Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.02.2012, Az. VIII ZB 54/11

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 8781

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 54/11

vom

28. Februar 2012

in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 148
a)
Der Umstand, dass beim [X.] ein Revisionsverfahren anhän-gig ist, in dem über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, von deren Beant-wortung auch die Entscheidung eines zweiten Rechtsstreits ganz oder teil-weise abhängt, rechtfertigt die Aussetzung der Verhandlung des zweiten Rechtsstreits grundsätzlich auch dann nicht, wenn bei dem zur Entscheidung berufenen
Gericht eine Vielzahl von gleich gelagerten Fällen anhängig ist.
b)
Es bleibt offen, ob eine Aussetzung ausnahmsweise dann erfolgen darf, wenn die Zahl der bei dem Gericht anhängigen Verfahren die Grenze er--
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reicht, bei der eine angemessene Bewältigung schlechthin nicht mehr mög-lich ist ([X.] an [X.], Beschlüsse vom 30.
März 2005 -
X
ZB 26/04, [X.]Z 162, 373, 377 und X
ZB 20/04, juris Rn.
13, 15).
[X.], Beschluss vom 28. Februar 2012 -
VIII ZB 54/11 -
LG [X.]

AG [X.]-Harburg

Der VIII.
Zivilsenat des [X.]s hat am
28. Februar 2012
durch den Vorsitzenden [X.], die Richterin [X.] sowie die Richter Dr.
Achilles, [X.] und Dr. Bünger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der Zivilkammer
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des [X.] vom 23. August 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückgegeben.

Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt von dem beklagten [X.] die Zahlung rest-lichen Entgelts für Gaslieferungen; insoweit
streiten die Parteien
über die Be-rechtigung von [X.]. Das Amtsgericht hat die Klage [X.]
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sen. Das [X.]
([X.])
hat das Berufungsverfahren analog §
148
ZPO bis zur Entscheidung der beim Senat anhängigen Revisionsverfah-ren VIII ZR 93/11 und [X.], die Parallelverfahren
der Klägerin gegen andere Kunden
betreffen, ausgesetzt.
Hiergegen richtet sich die vom [X.] zugelassene Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:
Zwar sei eine
Vorgreiflichkeit im Sinne des § 148 ZPO nicht gegeben. Das vorliegende Verfahren könne aber analog § 148 ZPO ausgesetzt werden, da es sich hierbei um einen Teil eines "Massenverfahrens"
handele und die Unmöglichkeit einer angemessenen Bewältigung der Gesamtheit der Verfahren das Gewicht verfahrenswirtschaftlicher Erwägungen so erhöhe, dass hierdurch
ein qualitativ anderer [X.] als die "normale"
Prozessökono-mie
begründet werde. Bei
dem
[X.] [X.] seien mehrere Hundert gleichgelagerte Berufungen anhängig.
Nach Abschluss der beim [X.] anhängigen Revisionsverfahren sei zu erwarten, dass entweder die Klägerin ihre Berufung zurücknehme oder die Beklagtenseite den Klagean-spruch anerkenne.
Eine streitige Fortsetzung des
vorliegenden
Verfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde daher
zu einer erheblichen Mehrbelastung des Gerichts
führen. Sie wäre
insbesondere
auch
für die betroffenen Parteien in einem Maße unwirtschaftlich, dass es gerechtfertigt erscheine, dem Wertungs-gesichtspunkt der [X.] das erforderliche Gewicht beizumessen.
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2. Diese Beurteilung
hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Nach §
148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen [X.] auszusetzen ist. Die Aussetzung der Verhandlung setzt damit die [X.] in dem anderen Rechtsstreit zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus, also dass die Entscheidung in dem einen Rechtsstreit die Entscheidung des anderen rechtlich beeinflussen kann
([X.], Beschluss vom
30. März 2005 -
X
ZB 26/04, [X.]Z 162, 373, 375). Diese Voraussetzung ist -
wie das [X.] auch er-kannt hat
-
vorliegend nicht erfüllt, da die beim Senat anhängigen Revisionsver-fahren VIII ZR 93/11 und [X.] im Hinblick auf das der Rechtsbe-schwerde zu Grunde liegende
Verfahren weder materielle Rechtskraft entfalten noch Gestaltungs-
oder Interventionswirkung haben (vgl. [X.], ZPO, 22. Aufl., §
148 Rn. 23 ff.). Es genügt nicht, dass die in den genannten Revisionsverfahren zu erwartenden
Entscheidungen
(lediglich)
geeignet sind, einen rein tatsächlichen Einfluss auf die zu treffende Entscheidung zu haben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 30. März 2005 -
X
ZB 26/04, aaO; vom 25. Januar 2006 -
IV
ZB 36/03, juris Rn. 2; [X.], [X.] 2005, 2318, 2324).
b) Allein die Tatsache, dass
in einem anderen Verfahren über einen gleich oder ähnlich gelagerten Fall nach Art eines Musterprozesses entschie-den werden soll, rechtfertigt für sich genommen ebenfalls
noch keine Ausset-zung analog §
148 ZPO ([X.], Beschlüsse
vom 30. März 2005 -
X
ZB 26/04, aaO S. 376,
und [X.], juris Rn. 11;
vgl. auch [X.], Beschluss vom 25.
Januar
2006 -
IV
ZB 36/03, aaO; Senatsurteil vom 21. Februar 1983 -
VIII
ZR 4/82, NJW 1983, 2496 unter II 2 a; [X.], [X.], 134
f.). 5
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Insbesondere enthält § 148 ZPO keine allgemeine Ermächtigung, die Verhand-lung eines Rechtsstreits zur Abwendung einer vermeidbaren Mehrbelastung des Gerichts auszusetzen ([X.], Beschluss vom 30. März 2005 -
X
ZB 26/04, aaO). Denn die Vorschrift stellt nicht auf sachliche oder tatsächliche Zusam-menhänge zwischen verschiedenen Verfahren, sondern auf die Abhängigkeit vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab. Allein die tat-sächliche Möglichkeit eines Einflusses genügt dieser gesetzlichen Vorausset-zung
nicht, so dass die bloße Übereinstimmung in einer entscheidungserhebli-chen Rechtsfrage die Aussetzung noch nicht erlaubt ([X.], Beschlüsse vom 30.
März 2005 -
X
ZB 26/04, aaO S. 377, und [X.], juris Rn. 15; [X.], [X.]/NV 2010, 1847).
Dem entsprechend hat auch der Gesetzgeber mit §
7 [X.] und § 93a VwGO eigens spezialgesetzliche
Grundlagen für eine von §
148 ZPO beziehungsweise der parallelen Vorschrift des § 94 VwGO an sich nicht mehr gedeckte Aussetzung von Musterverfahren geschaffen (vgl.
BT-Drucks. 11/7030 S. 28; 15/5091 S. 14).
c) Die vom [X.]
in diesem Zusammenhang
bislang
aus-drücklich offen gelassene Frage, ob bei "Massenverfahren"
die Unmöglichkeit der angemessenen Bewältigung der Gesamtheit der Verfahren das Gewicht verfahrenswirtschaftlicher Erwägungen so zu erhöhen vermag, dass hierin ein nicht nur quantitativ, sondern qualitativ anderer [X.] als die "normale"
[X.] hervortritt ([X.], Beschlüsse vom 30. März 2005 -
X
ZB 26/04, aaO S. 377,
und
X
ZB 20/04, aaO Rn. 13; vgl. auch Stürner, JZ 1978, 499), bedarf auch vorliegend keiner Entscheidung. Voraussetzung
für die Annahme eines derartigen "Massenverfahrens"
wäre jedenfalls,
dass das [X.] mit einer schlechthin nicht zu bewältigenden Vielzahl
von gleichgelagerten Verfahren befasst ist
([X.], Beschluss vom 30. März 2005 -
X
ZB 20/04, aaO Rn.
15). Dazu
hat das [X.] bislang
keine zureichenden Feststellungen getroffen.
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Der Beschluss lässt bereits
nicht erkennen, wie viele der
bei dem Land-gericht [X.] anhängigen
gleichgelagerten Berufungsverfahren, deren Zahl mit
mehreren
Hundert angegeben ist, gerade
bei der [X.] anhängig sind. Diese Angabe ist jedoch erforderlich, um beurteilen zu können, ob das Gericht mit einer schlechthin nicht zu bewältigenden Vielzahl von gleichgelager-ten Verfahren befasst ist, die es gegebenenfalls rechtfertigen könnte, aus be-sonderen verfahrenswirtschaftlichen Erwägungen eine
Aussetzung jedenfalls eines Teils der anhängigen Verfahren in Betracht zu ziehen.
Allein der [X.], dass auch bei anderen Spruchkörpern desselben Gerichts weitere gleichgelagerte Verfahren anhängig sind, lässt eine solche Aussetzung in ent-sprechender Anwendung des § 148 ZPO nicht zu, da dies für die Belastung des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers und dessen Fähigkeit zur ange-messenen Bewältigung der bei ihm anhängigen Verfahren ohne Aussagekraft ist.
Ebenso wenig wird eine solche Aussetzung durch die Überlegung des Berufungsgerichts gerechtfertigt, dass eine streitige Fortsetzung des vorliegen-den Verfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu einer erheblichen Mehrbelas-tung des Gerichts führen würde und auch für die betroffenen Parteien in beson-derer Weise unwirtschaftlich wäre. Zu einer solchen erheblichen Mehrbelastung der [X.] ist -
wie ausgeführt
-
nichts Näheres festgestellt, so dass sich auch schon deshalb der Hinweis auf die Unwirtschaftlichkeit einer Verfahrens-fortsetzung noch im Bereich "normaler"
[X.] bewegt, die die vor-

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genommene Verfahrensaussetzung nicht trägt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 30.
März 2005 -
X
ZB 26/04, und [X.]; jeweils aaO).
Ball
[X.]
Dr. Achilles

[X.]
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG [X.]-Harburg, Entscheidung vom 02.07.2010 -
645 C 320/09 -

LG [X.], Entscheidung vom 23.08.2011 -
304 S 54/10 -

Meta

VIII ZB 54/11

28.02.2012

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.02.2012, Az. VIII ZB 54/11 (REWIS RS 2012, 8781)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8781

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VIII ZB 54/11

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