Bundespatentgericht, Urteil vom 18.02.2014, Az. 3 Ni 28/12 (EP)

3. Senat | REWIS RS 2014, 7851

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Gegenstand

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung


Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 0 627 919

([X.] 18 255)

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] sowie des Richters [X.], der Richterin Dipl.- Chem. [X.], des Richters Dipl.-Chem. Dr. [X.] und des Richters Dipl.-Chem. Dr. Jäger

für Recht erkannt:

[X.] Das [X.] Patent 0 627 919 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] für nichtig erklärt.

I[X.] Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II[X.] [X.] ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 22. Oktober 1992 unter Inanspruchnahme der [X.] Priorität 9202696 vom 6. März 1992 als internationale Patentanmeldung PCT/[X.]/00992 angemeldeten und vor dem [X.] in der regionalen Phase in [X.] erteilten [X.] Patents EP 0 627 919 (Streitpatent), dessen Erteilung mit Wirkung für die [X.] beim [X.] am 12. März 1997 bekannt gemacht worden ist und das vom [X.] unter der Nummer [X.] geführt wird. Das mit Wirkung vom 23. Oktober 2012 durch Zeitablauf erloschene Streitpatent, das in vollem Umfang und hilfsweise beschränkt mit einem Hilfsantrag verteidigt wird, betrifft die „Verwendung von Amino-2-trifluormethoxy-6-benzothiazol ([X.]) zur Herstellung eines Medikamentes zur Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons“ und umfasst 5 Patentansprüche, die in [X.] Übersetzung folgendermaßen lauten:

2

1. Verwendung von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons.

3

2. Verwendung nach Anspruch 1 von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose.

4

3. Verwendung nach Anspruch 2 zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose mit bulbärem Beginn.

5

4. Verwendung nach Anspruch 2 zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose in bulbärer Form.

6

5. Verwendung nach Anspruch 1 bis 4 zur Herstellung eines Arzneimittels, das 25 mg bis 200 mg 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol umfasst.

7

Die Klägerin, die das Streitpatent in vollem Umfang angreift, macht den [X.] der mangelnden Patentfähigkeit geltend und stützt ihr Vorbringen auf folgende Dokumente:

8

NiK1 EP 0 627 919 B1 (Streitpatent)

9

[X.] [X.] T2, [X.] Übersetzung der NiK1

[X.] [X.]

[X.] [X.] Übersetzung der [X.] ([X.])

[X.] [X.] et. al., [X.]. [X.]. [X.]. 1963, 33, 2301 bis 2307

[X.] [X.] Übersetzung des Abs. 4 auf [X.] der [X.]

NiK4 emeA [X.], [X.]/H/C/109, [X.] ([X.]) [X.], 10. Juni 1996, [X.]-2007.

[X.]/[X.]. 2-Amino-6-trifluormethoxybenzothiazol (= [X.]) falle unter die allgemeine [X.] nach Anspruch 1 der [X.]/[X.], wobei nach Anspruch 2 der Trifluormethoxyrest [X.]/[X.] seien auch ausdrücklich zur Behandlung und Vorbeugung der amyotrophen Lateralsklerose nützlich.

[X.]/[X.] offenbare [X.] formelmäßig und in individualisierter Form, wobei es unter die bevorzugten Verbindungen des Patentanspruchs 2 der [X.]/[X.] falle und lehre weiterhin, dass die erfindungsgemäßen Verbindungen für die Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose eingesetzt werden könnten. Für den Fachmann habe es daher nahe gelegen, dieser Anregung der [X.]/[X.] zu folgen und insbesondere auch [X.] für diese Anwendung zu testen. Die im Hilfsantrag beanspruchte Verwendung von [X.] zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotropher Lateralsklerose mit bulbärem Beginn bzw. in bulbärer Form unterscheide sich nicht von der im Patentanspruch 2 des [X.] beanspruchten Verwendung von [X.] zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotropher Lateralsklerose, da im Hilfsantrag lediglich eine mögliche Symptomatik der amyotrophen Lateralsklerose und keine neue Indikation beansprucht werde.

Die Klägerin stellt den Antrag,

das [X.] Patent 0 627 919 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] für nichtig zu erklären.

Die Beklagte stellt den Antrag,

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des [X.] gemäß Schriftsatz vom 24. Januar 2014 erhält.

Gemäß Hilfsantrag werden die Patentansprüche 1 und 2 des [X.] im Patentanspruch 1 auf die Indikation der Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose mit bulbärem Beginn und im nebengeordneten Patentanspruch 2 auf die Indikation der Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose in bulbärer Form beschränkt. Die erteilten Patentansprüche 3 und 4 entfallen. Patentanspruch 3 gemäß Hilfsantrag entspricht mit Anpassungen der Rückbeziehungen dem erteilten Patentanspruch 5.

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Zur Stützung ihres Vorbringens verweist sie auf folgende Dokumente:

[X.] Urteil 4b 135/12 im Verfahren A… S.A. ./. C… … GmbH und R… GmbH vor dem LG Düsseldorf vom 19. Oktober 2012

[X.] EP 0 374 041 A1

[X.]a AT E 77 375 B ([X.] Übersetzung der [X.])

rop3 Entscheidung [X.] – 3.3.1 der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes vom 5. Dezember 1989

rop4 Entscheidung [X.] – 3.3.2 der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes vom 28. Oktober 1998.

[X.]/[X.], weil die streitpatentgemäß verwendete Verbindung [X.] dort nicht eindeutig und unmittelbar als individualisierte Verbindung zur Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose offenbart sei. Insbesondere werde in der [X.]/[X.] eine durch eine Markush-Formel definierte Vielzahl von Verbindungen als – möglicherweise – geeignet zur Behandlung einer Vielzahl von verschiedenen Erkrankungen gelehrt. Diese Druckschrift enthalte somit keine Hinweise, gerade [X.] zur Behandlung von insbesondere amyotrophischer Lateralsklerose auszuwählen, zumal Wirkungsnachweise zur Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose für die beschriebenen Verbindungen in der [X.]/[X.] fehlten.

[X.]/[X.] keinen Anlass gebe, das bereits seit mehr als 20 Jahren bekannte [X.] gemäß seiner Lehre auszuwählen und insbesondere als speziell zur Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose geeignet in Betracht zu ziehen.

Entscheidungsgründe

I.

Die auf den [X.] der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. A EPÜ) gestützte Klage ist zulässig. Insbesondere sind die Parteien nach einem einverständlichen [X.] identisch mit den Parteien des auf das inzwischen erloschene Streitpatent gestützten zivilgerichtlichen einstweiligen Verfügungsverfahrens, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage vorliegt. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1.1. [X.] betrifft die Verwendung von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons, insbesondere für die Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose mit bulbärem Beginn oder in bulbärer Form (vgl. [X.] Patentansprüche 1 bis 4 und S. 1 Abs. 1).

Bei 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol handelt es sich um ein Benzothiazolaminderivat mit folgender Strukturformel:

Abbildung

[X.] S. 1 Abs. 2). Dem [X.] liegt als Grundstruktur Benzothiazolamin, auch 2-Aminobenzothiazol genannt, zugrunde. Des Weiteren ist im [X.] an der Position 6 dieser Grundstruktur ein Trifluormethoxyrest gebunden. Die Verbindung [X.] wurde mehr als 25 Jahre vor dem Prioritätstag des Streitpatents in der [X.]/[X.]a beschrieben.

[X.] sind die efferenten, d. h. die Nervenimpulse vom Zentralnervensystem zur Peripherie leitenden Nervenzellen, die die Muskulatur des Körpers innervieren und somit Grundlage aktiver Kontraktionen der Skelettmuskeln sind. Sie umfassen zwei Gruppen von Nervenzellen, die man als das erste und das zweite Motoneuron bezeichnet. [X.], wie z. B. Poliomyelitis oder spastische Spinalparalyse, sind Erkrankungen, die das erste oder das zweite Motoneuron oder beide Gruppen der motorischen Nervenzellen betreffen. Die amyotrophische Lateralsklerose (= ALS) stellt eine Form der [X.]rkrankung dar, in der beide Gruppen des motorischen Nervensystems involviert sind. Dabei kommt es zu einer fortschreitenden und irreversiblen Schädigung oder Degeneration der [X.]. Bei der ALS können erste Symptome an unterschiedlichen Stellen des Körpers auftreten. So können Muskelschwund und Schwäche in der Hand- und Unterarmmuskulatur meist zunächst nur auf einer Körperseite auftreten, bevor sie sich auf die andere Körperseite und auf die Beine ausdehnen. Bei einer ALS mit bulbärem Beginn treten erste Symptome im Bereich der Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur auf. Die ALS in bulbärer Form zeichnet sich durch eine Funktionsbeeinträchtigung der Zungen-, Schlund- und Gaumenmuskulatur im Verlauf der Krankheit aus. Diese Lähmungen treten bekanntlich bei ca. 20 % der Erkrankten als Initialsymptom auf (vgl. [X.]: „Neurologie“, [X.], 13. Aufl., 2010, S. 724).

[X.] S. 1 Abs. 2). Zudem sei aus der EP 374 041 [X.] (= [X.]) die Verwendung von [X.] mit Ausnahme von [X.] bei der Behandlung von ALS bekannt (vgl. [X.] S. 1 Abs. 3).

1.2. Dem Streitpatent liegt die objektive technische Aufgabe zugrunde, ein Arzneimittel für die Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons, insbesondere für die Behandlung von ALS bereitzustellen.

1.3. Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 des [X.] durch

1.1. die Verwendung von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder

1.2. einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure

2. zur Herstellung eines Arzneimittels für

3. die Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons.

1.4. Bei dem zuständigen Fachmann handelt es sich um einen in der klinischen Forschung tätigen Facharzt für Neurologie, der mit einem auf dem Gebiet der pharmazeutischen Technologie promovierten und berufserfahrenen [X.]hemiker oder Pharmazeuten in einem Team zusammenarbeitet.

II.

Die Patentansprüche 1 bis 5 gemäß Hauptantrag erweisen sich mangels Patentfähigkeit als nicht bestandsfähig.

1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist gegenüber dem Stand der Technik der [X.]/[X.] nicht neu.

Für die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, ist maßgeblich, welche technische Information dem Fachmann im Gesamtinhalt der Vorveröffentlichung unmittelbar und eindeutig offenbart wird. Dabei setzt die Neuheit einer medizinischen Indikation voraus, dass die Verwendung des Arzneimittels in der Art seiner Anwendung oder für sein medizinisches Einsatzgebiet noch nicht als wirksam oder zumindest erfolgversprechend vorbeschrieben oder vorbenutzt ist (vgl. [X.], [X.], 9. Aufl., § 3 Rn. 93 bis 96, 157 Teilpunkt i) und 177; Busse/Keukenschrijver, [X.], 7. Aufl., § 3 Rn. 134 und 165; Benkard/Melullis, [X.], 10. Aufl., § 3 Rn. 20, 91c; [X.], [X.], 999, 31, 33 – Memantin). Dies ist hier nicht der Fall. Die Verwendung eines Arzneimittels mit dem Wirkstoff [X.] zur Behandlung der [X.]rkrankung ALS war zum Prioritätszeitpunkt im Stand der Technik als wirksam vorbeschrieben.

[X.]/[X.] offenbart im Patentanspruch 1 unmittelbar und eindeutig [X.].

Abbildung

Abbildung

1 Polyfluoralkoxy-(1[X.]), mit anderen Worten Trifluormethoxy, und für R2 und R3 jeweils ausschließlich ein Wasserstoffatom vorgesehen. [X.]/[X.]a die Herstellung von [X.] ausdrücklich angegeben (vgl. [X.] S. 9 Z. 6 bis 8). Damit ist in der [X.]/[X.] [X.] dem Fachmann ohne Weiteres als individualisierte Verbindung der allgemeinen Formel im Patentanspruch 1 aufgezeigt. Des Weiteren gibt diese Druckschrift an, dass die Verbindungen der allgemeinen Formel im Patentanspruch 1 interessante pharmakologische Eigenschaften haben. Sie sind nützlich zur Behandlung und Vorbeugung von neurologischen Störungen, an denen Glutamat beteiligt sein kann und zu denen ALS gehört (vgl. [X.] S. 4/5 übergreifender Abs. und S. 10/11 übergreifender Abs.). Damit gibt die [X.]/[X.] die Verwendung von Verbindungen der allgemeinen Formel im Patentanspruch 1 zur erfolgversprechenden Behandlung von ALS, einer Erkrankung der [X.]n, an und individualisiert zugleich [X.] als Beispiel für eine dieser Verbindungen. Die streitpatentgemäß beanspruchte Verwendung von [X.] zur Behandlung der Erkrankung des Motoneurons ist daher in [X.]/[X.] neuheitsschädlich vorbeschrieben.

[X.]/[X.]. Denn in der Beschreibung dieser Druckschrift wird angegeben, dass Verbindungen der genannten allgemeinen Formel mit Ausnahme von einem [X.]derivat – dieses weist einen [X.] anstelle eines Trifluormethoxyrests an der Position 6 des Benzothiazolamin-Grundgerüsts auf – neu und als solche Gegenstand der Erfindung seien, wobei dieses vorbeschriebene [X.]derivat in [X.]/[X.]a ohne Erwähnung einer pharmakologischen Eigenschaft offenbart sei (vgl. [X.] [X.] 11 bis 7 v. u.). Des Weiteren lehrt die Beschreibung der [X.]/[X.], dass 6-Polyfluoralkoxy-2-benzothiazolamine der allgemeinen Formel des Patentanspruchs 1 durch Anwendung oder Anpassung der in [X.]/[X.]a beschriebenen Methode hergestellt werden können (vgl. [X.] S. 4 Mitte). Für ein derartiges 6-Polyfluoralkoxy-2-benzothiazolamin stellt [X.] das einfachste Beispiel dar, in dem lediglich an Position 6 ein Trifluormethoxyrest für den Polyfluoralkoxyrest steht und ansonsten keine weiteren Substituenten vorgesehen sind. Demgegenüber finden sich in der Beschreibung keine Hinweise, dass [X.] als übliche Verwirklichungsform der genannten allgemeinen Formel gerade nicht unter die Lehre dieser Druckschrift f[X.] soll. Vielmehr wird beschrieben, dass die Verbindungen der allgemeinen Formel des Patentanspruchs 1 und ihre Salze interessante pharmakologische Eigenschaften haben und nützlich sind zur Behandlung und Vorbeugung von Störungen, an denen Glutamat beteiligt sein kann, z. B. von ALS (vgl. [X.]/[X.] S. 4/5 übergreifender Abs. und S. 10/11 übergreifender Abs.).

[X.]/[X.] die streitpatentgemäß verwendete Verbindung [X.] nicht nur

[X.]/[X.] für die Benzothiazolaminderivate der allgemeinen Formel des Patentanspruchs 1 im Zusammenhang mit einer medizinischen Indikation beschrieben wird, nicht erforderlich. Vielmehr ist es ausreichend, dass der Stand der Technik dem Fachmann den Stoff und seine Anwendung in einem medizinischen Verfahren so deutlich und vollständig offenbart, dass er eine bestimmte Krankheit erfolgreich behandeln kann (vgl. [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 3 Rn. 142 Aufzählungspunkt c)). Die [X.]/[X.] offenbart unmittelbar und eindeutig die Behandlung von ALS durch die Benzothiazolaminderivate der allgemeinen Formel des Patentanspruchs 1. Sie enthält dazu nicht nur allgemeine Angaben zur Eignung dieser Verbindungen für die Anwendung auf dem Gebiet der Medizin oder Pharmazie zur Behandlung von Krankheiten, sondern gibt Tests zur Überprüfung der Aktivität der Verbindungen der Formel des Patentanspruchs 1 an und offenbart Dosierungsangaben und Formulierungsbeispiele (vgl. [X.] S. 5 Z. 5 bis 10 und [X.] 4 bis S. 12).

[X.]/[X.] ausdrückliche Erwähnung von [X.] als Ausgangsprodukt zur Herstellung eines in Position 5 eine weitere Aminogruppe aufweisendes [X.] – eine von mehreren Verbindungen von speziellem Interesse in der [X.]/[X.] – nicht in Frage stellen, dass der Fachmann [X.] den Patentansprüchen 1 und 2 der [X.]/[X.] unmittelbar und eindeutig entnimmt (vgl. [X.] S. 8/9 Beispiel 7 i. V. m. S. 5 Z. 13 bis 17). Denn die Ausführungen in diesem Beispiel legen die Herstellung einer in dieser Druckschrift als bevorzugt beschriebenen Verbindung dar, schließen aber nicht [X.] als zur Offenbarung der [X.]/[X.] gehörend aus, da für die Bestimmung des [X.] der Vorveröffentlichung zu beachten ist, dass ein weiter zu verstehender Sinngehalt der Patentansprüche nicht auf Ausführungsformen eingeschränkt ist, auf die sich die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele des Patents ausschließlich beziehen (vgl. [X.], [X.], 309, [X.]. - Schussfädentransport; [X.], [X.], 1023, [X.]. – Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung).

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist damit vom Stand der Technik neuheitsschädlich vorbeschrieben und hat daher keinen Bestand.

2. Die weiteren Patentansprüche des [X.] bedürfen keiner weiteren, isolierten Prüfung, weil die [X.] in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass sie den Hauptantrag als geschlossenen Anspruchssatz versteht und das Streitpatent in der Reihenfolge Hauptantrag und Hilfsantrag verteidigt (vgl. [X.] [X.], 862 – [X.]; [X.] GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät; B[X.] GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).

III.

Die von der [X.]n hilfsweise verteidigte Fassung gemäß Hilfsantrag erweist sich aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit gleichfalls als nicht bestandsfähig.

[X.]/[X.] nicht neuheitsschädlich vorweggenommen sein, da in [X.]/[X.] eine Behandlung der ALS mit bulbärem Beginn bzw. in bulbärer Form nicht unmittelbar und eindeutig beschrieben wird. Die Gegenstände der nebengeordneten Patentansprüche 1 und 2 des [X.] beruhen indessen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

[X.]/[X.] ausgehen. [X.]/[X.] befasst sich nämlich mit der Bereitstellung von Benzothiazolaminderivaten, die als Wirkstoffe gegen neurologische Störungen, an denen Glutamat beteiligt sein kann, z. B. gegen ALS anwendbar sind (vgl. [X.] Patentansprüche 1, 3, 5, S. 2 Abs. 1, S. 4/5 übergreifender Abs. und S. 10/11 übergreifender Abs.). Der Fachmann hatte somit zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe die Veranlassung, diese Druckschrift in Betracht zu ziehen. Die [X.]/[X.] offenbart weiterhin mehrere individualisierte Benzothiazolaminderivate, darunter – wie vorstehend unter [X.] ausgeführt – auch [X.] (vgl. [X.] [X.] 11 bis 7 von unten, S. 5 Z. 13 bis 17 und Beispiele 1 bis 9). Der Fachmann zieht daher neben den als bevorzugt genannten Verbindungen für seine Zielsetzung auch [X.] in Betracht, insbesondere weil dessen Verwendung als Wirkstoff in der Neurologie der Fachwelt zum Prioritätszeitpunkt bereits bekannt war, wie im einleitenden Teil des Streitpatents unter Bezugnahme auf druckschriftlichen Stand der Technik ausgeführt ist (vgl. [X.] S. 1 Abs. 2). Er war umso mehr dazu veranlasst, als es sich bei [X.] um eine leicht zugängliche und im Vergleich zu den in [X.]/[X.] bevorzugt genannten Verbindungen einfacher – d. h. in weniger Verfahrensschritten – herstellbare Verbindung handelt (vgl. [X.] S. 9 Abs. 2 i. V. m. [X.]a sowie [X.] Beispiele 1, 2, 7 und 8). Somit bestand gemäß der Offenbarung der [X.]/[X.] auch eine hinreichende Erfolgsaussicht, [X.] zur Behandlung von ALS aus den in dieser Druckschrift individualisierten Verbindungen einzusetzen. Die Ausrichtung der beanspruchten Verwendung von [X.] zur Behandlung von ALS auf die Symptomatik „mit bulbärem Beginn“ bzw. „in bulbärer Form“ kann vor diesem Hintergrund die Patentfähigkeit nicht begründen. Denn – wie vorstehend unter [X.] ausgeführt – versteht der Fachmann unter einer ALS mit bulbärem Beginn bzw. in bulbärer Form keine von ALS unterschiedlichen Krankheiten. Vielmehr handelt es sich dabei lediglich um jene Ausprägung der Krankheit, die durch Funktionsbeeinträchtigungen im Zungen-, Schlund- und Gaumenbereich gekennzeichnet ist. Bei der aus [X.]/[X.] nahe gelegten Verwendung von [X.] zur Behandlung von ALS wird der Fachmann [X.] auf Grund dessen zur Behandlung von ALS jeglicher Symptomatik und damit auch zur Behandlung von ALS mit bulbärem Beginn bzw. in bulbärer Form einsetzen. Bei der Auswertung der Anwendung stellt der Fachmann daher zwangsläufig und ohne selbst erfinderisch tätig zu werden fest, dass ALS mit bulbärem Beginn bzw. in bulbärer Form mit [X.] vorteilhaft behandelt werden kann. Hierin liegt mithin im Sinn ständiger Rechtsprechung des [X.] ein „Bonus-Effekt“, der nichts daran ändert, dass das Streitpatent insoweit dem Fachmann keine andere Lehre zur Behandlung der [X.]rkrankung ALS gibt als sie ihm im Stand der Technik gemäß [X.]/[X.] bereits gegeben worden ist, und der daher für die Bejahung erfinderischer Tätigkeit nicht herangezogen werden kann (vgl. [X.] GRUR 2010, 123, 127 Rn. 41 – [X.]; [X.] GRUR 2009, 936, 938 Rn. 22 – Heizer; [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 4 Rn. 158 m. w. N.).

[X.]/[X.] das vorbekannte [X.] weder als bevorzugte Verbindung auf Seite 5 noch im Zusammenhang mit den ebenfalls auf dieser Seite beschriebenen Tests, sondern nur als Zwischenprodukt und damit nicht unter die allgemeine Formel des Patentanspruchs 1 und insbesondere nicht als speziell zur Behandlung von ALS geeignet in Betracht gezogen habe und daher der streitpatentgemäße Gegenstand für den Fachmann nicht nahe gelegen habe, kann nicht überzeugen. Denn die Gesamtlehre dieser Druckschrift zeigt dem Fachmann die Eignung von [X.] unter die allgemeine Formel des Patentanspruchs 1 f[X.]den Benzothiazolaminderivaten für die Behandlung von ALS (vgl. Patentansprüche 1 und 2 i. V. m. [X.]/[X.] S. 4/5 und S. 10/11 jeweils übergreifender Abs.). Des Weiteren lehrt zwar die Druckschrift vier bevorzugte Derivate (vgl. [X.]/[X.] S. 5 Z. 13 bis 17). Dass sich aber die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele dieser Druckschrift auf diese bevorzugten Derivate beziehen, schränkt einen weiter zu verstehenden Sinngehalt der Patentansprüche der Druckschrift nicht auf diese Ausführungsformen ein. Dies gilt insbesondere, da der [X.]/[X.] nicht zu entnehmen ist, dass das unter die allgemeine Formel des Patentanspruchs 1 f[X.]de [X.] für die Behandlung von ALS nicht geeignet sei (vgl. [X.] [X.], 309, [X.]. - Schussfädentransport). Vielmehr weisen die Ausführungen in der Beschreibung, dass die Verbindungen der allgemeinen Formel des Patentanspruchs 1 durch Anwendung oder Anpassung der in [X.]/[X.]a beschriebenen Methode erhältlich sind und dass diese Verbindungen interessante pharmakologische Eigenschaften hinsichtlich der Behandlung von u. a. ALS haben, den Fachmann auch auf [X.] hin (vgl. S. 4 4. vollständiger Abs. und S. 4/5 übergreifender Abs.). Daran kann auch der Disclaimer von [X.] aus dem Schutzbereich der europäischen Nachanmeldung [X.] der [X.]/[X.] nichts ändern (vgl. [X.] Patentansprüche 1, 4, [X.] 15 bis 22), da der [X.] der Voranmeldung unabhängig von der Nachanmeldung ist und sich dieser für den Fall der Patenterteilung im Laufe der Patentprüfungsverfahren vor verschiedenen Patentämtern insbesondere zur Abgrenzung vom jeweiligen Stand der Technik unterschiedlich ändern kann.

[X.]/[X.] – worauf die [X.] hinweist – keine experimentellen Daten hinsichtlich der Eignung von Verbindungen der allgemeinen Formel des Patentanspruchs 1 für die Behandlung von ALS finden. [X.]/[X.] beschreibt die Aktivität der Verbindungen der allgemeinen Formel des Patentanspruchs 1 und damit auch von [X.] gegenüber Glutamat induzierten Krankheiten wie z. B. Krampfzuständen oder schizophrenen Störungen sowie gegenüber neurologischen Störungen, an denen Glutamat beteiligt sein kann, wie u. a. ALS (vgl. [X.] S. 4/5 und S. 10/11 jeweils übergreifender Abs.). Die [X.]/[X.] lehrt des Weiteren die einzusetzenden Dosen und gibt sogar in den Beispielen A bis [X.] beispielhafte Formulierungen an (vgl. [X.] [X.] 4 bis S. 12). Damit offenbart die [X.]/[X.] dem Fachmann die Anwendung der Verbindungen der allgemeinen Formel im Patentanspruch 1 zur Behandlung von ALS ausreichend deutlich und vollständig (vgl. [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl. § 3, Rn. 142 Aufzählungspunkt c)).

Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 2 des [X.] sind daher nahegelegt und somit nicht bestandsfähig.

Ein bestandsfähiger Rest ist für den Senat auch nicht in dem Gegenstand des nachgeordneten Patentanspruchs 3 zu erkennen. Die [X.] hat nicht vorgetragen, dass ihm ein eigenständiger patentfähiger Gehalt zukäme. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Dieser Patentanspruch ist daher ebenfalls nicht patentfähig.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

Meta

3 Ni 28/12 (EP)

18.02.2014

Bundespatentgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 18.02.2014, Az. 3 Ni 28/12 (EP) (REWIS RS 2014, 7851)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7851

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