Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.09.2015, Az. XII ZB 138/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 5988

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 138/15

vom

2. September
2015

in der Unterbringungssache

Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG § 62 Abs. 1
Der Anspruch auf ein faires Verfahren gebietet es, einen anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen eines zivilrechtlichen Unterbringungsverfahrens im Fall der Erledigung der Hauptsache auf die Möglichkeit hinzuweisen, seinen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der [X.] umzustellen (im [X.] an Se-natsbeschluss vom 15.
September 2010 -
XII
[X.]
383/10 -
FamRZ 2010, 1726).

BGH, Beschluss vom 2. September 2015 -
XII [X.] 138/15 -
LG Hannover

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am
2. September
2015
durch den
Vorsitzenden
Richter
Dose
und die Richter Dr.
Klinkhammer, Dr.
Nedden-Boeger, Dr.
Botur
und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 6.
März
2015 sowie der Beschluss der 9.
Zivilkammer des [X.] vom 26.
März 2015
die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Die in der [X.] entstandenen außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:
I.
Die im Jahre 1943 geborene Betroffene leidet an einer wahnhaften Stö-rung. Sie steht seit November
2014 unter Betreuung, ihre vorläufige Unterbrin-gung war bis zum 27.
Februar 2015 genehmigt. Diese Genehmigung verlänger-te das Amtsgericht zunächst bis längstens zum 6.
März 2015, was Gegenstand des Parallelverfahrens XII
[X.]
114/15 vor dem Senat ist.
Mit Beschluss vom 6.
März
2015 hat das Amtsgericht auf entsprechen-den Antrag der Betreuerin die weitere Unterbringung bis längstens zum 16.
März 2015 genehmigt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Land-1
2
-
3
-
gericht
mit Beschluss vom 26.
März 2015
zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbe-schwerde begehrt die Betroffene die Feststellung, dass sie durch diese beiden Entscheidungen
in ihren Rechten verletzt worden ist.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß §
70
Abs.
3 Satz
1 Nr.
2, Satz
2 FamFG -
und da keine einstweilige
Anordnung im Sinne von §
70 Abs.
4 FamFG vorliegt -
statthaft. Sie ist auch begründet, weil die Ent-scheidungen von Amts-
und [X.] die Betroffene in ihren Rechten ver-letzt haben. Dies ist nach der in der [X.] entsprechend anwendbaren Vorschrift des §
62 Abs.
1 FamFG (Senatsbeschluss vom 29.
Januar 2014 -
XII
[X.]
330/13
-
FamRZ 2014, 649 Rn.
8
mwN) festzustellen.
1. Die Genehmigung einer Unterbringung nach §
1906 Abs.
2 Satz
1 BGB setzt das Bestehen einer qualifizierten Gefährdungslage voraus. Es muss die Gefahr bestehen, dass der Betroffene sich selbst tötet oder erheblichen ge-sundheitlichen Schaden zufügt (§
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB)
oder
ein erheblicher gesundheitlicher Schaden
droht

1906 Abs.
1 Nr.
2 BGB). Der Tatrichter hat hierzu die erforderlichen Feststellungen zu treffen.
2. Dem werden die Entscheidungen von Amts-
und [X.] nicht ge-recht.
a) Dem amtsgerichtlichen Beschluss, der sich in seinen Gründen im [X.] auf die Wiedergabe des Gesetzestextes beschränkt, lassen sich [X.] Umstände entnehmen, die die Annahme der eine Unterbringung rechtfer-tigenden Gefährdung zulassen. Das [X.] führt aus, es bestünden "[X.] Anhaltspunkte, dass die Heilbehandlung zur Abwendung eines drohen-3
4
5
6
-
4
-
den erheblichen gesundheitlichen Schadens erforderlich"
sei. Damit wird nicht die notwendige Gefährdungssituation, sondern lediglich deren Möglichkeit fest-gestellt.
b) Auch die weiteren landgerichtlichen Erwägungen erlauben nicht den Schluss auf das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen.
Dies gilt, soweit das [X.] im Rahmen seiner Ausführungen zu §
1906 Abs.
1 Nr.
2 BGB auf eine bereits seit Anordnung der Betreuung beste-hende Beinverletzung abstellt, die untersucht werden müsse und zudem schon antibiotisch behandelt worden sei. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, bleibt gänzlich unklar, welches der ohne Untersuchung drohende (weitere) Schaden
sein soll. Hinzu kommt, dass sich den [X.] zum einen nicht nachvollziehbar entnehmen lässt, inwiefern diese Untersuchung nur im Rahmen einer Unterbringung durchgeführt werden kann. Zum anderen verhält sich die Beschwerdeentscheidung auch nicht
dazu, ob zu erwarten steht, dass die Betroffene einer derartigen ärztlichen Maßnahme nicht widerspricht. Inso-weit musste sich angesichts des Umstands, dass sie vor der verfahrensgegen-ständlichen Unterbringungsgenehmigung bereits sieben Wochen geschlossen untergebracht war, ohne dass die Untersuchung vorgenommen werden konnte, die Notwendigkeit entsprechender Feststellungen aufdrängen. Dies gilt umso mehr, als das [X.] schon bei der ersten Verlängerungsentscheidung tragend auf die Untersuchung des Beins abgestellt hatte, zu der es jedoch [X.] nicht gekommen war.
Soweit das [X.] die psychische Erkrankung der Betroffenen und den entsprechenden Behandlungsbedarf anführt, erschließt sich nicht, welche rechtlichen Folgerungen sich hieraus ergeben sollen. Jedenfalls hat das Land-gericht daraus -
im Ergebnis zu Recht
-
nicht den Unterbringungsgrund des 7
8
9
-
5
-
§
1906 Abs.
1 Nr.
2 BGB abgeleitet. Denn nach den [X.] hat die Betroffene offensichtlich eine medikamentöse Behandlung verweigert, so dass die Genehmigung der Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung ge-mäß §
1906 Abs.
1 Nr.
2 BGB nur dann zulässig gewesen wäre, wenn die Vo-raussetzungen für die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vorgele-gen hätten und diese rechtswirksam genehmigt worden wäre (Senatsbeschluss vom 30.
Juli 2014 -
XII
[X.]
169/14
-
FamRZ 2014, 1694 Rn.
23).
Jedenfalls Letzteres war aber nicht der Fall.
Auf §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB hat das [X.] sich -
anders als das Amtsgericht, das die Selbstgefährdung als Unterbringungsgrund genannt hat -
nicht
gestützt, sondern allein mit einer Unterbringung zur Heilbehandlung [X.]. Im Übrigen würden die im Beschluss enthaltenen Feststellungen eine Unterbringung wegen Selbstgefährdung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 [X.] nicht tragen. Soweit in den [X.] erwähnt ist, die zuletzt ob-dachlose Betroffene habe sich "bei Einlieferung in einem körperlich verwahrlos-ten und unterernährten Zustand"
befunden, besagt dies nichts über eine beste-hende erhebliche Gesundheitsgefährdung, der nur mit einer Unterbringung
und nicht etwa auch im Rahmen ambulanter, gegebenenfalls durch die Berufsbe-treuerin zu organisierender Hilfen begegnet werden könnte. Die vom [X.] zitierte Aussage aus dem Sachverständigengutachten des Dr.
A. vom 17.
März 2015, ohne Unterbringung sei mit dem Abbruch eines jeden Aufent-halts durch die Betroffene und damit einhergehend -
gerade unter Berücksichti-gung ihres Allgemeinzustands
-
einer sofortigen erheblichen Selbstgefährdung zu rechnen, reicht nicht aus, um eine Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB begründen zu können.
3. Darüber hinaus rügt die Rechtsbeschwerde zutreffend als verfahrens-fehlerhaft, dass das [X.] den angefochtenen Beschluss des Amtsge-10
11
-
6
-
richts bestätigt hat, ohne die Betroffene
im Beschwerdeverfahren erneut anzu-hören.
Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz
2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten [X.] vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Das Beschwerdegericht hat aber -
wie auch das erstinstanzliche Gericht
-
die Gründe, aus denen es von einer Anhörung aus-nahmsweise absehen will, in den Entscheidungsgründen nachprüfbar darzule-gen
(Senatsbeschluss vom 26. Februar 2014 -
XII [X.] 503/13
-
FamRZ 2014, 828 Rn.
5
mwN).
An einer solchen Begründung fehlt es in der Beschwerdeentscheidung. Sie war auch nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich, weil aus den weiteren Entscheidungsgründen ersichtlich würde, dass das Beschwerdegericht in zu-lässiger Weise von einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen ab-sehen konnte (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 26.
Februar 2014
-
XII
[X.]
503/13 -
FamRZ 2014, 828 Rn.
5
mwN). Im Gegenteil: Das [X.] hat für seine Entscheidung mit dem Sachverständigengutachten vom 17.
März 2015 eine neue
Tatsachengrundlage herangezogen, die nach der amtsgerichtli-chen Anhörung und nach der eigenen Anhörung im Parallelverfahren vom 4.
März 2015 datiert, so dass eine erneute Anhörung der Betroffenen geboten gewesen wäre.
4. Die
Betroffene ist durch die Genehmigung der Unterbringung
in ihrem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt.
Eine Aufhebung und Zurückverweisung zur Nachholung der [X.] zum Vorliegen eines [X.] im Sinn von §
1906 Abs.
1 BGB
kommt nicht in Betracht. Der
Betroffenen ist die Verfahrensfortsetzung 12
13
14
15
-
7
-
nicht zumutbar. Denn eine solche würde sich nach Erledigung der Unterbrin-gung auf erstmalige nachprüfbare Feststellungen zu den materiell-rechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen
richten. Mithin ist davon auszugehen, dass die angefochtenen Entscheidungen auch inhaltlich auf den mangelhaften [X.]
(vgl. Senatsbeschluss vom 30.
Juli 2014 -
XII [X.] 169/14
-
FamRZ
2014, 1694 Rn.
28).
Einem Beruhen steht auch nicht entgegen, dass vorliegend die Erledi-gung durch Zeitablauf bereits zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung ein-getreten war, so dass die Betroffene schon im Beschwerdeverfahren einen [X.] nach §
62 Abs.
1 FamFG hätte stellen müssen, weil damit die Beschwerde mit dem Ziel der
Aufhebung der amtsgerichtlichen Genehmigungsentscheidung unzulässig geworden
war. Dass es an dem erforderlichen Feststellungsantrag in der zweiten Instanz fehlt, nimmt dem Zurückweisungsbeschluss des [X.]s aber hier nicht die Rechtswidrigkeit. Denn das [X.] hätte bei [X.] die anwaltlich nicht vertretene Betroffene auf die Mög-lichkeit hinweisen müssen, ihren Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der [X.] umzustellen. Dies gebietet der Anspruch der Be-troffenen auf ein faires Verfahren
([X.] OLGR 2006, 26; [X.]/[X.] FamFG 18.
Aufl. §
62 Rn.
10; [X.]/Weinreich/[X.] Fa-mFG 4.
Aufl. §
62 Rn.
18; vgl. auch Senatsbeschluss vom 15.
September 2010 -
XII
[X.]
383/10 -
FamRZ 2010, 1726 Rn.
30). Es ist davon auszugehen, dass sie bei einem entsprechenden Hinweis des Gerichts -
wie nunmehr im Verfah-ren der Rechtsbeschwerde
-
einen Antrag auf Rechtswidrigkeitsfeststellung ge-stellt hätte.
Das nach §
62 Abs.
1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der
Be-troffenen daran, die Rechtswidrigkeit der -
hier durch Zeitablauf erledigten
-
Ge-nehmigung
der
Unterbringung feststellen zu lassen, liegt vor. Eine
freiheitsent-16
17
-
8
-
ziehende Maßnahme bedeutet
stets einen schwerwiegenden Grundrechtsein-griff im Sinne
des §
62 Abs.
2 Nr.
1 FamFG (Senatsbeschluss vom 30.
Juli 2014 -
XII [X.] 169/14
-
FamRZ 2014, 1694 Rn. 29).
5. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß §
74 Abs.
7 FamFG abgesehen.
[X.]

Nedden-Boeger

Botur

Guhling

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 06.03.2015 -
663 XVII H 7046 -

LG Hannover, Entscheidung vom 26.03.2015 -
9 [X.] -

18

Meta

XII ZB 138/15

02.09.2015

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.09.2015, Az. XII ZB 138/15 (REWIS RS 2015, 5988)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5988

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 138/15 (Bundesgerichtshof)

Genehmigungsverfahren für die weitere Unterbringung eines Betreuten in einem psychiatrischen Krankenhaus: Hinweispflichten des Beschwerdegerichts gegenüber …


XII ZB 114/15 (Bundesgerichtshof)

Rechtliche Betreuung: Voraussetzungen für die gerichtliche Genehmigung einer Unterbringung des Betreuten


XII ZB 114/15 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 342/16 (Bundesgerichtshof)

Unterbringungssache: Voraussetzungen der betreuungsgerichtlichen Genehmigung einer zivilrechtlichen Unterbringung; Genehmigung einer Unterbringung zur Heilbehandlung


XII ZB 342/16 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

XII ZB 138/15

XII ZB 503/13

XII ZB 169/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.