Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.11.2014, Az. 3 C 25/13

3. Senat | REWIS RS 2014, 1170

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Leitsatz

1. Nikotinhaltige Liquids, die zum Verdampfen in E-Zigaretten bestimmt sind und die nicht als Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bezeichnet oder vermarktet werden, sind keine Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG (wie Urteile vom selben Tag in den Parallelverfahren BVerwG 3 C 26.13 und BVerwG 3 C 27.13).

2. Die Einstufung eines Erzeugnisses als Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG setzt voraus, dass es objektiv geeignet ist, zu therapeutischen Zwecken eingesetzt zu werden.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine Ordnungsverfügung, mit der ihr der Verkauf nikotinhaltiger Liquids untersagt worden war.

2

Bei den Liquids handelt es sich um Flüssigkeiten, die zum Befüllen von elektr(on)ischen Zigaretten (im Folgenden: E-Zigaretten) verwendet werden. Die Flüssigkeit wird mittels der E-Zigarette erhitzt. Über das Mundstück kann der dabei entstehende Dampf vom Konsumenten inhaliert werden.

3

Die Klägerin betrieb seit Dezember 2011 in [X.] ein Ladengeschäft für E-Zigaretten und Liquids der Marke [X.]. Die Flüssigkeiten enthielten laut Produktbeschreibung Propylenglycol, Glycerin und Ethanol sowie verschiedene Aromastoffe. Neben nikotinfreien Liquids bot die Klägerin Liquids mit Nikotin in unterschiedlicher Konzentration (zwischen 0,5 % und 2,5 %) an.

4

Mit sofort vollziehbarer Ordnungsverfügung vom 10. Februar 2012 untersagte die beklagte Stadt der Klägerin, in ihrem Geschäft [X.] mit den Nikotinstärken „hoch“ (15 mg) und „mittel“ (10 mg) in den Verkehr zu bringen, und drohte für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 1 000 € an. Zur Begründung führte sie aus, bei den betroffenen Produkten handele es sich um Arzneimittel, die ohne Zulassung nach dem [X.] ([X.]) nicht verkehrsfähig seien. Beim Verdampfen der Liquids werde dem Körper eine pharmakologisch relevante Menge Nikotin zugeführt. Nikotin sei eine Substanz, die insbesondere auf das zentrale Nervensystem und das Herz-Kreislauf-System wirke. Sie steigere die psychomotorische Leistungsfähigkeit sowie die Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen, beschleunige den Herzschlag und bewirke über eine Verengung der Blutgefäße eine Erhöhung des Blutdrucks. Der Stoff könne süchtig machen.

5

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung hob die Beklagte im April 2012 auf.

6

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Aufhebung der Ordnungsverfügung mit Urteil vom 10. Oktober 2012 abgewiesen. Die Beklagte habe die Liquids zu Recht als Arzneimittel eingestuft. Es handele sich um Mittel, die geeignet seien, zu arzneilichen Zwecken eingesetzt zu werden. Sie könnten die Entzugssymptome einer Nikotinsucht lindern, also die physiologischen Körperfunktionen positiv beeinflussen. Die objektive Eignung zur therapeutischen Anwendung rechtfertige die Einordnung eines Erzeugnisses als Arzneimittel, unabhängig davon, ob es nach dem Willen des Herstellers oder Vertreibers dazu bestimmt sei. Im Übrigen sei nicht zweifelhaft, dass die vom Konsumenten als angenehm empfundenen pharmakologischen Wirkungen des nikotinhaltigen Dampfes beabsichtigt seien.

7

Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. September 2013 die Entscheidung des [X.] geändert und den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen: Die Untersagungsverfügung sei rechtswidrig. Die Voraussetzungen für ein Eingreifen der Beklagten nach § 69 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 [X.] lägen nicht vor. Die nikotinhaltigen Liquids seien keine Präsentationsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 [X.]. Weder die Herstellerin noch die Klägerin würden die Liquids und die zugehörige E-Zigarette als Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung der Nikotin- oder Tabaksucht vermarkten. Auch durch die Aufmachung der Liquids entstehe beim Verbraucher nicht der Eindruck, dass sie zu arzneilichen Zwecken bestimmt seien. Ebenso wenig erfüllten die Nikotinlösungen die Merkmale eines Funktionsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a [X.]. Es könne unterstellt werden, dass sie bei bestimmungsgemäßer Anwendung angesichts ihres nicht unerheblichen Nikotingehalts den Stoffwechsel nennenswert beeinflussten. Das allein genüge jedoch nicht, um die [X.] zu bejahen. Die gebotene Gesamtbetrachtung führe zu dem Ergebnis, dass die Liquids ihrer Funktion nach nicht als Arzneimittel, sondern als Genussmittel anzusehen seien. E-Zigaretten mit Nikotinlösungen ähnelten und imitierten Tabakzigaretten, die offensichtlich keine Arzneimittel seien. Auch die Beimengung von Aromastoffen stütze die Einstufung als Genussmittel. Die zunehmende Verbreitung der E-Zigarette sei ebenfalls kein Gesichtspunkt, der für die Annahme eines Arzneimittels sprechen könne; denn der steigende Absatz sei darauf zurückzuführen, dass das Produkt vom Verbraucher überwiegend als Genussmittel angesehen werde. Die Gesundheitsrisiken, die mit dem Verdampfen nikotinhaltiger Liquids verbunden seien, erschienen nicht größer als die Gefahren des Tabakrauchens. Im Rahmen der Gesamtschau sei zudem zu beachten, dass Funktionsarzneimittel typischerweise der Behandlung von Krankheiten oder unerwünschten körperlichen Zuständen und Beschwerden dienten. Es sei daher in den Blick zu nehmen, ob die Liquids objektiv geeignet seien, zu arzneilichen Zwecken eingesetzt zu werden, und ob ihnen die Anwender überwiegend eine therapeutische Zweckbestimmung beimäßen. Beides sei nicht der Fall.

8

Mit der vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Sie macht im Wesentlichen geltend: Das Berufungsgericht habe den Begriff des Präsentationsarzneimittels unzulässig verengt, weil es die Tatbestandsalternative der Linderung von Krankheiten oder krankhafter Beschwerden nicht geprüft und die Online-Werbung des Herstellers der Liquids unzureichend aufgegriffen habe. Darüber hinaus habe das Oberverwaltungsgericht zu Unrecht die Voraussetzungen eines Funktionsarzneimittels verneint. Die vermeintliche Ähnlichkeit mit der Tabakzigarette bestehe nicht. Auf die Kriterien der Geschmacksvarianten, Aufmachung und fehlenden Dosierungsempfehlung könne es nicht entscheidungserheblich ankommen, da es ein Hersteller sonst in der Hand habe, sein Produkt trotz bestehender pharmakologischer Wirkung aus dem Anwendungsbereich des [X.] herauszulösen. Der Aspekt der Verbrauchersicht sei ebenfalls nicht berücksichtigungsfähig; denn das Vorliegen eines Funktionsarzneimittels beurteile sich ausschließlich nach den objektiven Merkmalen des Erzeugnisses. Mit dem Kriterium einer auf die Nikotinentwöhnung bezogenen therapeutischen Eignung und Zweckbestimmung entferne sich das Oberverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des [X.], der für die Abgrenzung von Arzneimitteln zu anderen Erzeugnissen wie Lebens- und Genussmitteln allein auf das Merkmal einer nennenswerten Beeinflussung der Körperfunktionen abstelle. Das Beispiel von Methadon und Diamorphin zeige, dass auch die Funktion der Substitution durch eine weniger schädliche Substanz die [X.] begründen könne. Insbesondere der über eine Tabakzigarette deutlich hinausgehende Nikotingehalt und die erheblichen Gesundheitsrisiken sprächen für die [X.] der Liquids.

9

Die Klägerin tritt dem entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Sie hat außerdem mitgeteilt, dass sie ihr Ladengeschäft mittlerweile nicht mehr betreibe und ihr bisheriges Anfechtungsbegehren auf den Antrag umgestellt, festzustellen, dass der Bescheid vom 10. Februar 2012 rechtswidrig gewesen ist. Das Feststellungsinteresse leitet sie aus einer beabsichtigten Schadensersatzklage gegen die Beklagte wegen Amtshaftung ab.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten [X.]lei[X.]t ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht (§ 137 A[X.]s. 1 Nr. 1 VwGO) angenommen, dass die von der streitigen Untersagungsverfügung [X.]etroffenen Erzeugnisse keine Arzneimittel im Sinne von § 2 A[X.]s. 1 [X.] sind. Danach war der Bescheid rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 69 A[X.]s. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 [X.] nicht vorgelegen ha[X.]en.

1. Nachdem die Klägerin ihren Geschäfts[X.]etrie[X.] aufgege[X.]en und sich dadurch der Bescheid vom 10. Fe[X.]ruar 2012 erledigt hatte, durfte sie ihr Klage[X.]egehren auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag (§ 113 A[X.]s. 1 Satz 4 VwGO) umstellen. Das Ver[X.]ot der Klageänderung im Revisionsverfahren (§ 142 A[X.]s. 1 Satz 1 VwGO) steht der Antragsumstellung nicht entgegen. Der Ü[X.]ergang von der Anfechtungs- zur Fortsetzungsfeststellungsklage ist keine Klageänderung im Sinne des § 91 VwGO (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO) und deshal[X.] auch in der Revisionsinstanz noch zulässig (stRspr; z.B. [X.], Urteile vom 10. April 1997 - 2 [X.] 38.95 - [X.] 236.1 § 3 SG Nr. 16 S. 34 und vom 26. August 2010 - 3 [X.] 35.09 - [X.]E 137, 377 Rn. 24, jeweils m.w.N.).

Die Klägerin hat auch das nach § 113 A[X.]s. 1 Satz 4 VwGO erforderliche [X.]erechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts. Das Feststellungsinteresse ergi[X.]t sich aus der von ihr angestre[X.]ten Staatshaftungsklage, mit der sie gegenü[X.]er der Beklagten einen Entschädigungsanspruch wegen Umsatzein[X.]ußen geltend machen will, die sie im Zuge des angeordneten Verkaufsver[X.]ots erlitten ha[X.]e. Der [X.]ea[X.]sichtigte Zivilprozess erscheint - auch in Ansehung der Klagea[X.]weisung durch das Verwaltungsgericht - nicht offensichtlich aussichtslos ([X.], Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 [X.] 12.12 - [X.] 11 Art. 12 GG Nr. 285 Rn. 17 m.w.N.). Ein Entschädigungsanspruch der Klägerin nach § 39 A[X.]s. 1 [X.]. [X.] des [X.] für das [X.] ([X.]) ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Nach dieser Regelung sind Vermögensschäden (§ 40 A[X.]s. 1 [X.]) zu ersetzen, die jemandem durch eine rechtswidrige Maßnahme der Ordnungs[X.]ehörden entstanden sind, gleichgültig, o[X.] die Ordnungs[X.]ehörden ein Verschulden trifft oder nicht (vgl. z.B. [X.], Urteil vom 30. Okto[X.]er 1984 - [X.] - NJW 1986, 182; [X.], Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 [X.] 12.12 - [X.] 11 Art. 12 GG Nr. 285 Rn. 18 ff.). [X.] ist, dass die Klägerin sich nicht ausdrücklich auf § 39 A[X.]s. 1 [X.]. [X.] [X.] gestützt hat. Es reicht aus, dass sie den potentiell anspruchs[X.]egründenden Sachverhalt dargelegt hat.

2. Grundlage der Untersagungsverfügung war § 69 A[X.]s. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 [X.] in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezem[X.]er 2005 ([X.]). Danach treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Sie können ins[X.]esondere das Inverkehr[X.]ringen von Arzneimitteln untersagen, wenn die erforderliche Zulassung für das Arzneimittel nicht vorliegt. Die Voraussetzungen dieser Eingriffsnorm hat das O[X.]erverwaltungsgericht zutreffend verneint. Die von der Klägerin vertrie[X.]enen Liquids der Nikotinstärken „hoch“ (15 mg) und „mittel“ (10 mg) erfüllen weder die Merkmale eines sog. Präsentationsarzneimittels im Sinne von § 2 A[X.]s. 1 Nr. 1 [X.] und Art. 1 Nr. 2 [X.]. a der Richtlinie 2001/83/[X.] und des Rates vom 6. Novem[X.]er 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel ([X.]. Nr. L 311 [X.]) i.d.F. der Richtlinie 2012/26/[X.] des [X.] und des Rates vom 25. Okto[X.]er 2012 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/[X.] hinsichtlich der Pharmakovigilanz ([X.]. Nr. L 299 S. 1; dazu unter a), noch handelt es sich [X.]ei ihnen um sog. Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 A[X.]s. 1 Nr. 2 [X.]. [X.] und Art. 1 Nr. 2 [X.]. [X.] der Richtlinie 2001/83/[X.] (dazu unter [X.]).

a) Unter den Begriff des Präsentationsarzneimittels fallen Stoffe oder Zu[X.]ereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden [X.]estimmt sind. Ein Erzeugnis erfüllt diese Merkmale, wenn es entweder ausdrücklich als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher Krankheiten [X.]ezeichnet oder empfohlen wird oder wenn sonst [X.]ei einem durchschnittlich informierten Ver[X.]raucher auch nur schlüssig, a[X.]er mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Produkt in An[X.]etracht seiner Aufmachung die [X.]etreffenden Eigenschaften ha[X.]en müsse (stRspr; z.B. [X.], Urteile vom 3. März 2011 - 3 [X.] 8.10 - [X.] 418.32 [X.] Rn. 12 und vom 26. Mai 2009 - 3 [X.] 5.09 - [X.] 418.710 LFGB Nr. 6 Rn. 21 f.; [X.], Urteil vom 15. Novem[X.]er 2007 - [X.]-319/05, [X.] Deutschland - Slg. 2007, [X.] Rn. 43 ff. m.w.N.).

Danach sind die streitigen Produkte nicht als Arzneimittel im Sinne von § 2 A[X.]s. 1 Nr. 1 [X.], Art. 1 Nr. 2 [X.]. a der Richtlinie 2001/83/[X.] anzusehen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die nikotinhaltigen Liquids nicht als Mittel präsentiert werden, die zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten [X.]estimmt sind. Weder nach ihrer Bezeichnung und den wer[X.]enden Aussagen noch nach der [X.] im Ü[X.]rigen nehmen sie in Anspruch, Eigenschaften zur Behandlung der Nikotin- oder Ta[X.]aksucht aufzuweisen. Diese Tatsachen[X.]ewertung [X.]indet das Revisionsgericht (§ 137 A[X.]s. 2 VwGO). Die Beklagte hat hiergegen keine durchgreifenden Revisionsgründe vorge[X.]racht. Das O[X.]erverwaltungsgericht ist [X.]ei seiner Würdigung von zutreffenden rechtlichen Maßstä[X.]en ausgegangen und hat den Begriff des Präsentationsarzneimittels entgegen der Auffassung der Beklagten nicht unzulässig eingeschränkt. Die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind von ihr auch nicht erfolgreich mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden. Ihr Vor[X.]ringen erschöpft sich in der Kritik an der Tatsachenwürdigung des Berufungsgerichts, ohne dass sie, wie es § 139 A[X.]s. 3 Satz 4 VwGO verlangt, einen Verfahrensmangel rügt und darlegt.

[X.]) Die Voraussetzungen eines Funktionsarzneimittels liegen e[X.]enfalls nicht vor.

aa) Hierzu zählen nach § 2 A[X.]s. 1 Nr. 2 [X.]. [X.] ([X.]. [X.] ist unstreitig nicht einschlägig) und Art. 1 Nr. 2 [X.]. [X.] der Richtlinie 2001/83/[X.] alle Stoffe und Stoffzu[X.]ereitungen, die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen vera[X.]reicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder meta[X.]olische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu [X.]eeinflussen.

Die Entscheidung, o[X.] ein Erzeugnis unter diese Definition fällt, ist von Fall zu Fall zu treffen. Da[X.]ei sind alle Merkmale des Produkts zu [X.]erücksichtigen (vgl. § 2 A[X.]s. 3[X.], Art. 2 A[X.]s. 2 der Richtlinie 2001/83/[X.]), ins[X.]esondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder meta[X.]olischen Eigenschaften, die Modalitäten seines Ge[X.]rauchs, der Umfang seiner Ver[X.]reitung, seine Bekanntheit [X.]ei den Ver[X.]rauchern und die Risiken seiner Verwendung (stRspr des [X.]; z.B. Urteile vom 3. Okto[X.]er 2013 - [X.]-109/12, La[X.]oratoires Lyocentre - Rn. 42 und vom 15. Januar 2009 - [X.]-140/07, [X.]. 2009, [X.] Rn. 32, jeweils m.w.N.). Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung sind die pharmakologischen, immunologischen oder meta[X.]olischen Eigenschaften das Kriterium, auf dessen Grundlage ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses zu [X.]eurteilen ist, o[X.] es zur Wiederherstellung, Korrektur oder Beeinflussung der physiologischen Funktionen im oder am menschlichen Körper angewandt oder einem Menschen vera[X.]reicht werden kann ([X.], Urteil vom 3. Okto[X.]er 2013 - [X.]-109/12, La[X.]oratoires Lyocentre - Rn. 43). Das Produkt muss die Körperfunktionen nachweis[X.]ar und in nennenswerter Weise wiederherstellen, korrigieren oder [X.]eeinflussen können, wo[X.]ei auf dessen [X.]estimmungsgemäßen, normalen Ge[X.]rauch a[X.]zustellen ist ([X.], Urteile vom 6. Septem[X.]er 2012 - [X.]-308/11, [X.]hemische Fa[X.]rik Kreussler - Rn. 35 und vom 30. April 2009 - [X.]-27/08, BIOS Naturprodukte - Slg. 2009, [X.] Rn. 21 ff.; [X.], Urteil vom 26. Mai 2009 - 3 [X.] 5.09 - [X.] 418.710 LFGB Nr. 6 Rn. 13 m.w.N.).

Nicht erfasst vom Begriff des Funktionsarzneimittels sind Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen [X.]eschränken, ohne dass sie geeignet wären, der Gesundheit unmittel[X.]ar oder mittel[X.]ar zuträglich zu sein ([X.], Urteil vom 10. Juli 2014 - [X.]-358/13 und [X.]-181/14 - Rn. 38; [X.], Beschluss vom 25. Okto[X.]er 2007 - 3 [X.] 42.06 - [X.] 2008, 254 <256>; [X.], NVwZ 2008, 1179 <1184>). Daher können Erzeugnisse, die nicht zu therapeutischen, sondern ausschließlich zu Entspannungs- oder Rauschzwecken konsumiert werden und da[X.]ei gesundheitsschädlich sind, nicht als Arzneimittel im Sinne von § 2 A[X.]s. 1 Nr. 2 [X.]. [X.], Art. 1 Nr. 2 [X.]. [X.] der Richtlinie 2001/83/[X.] eingestuft werden ([X.], Urteil vom 10. Juli 2014 - [X.]-358/13 und [X.]-181/14 - Rn. 46). Schließlich genügt es nicht, dass das fragliche Erzeugnis Eigenschaften [X.]esitzt, die der Gesundheit im Allgemeinen förderlich sind, oder dass es einen Stoff enthält, der für therapeutische Zwecke verwendet werden kann. Ihm muss vielmehr tatsächlich die Funktion der Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden zukommen ([X.], Urteil vom 15. Novem[X.]er 2007 - [X.]-319/05, [X.] Deutschland - Slg. 2007, [X.] Rn. 64 f.). Mit anderen Worten, das Produkt muss o[X.]jektiv geeignet sein, für therapeutische Zwecke eingesetzt zu werden.

[X.][X.]) Gemessen daran sind die streitigen [X.] nicht als Funktionsarzneimittel anzusehen.

Zwar ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zugrundezulegen, dass Nikotin ein Stoff ist, der pharmakologische Wirkungen entfaltet und in den von der Klägerin vertrie[X.]enen Erzeugnissen in einer Dosierung vorhanden war, die [X.]ei [X.]estimmungsgemäßem Ge[X.]rauch eine nennenswerte Einwirkung auf den Stoffwechsel hervorruft. Bei der ge[X.]otenen Gesamtschau aller Merkmale der Produkte ist das O[X.]erverwaltungsgericht a[X.]er zu dem Schluss gelangt, dass sie nach ihrer Funktion Genussmittel sind und ihnen keine [X.] zukommt. Gegen diese Würdigung ist aus revisionsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.

Für die [X.] spricht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, dass die nikotinhaltige E-Zigarette eine große Ähnlichkeit mit Ta[X.]akzigaretten aufweist. Das ergi[X.]t sich aus der äußeren Form, der sonstigen Aufmachung und der Art der Anwendung der E-Zigarette. Danach wird mit dem Verdampfen der Liquids das Rauchen der Ta[X.]akzigarette imitiert. Durch den Zusatz von Aromastoffen soll ein angenehmer Geschmack erzeugt werden, wo[X.]ei dem Anwender vielfältige Geschmacksvarianten zur Auswahl stehen. Das unterscheidet die Liquids von dem zur Rauchentwöhnung zugelassenen Arzneimittel „[X.]“, das allein Menthol und Nikotin enthält. Auch fehlt eine Dosierungsempfehlung, wie sie für Arzneimittel typisch ist. Des Weiteren hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Liquids nicht geeignet sind, zu therapeutischen Zwecken eingesetzt zu werden. Es stützt sich darauf, dass allein die Möglichkeit, Entzugssymptome kurzfristig zu lindern, die Annahme einer arzneilichen Zweck[X.]estimmung nicht rechtfertigt, weil die Aufnahme und Anreicherung von Nikotin der Gesundheit schaden. Diese Argumentation ist nicht zu [X.]eanstanden (vgl. [X.], Urteil vom 10. Juli 2014 - [X.]-358/13 und [X.]-181/14 - Rn. 32 ff.). Einen Vergleich mit den zur Su[X.]stitution von Betäu[X.]ungsmitteln zugelassenen Arzneimitteln hat das O[X.]erverwaltungsgericht unter Hinweis auf die dafür [X.]estehenden speziellen gesetzlichen Bestimmungen ü[X.]erzeugend a[X.]gelehnt. Schließlich ist den streitigen Liquids auch nicht deshal[X.] eine therapeutische Eignung [X.]eizumessen, weil Erzeugnisse wie Nikotinpflaster oder der „[X.]“ als Arzneimittel eingestuft (und zugelassen) sind. Grundlage für die Qualifizierung dieser Nikotinersatzpräparate als Arzneimittel ist ihr Anspruch und ihre o[X.]jektive Bestimmung, zur Rauchentwöhnung angewendet zu werden. Einen solchen therapeutischen Nutzen weisen die von der Klägerin vertrie[X.]enen Liquids nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht auf. Es hat angenommen, dass sich die Eignung der E-Zigarette als Mittel zur Erreichung eines Rauchstopps und zur Behandlung der Nikotinsucht mit dem Ziel der Entwöhnung wissenschaftlich nicht [X.]elegen lässt. Da[X.]ei stützt es sich auf verschiedene sachverständige Stellungnahmen und wissenschaftliche Erkenntnismaterialien. Dementsprechend messen auch die Konsumenten den Produkten ü[X.]erwiegend keine arzneiliche Zweck[X.]estimmung [X.]ei, sondern verwenden sie als Genussmittel. Verfahrensrügen gegen diese Tatsachenfeststellungen hat die Beklagte nicht erho[X.]en. Sie sind deshal[X.] der Revisionsentscheidung zugrundezulegen (§ 137 A[X.]s. 2 VwGO).

Danach kann die [X.] auch nicht damit [X.]egründet werden, dass mit der Verwendung der Liquids gesundheitliche Risiken ver[X.]unden sind. Das O[X.]erverwaltungsgericht hat nicht verkannt, dass die von dem Inhalieren des Nikotindampfes ausgehenden Gefahren für die Gesundheit noch nicht a[X.]schließend erforscht sind. Nach seinen Feststellungen sind nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft die Gesundheitsrisiken [X.]ei [X.]estimmungsgemäßer Anwendung der E-Zigarette eher geringer einzuschätzen als die Gefahren des Rauchens herkömmlicher Ta[X.]akzigaretten; jedenfalls seien sie nicht größer. Dieser Befund legt zwar eine Regulierung des Inverkehr[X.]ringens und der Kennzeichnung nikotinhaltiger Liquids nahe (vgl. dazu Art. 1 [X.]. f und Art. 20 der Richtlinie 2014/40/[X.] des [X.] und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten ü[X.]er die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Ta[X.]akerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhe[X.]ung der Richtlinie 2001/37/[X.] <[X.]. Nr. L 127 S. 1>, die von den Mitgliedstaaten [X.]is zum 20. Mai 2016 umzusetzen ist ). Allein das Bestehen von Gesundheitsrisiken [X.]ei der Anwendung eines Produkts rechtfertigt es a[X.]er nicht, es als Arzneimittel anzusehen (vgl. [X.], Urteile vom 30. April 2009 - [X.]-27/08, BIOS Naturprodukte - Slg. 2009, [X.] Rn. 24 ff. und vom 10. Juli 2014 - [X.]-358/13 und [X.]-181/14 - Rn. 48 f.).

c) § 2 A[X.]s. 3[X.] und Art. 2 A[X.]s. 2 der Richtlinie 2001/83/[X.] führen zu keiner a[X.]weichenden rechtlichen Bewertung. Aus ihnen ergi[X.]t sich für den Fall, dass ein Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels fällt und zugleich unter die Begriffs[X.]estimmung eines Erzeugnisses nach § 2 A[X.]s. 3 [X.] fallen kann, der Vorrang des [X.]. Die Anwendung der „Zweifelsfallregelung“ des § 2 A[X.]s. 3[X.] [X.]eruht somit auf der Prämisse, dass das [X.]etreffende Produkt die Voraussetzungen eines Arzneimittels erfüllt (vgl. [X.], Urteil vom 15. Januar 2009 - [X.]-140/07, [X.]. 2009, [X.] Rn. 24 m.w.N.; [X.], Urteil vom 26. Mai 2009 - 3 [X.] 5.09 - [X.] 418.710 LFGB Nr. 6 Rn. 15).

d) [X.] als Arzneimittel steht schließlich nicht entgegen, dass nikotinhaltige Liquids in anderen Mitgliedstaaten der [X.] als Arzneimittel [X.]ehandelt werden mögen. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] lässt sich nach der gegenwärtigen - nicht vollständigen - Harmonisierung auf dem Ge[X.]iet des [X.] nicht ausschließen, dass die Frage der [X.] eines Erzeugnisses unterschiedlich [X.]eurteilt wird. Der Umstand, dass Liquids für E-Zigaretten in einem Mitgliedstaat als Arzneimittel qualifiziert werden, [X.]indet andere Mitgliedstaaten daher nicht ([X.], Urteile vom 3. Okto[X.]er 2013 - [X.]-109/12, La[X.]oratoires Lyocentre - Rn. 45 ff. und vom 15. Januar 2009 - [X.]-140/07, [X.]. 2009, [X.] Rn. 28).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 A[X.]s. 2 VwGO.

Meta

3 C 25/13

20.11.2014

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 17. September 2013, Az: 13 A 2448/12, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.11.2014, Az. 3 C 25/13 (REWIS RS 2014, 1170)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1170

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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