Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2011, Az. 4 StR 362/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 2979

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 362/11

vom
27. September
2011
in der Strafsache
gegen

wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.

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Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung
des Generalbun-desanwalts und des Beschwerdeführers am
27. September
2011
gemäß §
349 Abs.
4
StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. Februar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:

Der Angeklagte war durch Urteil des [X.] vom 19. Mai 2008 we-gen schwerer räuberischer Erpressung und wegen versuchter schwerer räube-rischer
Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Das [X.] hatte ferner die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung mit der Maßgabe angeordnet, dass zunächst die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu voll-ziehen sei. Auf die mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begrün-dete Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 28. April 2009 im gesamten [X.] mit den Feststellungen aufge-hoben, die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückver-wiesen und die weiter gehende Revision als unbegründet verworfen.
Das [X.] hat gegenüber dem Angeklagten nunmehr auf der Grundlage des in Rechtskraft erwachsenen
Schuld-
und Strafausspruchs die 1
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Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten; er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
1. Nach den bindend gewordenen Feststellungen zu den [X.] kamen der Angeklagte und der gesondert verfolgte Mittäter F.

unmittel-bar nach Verbüßung der Strafe aus dem Urteil vom 23. Januar 2002
im Februar 2007 überein, durch Überfälle auf Geschäfte Bargeld zu erlangen. In [X.] betrat der Angeklagte am 9. März 2007, einem Freitag, mit Sonnenbrille und Kapuze maskiert das Ladengeschäft der [X.]

, die dort u.a. eine Lottoannahmestelle betrieb, in deren Kasse die Täter
an diesem Tag einen hohen Geldbetrag vermuteten. F.

wartete währenddessen abfahrbereit in einem Fahrzeug in der Nähe. Da die [X.] die Forderung des Angeklagten nach Herausgabe des Geldes zunächst nicht ernst nahm, zog dieser eine ungeladene Schreckschusspistole hervor, richtete sie auf die Geschädigte und täuschte ein [X.] vor. Die verängs-tigte Zeugin, die die Pistole für eine echte Schusswaffe hielt, begann zu [X.] und schubste den Angeklagten mehrfach in Richtung des Ausgangs vor sich her, wobei sie sich bei einem der kraftvollen Stöße einen Finger brach. Der von der Gegenwehr überraschte Angeklagte floh ohne Beute und entfernte sich gemeinsam mit dem gesondert verfolgten F.

in dem Fahrzeug vom Tat-ort. [X.] später fassten der Angeklagte und F.

den Plan zum Über-fall auf ein Bettengeschäft, da der Angeklagte von einer dort tätigen Auszubil-denden erfahren hatte, dass an einem bestimmten Tag ein Kunde wahrschein-lich einen [X.] in Höhe von 10.000

Während der geson-dert verfolgte F.

absprachegemäß in der Nähe in einem Pkw wartete, 3
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betrat der Angeklagte, der in seiner Kleidung erneut die ungeladene [X.] mit sich führte, den Geschäftsraum und forderte von dem dort beschäftigten Zeugen B.

die Herausgabe von Bargeld. Als dieser
erwi-derte, er habe nur wenig Geld in der Kasse, deutete der Angeklagte mit einer Handbewegung an, eine Waffe aus seiner Jacke hervorzuholen,
und äußerte: sse auf, ich will das sehen, oder soll ich erst meine Pistole B.

sah lediglich, dass der Angeklagte einen Ge-genstand in der Tasche mit sich führte, den er aber nicht identifizieren konnte. Eine weitere Zeugin sah den Griff der Pistole und hielt diese für echt. Nach [X.] legte der Zeuge B.

entsprechend der [X.] des Angeklagten alle Geldscheine auf einen Tresen. Der Angeklagte nahm das Geld, insgesamt etwa 1.150

Das [X.] hat Einzelstrafen von drei Jahren (Tat 1) und von vier Jahren sechs Monaten (Tat 2) verhängt.
2. Zur Vorbelastung des mehrfach und auch einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getretenen Angeklagten hat die Strafkammer u.a. folgendes fest-gestellt:
2001 wurde der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu [X.] Bewährungsstrafe verurteilt. Nach den damaligen Feststellungen
hatte er zum Jahreswechsel 1999/2000 mit einem fünfzig Zentimeter langen und zwei Zentimeter dicken Bambusstab aus nichtigem Anlass auf sein Opfer einge-schlagen, ihm [X.] ins Gesicht gesprüht und es mit einem einer Machete ähnlichen Messer bedroht. Ferner hatte er zwei Bekannte aufgefordert, sich mit Stahlkappen versehene Schuhe anzuziehen und auf das Opfer einzutreten, was diese auch getan hatten. Wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tatein-4
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heit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen wurde
der Ange-klagte am 23. Januar 2002 unter Einbeziehung der zuvor erwähnten [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Um sein Opfer zur Hergabe von Geld als Rückzahlung angeblicher Schulden zu veran-lassen, hatte er gemeinsam
mit Mittätern u.a. zunächst mehrfach mit einem me-tallenen Baseballschläger, dann mit einem solchen aus Holz, auf die Arme sei-nes
Opfers eingeschlagen. Als das Geräusch brechender Knochen zu hören gewesen war, hatte er dem Geschädigten nach entsprechender Ankündigung weitere kräftige Schläge auf dessen Beine versetzt. Sodann hatte er den Kopf seines knienden Opfers hochgerissen und diesem mit einem mitgebrachten Messer unvermittelt in eine Wange und die Stirn geschnitten. Nachdem der Ge-schädigte noch längere Zeit der Einwirkung des Angeklagten ausgesetzt [X.] war, war es ihm gelungen, von seiner Freundin 250

den Angeklagten weitergegeben hatte, der daraufhin von ihm abgelassen hatte. Das [X.] verhängte in diesem [X.] eine Einsatzstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten.
3. Das [X.] hat die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB bejaht und, insoweit durch einen Psychiater und ei-nen Psychologen sachverständig beraten,
auch die materiellen Voraussetzun-gen für die Anordnung als erfüllt angesehen.
Von dem Angeklagten seien wei-terhin schwerwiegende Straftaten zu erwarten. Soziale Kompetenzen seien bei ihm nicht ansatzweise ausgeprägt, weshalb er aggressive und wenig durch-dachte Konfliktlösungen bevorzuge, was auch die zahlreichen [X.] in der Strafhaft belegten. Mangels Fähigkeit zur Empathie
bagatellisiere er die Folgen seiner Taten für die Opfer. Nicht zuletzt wegen seiner Bereitschaft 7
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zur Gewalt habe er im [X.] Anerkennung erfahren und
ein Selbst-verständnis als Krimineller entwickelt, weshalb er sich in einem sozial akzeptier-ten Leben nicht bestätigt sehe. Ferner besitze er
ein übertriebenes Selbstwert-gefühl, seine Persönlichkeit weise narzisstische Züge
auf,
die
jedoch noch nicht die Schwere einer
antisozialen
bzw. dissozialen
Störung
angenommen hätten. Er nutze zwischenmenschliche Beziehungen zur Erlangung eigener Vorteile und gehe dabei hochmanipulativ vor. Die [X.] seien symptomatisch für seine verbrecherische Neigung, die Delinquenzentwicklung des Angeklagten sei gleichermaßen durch eine hohe Tatfrequenz und eine hohe Rückfallge-schwindigkeit gekennzeichnet. Es sei daher von einem eingeschliffenen Verhal-tensmuster auszugehen.
II.
Die
Begründung, mit der das [X.] einen Hang zu erheblichen Straftaten bejaht hat, hält
unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des [X.] ([X.], Urteil vom 4. Mai 2011

2 BvR 2365/09 u.a.; NJW 2011, 1931)
rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. muss die Gesamtwürdigung des [X.] und seiner Taten ergeben, dass er in-folge eines Hangs zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch [X.] die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder durch die schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Si-gleichwohl angeordnet werden soll. Die Anordnung wird
danach

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nur verhältnismäß-
oder Sexual-straftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Be-troffenen abzuleiten ist ([X.], Urteil vom 4. Mai 2011 aaO, [X.]. 172). Die da-rin liegende Einschränkung im Vergleich zu den nach bisherigem Recht gelten-den Voraussetzungen
für die Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft die
Straftatenkataloge
und die konkrete Beschreibung der Taten, auf die sich der [X.] (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch schwere Gewalt-

zur Weitergeltung von § 66 StGB ([X.], Beschluss vom 2. August 2011

3 [X.], [X.]. 12).
Ob die
vom [X.] geforderte besonders strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit dazu führt, hinsichtlich der Taten, de-ren künftige Begehung durch den Täter als möglich erscheint, bestimmte [X.] oder [X.] ohne Hinzutreten besonderer Umstände
generell als nicht ausreichend
für die Anordnung der Maßregel
anzusehen (dies bejahend
[X.], Urteil vom 7. Juli 2011

2 [X.], [X.]. 14, für Verstöße ge-gen das BtMG ohne konkrete Gefährdung von Leib oder Leben Dritter; vernei-nend [X.], Beschluss vom 4. August 2011

3 [X.], [X.]. 6, für schwere räuberische Erpressungen im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB), kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Die Anordnung der
Sicherungsverwahrung kann hier schon deshalb keinen Bestand haben, weil sich das [X.] bei der Beurteilung der Erheblichkeit der zu erwartenden Straftaten den Blick für die Besonderheiten des Falles verstellt hat.
Daher kann auch dahinstehen, ob hin-sichtlich des zweiten Elements der Gefährlichkeit, also
der Wahrscheinlichkeit der Begehung einer erheblichen Straftat, ebenfalls ein gegenüber der bisheri-gen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl.
[X.], Urteil vom -
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4. August 2011

3 [X.], [X.]. 18; Beschluss vom 4. August 2011

3 [X.], [X.]. 5).
2. Nach den getroffenen Feststellungen ließ sich der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe durch verhältnismäßig geringe Gegenwehr der [X.]

von der weiteren Tatausführung abhalten. Nachdem diese zu schreien begonnen und den Angeklagten durch mehrere kraftvolle Stöße in Richtung Ausgangstür geschubst hatte, setzte er die Tatausführung nicht etwa durch Anwendung von Gewalt fort, sondern entfernte sich ohne Beute sofort vom [X.] und ergriff mit seinem Mittäter die Flucht. Im Fall III. 2 der Urteils-gründe beließ es der Angeklagte zunächst bei drohenden Worten, um die Her-ausgabe von Bargeld zu erreichen, und sodann bei einer angedeuteten Hand-bewegung, die darauf schließen ließ, dass er in seiner Jacke eine Waffe mit sich führte. Lediglich die hinzutretende Zeugin W.

sah den
Griff der in der Jacke steckenden Waffe und hielt sie für echt. Die Strafkammer hat sich in ihrer Beurteilung des Hangs des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten den Sachverständigen angeschlossen, die u.a. maßgeblich darauf abgestellt haben, diesen kennzeichne

neben einer Reihe von [X.] wie der mangelnden Fähigkeit zur Empathie
und einer hohen Rückfallge-schwindigkeit

die Bereitschaft
zu aggressiven Konfliktlösungen sowie
zu kör-perlicher Gewalt, mit der
er
im [X.] zu imponieren versuche und auch tatsächlich Anerkennung erfahre, weshalb er sich in einem sozial akzep-tierten Leben nicht bestätigt
sehe. Diese Erwägung nimmt nicht ausreichend in den Blick, dass die Tatausführung in den beiden abgeurteilten Fällen der schweren räuberischen Erpressung nicht durch die Anwendung von Gewalt ge-gen die Opfer
gekennzeichnet war. Auch unter Berücksichtigung der einschlä-gigen Vorverurteilung, die eine räuberische Erpressung mit Ausübung erhebli-cher Gewalt gegenüber dem Tatopfer betrifft,
erweist sich die Annahme der 10
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Strafkammer, beim Angeklagten bestehe die Gefahr weiterer schwerer Gewalt-taten im Sinne der Weitergeltungsanordnung des [X.], als nicht tragfähig.
Der Tatrichter hat das Vorliegen des Hangs unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des [X.] und seiner Taten
maßgeblichen Umstände darzulegen (Senatsbeschluss vom 27.
September 1994

4 [X.], [X.]R StGB § 66 Abs. 1 Hang 8).
Daher hätten die Unterschiede in der jeweiligen Tatausführung hier
besonderer Erörte-rung bedurft.
III.
Der Senat kann nicht ausschließen, dass der neue Tatrichter, der die Gesamtwürdigung

mit sachverständiger Hilfe

unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erneut vornehmen muss, Tatsachen feststellt, die auch bei Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen können.
[X.] Roggenbuck Franke

Bender

Quentin

11

Meta

4 StR 362/11

27.09.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2011, Az. 4 StR 362/11 (REWIS RS 2011, 2979)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2979

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 362/11

2 BvR 2365/09

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2 StR 184/11

3 StR 235/11

3 StR 175/11

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