Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.12.2010, Az. 2 B 66/10

2. Senat | REWIS RS 2010, 4

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Gegenstand

Disziplinarverfahren; fristgerechte Einlegung der Berufungsbegründung


Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] kann keinen Erfolg haben. Die in der [X.]eschwerdebegründung dargelegten Gründe können nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 68 Satz 2 [X.] oder wegen eines [X.] gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 68 Satz 2 [X.] führen.

2

Das Oberverwaltungsgericht hat den [X.] auf die maßnahmebeschränkte [X.]erufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil aus dem [X.]eamtenverhältnis entfernt. In den Gründen des [X.]erufungsurteils heißt es, die Klägerin habe die [X.]erufungsbegründungsfrist gewahrt, weil sie die [X.]egründung innerhalb der vom Vorsitzenden des [X.]erufungsgerichts verlängerten Frist dort eingereicht habe. Den Regelungen über die Einreichung und [X.]egründung der [X.]erufung gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 [X.] sei nicht zu entnehmen, dass die [X.]egründung in einem derartigen Fall zwingend beim Verwaltungsgericht einzureichen sei. In der Sache komme nur die Entfernung aus dem [X.]eamtenverhältnis als angemessene Disziplinarmaßnahme in [X.]etracht. Der [X.]eklagte sei als Polizeibeamter nicht mehr tragbar, weil er nach den bindenden Feststellungen des [X.] im März und April 2004 in 15 Fällen dienstlich anvertraute Gelder in Höhe von insgesamt 5 180,45 € unterschlagen habe.

3

Der [X.]eklagte wirft die Fragen als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 68 Satz 2 [X.] auf, ob

- eine [X.]erufungsbegründung ungeachtet des Wortlauts des § 63 Abs. 1 Satz 2 [X.] und des Kontextes dieser gesetzlichen Regelung mit der Vorgängerregelung der [X.]undesdisziplinarordnung, dem Rechtsmittelbereinigungsgesetz und dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz die fristwahrende Einlegung der [X.]erufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht zulasse;

- die Gerichte berechtigt seien, bei [X.] aus prozessökonomischen Erwägungen abweichend vom Gesetzeswortlaut und einer gesetzgeberischen Entscheidung die Zuständigkeit des [X.] für die Einreichung der [X.]erufungsbegründung anzunehmen;

- der Vorsitzende des für die [X.]erufung zuständigen Senates des [X.] nach § 63 Abs. 1 Satz 3 [X.] für Anträge auf Verlängerung der [X.]erufungsbegründungsfrist zuständig sei.

4

Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist gegeben, wenn die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf ([X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - [X.]VerwG 8 [X.] 78.61 - [X.]VerwGE 13, 90 <91> = [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 18; stRspr). An der Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage fehlt es, wenn der Ausgang des Rechtsstreits nicht von deren [X.]eantwortung abhängt, weil feststeht, dass sich die [X.]erufungsentscheidung jedenfalls aus anderen Gründen als richtig darstellt. In diesen Fällen kann von der Revisionszulassung in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO abgesehen werden ([X.]eschlüsse vom 22. August 1996 - [X.]VerwG 8 [X.] 100.96 - [X.] 310 § 144 VwGO Nr. 62 und vom 10. Juni 2009 - [X.]VerwG 2 [X.] 26.09 - juris Rn. 8; stRspr).

5

So liegt der Fall hier. Die Revision des [X.] hat auch dann keinen Erfolg, wenn in [X.] auch die gesonderte [X.]erufungsbegründung fristwahrend nur beim Verwaltungsgericht eingereicht werden könnte. [X.]ei einer derartigen Auslegung des § 63 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 [X.] wäre die [X.]erufungsbegründung der Klägerin zwar nicht fristgerecht eingegangen. Das Oberverwaltungsgericht hätte die [X.]erufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil jedoch nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Vielmehr hätte es der Klägerin nach § 60 Abs. 2 Satz 4, Abs. 4 VwGO von Amts wegen Wiedereinsetzung in die dann versäumte [X.]erufungsbegründungsfrist gewähren müssen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen der Wiedereinsetzung offensichtlich vorgelegen haben (vgl. [X.]eschluss vom 27. März 2000 - [X.]VerwG 3 [X.] 41.00 - [X.] 310 § 60 VwGO Nr. 233). Insbesondere wäre dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin entgegen der Auffassung des [X.] kein Verschulden an der Fristversäumnis anzulasten gewesen. Denn er durfte sich darauf verlassen, dass der rechtzeitige Eingang der [X.]erufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht die verlängerte [X.]erufungsbegründungsfrist wahren würde (§ 60 Abs. 1 VwGO). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

6

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin musste nach dem Stand von Rechtsprechung und Schrifttum annehmen, dass die Entscheidung über die Verlängerung der [X.]erufungsbegründungsfrist nach § 63 Abs. 1 Satz 3 [X.] dem Vorsitzenden des für die [X.]erufung zuständigen Senats des [X.] oblag. Zum einen hatte dieser Vorsitzende über den Verlängerungsantrag der Klägerin entschieden; er hatte die [X.]erufungsbegründungsfrist ohne Weiteres antragsgemäß bis zum 28. November 2008 verlängert. Zum anderen entsprach diese Vorgehensweise der damals von Obergerichten und Schrifttum übereinstimmend vertretenen Auffassung; daran hat sich seitdem nichts geändert ([X.], Urteil vom 20. Februar 2008 - 21d [X.]/07 - NVwZ-RR 2008, 844; [X.], Urteil vom 15. Juli 2009 - 10 L 353/06 - juris Rn. 31 f. jeweils zur wortgleichen Regelung des § 64 Abs. 1 Satz 3 [X.]DG; Hummel/[X.]/[X.], Kommentar zum [X.]DG, § 64 Rn. 3; [X.], Disziplinarrecht in [X.]und und Ländern, § 64 [X.]DG Rn. 5).

7

Davon ausgehend brauchte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auch keine Zweifel daran zu haben, dass die [X.]erufungsbegründung innerhalb der vom Vorsitzenden des [X.]erufungsgerichts verlängerten Frist auch dort fristwahrend eingereicht werden konnte. Dieser Schluss musste sich aufgrund der Entscheidung dieses Vorsitzenden über den Antrag auf Fristverlängerung und aufgrund der Hinweise des [X.] in dem Schreiben vom 27. Oktober 2008 aufdrängen. Darin heißt es, die [X.]erufung sei eingegangen und dem Oberverwaltungsgericht vorgelegt worden. Zugleich wurde das Aktenzeichen mitgeteilt, unter dem das [X.]erufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht geführt wurde. Hinzu kommt, dass die Auffassung, die [X.]erufungsbegründung könne jedenfalls nach Fristverlängerung durch den Vorsitzenden des [X.]erufungsgerichts auch dort fristwahrend eingereicht werden, bei Einreichung im November 2008 und seitdem unverändert in der Rechtsprechung der Obergerichte vertreten wird ([X.], a.a.[X.], und [X.], a.a.[X.]). Entscheidungen, die die Rechtsauffassung des [X.] teilen, finden sich nicht. Auch im Schrifttum zum wortgleichen § 64 Abs. 1 [X.]DG wird nur angenommen, die [X.]erufung müsse zwingend beim Verwaltungsgericht eingelegt werden. Für die gesonderte [X.]erufungsbegründung wird dies nicht vertreten (Hummel/[X.]/[X.], a.a.[X.] Rn. 2; [X.], a.a.[X.] Rn. 3).

8

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich das vom [X.] vertretene wortgetreue Verständnis des § 63 Abs. 1 Satz 2 [X.] schwerlich mit der durch § 63 Abs. 1 Satz 3 [X.] begründeten Zuständigkeit des Vorsitzenden des [X.]erufungsgerichts für die Entscheidung über die Verlängerung der [X.]erufungsbegründungsfrist vereinbaren lässt. Dass mit dem [X.]egriff des Vorsitzenden im Sinne des Satzes 3 der Vorsitzende des [X.]erufungsgerichts gemeint ist, folgt aus dem Zweck dieser Regelung und der gesetzlichen Systematik. Denn das Verwaltungsgericht hat nach Abschluss des erstinstanzlichen [X.]s keine Entscheidungszuständigkeiten mehr. Es hat lediglich die bei ihm eingehenden Schriftsätze über die Einlegung und [X.]egründung der [X.]erufung an das Oberverwaltungsgericht weiterzuleiten. Das [X.]erufungsverfahren wird vollständig beim Oberverwaltungsgericht geführt.

9

Erscheint die Regelung des § 63 Abs. 1 Satz 2 [X.] allenfalls bei einer auf diesen Satz beschränkten Lektüre, nicht aber bei der aus systematischen Gründen gebotenen [X.]erücksichtigung des Satzes 3 dieser Vorschrift eindeutig, so besteht Raum für die vom Oberverwaltungsgericht angestellten, an Systematik und Normzweck der Regelungen orientierten prozessökonomischen Erwägungen. Diese sprechen für die Möglichkeit der fristwahrenden Einreichung der [X.]erufungsbegründung auch beim Oberverwaltungsgericht, wenn der Vorsitzende des für die [X.]erufung zuständigen Senats die [X.]erufungsbegründungsfrist verlängert hat.

Nach alledem können die vom [X.] aufgeworfenen Fragen auch nicht zu der Revisionszulassung des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 68 Satz 2 [X.] führen, weil das [X.]erufungsurteil nicht auf der vom [X.] angegriffenen Auslegung des § 63 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 [X.] durch das Oberverwaltungsgericht beruhen kann. Hätte das Oberverwaltungsgericht die abweichende Auslegung des [X.] geteilt, so hätte es der Klägerin Wiedereinsetzung in die [X.]erufungsbegründungsfrist gewähren müssen.

Meta

2 B 66/10

30.12.2010

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, 26. Mai 2010, Az: DL A 535/08, Urteil

§ 63 Abs 1 DG BR, § 60 VwGO, § 64 Abs 1 BDG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.12.2010, Az. 2 B 66/10 (REWIS RS 2010, 4)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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