Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.08.2014, Az. 2 StR 605/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 3429

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

2
StR
605/13
vom
20. August
2014
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags
-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 20.
August
2014, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Appl
als Vorsitzender,

die [X.] am Bundesgerichtshof
Prof. [X.],
Prof. Dr. [X.],
[X.],
[X.],

Staatsanwalt
beim Bundesgerichtshof

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

der Nebenkläger H.

S.

,

Rechtsanwalt

als Vertreter des Nebenklägers H.

S.

,
Rechtsanwältin

als Vertreterin der Nebenklägerin A.

S.

,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht
erkannt:
-
3
-
Die Revisionen der Nebenkläger gegen
das Urteil des Landge-richts Marburg
vom 26. August
2013 werden verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel
und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen [X.] zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer [X.] und sechs Monaten verurteilt und ausgesprochen, dass er ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro nebst Zinsen an die [X.] als Gesamtgläubiger zu zahlen habe. Hiergegen richten
sich die auf die Sachrüge gestützten
Revisionen
der Nebenkläger, die den [X.] vom Rechtsmittelangriff ausgenommen haben. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des [X.]s schuldete der Angeklagte dem später getöteten P.

S.

einen Geldbetrag, vertröstete diesen
aber
wiederholt. Am 19.
März 2013 hielt sich der Angeklagte bei [X.] auf und trank Bier und Jägermeister. Der nicht anwesende S.

teilte dem
Angeklagten über eine Internetplattform mit, dass er mit dessen
Freundin ge-schlafen habe, was zu wechselseitigen Beleidigungen führte.
Die [X.] mündete in der Abrede, "dass ein Faustkampf Mann gegen 1
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4
-
Mann um 22.10 Uhr am Spielplatz in N.

stattfinden sollte".

Kurz vor dem Aufbruch zum "Duell" schrieb der Angeklagte seiner Freundin r-tete, "dass er es lassen soll und sie nicht mit P.

S.

geschlafen ha-

Gemeinsame Bekannte wollten als Zuschauer dem Geschehen beiwoh-nen, bei dem es sich aus ihrer Sicht um einen Kampf ohne Waffen handeln sollte. P.

S.

war größer als der Angeklagte und trainierte "Muay-
Thai-Boxen". Der Angeklagte hatte Angst vor seinem Gegner, was aber seinen Entschluss zum Kampf nicht hinderte. Beim Verlassen der Wohnung steckte er ein Klappmesser mit einhändig feststellbarer Klinge ein. Einer seiner Freunde beobachtete dies und forderte ihn auf, das Messer zurückzulassen, kümmerte sich im Folgenden aber nicht mehr darum. Als der Angeklagte gegen 22.07
Uhr am Spielplatz eintraf, wollte er sich auch mit einem Plastikrohr bewaffnen, was ihm von einem Begleiter mit der Bemerkung, es solle ein fairer Kampf stattfin-den, verwehrt wurde.
Während des nun folgenden Kampfgeschehens versetzte S.

zu-
erst dem Angeklagten Faustschläge ins Gesicht und einen Tritt gegen den Oberkörper. "Der Angeklagte wehrte sich, indem er mit gleichsam rudernden Fäusten auf P.

S.

losging". Dabei hielt er das Messer in seiner
Hand, jedoch so, dass nur drei bis vier Zentimeter der Klinge herausragten. Seine Schlagbewegungen wurden von dem Geschädigten pariert, der sich [X.] -
von ihm selbst unbemerkt
-
leichte Schnittverletzungen am Unterarm zu-zog.
Aufgrund der Kampfhandlungen fiel der Angeklagte rückwärts zu Boden, worauf der Geschädigte einige Schritte zurücktrat und die Reaktion des Ange-klagten abwartete. Dieser war erregt und wütend. Aufgrund einer Persönlich-keitsstörung und leichter Alkoholisierung sowie Drogeneinwirkung stand er un-3
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5
-
5
-
ter besonderer Anspannung. Er sprang sofort wieder auf und ging zum Angriff über. Dabei holte er
seitlich aus und führte das Messer in der rechten Hand. Er wollte sich für den raschen Niederschlag rächen und den Platz nicht als [X.] verlassen. Mit einer sichelförmigen Bewegung stach er dem Geschädigten in den Bauch und sofort anschließend in die
linke Seite des Brustkorbs. Dabei traf er die Herzkammer, was alsbald zum Tode führte. Dem Angeklagten war bei Ausführung der Stiche bewusst, dass er seinen Gegner tödlich treffen [X.], womit er sich aber abfand.
2. Das [X.] hat die Handlung nur als Totschlag und nicht als Mord im Sinne von §
211 Abs.
2 StGB bewertet.
Heimtücke sei nicht anzunehmen. Zwar sei der Getötete, der nur mit ei-nem Faustkampf gerechnet habe, zurzeit der Stiche arg-
und wehrlos gewesen. Aufgrund starker Wut-
und Rachegefühle, seiner Persönlichkeitsstörung sowie seiner Alkoholisierung habe der Angeklagte aber nicht mit dem Bewusstsein der Ausnutzung der [X.]igkeit des Opfers gehandelt.
Im Übrigen sei bereits objektiv nicht notwendig von einem Handeln des Angeklagten aus niedrigen Beweggründen auszugehen; jedenfalls habe ihm zur Tatzeit die Fähigkeit der Beherrschung solcher Beweggründe gefehlt.
II.
Die Revisionen
der Nebenkläger, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes erstreben, sind unbegründet.
1. Die
Verneinung von Heimtücke ist rechtsfehlerfrei.
a) Dabei kann offen bleiben, ob das [X.] den objektiven Tatbe-stand des [X.] der Heimtücke zu Recht bejaht hat.

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Heimtücke ist gegeben, wenn der Täter die Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Ausführung des tödlichen Angriffs ausnutzt. [X.] ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff
rechnet (st. Rspr.;
vgl. nur [X.], Beschluss vom 29.
April 2014 -
3
StR 21/14 mwN). Hat das Opfer in der [X.] mit ernst-haften Angriffen auf seine körperliche Unversehrtheit
gerechnet, scheidet Arg-losigkeit im Allgemeinen aus (vgl. [X.], Beschluss vom 9. April 2002 -
5
StR 5/02, [X.], 233, 234). Ob die [X.]igkeit auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Kontrahenten ausdrücklich oder zumindest konkludent einen Faustkampf ohne Waffen verabredet haben, aber der Täter abredewidrig und überraschend mit Tötungsvorsatz eine Waffe einsetzt (vgl. [X.] NStZ 2011, 66
f.; NK/[X.], StGB, 4.
Aufl., §
211 Rn.
60; [X.]/
Safferling, StGB, 2013, §
211 Rn.
42), muss der [X.] nicht entscheiden, weil das [X.] jedenfalls ohne Rechtsfehler das Bewusstsein des Angeklag-ten zur Ausnutzung von Arg-
und Wehrlosigkeit des Geschädigten gegenüber dem auf sein Leben zielenden Angriff ausgeschlossen hat.
b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist nämlich auch, dass der Täter die von ihm erkannte Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers [X.] zur Tatbegehung ausnutzt (vgl. [X.], Beschluss vom 2.
Dezember 1957 -
GSSt 3/57, [X.]St 11, 139, 144; Urteil vom 11.
Dezember 2012

-
5
StR
438/12, [X.], 232, 233). Er muss die Lage nicht nur in einer [X.] Weise wahrgenommen, sondern in ihrer Bedeutung für die Tatbege-hung erfasst haben und ihm muss bewusst gewesen sein, einen durch [X.] gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. [X.], Urteil vom 29. April 2009 -
2 [X.], [X.], 569, 570); das kann allerdings "mit einem Blick" geschehen ([X.], Urteil vom 8.
Oktober 1969
-
3
StR 90/69, [X.]St 23, 119, 121).
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Dabei kann die Spontanität des [X.]es im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des [X.] ein [X.] dafür sein, dass ihm das [X.] fehlte. Ande-rerseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers
für die
Tat zu erkennen (vgl. [X.], Urteil vom 11.
Juni 2014 -
2
StR 117/14); dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage ([X.], Urteil vom 11. [X.] -
5 StR 438/12, [X.], 232, 233 mwN). Insoweit können auch psychische Ausnahmezustände unterhalb der Schwelle des §
21 StGB der Annahme des [X.]s entgegenstehen (vgl. [X.], Urteil vom 12.
Juni 2014 -
3
StR 154/14 mwN).
Das [X.] ist hinsichtlich der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung von einer "Augenblickstat" ausgegangen. Es hat die starken Wut-
und Rachegefühle des Angeklagten berücksichtigt, die "in ihm hochgekommen" sind, als er vom Geschädigten zu Boden geschlagen wurde; seine Persönlich-keitsstörung vom emotional-instabilen Typ hat die Anspannung
verstärkt und die Alkoholisierung ist als enthemmender Faktor hinzugekommen. Zwar [X.] jeder dieser Faktoren für sich genommen nicht notwendigerweise [X.], das [X.] des Angeklagten hinsichtlich der Arglo-sigkeit des Geschädigten gegenüber einem tödlichen Angriff auszuschließen. Das [X.] hat die Umstände aber in ihrem Zusammenwirken bewertet. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
c) Auch die Beweiswürdigung des [X.]s ist rechtsfehlerfrei.
Die Ankündigung des Angeklagten gegenüber seiner Freundin: "[X.] [X.]", liefert keinen aussagekräftigen Hinweis darauf, dass er voraus-geplant hatte, den Gegner beim Kampf zu erstechen. Dass der tödliche [X.] erst erfolgte, nachdem der Angeklagte niedergeschlagen worden war, spricht ebenso gegen eine vorausgeplante Tat, wie die Feststellung, dass 13
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8
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er beim Eintreffen am Kampfplatz ein Plastikrohr mitnehmen wollte, das ihm zwar einen Vorteil verschafft hätte, zu einer -
zudem heimlichen
-
Tötung [X.] eher ungeeignet war. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Land-gerichts, der [X.] zu einem mit Tötungsvorsatz geführten Messeran-griff sei erst während des Kampfes gefasst worden, rechtlich nicht zu bean-standen.
2. Ein Handeln des Angeklagten aus
niedrigen Beweggründen hat das [X.] ebenfalls rechtsfehlerfrei verneint.
Bei Motiven wie Wut und Erregung kommt es darauf an, ob diese Ge-fühlsregungen jedes nachvollziehbaren Grundes entbehren und das Hand-lungsmotiv wegen eines krassen Missverhältnisses zum Anlass in deutlich [X.] reichendem Maß als bei einem Totschlag verachtenswert erscheint (vgl. [X.], Beschluss vom 30.
Juli 2013 -
2
StR 5/13, [X.], 709, 710). Dies ist mit Blick auf die Provokation des Angeklagten durch den Getöteten vor dem Kampf und die Reaktion des Angeklagten auf die Wirkung der Schläge und Trit-te des Geschädigten bereits zweifelhaft.
Jedenfalls hat das [X.] die subjektive Seite des [X.] rechtsfehlerfrei
verneint. So muss zur objektiven Bewertung der Handlungsan-triebe als "niedrige Beweggründe" hinzukommen, dass sich der Täter bei der Begehung der Tat auch
der Umstände bewusst ist, die seine Beweggründe für die Rechtsgemeinschaft als niedrig erscheinen lassen (vgl. [X.], Urteil vom 19.
Oktober 2001 -
2 [X.], [X.]St 47, 128, 133). Er muss diese Beweg-gründe gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern können (vgl. [X.], Urteil vom 1.
März 2012 -
3
StR 425/11, [X.], 691, 692). Das kann bei einer affektiven Anspannung auch aufgrund einer Persönlichkeitsstörung aus-geschlossen sein (vgl. [X.], Beschluss vom 17.
April 2007 -
5
StR 548/06, 17
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9
-
NStZ 2007, 525), erst recht, wenn weitere Faktoren, wie eine Alkoholisierung, hinzukommen. Die entsprechende Würdigung der hier relevanten Umstände hat das [X.] rechtsfehlerfrei vorgenommen.
[X.][X.]

Eschelbach [X.]

Meta

2 StR 605/13

20.08.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.08.2014, Az. 2 StR 605/13 (REWIS RS 2014, 3429)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3429

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