Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2012, Az. XI ZR 440/11

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1238

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZR 440/11

vom

20.
November 2012

in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der XI.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.] und [X.]
Ellenberger, [X.],
Dr.
Matthias
und Pamp

am 20.
November 2012

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 6.
Zivilsenats des [X.] vom 8.
September 2011 in der Fassung des [X.] vom 4.
Oktober 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die beklagte Bank aus abgetretenem Recht der Frau Dr.
C.

(im Folgenden: [X.]) auf Rückabwicklung einer Beteili-gung an der

V.

3 GmbH & Co. KG (im [X.]: V
3) sowie der

V.

4 GmbH & Co. KG
(im Folgenden: V
4) in Anspruch.
1
-
3
-
Die [X.] zeichnete nach vorheriger Beratung durch die Mitarbeiterin He.

der Beklagten am 15.
Mai 2003 eine Beteiligung an V
3 im Nennwert von 25.000

Juli 2007 eine Beteiligung an V
4 nebst [X.] in gleicher Höhe, wobei ein Anteil in Höhe von 45,5% der [X.] an [X.] durch ein endfälliges Darlehen der [X.]

finanziert wurde.
Nach dem Inhalt der der [X.] nicht ausgehändigten Verkaufspros-pekte sollten 8,9% der jeweiligen Zeichnungssumme sowie das jeweilige [X.] in Höhe von 5% zur Eigenkapitalvermittlung ([X.]) bzw. Eigenkapitalvermittlung, Platzierungsgarantie und Finanzierungsvermittlung ([X.]) durch die V.

AG (im Folgenden: V.
AG) verwendet werden. Die V.
AG durfte ausweislich der Prospekte ihre Rechte und Pflichten aus der Vertriebsvereinba-rung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Anteile Pro-visionen in Höhe von mindestens 8,25% der jeweiligen Zeichnungssumme, oh-ne dass dies der [X.] im Beratungsgespräch offengelegt wurde.
Der Kläger verlangt mit seiner Klage unter Berufung auf mehrere Aufklä-rungs-
und Beratungsfehler die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals in Höhe von 44.404,08

Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligungen sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.761,08

Zinsen. Ferner begehrt er die Feststellung des Annahmeverzuges der [X.] mit der Rücknahme der Beteiligungen sowie die Feststellung der Verpflich-tung der Beklagten zum Ersatz des durch den Erwerb der Beteiligungen ent-standenen oder noch entstehenden Schadens und zur Zahlung des Betrages, der zur Ablösung des vom Zedenten aufgenommenen Darlehens erforderlich ist.
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3
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-
4
-
Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgege-ben. Die Berufungen beider Parteien hiergegen sind ganz überwiegend erfolg-los geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen und [X.] Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass zwischen der Zeden-tin und der Beklagten konkludent Beratungsverträge zustande gekommen [X.], aufgrund derer die Beklagte verpflichtet gewesen sei, die [X.] darauf hinzuweisen, dass sie von der V.
AG aufklärungspflichtige Rückvergütungen in Höhe von mindestens 8,25% des jeweiligen [X.] erhalten habe. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt. Aus den [X.] gehe nicht wie erforderlich hervor, dass und in welcher Höhe gera-de die Beklagte -
und nicht die V.
AG
-
Provisionen erhalten habe. Den vermu-teten Schuldvorwurf habe die Beklagte nicht
entkräften können. Insbesondere habe sich die Beklagte nicht in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befunden. Für den Kläger streite die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens der Ze-dentin, die die Beklagte nicht widerlegt habe. Die [X.] sei nicht verpflichtet gewesen, sich nach etwaigen Vergütungen der Beklagten zu erkundigen. Dies gelte auch dann, wenn, wie hier, dem Anleger aus einer vorherigen Beteiligung an einem anderen Medienfonds grundsätzlich bekannt gewesen sei, dass die Beklagte für ihr Engagement eine beachtliche Vergütung beziehe.

II.
Die Revision ist nach §
543 Abs.
2 Satz
1 Nr.
2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der
Beklagten
auf rechtliches Gehör aus Art.
103 Abs.
1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11.
Mai 2004 -
XI
ZB 39/03, WM
2004, 1407, 1408
f. und vom 18.
Januar 2005 -
XI
ZR 340/03, [X.] 2005, 939 f.). 5
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-
5
-
Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß §
544 Abs.
7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht [X.] ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen der [X.] und der Beklagten stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, die [X.] über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären, und dass eine ord-nungsgemäße Aufklärung der [X.] über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt ist (vgl. Se-natsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
15
ff. [X.]). Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbe-schwerde unangegriffen insoweit ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
24
f. [X.]).
2. Gleichfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht im Grundsatz da-von ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs-
und Beweislast für ihre Behauptung trägt, die [X.] hätte die Beteiligungen auch bei gehöriger Auf-klärung über die Rückvergütungen erworben.
Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist derjenige, der vertragliche oder
vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweis-pflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich [X.] verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für alle Aufklärungs-
und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines An-7
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scheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegli-che Vermutung (Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn. 27
ff. [X.]; [X.], ZIP
2012, 164 Rn.
20).
3. Entgegen der Rechtsansicht der Nichtzulassungsbeschwerde bedurfte es auch keiner Erörterung durch das Berufungsgericht, ob von dieser [X.] zugunsten des Klägers nur dann auszugehen ist, wenn die [X.] bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine [X.], sie sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Wie der erkennende Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und [X.] begründet hat, ist das Abstellen auf das Fehlen eines solchen Entschei-dungskonfliktes mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr dafür, wie sich der Anleger bei gehöriger Aufklärung verhalten hätte, nicht zu vereinbaren, weshalb die Beweislastumkehr bereits bei einer -
wie hier
-
feststehenden Aufklärungs-pflichtverletzung eingreift (Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
30 ff. [X.]).
4. Das angegriffene Urteil verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art.
103 Abs.
1 GG.
a) Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen ([X.]E 60, 247, 249; 65, 293, 295
f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; [X.], NJW-RR 2001, 1006, 1007). Die Vorschrift gebietet außerdem die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, gewährt allerdings keinen
Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materi-ellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt ([X.], [X.], 492, 493 [X.]). Ein Verstoß gegen Art.
103 Abs.
1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz
der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen beson-10
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-
7
-
dere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der [X.] entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entschei-dung ersichtlich nicht erwogen worden ist ([X.]E 86, 133, 146; 96, 205, 216
f.; [X.], [X.], 131; Senatsbeschluss vom 20.
Januar 2009 -
XI
ZR 510/07, [X.], 405 Rn.
8).
b) Nach diesen Maßgaben ist Art.
103 Abs.
1 GG hier verletzt.
aa) Die Beklagte hat mit ihren Schriftsätzen vom
26.
März 2010 und vom 28.
Juni 2011 vorgetragen, dass für die [X.] bei ihrem Anlageentschluss allein die Steuerersparnis und allenfalls noch Renditechancen sowie das Siche-rungskonzept der Schuldübernahme relevant, andere Aspekte jedoch bedeu-tungslos gewesen seien. Diese für die Anlageentscheidung maßgeblichen Um-stände habe die [X.] der Mitarbeiterin der Beklagten im [X.] mitgeteilt. Zum Nachweis dieser Behauptungen hat sich die Beklagte auf das Zeugnis der [X.] sowie das ihrer Mitarbeiterin He.

berufen. Hinzu kommt, dass das Berufungsgericht festgestellt hat, dass der [X.] "aus einer vorherigen Beteiligung an einem anderen Medienfonds grundsätzlich bekannt war, dass die Beklagte für ihr Engagement eine beachtliche Vergütung
bezieht".
bb) Dieser unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten zum Motiv der
[X.], sich an V
3 bzw. V
4 zu beteiligen, ist erheblich (vgl. Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn. 52 ff.). Das Berufungsgericht hat sich damit nicht befasst, sondern im Hinblick auf das Urteil des [X.] vom 24.
Juni 2009 ([X.], 828
ff.) lediglich die Frage erörtert, ob
die [X.] verpflichtet war, sich nach etwaigen Vergütungen der Beklagten zu erkundigen. Dies ist
nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] (vgl. nur Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
17 [X.]) nicht der Fall. Die Tatsache, dass ein Anleger 13
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15
-
8
-
nicht von sich aus dazu verpflichtet ist, nach möglichen Vergütungen der ihn beratenden Bank durch Dritte zu fragen, sagt jedoch nichts darüber aus, wie sich der Anleger im Falle einer ungefragten Offenlegung der vereinnahmten Rückvergütungen durch die Bank verhalten hätte. Dass das Berufungsgericht demgegenüber den Vortrag
der Beklagten zum Nichteingreifen der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens völlig übergangen hat, lässt sich nach den [X.] nur damit erklären, dass es dieses Vorbringen der [X.] bei seiner Entscheidung überhaupt nicht erwogen hat.
6. Die unterlassene Vernehmung der [X.] sowie der Anlageberaterin als Zeuginnen für diese Behauptungen verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksich-tigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte ([X.]E
7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392
f.). Die Gehörsverletzung führt nach §
543 Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 Fall
2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert ([X.], Beschluss vom 27.
März 2003 -
V
ZR 291/02, [X.]Z 154, 288, 296
f.), und rechtfertigt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO die Aufhe-bung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.
7. Das Berufungsgericht wird die oben genannten Beweise zu erheben und zusammen mit den vorgetragenen Indizien (Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn. 42 ff.) zu würdigen haben. Gegebenenfalls wird es sich auch mit den vom Kläger behaupteten weiteren Verletzungen vor-vertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen durch unrichtige Angaben der An-lageberaterin
der Beklagten über durch Kapitalgarantien verschiedener Banken sichergestellte 100%ige Geldrückflüsse auseinanderzusetzen haben (vgl. Se-16
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natsbeschluss vom 19.
Juli 2011 -
XI
ZR 191/10, [X.], 1506 Rn.
13 ff.; [X.], [X.], 153 ff.).

[X.]

Ellenberger

[X.]

Matthias

Pamp

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 22.02.2010 -
11 O 545/08 -

O[X.], Entscheidung vom 08.09.2011 -
I-6 [X.] -

Meta

XI ZR 440/11

20.11.2012

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2012, Az. XI ZR 440/11 (REWIS RS 2012, 1238)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1238

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