Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.01.2024, Az. VII ZB 22/23

7. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 946

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Elektronischer Rechtsverkehr: Anforderungen an ein anwaltliches Empfangsbekenntnis via beA und dessen Beweiswert


Leitsatz

1. Für die Rücksendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses in Form eines strukturierten Datensatzes per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte Empfangsbekenntnis versendet wird. Die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen; darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein elektronisches Empfangsbekenntnis nicht ausgelöst wird.

2. Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt - wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) Empfangsbekenntnis - gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des [X.] vom 6. Juni 2023 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Gegenstandswert: [X.] €

Gründe

I.

1

Der Kläger macht gegen die Beklagte Mängelrechte aus einem Vertrag über den Einbau einer Fußbodenheizung geltend.

2

Gegen das klageabweisende Urteil des [X.] hat der Kläger Berufung eingelegt. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, eine Berufungsbegründung sei nicht fristgerecht eingereicht worden, hat er mit Schriftsatz seines zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten beantragt, ihm gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und zugleich die Begründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Auf den diesbezüglichen Hinweis des Berufungsgerichts, innerhalb der Antragsfrist des [X.] müsse die versäumte [X.] nachgeholt werden, ein Fristverlängerungsantrag ersetze die Berufungsbegründung nicht, hat der Kläger mit weiterem Schriftsatz seines vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten erneut beantragt, ihm gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und zugleich die Begründungsfrist zu verlängern. Durch Beschluss vom 6. Juni 2023 hat das Berufungsgericht sowohl die beiden Wiedereinsetzungsanträge des [X.] als auch seine Berufung gegen das landgerichtliche Urteil als unzulässig verworfen.

3

Dieser Beschluss ist dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des [X.] als elektronisches Dokument zugestellt worden. Nach dem das Datum des 12. Juni 2023 ausweisenden elektronischen [X.] hat der Prozessbevollmächtigte den Beschluss vom 6. Juni 2023 "heute als elektronische(s) Dokument(e) erhalten". Dieses elektronische [X.] hat der Prozessbevollmächtigte am 13. Juni 2023 unter Verwendung des vom Gericht mit der Übermittlung des Beschlusses zur Verfügung gestellten strukturierten Datensatzes aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach [X.]) heraus an das Berufungsgericht zurückübermittelt. Mit seiner am 13. Juli 2023 beim [X.] eingegangenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Kläger die Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts vom 6. Juni 2023, die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sowie die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

4

Der Senat hat mit Verfügung vom 15. September 2023 darauf hingewiesen, dass die Rechtsbeschwerdefrist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO versäumt worden sein dürfte, da das elektronische [X.] den 12. Juni 2023 als Zustellungsdatum der angefochtenen Entscheidung ausweise, die Rechtsbeschwerde jedoch erst am 13. Juli 2023 eingegangen sei. Die Rechtsbeschwerde vertritt demgegenüber die Auffassung, die maßgebliche Zustellung des angefochtenen Beschlusses habe erst mit der elektronischen Rückübermittlung des [X.]ses an das Berufungsgericht am 13. Juni 2023 stattgefunden, da erst diese den erforderlichen Empfangswillen des Rechtsanwalts dokumentiere.

II.

5

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

6

Die Rechtsbeschwerde ist nicht gemäß § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses eingelegt worden.

7

Diese Frist, deren Einhaltung das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen selbständig zu prüfen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Oktober 2013 - [X.] Rn. 6, [X.], 139), begann gemäß § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB am 13. Juni 2023, da der Beschluss des Berufungsgerichts vom 6. Juni 2023 dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des [X.] am 12. Juni 2023 zugestellt worden ist, und endete gemäß § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 Fall 2 BGB mit Ablauf des 12. Juli 2023. Beim [X.] eingegangen ist die Rechtsbeschwerde erst nach Fristablauf am 13. Juli 2023.

8

1. Die Zustellung der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichts am 12. Juni 2023 steht aufgrund des elektronischen [X.]ses des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des [X.] fest.

9

a) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, kommt es für den Nachweis des Zeitpunkts der Zustellung eines elektronischen Dokuments durch elektronisches [X.] nicht auf den Zeitpunkt der Rückübermittlung des elektronischen [X.]ses an das Gericht, sondern auf das im [X.] vom Empfänger eingetragene Zustellungsdatum an. Dieses ist hier der 12. Juni 2023.

Die Zustellung eines elektronischen Dokuments an einen Rechtsanwalt nach § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird gemäß § 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO durch ein elektronisches [X.] nachgewiesen, das an das Gericht zu übermitteln ist. Für die Übermittlung ist der vom Gericht mit der Zustellung zur Verfügung gestellte strukturierte Datensatz zu verwenden (§ 173 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Für die Rücksendung des elektronischen [X.]ses in Form eines strukturierten Datensatzes per [X.] ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein [X.] erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte [X.] versendet wird ([X.]/[X.]/[X.], ZPO, 44. Aufl., § 173 Rn. 12; vgl. auch [X.], [X.]-Newsletter 20/2018 vom 4. Oktober 2018; [X.], NJW 2019, 3495). Die Abgabe des elektronischen [X.]ses setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen; darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein elektronisches [X.] nicht ausgelöst wird (BVerwG, Beschluss vom 19. September 2022 - 9 [X.]/22, NJW 2023, 703, juris Rn. 22; OVG für das [X.], Beschluss vom 20. Mai 2021 - 11 A 481/21.A, juris Rn. 7; [X.], Beschluss vom 13. Januar 2021 - 13 UF 578/20, [X.], 1554, juris Rn. 12; vgl. auch [X.]/[X.], ZPO, 35. Aufl., § 173 Rn. 15). Auf der Grundlage des geschilderten Willensakts wird das elektronische [X.] automatisiert aus der verwendeten Software heraus erzeugt und dem Gericht übermittelt; mit dieser Übersendung wird die empfangsbereite Entgegennahme der Nachricht dokumentiert (BVerwG, Beschluss vom 19. September 2022 - 9 [X.]/22, NJW 2023, 703, juris Rn. 22). Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene [X.] erbringt - wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) [X.] - gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung (BVerwG, Beschluss vom 19. September 2022 - 9 [X.]/22, NJW 2023, 703, juris Rn. 12; OVG für das [X.], Beschluss vom 27. September 2019 - 1 [X.]/19, NJW 2019, 3664, juris Rn. 8 ff.; Anders/[X.]/[X.], ZPO, 82. Aufl., § 173 Rn. 7).

Dass der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte des [X.] seinen Empfangswillen hinsichtlich des Beschlusses vom 6. Juni 2023 durch die Rückübermittlung des elektronischen [X.]ses in Form eines strukturierten Datensatzes an das Berufungsgericht (erst) am 13. Juni 2023 nach außen dokumentiert hat, vermag nichts daran zu ändern, dass für den Zustellungszeitpunkt der im [X.] selbst erklärte Zeitpunkt des Erhalts des Beschlusses, hier also der 12. Juni 2023, maßgeblich ist.

b) Der Kläger hat das im elektronischen [X.] angegebene Zustellungsdatum auch nicht entkräftet. Es kann dahinstehen, welche Anforderungen an den Nachweis der Unrichtigkeit der in einem elektronischen [X.] enthaltenen Angaben zu stellen sind (siehe dazu [X.], Urteil vom 14. Juli 2022 - [X.] KR 2/21 R, [X.]E 134, 265, juris Rn. 10 m.w.[X.]; vgl. auch [X.]/[X.], ZPO, 35. Aufl., § 173 Rn. 18). Denn eine Unrichtigkeit wird von der Rechtsbeschwerde nicht konkret behauptet. Insbesondere trägt sie nicht vor, der zweitinstanzliche Rechtsanwalt des [X.] habe den angefochtenen Beschluss des Berufungsgerichts tatsächlich erst am 13. Juni 2023 - und nicht schon am 12. Juni 2023 - empfangsbereit entgegengenommen, wohingegen das frühere Datum etwa aus Versehen oder aufgrund einer technischen Fehlfunktion in das [X.] gelangt sei. Die Rechtsbeschwerde vertritt lediglich eine abweichende - allerdings unzutreffende - Rechtsauffassung zur Bestimmung des Zustellungszeitpunktes.

2. Eine - gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO auch von Amts wegen zu gewährende - Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbeschwerdefrist scheidet aus. Ein anwaltlicher Rechtsirrtum über den maßgeblichen Fristbeginn ist verschuldet und dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

[X.]     

      

Halfmeier     

      

Jurgeleit

      

Graßnack     

      

Borris     

      

Meta

VII ZB 22/23

17.01.2024

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Nürnberg, 6. Juni 2023, Az: 2 U 312/23

§ 130a ZPO, §§ 130aff ZPO, § 173 Abs 2 Nr 1 ZPO, § 173 Abs 3 S 1 ZPO, § 173 Abs 3 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.01.2024, Az. VII ZB 22/23 (REWIS RS 2024, 946)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 946

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

9 B 2/22 (Bundesverwaltungsgericht)

Beweiswirkung eines elektronischen Empfangsbekenntnisses


B 7 AS 21/23 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Versäumung der Begründungsfrist - Beweiswirkung des (elektronischen) Empfangsbekenntnisses des Rechtsanwalts …


VI ZB 36/22 (Bundesgerichtshof)

Elektronischer Rechtsverkehr: Übermittlung der Berufungsschrift mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs


23 U 8369/21 (OLG München)

Empfangsbekenntnis, Zustellungsdatum, Zustellungsbevollmächtigter, Zulässigkeit der Berufung, Ermessensausübung, Nachweis der Zustellung, Mittelbarer Besitz, Zustellungsverzögerung, Teilurteil, Eigentümerliste, …


23 U 8369/21 (OLG München)

Empfangsbekenntnis, Zustellungsdatum, Hinweisbeschluss, Landgerichtsurteil, Zustellungsbevollmächtigter, Zulässigkeit der Berufung, Gelegenheit zur Stellungnahme, Ermessensausübung, Nachweis der Zustellung, …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

9 B 2/22

VII ZR 248/11

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.