Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.01.2016, Az. 4 StR 361/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 17719

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[X.]:[X.]:B[X.]H:2016:140116U4STR361.15.0

BUN[X.]S[X.]ERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
4
StR
361/15

vom
14. Januar 2016
in der Strafsache
gegen

wegen Verdachts der vorsätzlichen Körperverletzung

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14.
Januar
2016, an der
teilgenommen haben:
Vorsitzende [X.]in
am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,

[X.]in
am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
[X.] am Bundesgerichtshof
Cierniak,
[X.],
Dr. Mutzbauer

als beisitzende [X.],

Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof

als Vertreter des
[X.]eneralbundesanwalts,

Rechtsanwalt

in der
Verhandlung

als Verteidiger,

Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Vertreter des [X.],

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der [X.]eschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] ([X.]) vom 6.
Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung (Tat Ziffer
6 der Anklage vom 26.
Januar 2015) freigesprochen worden ist, sowie im [X.] und soweit von der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ab-gesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die
Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Land-gerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
[X.]ründe:
[X.]
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer [X.]esamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. [X.]egen den Freispruch vom Vorwurf der vorsätzlichen Körper-verletzung zu seinem Nachteil (Tatvorwurf unter Ziffer
6 der Anklageschrift) wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1
-
4
-
Zu dem den Nebenkläger betreffenden Tatvorwurf hat das [X.] folgende Feststellungen getroffen: Am 16.
August 2014 befand sich der Ange-klagte auf dem A.

Weinfest in [X.].

. [X.]egen 02.30
Uhr schlug er
dem Nebenkläger J.

T.

in Höhe eines Weinguts, wo sich zu dieser
Zeit eine größere Ansammlung von Menschen aufhielt, mit voller Wucht mit der Faust gegen die rechte Schläfe, so dass der Nebenkläger zu Boden
ging und mit dem Kopf auf den Asphalt aufschlug. Neben äußerlich erkennbaren Verlet-zungen erlitt der Nebenkläger ein [X.] mit [X.]ehirnblutung und eine Schädelfraktur. Das [X.] konnte nicht ausschließen, dass der
Nebenkläger seinerseits
die Hand zum Schlag gegen den Angeklagten erhoben hatte und der Angeklagte zur Abwehr dieses unmittelbar drohenden Schlages zuschlug.
I[X.]
Der Freispruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
Die revisionsrechtliche Prüfung der Beweiswürdigung beschränkt sich [X.] darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. B[X.]H, Urteile vom 5.
November 2014

1
StR
327/14, [X.], 83, 85; vom 11.
September 2007

5
StR
213/07, [X.], 22, 24 jeweils mwN). [X.] ist es regelmäßig auch, wenn sich der Tatrichter bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien geson-dert zu erörtern und auf ihren Beweiswert zu prüfen, ohne eine [X.]esamtabwä-gung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen.
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3
4
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5
-
Allerdings können und müssen die [X.]ründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdi-gen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt vielmehr von der jeweiligen Be-weislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich
die Erörterung bestimmter einzelner [X.] erübrigt. Insbesondere wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es jedoch in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den [X.] sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer [X.]esamtwürdigung betrachten (B[X.]H, Urteile vom 10.
November 2015

1
StR 235/15,
Rn.
39; vom 6.
September 2006

5
StR
156/06, [X.], 18, 19 und vom
22.
August 2002

5
StR
240/02, [X.], 430 jeweils mwN).
[X.]emessen an diesen [X.]rundsätzen erweist sich die Beweiswürdigung zu der zu [X.]unsten des Angeklagten angenommenen Notwehrlage im Falle des angefochtenen Teilfreispruchs insgesamt als lückenhaft, weil sie sich mit den maßgeblichen Zeugenaussagen nicht zureichend auseinandersetzt und darüber hinaus eine zusammenfassende Würdigung aller beweisrelevanten Umstände vermissen lässt.
1.
Bei der Würdigung der Zeugenaussagen verkennt die Strafkammer (UA
24), dass die Aussagen der für glaubwürdig befundenen Zeuginnen [X.]

und D.

M.

im [X.]rundsatz übereinstimmen, dass nämlich der Angeklagte
angerannt gekommen sei und

nach der Aussage der Zeugin [X.]

, was die
Zeugin M.

wegen einer Ablenkung nicht mehr sah

den Nebenkläger mit
der Faust gegen die Schläfe geschlagen habe.
5
6
7
-
6
-
2.
Ferner begegnet die Würdigung der Aussage des Zeugen S.

durchgreifenden Bedenken. Bei der Prüfung der [X.]laubhaftigkeit der Aussage des Zeugen S.

lässt die Strafkammer einen gewichtigen [X.]esichtspunkt
außer Acht: Sowohl der Zeuge S.

als auch der Zeuge K.

so ihre An-
gaben

befanden sich, als sie ihre Beobachtungen machten, außerhalb der Menschenansammlung, die den Angeklagten und den Nebenkläger umgab. Während der Zeuge K.

angab, er habe wegen der Menschenmenge die
Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger nicht mehr beobachten können, gab der Zeuge S.

-hoben habe, der Angeklagte dann eine Ausweichbewegung gemacht und zu-rückgeschlagen habe. Wie sich diese Aussagen

beides Beobachtungen von außerhalb der Menschenmenge

miteinander vereinbaren lassen, erschließt sich aus dem Urteil nicht.
3.
Bei der gebotenen [X.]esamtwürdigung wäre auch das von der Zeugin
[X.]

bekundete auffällige Verhalten des Angeklagten auf dem Weinfest vor der
Tat im Zusammenhang mit der bei ihm festgestellten [X.] Schizophrenie und den damit einhergehenden [X.] und star-ker Erregung zu bedenken gewesen. Nach den Ausführungen des Sachver-ständigen ist beim Angeklagten ein hoher Angstpegel, eine
[X.]espanntheit sowie Feindseligkeit und Verworrenheit (UA
13) feststellbar. Aufgrund der Schilderung der Zeugin [X.]

zu dem auffälligen Verhalten des Angeklagten, der das Land-
gericht gefolgt ist, lag nahe, dass die Affektstörung und mangelnde Impulskon-trolle nicht nur am 6.
August 2014 vorlag, sondern auch am 16.
August 2014 unverändert fortbestand. Es hätte auch in Betracht gezogen werden müssen, dass sich aus der Art und Weise früherer Straftaten Hinweise für die Beurtei-lung des vorliegenden Tatgeschehens ergeben könnten. Der Angeklagte ist seit 8
9
-
7
-
2006 fünfmal strafrechtlich in Erscheinung getreten, in allen Fällen wegen [X.] oder gefährlicher Körperverletzung. Diese Straftaten zeugen davon, dass der Angeklagte auch ohne jeden Anlass gewalttätig werden kann. Schon der Verurteilung vom 16.
Juni 2008 lag zugrunde, dass er dem einen [X.]eschä-digten ohne [X.]rund eine Kopfnuss gab und ihn dann trat, den anderen [X.]eschä-digten schlug er ohne [X.]rund mit der Faust ins [X.]esicht. Auch der Verurteilung vom 30.
August 2011 lag eine Tat zugrunde, die aus einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren Situation entstanden ist. Daraus wird deutlich, dass dem Angeklagten ein Verhalten, wie es ihm hier zur Last gelegt wird, jedenfalls nicht fremd ist. Zu bedenken wäre in diesem Zusammenhang auch das Verhalten des Angeklagten nach der Tat: er stieß die Zeugin [X.]

, die sich über den be-

s-ade versuche, sich mit der Richtigen anzulegen, entfernte sich der Angeklagte und tauchte unter. Auch dieses Verhalten könnte dafür sprechen, dass keine Notwehrlage vorgelegen hatte, sondern der Angeklagte Streit suchte.
4.
Die Aufhebung des freisprechenden Teils des Urteils zieht die Auf-hebung der [X.]esamtstrafe und der [X.] der Maßregel nach sich. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der neue Tatrichter, falls er erneut eine rechtswidrige Tat zum Nachteil des [X.] verneinen sollte, weder die [X.]esamtstrafe für den nicht angefochtenen Teil des Urteils erhöhen noch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen darf. Eine
Unterbringungsanordnung nach §
63 St[X.]B käme nur dann in Betracht, wenn
10
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8
-
deren Voraussetzungen
auch
in Bezug auf die Tat zum Nachteil des [X.] vorlägen.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Franke
Mutzbauer

Meta

4 StR 361/15

14.01.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.01.2016, Az. 4 StR 361/15 (REWIS RS 2016, 17719)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17719

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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