Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.06.2018, Az. VII R 4/17

7. Senat | REWIS RS 2018, 7928

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Gegenstand

Entziehung vorübergehend verwahrter Waren aus der zollamtlichen Überwachung


Leitsatz

NV: Werden vorübergehend verwahrte Waren auf dem Weg zum Zollamt der zollamtlichen Überwachung entzogen, wird Zollschuldner nach Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4 ZK diejenige Person, auf die infolge eines zuvor bewilligten Besitzwechsels die Vorführpflicht übergegangen ist.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 8. Dezember 2016  4 K 31/14 (2) wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat das Hauptzollamt zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) verschiffte drei Kfz aus den [[X.].] in die [[X.].], meldete diese am 18. und 22. März 2010 an und verbrachte sie in ihr Verwahrungslager. Die Empfängerin der Kfz --ein in der [[X.].] ansässiges [[X.].] beauftragte die [[X.].] mit der zolltechnischen Abwicklung und dem Transport der Kfz in die [[X.].], die ihrerseits die [[X.].] mit der Erstellung von [[X.].] zur Beförderung der Kfz im T1-Verfahren sowie die [[X.].] mit dem eigentlichen Transport der Kfz vom Verwahrungslager der Klägerin in die [[X.].] beauftragte. Der Fahrer der [[X.].] holte die Kfz bei der Klägerin ab, was das Zollamt [X.] zuvor telefonisch gestattet hatte. Der Fahrer gestellte die Kfz nicht erneut bei der Zollstelle, sondern transportierte sie direkt zur [[X.].] Grenze.

2

Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 28. April 2010 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --[X.]--) gegen die Klägerin Zoll und Einfuhrumsatzsteuer fest. Das Finanzgericht ([X.]) hob den Einfuhrabgabenbescheid auf. Es war der Auffassung, die Klägerin sei nicht Schuldnerin der Einfuhrabgaben geworden, weil die Verpflichtung zur Vorführung der Waren infolge der Übergabe der Kfz an den Fahrer auf diesen sowie die [[X.].] übergegangen sei.

3

Mit seiner Revision macht das [X.] geltend, das vom [X.] angeführte Urteil des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) [X.] und [X.] vom 15. September 2005 [X.]/04 ([X.]:C:2005:556, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2005, 406) sei auf den Streitfall nicht anwendbar, weil kein Verwahrerwechsel stattgefunden habe, sondern nur der tatsächliche Besitz an den Waren übergegangen sei. Art. 184 Abs. 2 der Zollkodex-Durchführungsverordnung ([X.]) betreffe nach der Rechtsänderung im [X.] nur noch die Pflichten beim erstmaligen Verbringen von Waren in das Zollgebiet der [X.]. Bereits mit dem Verlassen des Firmengeländes seien die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen worden, weil die Zollstelle dem Verlassen des [X.] nur unter der Bedingung einer Beförderung zum Zollamt zugestimmt habe.

Entscheidungsgründe

II.

4

Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[[X.].]O--). Das erstinstanzliche Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 [[X.].]O). Das [[X.].] hat den Einfuhrabgabenbescheid vom 28. April 2010 zu Recht aufgehoben, weil die Klägerin nicht Schuldnerin der infolge des Entziehens der Kfz aus der zollamtlichen Überwachung entstandenen Einfuhrabgaben geworden ist.

5

1. Nach der Rechtsprechung des [[X.].] umfasst das Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung nach Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex (ZK) jede Handlung oder Unterlassung, die dazu führt, dass die zuständige Zollbehörde, wenn auch nur zeitweise, am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und an der Durchführung der in Art. 37 Abs. 1 ZK vorgesehenen Prüfungen gehindert wird (vgl. [[X.].]-Urteile Honeywell Aerospace vom 20. Januar 2005 [[X.].]/03, [[X.].]:[[X.].], Rz 19, [[X.].] 2005, 84, und [[X.].] vom 22. November 2017 [[X.].]/16, [[X.].]:[[X.].], Rz 93, [[X.].] 2018, 61).

6

Vorliegend befanden sich die Kfz gemäß Art. 55 ZK i.V.m. Art. 50 ZK in vorübergehender Verwahrung und damit gemäß Art. 37 Abs. 2 ZK unter zollamtlicher Überwachung. Sie wurden in dem Zeitpunkt der zollamtlichen Überwachung entzogen (Art. 203 Abs. 2 ZK), als der Fahrer entgegen der telefonischen Absprache mit dem Zollamt [X.] den Weg zur Zollstelle verlassen hat, ohne die Waren dort zur Eröffnung eines Versandverfahrens nach Art. 91 Abs. 1 Buchst. a ZK zu gestellen. Ab diesem Moment waren die Zollbehörden nicht mehr über den Verbleib der Kfz informiert.

7

Die Kfz wurden nicht bereits mit deren Herausgabe an den Fahrer der [X.] entzogen. Das [[X.].] hat zutreffend darauf abgestellt, dass das zuständige Zollamt den Ortswechsel telefonisch gestattet hatte und diesem somit bekannt war, dass sich die Kfz auf dem Weg zur zollrechtlichen Abfertigung befanden (vgl. auch Senatsbeschluss vom 29. Oktober 2007 VII B 352/06, [X.], 629, m.w.N.).

8

2. Die Klägerin ist nicht gemäß Art. 203 Abs. 3 ZK Schuldnerin der Einfuhrabgaben geworden.

9

a) Eine Schuldnerschaft der Klägerin gemäß Art. 203 Abs. 3 Anstrich 1 ZK scheidet aus, weil der Fahrer der [X.] Zollamt [X.] vorbeigefahren und die Kfz dadurch der zollamtlichen Überwachung entzogen hat.

b) Die Klägerin ist auch nicht nach Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4 ZK Abgabenschuldner geworden.

aa) Danach kommt als Schuldner gegebenenfalls die Person in Betracht, welche die Verpflichtungen einzuhalten hatte, die sich aus der vorübergehenden Verwahrung einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware ergeben. Nach der Rechtsprechung des [[X.].] betrifft Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4 ZK nur die Verpflichtungen, die mit dem Verbleib der Waren in vorübergehender Verwahrung zusammenhängen ([[X.].]-Urteil [X.] und [X.], [[X.].]:C:2005:556, Rz 38, [[X.].] 2005, 406). Dazu gehört die Verpflichtung, die Ware auf Verlangen der Zollbehörden diesen jederzeit vorzuführen. Welche Person die Vorführpflicht zu erfüllen hat, ergibt sich im Einzelnen aus Art. 184 [X.]. Solange die Waren noch nicht vom Beförderungsmittel abgeladen wurden, trifft diese Pflicht nach Art. 184 Abs. 1 [X.] die Person, die die summarische Anmeldung abgegeben hat. Art. 184 Abs. 2 [X.] bestimmt demgegenüber, dass die Verpflichtung, die Waren den Zollbehörden auf Verlangen vollständig vorzuführen, nach dem Abladen der Waren auf jede Person übergeht, die diese zwecks Beförderung oder Lagerung im Besitz hat.

Haben die Waren demnach das Beförderungsmittel verlassen, kommt es für die Bestimmung der zur Vorführung verpflichteten Person maßgeblich auf den Besitz der Waren an. Denn es ist der Besitzer, der die Waren in seiner Obhut hat und sie auf Verlangen vorführen kann, während die Person, die die summarische Anmeldung unterzeichnet hat, zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Sachherrschaft über die Waren ausübt ([[X.].]-Urteil [X.] und [X.], [[X.].]:C:2005:556, Rz 35, [[X.].] 2005, 406; bestätigt durch [[X.].]-Urteil [X.] Zollagentur vom 12. Juni 2014 [X.]/13, [[X.].]:C:2014:1759, Rz 36, [[X.].] 2014, 278; vgl. auch Senatsbeschluss vom 6. Mai 2013 VII B 195/12, [X.], 1462). Demnach ist entscheidend, wer die Möglichkeit hat, tatsächlich auf die Ware einzuwirken und den Zollbehörden den Zugang zu der vorübergehend verwahrten Ware zu verschaffen.

Davon ausgehend übte im Streitfall der Fahrer der [X.], gegebenenfalls dessen Arbeitgeber, in dem Zeitpunkt, in dem die Kfz der zollamtlichen Überwachung entzogen wurden, die Sachherrschaft über die Waren aus, weil er die Kfz beförderte. Dagegen hatte die Klägerin keinen unmittelbaren Zugriff mehr auf die Kfz.

Ob eine Besitzdienerschaft oder mittelbarer Besitz im Sinne des nationalen zivilrechtlichen Verständnisses (§ 855 bzw. § 868 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) ausreicht, um die vom [[X.].] bei der Auslegung des Art. 184 Abs. 2 [X.] für entscheidend gehaltene Sachherrschaft bejahen zu können, kann im Streitfall dahinstehen. Das [[X.].] hat weder ein Besitzmittlungsverhältnis noch mittelbaren Besitz der Klägerin festgestellt noch bestehen dafür Anhaltspunkte. Der Fahrer bzw. die [X.] wurden von der [X.] und diese wiederum von der [[X.].] Empfängerin mit dem Transport der Kfz in die [X.] beauftragt. Die Klägerin war dagegen nicht befugt, dem Fahrer Weisungen zu erteilen.

bb) Entgegen der Auffassung des [X.] ist Art. 184 Abs. 2 [X.] in der im Streitfall maßgeblichen Fassung nicht auf Fälle der erstmaligen Entladung nach der Ankunft des Beförderungsmittels im Zollgebiet beschränkt.

Zwar wurde Art. 184 [X.] nach der Änderung der [X.] mit Wirkung vom 1. Juli 2009 durch die Verordnung ([X.]) Nr. 1875/2006 der [X.] vom 18. Dezember 2006 zur Änderung der Verordnung ([X.]) Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung ([X.]) Nr. 2913/92 des [X.] ([X.] --ABl[[X.].]-- Nr. L 360/64) in Titel VI Kapitel 1 Abschnitt 2 mit Regelungen zur Abgabe einer summarischen Eingangsanmeldung verschoben.

Die streitgegenständlichen Einfuhren vom März 2010 fanden jedoch während der Übergangsfrist vom 1. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2010 statt, in der nach der Verordnung ([X.]) Nr. 273/2009 der [X.] vom 2. April 2009 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung ([X.]) Nr. 2913/92 des [X.] zur Abweichung von einigen Vorschriften der Verordnung ([X.]) Nr. 2454/93 der [X.] --VO Nr. 273/2009-- (ABl[[X.].] Nr. L 91/14) die summarische Eingangsanmeldung noch nicht zwingend vorgeschrieben war. Wurde --wie im [X.] keine summarische Eingangsanmeldung abgegeben, galten gemäß Art. 1 Unterabs. 4 VO Nr. 273/2009 noch die bis zum 30. Juni 2009 anwendbaren Bestimmungen für in das Zollgebiet der [X.] verbrachte Waren. Somit gilt im Streitfall die Rechtslage, die auch der [[X.].] in seinem Urteil [X.] und [X.] ([[X.].]:C:2005:556, [[X.].] 2005, 406) zu beachten hatte.

Darüber hinaus verlagert Art. 184 Abs. 2 [X.] die Vorführpflicht ausdrücklich auf jede Person, die die Waren zwecks Beförderung oder Lagerung im Besitz hat. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift auf den ersten Besitzer der Waren nach deren Entladung vom Beförderungsmittel ist somit auch dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen.

Ob Art. 184 Abs. 2 [X.] nach dem Normverständnis des [X.] nach der Rechtsänderung zum 1. Juli 2009 überhaupt noch einen Anwendungsbereich hätte, weil eine Entladung der Ware erst nach der Ankunftsmeldung gemäß Art. 184g [X.] (und einer entsprechenden Zustimmung der Zollstelle gemäß Art. 46 Abs. 1 ZK) zulässig ist, aber diese Vorschrift chronologisch später in der [X.] eingeordnet ist, kann aufgrund der Geltung der alten Rechtslage im Streitfall offenbleiben.

3. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [[X.].]O.

Meta

VII R 4/17

12.06.2018

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG Bremen, 8. Dezember 2016, Az: 4 K 31/14 (2), Urteil

Art 203 ZK, Art 184 Abs 2 ZKDV, Art 203 EWGV 2913/92, Art 184 Abs 2 EWGV 2454/93, § 855 BGB, § 868 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.06.2018, Az. VII R 4/17 (REWIS RS 2018, 7928)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7928

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