Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.02.2017, Az. 4 StR 423/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 16239

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:020217U4STR423.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
4
StR
423/16

vom
2. Februar 2017
in der Strafsache
gegen

wegen Verdachts der gefährlichen Körperverletzung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.]s hat in der Sitzung vom 2. Februar
2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende [X.]in
am [X.]
Sost-Scheible,

[X.]in
am [X.]
Roggenbuck,
[X.] am [X.]
Cierniak,
[X.],
Dr. Feilcke

als beisitzende [X.],

Staatsanwältin beim [X.]

in der Verhandlung

,
Staatsanwältin beim [X.]

bei der Verkündung

als Vertreterinnen
des
[X.]s,

Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Verteidiger,

Rechtsanwältin

in der Verhandlung

als Vertreterin der Nebenklägerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 20.
April 2016 in den Fäl-len
II.1 und [X.] der Urteilsgründe, auf die [X.] der Nebenklägerin in den Fällen
II.1, [X.] bis II.6 und [X.] bis [X.] der Urteilsgründe mit den zugehörigen Fest-stellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landge-richts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten von den Vorwürfen der vorsätzli-chen Körperverletzung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit [X.], der gefährlichen Körperverletzung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Bedrohung, der Bedrohung und
der Freiheitsberaubung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen die Freisprüche von den Tatvorwürfen zum Nachteil der Nebenklägerin (Fälle
II.1 und [X.] der Urteilsgründe) wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der [X.]

diese mit Ausnahme des Falles
II.7

jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
1
-
4
-
I.
Mit der zugelassenen Anklage vom 23.
Dezember 2014 hat die [X.] dem Angeklagten insgesamt neun Taten zum
Nachteil der Neben-klägerin

F.

im Zeitraum zwischen September 2011 und Sep-
tember 2012 zur Last gelegt. Die Nebenklägerin und der Angeklagte waren im Tatzeitraum liiert. Das [X.] vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die von der Nebenklägerin bekundeten körperlichen Misshandlungen durch den Angeklagten und im Fall
II.7 die Freiheitsberaubung stattgefunden haben. Es hat den Angeklagten, der verbale Auseinandersetzungen einschließ-lich Bedrohungen und Beleidigungen eingeräumt,
die Tatvorwürfe aber bestrit-ten hat, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Nach Auffassung des [X.]s seien schon einige Angaben der [X.], die in verschiedenen Vernehmungen sehr konstant mit verschie-denen Realkennzeichen ausgesagt habe, unschlüssig. Darüber hinaus sei ihr Verhalten, trotz der behaupteten Misshandlungen und ihrer Angst vor dem [X.], immer wieder die Nähe des Angeklagten zu suchen, nicht nachvoll-ziehbar. Zwar habe die Zeugin H.

ihre Angaben in einigen Punkten bestätigt,
die übrigen von ihr benannten Zeugen hätten aber weder eine der angeklagten Misshandlungen beobachtet noch konkrete Verletzungen an ihr wahrgenom-men. Auch ihre Frauenärztin habe bei Untersuchungen der im fraglichen Zeit-raum schwangeren Nebenklägerin keine Verletzungen festgestellt. Die schon nach der Aussage der Nebenklägerin bestehenden Zweifel hätten nach der ge-botenen Gesamtwürdigung zum Freispruch geführt.
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3
-
5
-
II.
Die vom [X.] vertretene Revision der Staatsanwalt-schaft ist auf die Tatvorwürfe zum Nachteil der Nebenklägerin beschränkt. Sie beantragt (§
344 Abs.
1 StPO) zwar, das gesamte Urteil aufzuheben. Die [X.] greift jedoch den Freispruch hinsichtlich der Tat
II.2 zum Nachteil der Zeugin H.

nicht an, sondern nur die
Beweiswürdigung in den übrigen Fällen.
Fallen Revisionsantrag und -begründung auseinander, bestimmt sich der [X.] regelmäßig durch Auslegung der Revisionsbegründung ([X.], Urteile vom 2.
Februar 2017

4
StR
481/16; vom 12.
April 1989

3
StR
453/88, [X.]R StPO §
344 Abs.
1 Antrag
3; vgl. auch Nr.
156 Abs.
2 RiStBV).
Die Auslegung der Revision der Nebenklägerin ergibt, dass sie auf den Freispruch vom Vorwurf der nebenklagefähigen Delikte beschränkt ist.
III.
Die Revisionen haben Erfolg. Die Beweiswürdigung hält sachlich-recht-licher Nachprüfung nicht stand.
1. Für die revisionsgerichtliche Überprüfung der tatrichterlichen Beweis-würdigung gelten folgende Maßstäbe:
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§
261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das vom Revisionsgericht in der Regel hinzu-nehmen. Dem Tatrichter obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzu-stellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 12.
Fe-4
5
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8
-
6
-
bruar 2015

4
StR
420/14, [X.], 148 mwN). Dabei hat das [X.]sgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewe-sen wäre (vgl. [X.], Urteil vom 24.
März 2015

5
StR
521/14, [X.], 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 13.
Juli 2016

1
StR
94/16 mwN). Insbesondere sind die [X.] erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das [X.] zu beeinflussen (vgl. [X.], Urteil vom 12.
Februar 2015

4
StR
420/14, [X.], 148 mwN). Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (vgl. [X.], Urteil vom 23.
Juli 2008

2
StR
150/08, insofern nicht abgedruckt in [X.]St 52, 314). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen [X.] nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 23.
Juli 2008

2
StR
150/08, insofern nicht abgedruckt in [X.]St 52, 314). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Frei-spruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. [X.], Urteil vom 17.
März 2009

1
StR
479/08, [X.], 512, 513). Auch wenn keine der [X.] für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausrei-chen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrich-ter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. [X.], Urteil vom 30.
März 2004

1
StR
354/03, [X.], 238, 239). Der Tatrichter darf zudem keine überspannten Anforderungen an die für die Beurteilung erforder--
7
-
liche Gewissheit stellen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom
26.
Juli 2016

1
StR
607/15).
2.
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft. Das [X.] hat mit rechtsfehlerhaften Erwägungen überspannte Anforderungen an die für die
Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit gestellt. Auch eine Gesamtwür-digung aller Beweistatsachen fehlt.
a)
Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Person des Angeklagten. Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnis-sen notwendig, um nachvollziehen zu können, dass der Tatrichter die [X.] Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§
46 Abs.
1 Satz
2 und Abs.
2 Satz
2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat; aber auch bei freispre-chenden Urteilen ist der
Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind
([X.], Urteile vom 24.
November 2016

4
StR
235/16, [X.], 38, 39; vom 14. Februar 2008

4 StR 317/07, [X.], 206, 207,
jeweils mwN). So liegt es hier. Der Angeklagte verbüßte zum Urteilszeitpunkt eine Freiheits-strafe von zwei Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung. Was für eine Straftat dieser Verurteilung zugrunde liegt und ob er darüber hinaus vorbestraft ist, wird im Urteil nicht mitgeteilt. Sollte der Angeklagte bereits einschlägig in Erscheinung getreten sein, könnte dies Aufschluss über die Täterpersönlichkeit geben und als Umstand in die Beweiswürdigung einzustellen sein.
b)
Zudem fehlt eine Darstellung derjenigen Tatsachen, die die Nebenklä-gerin in jenem anderen Verfahren zu Lasten des Angeklagten bekundet hat. Das [X.] teilt zwar mit, dass jene Verurteilung des Angeklagten nicht auf 9
10
11
-
8
-
der Aussage der Nebenklägerin beruht, lässt aber offen, ob die Nebenklägerin den Angeklagten dort falsch belastet hat. Auch die naheliegend zu erörternde Frage eines Falschbelastungsmotivs hat die Strafkammer nicht in den Blick [X.]. Desgleichen hat sie weitere sich aufdrängende Fragen, wie diejeni-gen des Hintergrunds der Bedrohungen der Nebenklägerin durch die Familie des Angeklagten und ihrer Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm, nicht erör-tert.
c)
Das [X.] stellt die Schlüssigkeit der Aussage der Nebenkläge-rin mit nicht tragfähigen Erwägungen in Frage.
Soweit das [X.] Zweifel an der Aussage der Nebenklägerin hegt, weil diese trotz ihrer Angst und der Gewalttätigkeit des Angeklagten immer [X.] zu diesem zurückgekehrt sei und auch nach dessen Verhaftung zunächst zu ihm gehalten habe, ist ein solches Verhalten von misshandelten Frauen [X.] ungewöhnlich. Zu einem solchen
nachvollziehbaren ambivalenten
Verhalten könnte die Aussage der Zeugin M.

passen,
die angegeben hat,

dass die Nebenklägerin geäußert habe, sie hoffe, der Angeklagte würde sich ändern
(UA
31). Hinsichtlich des Umstandes, dass die Frauenärztin der Neben-klägerin bei einer Untersuchung zwölf Tage nach der letzten behaupteten Miss-handlung keine Verletzungsspuren notiert hat, setzt sich das [X.] nicht mit der Frage auseinander, inwieweit zu diesem Zeitpunkt augenfällige [X.] noch zu erwarten
gewesen
wären. Dies gilt auch hinsichtlich des [X.], bei dem die Untersuchung drei Tage nach dem Vorfall er-folgte. Nach dem [X.] trat der Angeklagte nach
der Nebenklägerin, als diese die Treppe hinauf ging. Inwieweit er sie traf und Verletzungen ver-ursachte, lässt sich weder dem [X.] noch den im Urteil mitgeteilten Aussagen der Nebenklägerin entnehmen.
12
13
-
9
-
d)
Auch fehlt entgegen der formelhaften Wendung (UA 32)
die erforder-liche Gesamtschau der Beweisergebnisse. Das [X.] hat die Aussage der Nebenklägerin vor allem mit Blick auf die Umstände, die der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben entgegenstehen, ausführlich erörtert und überprüft, während es die für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sprechenden Gesichtspunkte, etwa die Aussage der Zeugin H.

(UA
27) und das Auffinden von Patronen in der
Wohnung des
Angeklagten und eines Revolvers in der Nähe der Wohnung (UA
32) nur knapp würdigt und in die abschließende Gesamtwürdigung der für und gegen die Richtigkeit der Aussage der Nebenklägerin sprechenden Um-stände nicht einbezieht. Das [X.] sieht zwar, dass sich aus dem Auffin-den eines Revolvers und von Patronen ein Indiz ergibt, meint aber, dass dies Umfeld des Angeklagten stammenden Zeugen und die Zweifel an der Aussage der Nebenklägerin zu beseitigen.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

[X.]
Feilcke
14

Meta

4 StR 423/16

02.02.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.02.2017, Az. 4 StR 423/16 (REWIS RS 2017, 16239)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16239

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