Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.12.2016, Az. XII ZB 207/15

12. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 776

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Gegenstand

Verfahrenskostenhilfe: Berücksichtigung von Kindergeld als Einkommen des Antragstellers


Leitsatz

Kindergeld ist im Sinne des Prozesskostenhilferechts auch nach der zum 1. Januar 2008 erfolgten Änderung des § 1612b BGB grundsätzlich Einkommen des Beziehers, soweit es nicht zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts eines minderjährigen Kindes zu verwenden ist (Anschluss an Senatsbeschluss vom 26. Januar 2005, XII ZB 234/03, FamRZ 2005, 605).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss des 12. Zivilsenats - Familiensenat - des [X.] vom 25. März 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

Gründe

I.

1

Der Antragsgegnerin ist im vorliegenden Scheidungsverbundverfahren vom Amtsgericht ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden. Bei der Berechnung der wirtschaftlichen Voraussetzungen hat das Amtsgericht das von der Antragsgegnerin für den [X.] bezogene Kindergeld allein als Einkommen des Kindes angesehen. Der Betrag, mit dem das Kindergeld neben dem Kindesunterhalt den Freibetrag für das Kind übersteigt, ist deswegen nicht als Einkommen der Antragsgegnerin berücksichtigt worden.

2

Das [X.] hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatskasse zurückgewiesen. Dagegen richtet sich deren zugelassene Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

4

1. Nach Auffassung des [X.]s ist das Kindergeld nicht als Einkommen der Antragsgegnerin zu berücksichtigen. Zwar habe der [X.] entschieden, dass Kindergeld, das die um Prozesskostenhilfe nachsuchende [X.] beziehe, als deren Einkommen zu berücksichtigen sei, soweit es nicht zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts eines minderjährigen Kindes zu verwenden sei. Eine Anrechnung des Kindergelds als Einkommen des Elternteils verbiete aber nunmehr § 1612 [X.] in der seit 1. Januar 2008 geltenden Fassung. Mit der Neuregelung habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass das Kind einen Anspruch auf die Auszahlung des Kindergelds oder die Erbringung entsprechender [X.] gegen den Elternteil habe, der das Kindergeld ausgezahlt erhalte. Damit wäre es unvereinbar, das Kindergeld im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe ganz oder anteilig als Einkommen der antragstellenden [X.] zu berücksichtigen und sie auf diese Weise dazu zu zwingen, das Kindergeld wider die vom Gesetzgeber getroffene Zweckbestimmung nicht für das Kind, sondern zur Deckung der eigenen Verfahrenskosten zu verwenden.

5

Das Kindergeld sei auch nicht hälftig als Einkommen der das Kind betreuenden Antragsgegnerin zu berücksichtigen. Denn neben der zur Anrechnung gelangenden und für den Barunterhalt einzusetzenden Hälfte des Kindergelds solle die weitere Hälfte den betreuenden Elternteil nach der gesetzgeberischen Intention bei der Erbringung der Betreuungsleistung unterstützen. Auch mit dieser Zielsetzung sei es nicht in Einklang zu bringen, das Kindergeld als Einkommen des Elternteils zu berücksichtigen. Das Kindergeld sei damit nur durch Abzug des auf das Kind entfallenden Freibetrags zu berücksichtigen, der vorliegend schon durch den bezogenen Kindesunterhalt ausgeschöpft werde.

6

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

a) Nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO gehören zum Einkommen im Sinne der Verfahrenskostenhilfe alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Der [X.] hat bereits darauf hingewiesen, dass diese Definition mit derjenigen des § 82 Abs. 1 SGB XII wörtlich übereinstimmt und zudem hinsichtlich der vom Einkommen vorzunehmenden Abzüge in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ZPO auf § 82 Abs. 2 SGB XII verwiesen wird. Daraus wird deutlich, dass der Einkommensbegriff des § 115 Abs. 1 ZPO an denjenigen des [X.] anknüpft. Dies erklärt sich auch daraus, dass Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe eine Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege darstellt (vgl. [X.]sbeschluss vom 26. Januar 2005 - [X.] 234/03 - FamRZ 2005, 605; [X.], 1161 f.). Dementsprechend ist Kindergeld wie im Sozialhilferecht grundsätzlich als Einkommen des Beziehers zu betrachten (vgl. [X.], 51, 52 f. mwN). Die gesetzliche Regelung zur grundsätzlichen Anrechnung des gesamten Kindergelds ist verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit das Existenzminimum des Kindes gewahrt bleibt (vgl. [X.] FamRZ 2010, 800 zur Anrechnung des Kindergelds auf das Sozialgeld nach § 28 SGB II).

8

Eine Ausnahme gilt nach § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII bezüglich des Existenzminimums minderjähriger Kinder. Soweit das Kindergeld zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhalts benötigt wird, wird es vom Gesetz dem jeweiligen Kind als Einkommen zugerechnet. Dieser Gedanke ist auch im Recht der Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe zu berücksichtigen ([X.]sbeschluss vom 26. Januar 2005 - [X.] 234/03 - FamRZ 2005, 605, 606; vgl. [X.], 1161, 1162).

9

b) Entgegen der Auffassung des [X.]s (ebenso [X.], 648; [X.] NZFam 2015, 82; [X.]/[X.] ZPO 31. Aufl. § 115 Rn. 19) ergibt sich aus § 1612 [X.] in der seit 1. Januar 2008 geltenden Fassung kein Korrekturbedarf bezüglich der sozialrechtlich orientierten Einkommensanrechnung nach § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO (so zutreffend [X.] Karlsruhe FamRZ 2008, 1960 f.; [X.] Bamberg FamRZ 2015, 349, 350; [X.], 1161, 1163; [X.]/[X.]/[X.] ZPO 37. Aufl. § 115 Rn. 2; [X.]/Wache 5. Aufl. § 115 Rn. 19; Hk-ZPO/[X.] 6. Aufl. § 115 Rn. 12; vgl. bereits [X.]sbeschluss vom 5. Mai 2010 - [X.] 65/10 - FamRZ 2010, 1324 Rn. 29).

§ 1612 [X.] betrifft den zivilrechtlichen Ausgleich des Kindergelds unter den Eltern. Die Eltern sind öffentlich-rechtlich grundsätzlich beide nach §§ 62, 63 EStG kindergeldberechtigt. Da das Kindergeld aber zum Zweck der Verwaltungsvereinfachung nur einem Elternteil als Bezugsberechtigtem ausgezahlt wird (§ 64 EStG), bedarf es eines Ausgleichs zwischen den Eltern, der gemäß § 1612 b Abs. 1 BGB auf zivilrechtlichem Weg vorwiegend durch Anrechnung auf den [X.] gewährleistet wird (zum familienrechtlichen Ausgleichsanspruch vgl. [X.]sbeschluss vom 20. April 2016 - [X.] 45/15 - FamRZ 2016, 1053 Rn. 10 ff.). Außerdem gewährt § 1612 b Abs. 1 Satz 1 BGB in bestimmten Fällen einen Auskehrungsanspruch des Kindes (BT-Drucks. 16/1830 S. 30; vgl. [X.]surteil [X.], 375 = [X.], 99, 102).

Die Vorschrift regelt mithin zivilrechtlich zu beurteilende Fragen des familienrechtlichen Ausgleichs im Rahmen der Festsetzung des Kindesunterhalts, nicht aber die öffentlich-rechtliche Einkommensanrechnung im Rahmen der Sozialhilfe oder der ihr insoweit entsprechenden Prozesskostenhilfe. Durch die zum 1. Januar 2008 geänderte [X.] hat sich daran nichts geändert, so dass § 1612 [X.] nach wie vor keinen Einfluss auf die sozialhilferechtliche Einkommensanrechnung hat. Die Zweckbindung des § 1612 [X.] für die Verwendung des Kindergelds hat daher nur familienrechtliche Wirkungen und bleibt auf diese beschränkt. Aus § 1612 b Abs. 1 BGB geht zudem hervor, dass eine Zuwendung des Kindergelds an das Kind eines besonderen [X.] seitens des das Kindergeld beziehenden Elternteils bedarf (zutreffend [X.] Karlsruhe FamRZ 2008, 1960, 1961; vgl. auch § 74 EStG). Dementsprechend sieht das [X.] das Kindergeld auch unter der heutigen Rechtslage unverändert als Einkommen des beziehenden Elternteils an ([X.], 221 Rn. 20).

Das Sozialhilferecht bzw. das Prozesskostenhilferecht einerseits und das Unterhaltsrecht andererseits folgen unterschiedlichen Regeln ([X.]sbeschluss vom 26. Januar 2005 - [X.] 234/03 - FamRZ 2005, 605, 606). Die Zweckbindung in § 1612 b Abs. 1 BGB kann mithin nicht dazu führen, eine ausdrückliche sozialhilferechtliche bzw. prozesskostenhilferechtliche Regelung der Bedarfs- und Einkommensermittlung, wie sie in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 b ZPO und § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII bezüglich des Bedarfs des Kindes und des Kindergelds vom Gesetzgeber getroffen worden ist, durch eine abweichende familienrechtliche Wertung zu ersetzen.

c) Nach den vorstehenden Grundsätzen ist das Kindergeld vorliegend jedenfalls teilweise als Einkommen der Antragsgegnerin zu berücksichtigen, so dass die Anordnung einer Ratenzahlung in Betracht kommt.

3. Der angefochtene Beschluss ist deswegen aufzuheben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, schon weil das [X.] - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht alle Positionen der Einkommensermittlung abschließend geklärt hat. Auch hat das [X.] noch keine Betrachtung vorgenommen, ob das Kindergeld teilweise zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts des Kindes benötigt wird (vgl. [X.]sbeschluss vom 26. Januar 2005 - [X.] 234/03 - FamRZ 2005, 605, 606). Die Sache ist somit an das [X.] zurückzuverweisen.

Dose      

        

[X.]      

        

Schilling

        

Botur      

        

Guhling      

        

Meta

XII ZB 207/15

14.12.2016

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Köln, 25. März 2015, Az: II-12 WF 11/15

§ 115 Abs 1 S 2 ZPO, § 82 Abs 1 S 3 SGB 12, § 1612b BGB vom 21.12.2007, § 113 Abs 1 S 2 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.12.2016, Az. XII ZB 207/15 (REWIS RS 2016, 776)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 962 REWIS RS 2016, 776


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XII ZB 207/15

Bundesgerichtshof, XII ZB 207/15, 14.12.2016.


Az. 12 WF 11/15

Oberlandesgericht Köln, 12 WF 11/15, 27.03.2015.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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