Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2012, Az. XI ZR 441/11

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1207

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZR 441/11

vom

20.
November 2012

in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der XI.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.] und [X.]
Ellenberger, [X.],
Dr.
Matthias
und Pamp

am 20.
November 2012

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 6.
Zivilsenats des [X.] vom 8.
September 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die beklagte Bank auf Rückabwicklung einer [X.] an der

V.

3 GmbH
& Co. KG (im [X.]: V
3) sowie der

V.

4 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V
4) in Anspruch.
Der Kläger zeichnete nach vorheriger Beratung durch den Mitarbeiter S.

der Beklagten am 17.
November 2003 eine Beteiligung an V
3 im 1
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3
-
Nennwert von 50.000

Juni 2004 eine Beteiligung an V
4 nebst [X.] in Höhe von 100.000

in Höhe von 5.000

ungssum-me an V
4 durch ein endfälliges Darlehen der H.

finanziert wur-de.
Nach dem Inhalt der Verkaufsprospekte sollten 8,9% der jeweiligen Zeichnungssumme sowie das jeweilige [X.] in Höhe von 5% zur [X.] (V
3) bzw. Eigenkapitalvermittlung, Platzierungsgarantie und Finan-zierungsvermittlung (V
4) durch die V.

AG (im [X.]: V.
AG) verwendet werden. Die V.
AG durfte ausweislich der Prospekte ihre Rechte und Pflichten aus der [X.] übertragen. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Anteile Provisionen in Höhe von 8,25% (V
3) bzw. zwischen 8,45 und 8,72% (V
4) der jeweiligen Zeichnungssumme, ohne dass dies dem Kläger im Beratungsgespräch offengelegt wurde.
Der Kläger verlangt mit seiner Klage unter Berufung auf mehrere Aufklä-rungs-
und Beratungsfehler die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals in Höhe von insgesamt 112.000

Beteiligungen. Ferner begehrt er die Feststellung der Verpflichtung der [X.], ihn von allen wirtschaftlichen und steuerlichen Nachteilen im Zusammen-hang mit dem Erwerb der Beteiligungen sowie von allen Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit dem zur Finanzierung der Beteiligung V
4 aufgenommenen Darlehen freizustellen. Weiter begehrt er die Feststellung des [X.] der Beklagten mit der Rücknahme der Beteiligungen.
Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass zwischen den Parteien konkludent [X.] zustan-3
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4
-
de gekommen seien, aufgrund derer die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Kläger darauf hinzuweisen, dass sie von der [X.] aufklärungspflichtige Rück-vergütungen in Höhe von 8,25% bzw. 8,72% des jeweiligen [X.] erhalten habe. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt. Auch aus den Verkaufsprospekten gehe nicht wie erforderlich hervor, dass und in welcher Höhe gerade
die Beklagte -
und nicht die V.
AG
-
Provisionen erhalten habe. Den vermuteten Schuldvorwurf habe die Beklagte nicht entkräften [X.]. Insbesondere habe sich die Beklagte nicht in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befunden. Für den Kläger streite die Vermutung aufklärungsrichti-gen Verhaltens, die die Beklagte nicht widerlegt habe. Der Kläger sei nicht ver-pflichtet gewesen, sich nach etwaigen Vergütungen der Beklagten zu erkundi-gen. Dies gelte auch, wenn, wie hier, dem Anleger aus einer vorherigen [X.] an einem anderen Medienfonds grundsätzlich bekannt gewesen sei, dass die Beklagte für ihr Engagement eine beachtliche Vergütung beziehe.

II.
Die Revision ist nach §
543 Abs.
2 Satz
1 Nr.
2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der
Beklagten
auf rechtliches Gehör aus Art.
103 Abs.
1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11.
Mai 2004 -
XI
ZB 39/03, WM
2004, 1407, 1408
f. und vom 18.
Januar 2005 -
XI
ZR 340/03, [X.] 2005, 939
f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß §
544 Abs.
7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht [X.] ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen 6
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-
den Parteien stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, den Kläger über die von ihr ver-einnahmten Rückvergütungen aufzuklären und dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des [X.] über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
15 ff. [X.]).
Auch hat das Be-rufungsgericht rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde unan-gegriffen insoweit ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
24 f. [X.]).
2. Gleichfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht im Grundsatz da-von ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs-
und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Kläger hätte die Beteiligungen auch bei gehöriger Aufklä-rung über die Rückvergütungen erworben.
Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweis-pflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich [X.] verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für alle Aufklärungs-
und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines An-scheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegli-che Vermutung (Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
27 ff. [X.]; [X.], ZIP
2012, 164 Rn.
20).
3. Entgegen der Rechtsansicht der Nichtzulassungsbeschwerde bedurfte es auch keiner Erörterung durch das Berufungsgericht, ob von dieser Beweis-8
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-
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-
lastumkehr zugunsten des [X.] nur dann auszugehen ist, wenn diesem bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt, er sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Wie der er-kennende Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und eingehend begründet hat, ist das Abstellen auf das Fehlen eines solchen Entscheidungs-konfliktes mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr dafür, wie sich der [X.] bei gehöriger Aufklärung verhalten hätte, nicht zu vereinbaren, weshalb die Beweislastumkehr bereits bei -
wie hier
-
feststehender [X.] eingreift (Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
30 ff. [X.]).
4. Das angegriffene Urteil verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art.
103 Abs.
1 GG.
a) Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen ([X.]E 60, 247, 249; 65, 293, 295
f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; [X.], NJW-RR 2001, 1006, 1007). Die Vorschrift gebietet außerdem die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materi-ellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt ([X.], [X.], 492, 493 [X.]). Ein Verstoß gegen Art.
103 Abs.
1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen beson-dere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der [X.] entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen
oder bei der Entschei-dung ersichtlich nicht erwogen worden ist ([X.]E 86, 133, 146; 96, 205, 216
f.; [X.], [X.], 131; Senatsbeschluss vom 20.
Januar 2009 -
XI
ZR 510/07, [X.], 405 Rn.
8).
11
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7
-
b) Nach diesen Maßgaben ist Art.
103 Abs.
1 GG hier verletzt.
aa) Die Beklagte hat mit ihrem Schriftsatz vom 7.
Juli 2010 vorgetragen, dass für den Kläger bei seinem Anlageentschluss allein die Steuerersparnis und allenfalls noch Renditechancen sowie das Sicherungskonzept der Schuldüber-nahme relevant, andere Aspekte jedoch bedeutungslos gewesen seien. Diese für seine Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände habe er dem Mitarbei-ter der Beklagten im [X.] mitgeteilt. Für diesen sei aufgrund der Offenlegung der [X.] ersichtlich gewesen, dass der Anteil, den die Beklagte von den im Prospekt ausgewiesenen Vertriebsprovisionen erhalte, für die Anlageentscheidung des [X.] ohne Bedeutung gewesen sei. Außerdem sei dem Kläger bewusst gewesen, dass die Beklagte von ihm für die Anlagebe-ratung kein Entgelt erhalten habe und deshalb eine Vergütung offenbar aus [X.] Quelle beziehe. Zum Nachweis dieser Behauptungen hat sich die [X.] auf das Zeugnis ihres Mitarbeiters S.

sowie auf die Parteivernehmung des [X.] berufen.
bb) Dieser unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten zum Motiv des [X.], sich an V
3 bzw. V
4 zu beteiligen, ist erheblich (vgl. Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn. 52 ff.). Das Berufungsgericht hat sich weder damit befasst, noch sich mit der diesbezüglichen Zeugenaussa-ge des Anlageberaters S.

der Beklagten vor dem [X.].
[X.] Der Zeuge hat bekundet, dass es "das Ziel des [X.] bei der [X.]" gewesen sei, "in erster Linie Steuern sparen zu wollen", und "dass es eine vorläufige Steuerverlustzuweisung gab". Das Berufungsgericht hat diese Anga-ben des Zeugen jedoch ebenso wenig gewürdigt wie das [X.].

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-
8
-
(2) Demgegenüber hat das Berufungsgericht im Hinblick auf das Urteil des [X.] vom 24.
Juni 2009 ([X.], 828
ff.) [X.] die Frage erörtert, ob
der Kläger verpflichtet war, sich nach etwaigen Vergütungen der Beklagten zu erkundigen. Dies ist nach der ständigen Recht-sprechung des [X.] (vgl. nur Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
17 [X.]) nicht der Fall. Die Tatsache, dass ein Anleger nicht von sich aus dazu verpflichtet ist, nach möglichen Vergütun-gen der ihn beratenden Bank durch Dritte zu fragen, sagt jedoch nichts darüber aus, wie sich der Anleger im Falle einer ungefragten Offenlegung der [X.] Rückvergütungen durch die Bank verhalten hätte. Indem das Beru-fungsgericht
einerseits den Vortrag der Beklagten zum Nichteingreifen der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens völlig übergangen und sich ande-rerseits
nicht mit dem Beweisergebnis erster Instanz auseinandergesetzt hat, hat es verkannt, dass sich eine Partei -
hier die Beklagte
-
die bei einer Beweis-aufnahme zu Tage tretenden, ihr günstigen Umstände regelmäßig zumindest hilfsweise zu eigen macht ([X.], Urteil vom 8.
Januar 1991 -
VI
ZR 102/90, NJW 1991, 1541, 1542 und Beschluss vom 10.
November 2009 -
VI [X.], NJW-RR 2010, 495 Rn.
5). Auch die Nichtberücksichtigung des für die Beklagte günstigen Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verletzt deren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ([X.], Beschluss vom 10.
November 2009 -
VI
[X.], NJW-RR 2010, 495 Rn.
6) und lässt sich nach den Umständen des Falles ebenso wie die unterbliebene Parteiverneh-mung des [X.] nur damit erklären, dass das Berufungsgericht dieses [X.] der Beklagten bei seiner Entscheidung überhaupt nicht erwogen hat.
6. Die unterlassene Würdigung der Angaben des [X.] sowie die gleichfalls vom Berufungsgericht nicht in Erwägung gezogene Parteivernehmung des [X.] verletzen den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil 17
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9
-
beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksich-tigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte ([X.]E
7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392
f.). Die Gehörsverletzung führt nach §
543 Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 Fall
2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert ([X.], Beschluss vom 27.
März 2003 -
V
ZR 291/02, [X.]Z 154, 288, 296
f.), und rechtfertigt
gemäß §
544 Abs.
7 ZPO die Aufhe-bung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.
7. Das Berufungsgericht wird die oben genannten Beweise -
soweit nicht bereits erfolgt
-
zu erheben und zusammen mit den vorgetragenen Indizien (Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
42 ff.) zu 19
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würdigen haben. Gegebenenfalls wird es sich auch mit den vom Kläger be-haupteten weiteren Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzun-gen durch unrichtige Angaben des
Anlageberaters
der Beklagten über die Ver-wendung der Anlagegelder sowie über Kapitalgarantien verschiedener Banken auseinanderzusetzen haben (vgl. Senatsbeschluss vom 19.
Juli 2011 -
XI
ZR 191/10, [X.], 1506 Rn.
13 ff.; [X.], [X.], 153 ff.).

[X.]

Ellenberger

[X.]

Matthias

Pamp

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom [X.] -
14d [X.]/08 -

O[X.], Entscheidung vom 08.09.2011 -
I-6 [X.] -

Meta

XI ZR 441/11

20.11.2012

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2012, Az. XI ZR 441/11 (REWIS RS 2012, 1207)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1207

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