AZR 575/10

22.05.2012

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Koblenz, 15. April 2010, Az: 10 Ca 3118/09, Urteil

§ 26 Abs 2 Buchst a TVöD, Art 7 Abs 1 EGRL 88/2003, § 1 BUrlG, § 3 Abs 1 BUrlG, § 7 Abs 3 BUrlG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.05.2012, Az. 9 AZR 575/10 (REWIS RS 2012, 6231)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6231

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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