Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.04.2012, Az. 5 StR 95/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 7032

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5 [X.]/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 24. April 2012
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Mordes u.a.

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Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 24. April 2012
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil
des Land-gerichts [X.] vom 23. Juni 2011 gemäß § 349 Abs. 4 [X.]

a)
im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der An-geklagte des zweifachen versuchten Totschlags in [X.] mit zweifacher gefährlicher Körperverletzung und mit schwerer Körperverletzung sowie der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist,

b)
im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Fest-stellungen aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 [X.] als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zu-rückverwiesen.

G r ü n d e

Tateinheit mit versuchtem
Totschlag, schwerer Körperverletzung und gefähr-t-zung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und die in 1
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Mazedonien erlittene Freiheitsentziehung im Verhältnis 1 :
2 auf die verhäng-te Freiheitsstrafe angerechnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

1. Nach den Feststellungen des [X.] stach der zur Tatzeit

[X.], mit der ihn eine intime Beziehung verband, im Rahmen eines nächtlichen Streits [X.] in den [X.]. Als der sechsjährige [X.]
der Nebenklägerin aus
dem Schlaf erwachte und sofort in die Auseinandersetzung eingriff, stach darauf wandte sich der Angeklagte wieder der Nebenklägerin zu und stach auf sie ein. Die Nebenklägerin und ihr [X.] erlitten akut lebensbedrohliche Verletzungen; das Kind ist seit dem Angriff querschnittsgelähmt.

2. Die auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten führt zur Abänderung des Schuldspruchs. Die Würdigung des [X.], der Angeklagte habe bei dem Einstechen auf [X.]
heimtü-ckisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die Annahme des [X.] der Heimtücke setzt voraus, dass der Täter die von ihm erkannte Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom
4. Mai 2011

5 StR 65/11, [X.], 634 Rn. 9, vom 26. November 2011

3 [X.], Rn. 4, jeweils mwN). Dafür ist erforderlich, dass er die Um-stände, welche die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur in [X.] äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Be-deutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Wenn auch nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg-
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und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des [X.] ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das [X.] fehlte. Deshalb bedarf es in solchen Fällen in aller Regel der Darlegung von [X.] aus denen das Tatgericht folgert, dass der Täter trotz seiner Erregung die für die Heimtücke maßgebenden Gesichtspunkte in sein Be-wusstsein aufgenommen hat ([X.] aaO).

b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen an eine umfassende Beweiswürdigung genügen die Urteilsgründe nicht. Dabei kann dahinstehen, ob das Kind im Zeitpunkt des Angriffs überhaupt arglos war. Das [X.] kehrt bei der Prüfung des [X.]s die oben dargelegte [X.] gleichsam um, indem es angesichts der Erregung und Al-koholisierung des Angeklagten und der Spontanität seiner ohne feststellba-res Motiv begangenen Tat zusätzlich positive Anzeichen dafür verlangt, dass er die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände nicht in sein Bewusstsein aufgenommen habe. Es setzt sich dabei auch nicht mit der über eine bloße Spontanität hinausgehenden irrationalen Reflexartigkeit der Reaktion des Angeklagten auf das gegen ihn gerichtete Verhalten des Kindes auseinan-der: Die Tat erfolgte entsprechend den Feststellungen aufgrund eines vom vorgestellten [X.] abweichenden, innerhalb weniger Augenblicke gefass-ten und sofort umgesetzten Entschlusses gegen ein Opfer, das an der vo-rausgegangenen Auseinandersetzung nicht beteiligt war und für das der An-geklagte in der Vergangenheit im Rahmen seines Zusammenlebens mit der Nebenklägerin Verantwortung übernommen hatte. Angesichts dessen spricht nichts dafür, dass der Angeklagte die etwa gegebene Arglosigkeit des Kindes bewusst ausnutzte, um einen tödlichen Angriff zu führen. Das festgestellte rasche Verbergen des Messers vor dem aufwachenden Kind ist vom [X.] zu Recht nicht bei der Feststellung des [X.]s ver-wertet worden; es war naheliegend nicht davon motiviert, das Kind in [X.] zu wiegen, um diese für einen tödlichen Angriff auszunutzen.
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3. Der [X.] ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Er schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden könnten, die das Tatbestandsmerkmal der Heimtücke
oder andere Mord-merkmale tragen würden, wie sie das [X.] bislang rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat. Von dem zum Tatzeitpunkt erst sechsjährigen, durch die Tat schwer verletzten Nebenkläger ist keine weitere Aufklärung des [X.] [X.] zurückliegenden Tatgeschehens zu erwarten. Dasselbe gilt, nicht zuletzt angesichts ihres psychischen Zustands im Zeitpunkt der Hauptverhandlung, auch für die Nebenklägerin. Der Angeklagte selbst hat sich dahingehend eingelassen, sich an das eigentliche Tatgeschehen nicht erinnern zu können. Weitere Beweismittel sind nicht ersichtlich.

4. Die Änderung des Schuldspruchs hat

ungeachtet des gleichwohl außerordentlich schweren Gewichts der Tat

die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs zur Folge. Der [X.] gibt dem neuen Tatgericht damit die Möglichkeit einer erneuten umfassenden Überprüfung der Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht (§ 105 JGG) auf die Taten des heranwachsenden [X.]. In diesem Zusammenhang weist er auf Folgendes hin: Das Land-gericht hat sich

was der [X.] aufgrund einer entsprechenden zulässigen Aufklärungsrüge zu überprüfen hatte

bei der Feststellung der Reife des Angeklagten nicht mit dem der Beurteilung durch den Sachverständigen in der Hauptverhandlung entgegenstehenden schriftlich erstellten Gutachten vom 12. Oktober 2010 desselben Sachverständigen auseinandergesetzt; dies wäre indes erforderlich gewesen (vgl. [X.], Beschluss vom [X.] 1989

4 StR 630/89, [X.], 244). Auch die Frage uneingeschränk-ter Schuldfähigkeit bedarf erneuter tatgerichtlicher Überprüfung.

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5. Über den [X.] durfte das [X.] erst im Urteil entscheiden (vgl. [X.], [X.], 54. Aufl., § 244 Rn. 44a mwN).

Basdorf Raum Schaal

Schneider

Bellay

8

Meta

5 StR 95/12

24.04.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.04.2012, Az. 5 StR 95/12 (REWIS RS 2012, 7032)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7032

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5 StR 95/12

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