Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.04.2012, Az. 4 StR 74/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6936

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4
StR 74/12

vom
25.
April
2012
in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs von [X.]

-
2
-
Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers
am 25.
April 2012
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 5.
September 2011 mit den [X.]

mit Ausnahme derjenigen zu den einzelnen sexuel-len Handlungen zum Nachteil der Geschädigten

aufge-hoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige [X.] des [X.] zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von [X.] in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jah-ren verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat im [X.]esentlichen Erfolg.
1
-
3
-
I.
1.
Das [X.] hat Folgendes festgestellt:
Der Angeklagte war vom [X.] bis zu seiner Suspendierung vom Dienst am
11.
März 2011 Sport-
und Erdkundelehrer an einer Realschule. [X.] bildete er für das [X.] seit dem Jahr 2002 im Rahmen eines zusätzlichen, von ihm im Einvernehmen mit Schulaufsicht und Schullei-tung eingerichteten freiwilligen [X.] Schüler und Schülerinnen ab der Klassenstufe
6 zu Schulsanitätern aus. Dabei handelte es sich um ein zusätzliches Angebot der Schule außerhalb des verpflichtend erteilten Unter-richts in Form einer Arbeitsgemeinschaft, weshalb eine Teilnahme daran ledig-lich ohne Benotung im Zeugnis vermerkt wurde. Der Angeklagte war ferner von 2003/2004 bis zum 31.
Dezember 2010 Leiter des [X.] ([X.]) in [X.].

. Die im Tatzeitraum (22.
Oktober
2010
bis
4.
März
2011) überwiegend 14 und zuletzt 15
Jahre alte Geschädigte besuchte die Realschule, an der der Angeklagte tätig war. Er war jedoch weder ihr Klas-senlehrer noch unterrichtete er sie, von [X.] in nicht näher festge-stelltem Umfang abgesehen, in einem bestimmten Fach. Seit dem [X.] nahm die Geschädigte an dem vom Angeklagten veranstalteten Schulsanitäts-dienst sowie

in ihrer Freizeit

an den von ihm geleiteten Gruppenstunden im [X.] in [X.].

teil.
Infolge der Trennung ihrer Mutter von ihrem Stiefvater, mit dem sie ein sehr enges Vertrauensverhältnis verbunden hatte, entwickelte die Geschädigte seit Februar 2009 eine massive Essstörung und magerte erheblich ab. Im [X.] 2010 aß sie fast nichts mehr und begann, sich durch [X.] selbst zu verletzen. Zwischen dem Angeklagten, der ihre schlechte Verfassung bemerkt 2
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-
4
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und ihr seine Hilfe angeboten hatte, und der Geschädigten, die sich daraufhin dem Angeklagten zuwandte und ihm rückhaltlos von ihren privaten Problemen berichtete, entstand in der Folgezeit eine enge persönliche Beziehung, in der es nach dem Austausch bloßer Zärtlichkeiten in der [X.] vom 22.
Oktober 2010 bis zum 4.
März 2011 zu den hier abgeurteilten sexuellen Handlungen kam. Der Angeklagte gab der Geschädigten in einem Fall einen Zungenkuss, veranlasste sie in drei Fällen dazu, bei ihm den Oralverkehr auszuführen und führte in acht Fällen den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr durch, in einem Fall zusätzlich den Analverkehr.
2.
Das [X.] hat angenommen, die Geschädigte sei dem Ange-klagten in dessen Eigenschaft als Lehrer zur Erziehung und zur Ausbildung im Sinne des §
174 Abs.
1 Nr.
1 StGB anvertraut gewesen, auch wenn er sie nicht selbst unterrichtet, sondern allenfalls Vertretungsstunden in ihrer Klasse gege-ben habe. Er habe sie außerdem im Rahmen des [X.], also aus Anlass einer schulischen Veranstaltung, ausgebildet und sei auch als Leiter einer Jugendgruppe beim [X.] ihr Ausbilder gewesen.
II.
Die Annahme eines Obhutsverhältnisses im Sinne des §
174 Abs.
1 Nr.
1 StGB wird von den bisherigen Feststellungen des [X.] nicht getragen.
1.
Im Ausgangspunkt zutreffend hat das [X.] angenommen, dass die berufliche Stellung des Angeklagten als Lehrer an der Schule, die die Ge-schädigte als Schülerin besuchte,
ein Obhutsverhältnis zu ihr unter bestimmten Voraussetzungen ebenso zu begründen vermag wie seine Tätigkeit als Veran-stalter der von der Geschädigten wahrgenommenen Arbeitsgemeinschaft 5
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5
-

oder als Leiter einer Jugendgruppe beim [X.], deren Mitglied die Geschädigte war. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ist Voraussetzung eines Obhutsverhältnisses im Sinne des §
174 Abs.
1 Nr.
1 StGB eine Beziehung zwischen Täter und Opfer, aus der sich für den Täter das Recht und die Pflicht ergibt, Erziehung, Ausbildung oder Lebensführung des [X.] und damit dessen geistig-sittliche Ent-wicklung zu überwachen und zu leiten (vgl. nur [X.], Beschluss
vom 31.
Januar 1967

1
StR
595/65, [X.]St 21, 196, 199
ff.; Senatsbeschluss vom 26.
Juni 2003

4
StR
159/03, [X.], 661). Ein die Anforderungen der [X.] setzt ein den persönlichen, allgemein mensch-lichen Bereich erfassendes Abhängigkeitsverhältnis des Jugendlichen zu dem jeweiligen Betreuer im Sinne einer Unter-
und Überordnung voraus ([X.], [X.] vom 21.
April 1995

3
StR
526/94, [X.]St 41, 137, 139). Es kann [X.] außer im schulischen Bereich auch in anderen, den Verhältnissen an einer Schule vergleichbaren Fällen vorliegen, etwa im Einzel-
oder im Mannschafts-sport ([X.], Urteil vom 3.
April 1962

5
StR
74/62, [X.]St 17, 191 [Fußball-trainer]; Senatsbeschluss vom 26.
Juni 2003 aaO [Tennistrainer]), ebenso in einem anderweitigen Ausbildungsverhältnis ([X.], Beschluss vom 31.
Januar 1967 aaO [Fahrlehrer]). Maßgebend sind indes in jedem Fall die konkreten, tat-sächlichen Verhältnisse ([X.], Urteil vom 30.
Oktober 1963

2
StR
357/63, [X.]St 19, 163, 166; Beschluss vom 31.
Januar 1967 aaO, S.
202; Senatsbe-schluss vom 26.
Juni 2003 aaO;
SS[X.]-StGB/[X.], §
174 Rn.
6). Mag sich daher die Obhutsbeziehung mit dem von der Strafvorschrift vorausgesetzten [X.] bei einem Lehrer im Verhältnis zu den von ihm als Klassen-
oder Fachlehrer unterrichteten Schülern von selbst verstehen, kann es bei Vorliegen anderer Fallgestaltungen genauerer Darlegung der erforderlichen Vorausset-zungen bedürfen. So liegt es hier.
-
6
-
2.
a)
Nach den Feststellungen des [X.] war der Angeklagte we-der Klassen-
noch Fachlehrer in der Klasse der Geschädigten, sondern erteilte lediglich Vertretungsunterricht. Danach versteht sich insoweit ein Obhutsver-hältnis nicht von selbst. Jedenfalls an größeren Schulen mit einem für den [X.] Schüler nur schwer überschaubaren Lehrerkollegium ergibt es sich nicht schon aus der bloßen Zugehörigkeit von Lehrern und Schülern zu derselben Schule, sondern regelmäßig erst mit der Zuweisung eines Schülers an einen bestimmten Lehrer, der dadurch die in §
174 Abs.
1 StGB vorausgesetzten Pflichten übernimmt (so [X.], Urteil vom 30.
Oktober 1963 aaO; anders für den Leiter einer Schule: [X.], Urteil vom 24.
November 1959

5
StR
518/59, [X.]St 13, 352, 355). [X.]elchen Umfang die Vertretungstätigkeit des Angeklag-ten in der Klasse der Geschädigten hatte, ergibt sich aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht.
b)
Zwar kann die Annahme eines Obhutsverhältnisses zwischen Lehrer und Schüler auch unabhängig von der eigentlichen Unterrichtserteilung entste-hen, etwa bei [X.] oder im Rahmen besonderer Veranstaltungen der Schule, zu denen auch die Durchführung einer von den Schulbehörden ge-nehmigten, nicht zum regulären Unterricht zählenden Arbeitsgemeinschaft zählt. Ob die Ausrichtung des [X.] unter der persönlichen [X.] die Voraussetzungen einer
solchen Obhutsbeziehung erfüllt, ist jedoch ebenfalls nicht ausreichend dargetan. Zwar steht dem die Freiwilligkeit der Teilnahme an dieser Veranstaltung nicht entgegen ([X.],
Urteil vom 3.
April 1962

5
StR
74/62, [X.]St 17, 191, 193). Gleichwohl fehlt es an näheren Feststellungen zur Häufigkeit der Durchführung und dazu, ob der Angeklagte diese Arbeitsgemeinschaft auch noch nach seinem Ausscheiden aus dem [X.] mit Ablauf des 31.
Dezember 2010 fortführte.
8
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-
7
-
Insoweit begegnet es auch durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn die [X.] die Tätigkeit des Angeklagten als Leiter einer Gruppe im [X.],
der auch die Geschädigte angehörte,
zur Begründung des Obhutsver-hältnisses herangezogen hat.
[X.]ie bereits erwähnt, beendete der Angeklagte diese Tätigkeit mit Ende des Jahres 2010; jedenfalls die Taten in den Fäl-len
II.
6 bis II.
12 der Urteilsgründe, die die [X.] zeitlich nach dem
ersten Geschlechtsverkehr (baren
Donnerstag reigneten sich demnach in
einem [X.]raum, in dem der Angeklagte beim [X.] nicht mehr tätig war. Ein

174 Abs.
1 Nr.
1 StGB nicht (Senatsbeschluss vom 26.
Juni 2003

4
StR
159/03, [X.], 661).
III.
Die Aufhebung des angefochtenen Urteils erfasst die zugehörigen Fest-stellungen mit Ausnahme derjenigen, die das [X.] zu den konkreten sexuellen Handlungen getroffen hat. Diese werden von dem Rechtsfehler nicht
10
11
-
8
-
berührt und können daher aufrecht erhalten bleiben. Der neue Tatrichter kann insoweit ergänzende Feststellungen treffen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.
Ernemann
Roggenbuck
Franke

Mutzbauer
Quentin

Meta

4 StR 74/12

25.04.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.04.2012, Az. 4 StR 74/12 (REWIS RS 2012, 6936)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6936

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