Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.11.2003, Az. 2 StR 325/03

2. Strafsenat | REWIS RS 2003, 778

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.] DES VOLKESURTEIL2 StR 325/03vom12. November 2003in der Strafsachegegenwegen gefährlicher Körperverletzung ua- 2 -Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom [X.] 2003, an der teilgenommen haben:Vorsitzende Richterin am [X.]. [X.] [X.] am [X.]. h.c. Detter,[X.],Richterinnen am [X.]. [X.],Roggenbuck,[X.]als Vertreter der [X.],Rechtsanwalt als Verteidiger,Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -1. Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des [X.] vom 9. April 2003 wird verworfen.2. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und diedem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Ausla-gen zu tragen.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zum Nachteil des [X.] zu einer zur Bewährung ausgesetzten Frei-heitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, eine Verurteilung we-gen einer Beteiligung an der späteren Tötung des . [X.] hat das [X.]aus Mangel an Beweisen verneint. Dagegen richtet sich die auf die Verletzungsachlichen Rechts gestützte Revision der Nebenklägerin E. , [X.] des Getöteten.Die [X.] hat folgendes festgestellt:Der Angeklagte und [X.] sind Sympathisanten der sogenannten"Grauen Wölfe" und der "[X.]", beides türkisch-nationalistische Vereinigun-gen. Das spätere Tatopfer [X.]war Kurde und Mitglied im Verein "[X.] Dachverband linksgerichteter [X.] und [X.] Organisationenmit Sitz in [X.]. Dort wurde ein Café betrieben, um das- 4 -sich [X.] , ein ruhiger, schüchterner und zurückhaltender Mensch, kümmerte, erwar im Café auch Ansprechpartner des Vereins.Am Tattag, dem 1. Juli 1999 kamen der Angeklagte und [X.] zwischen21.45 und 22.00 Uhr an dem Café vorbei, während das Tatopfer das Lokal [X.]. Aus ungeklärten Gründen betraten beide das Café, in dessen vorde-rem Bereich es zu einem lauten Streit und zu einer tätlichen Auseinanderset-zung mit [X.] kam, in deren Verlauf beide auf diesen einschlugen und [X.]. Der Grund der Auseinandersetzung waren möglicherweise politische Diffe-renzen. Im hinteren Bereich des Lokals im Thekenbereich griff [X.] dann [X.] mit einem ca. 32,5 cm langen Küchenmesser an und stach [X.] in dessen Brustkorb. Diesem wurde auch noch mit einem weiterenMesser mit einer Klingenlänge von ca. 19 cm und einer maximalen Klingen-breite von bis zu ca. 2,5 cm eine zweite Stichverletzung zugefügt. [X.] ver-starb noch am [X.] infolge Verblutens. Die Herkunft der Tatmesser konntenicht aufgeklärt werden. Insbesondere war nicht sicher festzustellen, daß [X.] und/oder der Angeklagte beide Messer oder eines von ihnen mitgeführt hätten.Der Angeklagte und [X.] kamen kurzfristig während des Tatgeschehens ausden Räumen des Cafés ins Freie und zerstörten die Fensterscheibe rechts ne-ben der Eingangstür, anschließend begaben sich beide wieder in das Caféhinein, wo die Auseinandersetzung ihren Fortgang nahm. Zu welchem Zeit-punkt des Tatgeschehens und weshalb die Fensterscheibe zerstört wurde,konnte das [X.] nicht klären. Einige Minuten nach der Zerstörung derFensterscheibe und der Rückkehr in das Lokal kamen der Angeklagte und [X.] gemeinsam wieder heraus und verließen den [X.]. Der Angeklagte flüchteteanschließend über die [X.] in die [X.] 5 -Der Angeklagte, der die Körperverletzung zum Nachteil des [X.], hat eine Beteiligung an der Tötung bestritten. Er hat außerhalb derjetzigen Hauptverhandlung drei Darstellungen des Tatgeschehens abgegeben,die nach Ansicht des [X.]s zum Teil in sich widersprüchlich und [X.], miteinander in wesentlichen Details nicht in Einklang zu bringen und inzahlreichen wesentlichen Details durch andere Beweismittel widerlegt sind. Die[X.] hält trotzdem eine direkte Beteiligung des Angeklagtenan den Stichen nicht für erwiesen und ist zu seinen Gunsten von einer alleini-gen Täterschaft des gesondert verfolgten [X.] ausgegangen. Dem [X.] insbesondere auch nicht nachzuweisen, daß er die Zufügung der [X.] [X.] vorhergesehen und/oder zustimmend gebilligt habe. Es sei ihm nichtzu widerlegen, daß er von dem Einsatz des Messers überrascht war und selbstvon jeder weiteren Einwirkung auf das Opfer abgelassen hat, als er den [X.] durch [X.] bemerkte. Nicht feststellen konnte die Schwurgerichts-kammer auch, daß der Angeklagte die Angriffe mit den Messern durch [X.] hätte verhindern können.Die Revision meint demgegenüber, die Beweiswürdigung sei rechtsfeh-lerhaft. [X.] wird insbesondere, daß das [X.] über die [X.] Indizien hinaus es unterlassen habe, die erforderliche Gesamtwürdi-gung der sicher festgestellten Tatsachen in verschiedenen möglichen Alterna-tiven durchzuführen. Die [X.] hätte zumindest prüfen [X.], ob eine strafbare Beteiligung auch unter Zugrundelegung der drei in [X.] kommenden Sachverhaltsvarianten ausscheide.Das Rechtsmittel ist [X.] der Tatrichter einen Angeklagten frei oder sieht er von [X.] Verurteilung ab, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nichtzu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der [X.]. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei [X.] Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenndie Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen [X.] oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtlich zu [X.] die Beweiserwägungen auch dann, wenn sie erkennen lassen, daß [X.] überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Über-zeugungsbildung gestellt und dabei nicht beachtet hat, daß eine absolute, dasGegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare,Gewißheit nicht erforderlich ist, vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausrei-chendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denk-theoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zuläßt (st. Rspr.).Einen solchen Rechtsfehler enthält das Urteil nicht.1. Das [X.] hat die für und gegen eine Beteiligung des Ange-klagten an der Tötung des [X.] sprechenden Tatsachen abgewogen undhielt diese für eine Verurteilung nicht für ausreichend. Es hat dabei berücksich-tigt, daß der Angeklagte bei seiner Einlassung mehrfach die Unwahrheit gesagthat. Erkannt hat die [X.], daß für eine Beteiligung des [X.] seine Anwesenheit zur Tatzeit am [X.] spricht, die Freundschaftmit [X.] , dessen politischen Ansichten er teilt. Dazu kommt, daß sie gemeinsameinen politischen Gegner tätlich angegriffen haben, wobei beide den [X.]gemeinsam aufgesucht und dann später in bestem Einvernehmen verlassenhaben. Dazu kommt, daß sie eine Fensterscheibe des Lokals gemeinsam [X.] 7 -treten haben. Die zwei tödlichen Stichverletzungen in Herz und [X.] sind durchzwei verschiedene Tatwerkzeuge verursacht worden, was auf zwei Täter hin-deuten kann, bei einem der Messer ist der Angeklagte als Verursacher vonDNA-Spuren nicht auszuschließen. Letztendlich ist der Angeklagte durch seineEhefrau in einem Telefonat mit dem ermittelnden Kriminalbeamten und durcheinen anonymen Anruf einer Zeugin bei der Polizei als Tatbeteiligter belastetworden.Wenn das [X.] trotzdem auf Grund anderer Feststellungen nichtdie Überzeugung von der Beteiligung des Angeklagten gewinnen konnte,spricht dies allein nicht für überspannte Anforderungen an die zur [X.] Überzeugungsbildung und kann deshalb aus Rechtsgründen nichtbeanstandet werden. Denn die [X.] weist zu Recht auchdarauf hin, daß es eine Reihe entlastender Umstände gibt, die [X.] des Angeklagten stützen, so die Äußerungen [X.] in einem aufge-zeichneten Telefonat mit dem Zeugen S. am 14. Juli 1999, in dem er meinte,der Angeklagte habe mit der Sache so oder so nichts zu tun und dessengleichlautenden Äußerungen gegenüber Dritten.2. Es ist auch nicht zu besorgen, daß die [X.] dieerforderliche Gesamtwürdigung der für eine Beteiligung des Angeklagten spre-chenden Indizien, und zwar insgesamt wie auch innerhalb der drei für möglichgehaltenen Tatvarianten, unterlassen hat. Der Tatrichter muß sich in der Be-weiswürdigung mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeig-net sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des [X.] beeinflussen. Dabei darf er die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur iso-liert werten, sondern muß diese in eine umfassende Gesamtwürdigung einbe-- 8 -ziehen. Denn die Indizien können in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entspre-chende Überzeugung vermitteln, auch wenn eine Mehrzahl von [X.] jeweils für sich allein nicht zum Nachweis der Täterschaft eines Ange-klagten ausreicht (vgl. u.a. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11; Be-weiswürdigung, unzureichende 1; [X.], 491, 492; 2002, 48).Auch diesen Anforderungen wird das Urteil, soweit es eine [X.] Angeklagten wegen einer Beteiligung an der Tötung des [X.] verneint,gerecht. Das [X.] hat ausdrücklich - wenn auch knapp - eine solcheGesamtwürdigung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Indizienvorgenommen ([X.]). Es hat dabei zu Recht auf die fehlenden direktenTatzeugen und die widersprüchlichen Angaben des Angeklagten und des an-deren Tatbeteiligten abgestellt. Dem kommt insbesondere deshalb [X.], da für eine strafbare Beteiligung des Angeklagten seine subjektive Einstel-lung zu den Vorgängen mit ausschlaggebend sein mußte. Darauf zu schließen,bedurfte es aber tatsächlicher Anhaltspunkte. Solche hat das [X.] aberrechtsfehlerfrei nicht gesehen.3. Nicht ausdrücklich erörtert hat das [X.], ob eine strafbare Be-teiligung des Angeklagten an der Tötung des [X.] auch bei [X.] drei für möglich gehaltenen Tatvarianten ausscheidet. Auf der [X.] Feststellungen mußte das [X.] zwar in [X.] diedrei verschiedenen Möglichkeiten des Tathergangs, wie sie der Angeklagtegeschildert hat, nach einem strafbaren Gehalt überprüfen. Das [X.] wargehalten, die von ihm für möglich erachtete, nach dem Zweifelsgrundsatzdenkbar mildeste Variante schuldhafter Beteiligung des Angeklagten im Zu-sammenhang mit der Tötung des [X.] konkret festzustellen und hiernach die- 9 -strafrechtliche Verantwortung des Angeklagten zu bestimmen (vgl. dazu [X.], 12; BGHR StGB vor § 1/Wahlfeststellung [X.] 3; [X.] 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 6, 17; [X.], 171-172; [X.], 309). Die Urteilsgründe belegen aber nicht, die [X.]könne übersehen haben, daß ein Freispruch ausscheidet, wenn im [X.] verbleibt, wonach der Angeklagte sich nicht wegeneiner gewaltsamen Einwirkung auf das Tatopfer strafbar gemacht hätte. Nachdem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe scheidet nämlich zumindest ineiner der Varianten ein strafbares Verhalten des Angeklagten aus. Es bestehtdie Möglichkeit, daß sämtliche Stiche vor dem Zerstören derFensterscheibe gesetzt wurden. Dem steht nicht entgegen, daß der Stich mitdem zweiten Messer in die [X.] ([X.]) zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, als [X.] des Getöteten infolge der durch die vorangegangenen Stiche verur-sachten Blutungen bereits "erheblich heruntergefahren" war ([X.]), [X.] gewisser Zeitraum zwischen beiden Stichen vergangen sein mußte. [X.] [X.] festgestellte "Gepolter und Schreien" ([X.]) nach [X.] des Angeklagten und des [X.] in das Café selbst beweist nicht, daßdas Tatopfer daran im Sinne eines Kampfgeschehens beteiligt war. Es [X.] die Möglichkeit, daß die tödlichen Stiche bereits kurz nach dem [X.] in die Räumlichkeiten des Cafés geführt wurden. Wenn aber ein solchesTatgeschehen nicht auszuschließen ist, kann - wie die [X.]rechtsfehlerfrei ausgeführt hat - die Einlassung des Angeklagten, der sich inseinen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren auf einen Exzeß [X.] s berufenhat, durch beweiskräftige Tatsachen nicht widerlegt werden. Denn dann [X.] die Möglichkeit, daß der erste Stich in den Brustkorb durch [X.] überra-schend für den Angeklagten gesetzt wurde ([X.] und der zweite Stich -- 10 -unbemerkt vom Angeklagten - dem Tatopfer in der Küche beigebracht wurde([X.], [X.] erörtert hat das [X.] die Möglichkeit, daß der [X.] ein Verbrechen des (versuchten) Totschlags durch [X.] haben kann. Denn er hat sich vom [X.] entfernt, ohne selbst Hilfefür den am Boden liegenden [X.] zu leisten oder entsprechende Hilfe durchDritte zu veranlassen. Nach dem Gesamtzusammenhang der [X.] der Senat aber aus, daß in einer neuen Hauptverhandlung insoweiteine Verurteilung zu erwarten ist. Denn es wird nicht auszuschließen sein, daßder Angeklagte das Tatopfer bereits für tot hielt.[X.] Bode [X.] Roggenbuck

Meta

2 StR 325/03

12.11.2003

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.11.2003, Az. 2 StR 325/03 (REWIS RS 2003, 778)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 778

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 53/15 (Bundesgerichtshof)

Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag: Heimtücke und Zweifelsgrundsatz; sonstige niedrige Beweggründe


1 StR 53/15 (Bundesgerichtshof)


1 StR 186/03 (Bundesgerichtshof)


2 StR 125/02 (Bundesgerichtshof)


5 StR 124/20 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen Tötungsdelikt: Feststellung von Heimtücke bei von langer Hand geplanter und vorbereiteter Tat


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.