Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.09.2006, Az. 4 StR 353/06

4. Strafsenat | REWIS RS 2006, 1665

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[X.] vom 26. September 2006 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 26. September 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. März 2006 mit den Fest-stellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und sexu-ellem Missbrauch von [X.] in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von [X.] in vier weiteren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Re-vision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. 1 1. Der Beschwerdeführer macht mit Recht das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO geltend. 2 a) Der Rüge liegt folgender, von dem Beschwerdeführer vollständig [X.] Verfahrensgang zu Grunde: Am ersten Tag der Hauptverhandlung 3 - 3 - schloss die Strafkammer den Angeklagten gemäß § 247 Satz 1 StPO und die Öffentlichkeit gemäß § 171 b Abs. 1 [X.] "während der Vernehmung der Zeu-gin [X.] von der Verhandlung aus. Nach Ausführung des Beschlusses erschien diese Zeugin, die in diesem Verfahren Nebenklägerin ist. Als Stieftoch-ter des Angeklagten u.a. nach § 52 StPO belehrt, erklärte sie, nicht aussagen zu wollen. Weiter ist im Protokoll festgehalten: "Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Die Zeugin erklärte: 'Ich bin damit einverstanden, dass alles das [X.] wird, was ich in diesem Verfahren gegenüber der Kriminalpolizei, dem aussagepsychologischen Sachverständigen Dipl.-Psych. D. und der Richterin am [X.] gegenüber gesagt habe'. [X.]. Die Öffentlichkeit wurde um 12.05 Uhr wieder hergestellt, die Zeugin wurde entlassen und der Angeklagte wieder vorgeführt. Dem Angeklagten wurde der wesentliche Inhalt der Aussage der [X.] bekannt gegeben. Der Angeklagte äußerte sich dazu nicht". b) Bei diesem Verfahrensgang beanstandet die Revision mit Erfolg, dass der Angeklagte bei der Verhandlung über die Entlassung der [X.] nicht anwesend war. Der Ausschluss des Angeklagten von der Verhandlung gemäß § 247 StPO ließ die Entfernung des Angeklagten nur während der Vernehmung der Zeugin zu. Die Verhandlung über die Entlassung gehört aber nicht mehr zur Vernehmung, sondern ist ein selbständiger Verfahrensabschnitt und grundsätz-lich auch ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung (st. Rspr.; vgl. [X.] 49. Aufl. § 247 Rdn. 20 m. Rechtsprechungsnachweisen). Der Angeklagte, dessen Entfernung aus dem Sitzungssaal während der Verneh-mung eines Zeugen durch das Gericht angeordnet worden ist, muss daher zur Verhandlung über die Entlassung des Zeugen wieder zugelassen werden. Das ist hier nicht geschehen. 4 - 4 - c) Ein Ausnahmefall, in dem trotz [X.] Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über die Entlassung der absolute [X.] des § 338 Nr. 5 StPO nicht eingreift, liegt nicht vor (vgl. [X.], 239 m.w.N.). Insbesondere kann unter den hier gegebenen Umständen auch nicht ausnahmsweise schon denkgesetzlich jegliches Beruhen des Urteils auf der bloßen Abwesenheit des Angeklagten während der Entscheidung über die Entlassung der Zeugin ausgeschlossen werden (vgl. dazu zuletzt [X.]sbe-schluss vom 11. Mai 2006 - 4 [X.] m.w.N.). Der [X.] braucht nicht zu entscheiden, ob ein solcher Ausnahmefall dann anzunehmen wäre, wenn die Zeugin unter Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht "schlicht" jegliche Angaben, die sich auf die Sache beziehen, unterlassen hätte. So liegt es hier im Hinblick darauf, dass die Zeugin trotz ihrer berechtigten Zeugnisverweigerung entsprechend der [X.]sentscheidung [X.], 203 die Verwertung der bei ihren nicht richterlichen Vernehmungen gemachten Angaben gestattet und [X.] auf das in § 252 StPO enthaltene Verwertungsverbot verzichtet hat, nicht. Ob es sich anders verhielte, wenn die Zeugin diesen Verzicht von sich aus und ohne weitere Angaben erklärt hätte, kann dahin stehen. Denn die Gründe des angefochtenen Urteils weisen aus, dass die Zeugin - ersichtlich im Rahmen der im Protokoll der Hauptverhandlung vermerkten Erörterung der Sach- und Rechtslage - ihr prozessuales Verhalten näher erläutert und angegeben hat, "sie habe nicht im Hinblick und mit Rücksicht auf die Zwangslage, die Wahrheit zu sagen und dadurch dem Angeklagten zu schaden, von ihrem Zeugnisver-weigerungsrecht Gebrauch gemacht, sondern um nicht noch einmal eine [X.] und für sie schmerzhafte Befragung durchzustehen" ([X.]). Damit hat sie sich inzidenter auch zum Wahrheitsgehalt ihrer früheren Angaben geäußert, die eine wesentliche Grundlage für die Überzeugungsbildung der Strafkammer darstellen. 5 - 5 - Bei dieser Sachlage musste dem Angeklagten Gelegenheit gegeben werden, die Erläuterung der [X.] in ihrer Anwesenheit, jedenfalls aber vor ihrer Entlassung, zu hinterfragen, um möglicherweise auf eine Änderung ihrer Entscheidung hinzuwirken. Deshalb kann ein denkgesetzlicher Aufschluss des [X.] auch nicht damit begründet werden, dass der Angeklagte nach [X.] und seiner Unterrichtung gemäß § 247 Satz 4 StPO sich nicht geäußert hat. 6 2. Für die neuerliche Hauptverhandlung bemerkt der [X.] mit Blick auf die weitere im Zusammenhang mit der Vernehmung der [X.] auf die Ver-letzung des § 252 StPO gestützte Verfahrensrüge, dass ein Zeuge, der - wie die [X.] - trotz Zeugnisverweigerung die Verwertung seiner bei nicht rich-terlichen Vernehmungen gemachten Angaben gestattet, über die Folgen seines Verzichts auf das sonst bestehende Verwertungsverbot ausdrücklich zu beleh-ren ist ([X.], 203, 208; [X.] aaO § 252 Rdn. 16 a). Diese "quali-fizierte" Belehrung ist - nicht anders als die "qualifizierte" Rechtsmittelbelehrung nach einer Urteilsabsprache (BGHSt - [X.] - 50, 40) - eine wesentliche 7 - 6 - Förmlichkeit und deshalb nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. [X.] in [X.]. § 273 Rdn. 4) zu protokollieren (§ 273 Abs. 1 StPO). Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible

Meta

4 StR 353/06

26.09.2006

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.09.2006, Az. 4 StR 353/06 (REWIS RS 2006, 1665)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 1665

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