Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.04.2011, Az. VI R 86/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 7540

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Gegenstand

Keine Anlaufhemmung bei Antragsveranlagung - Klagerücknahme im Revisionsverfahren


Leitsatz

NV: Der Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.V.m. § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2008 kann der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegenstehen. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO kommt nicht zur Anwendung.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) für das [X.] zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.

2

Der Kläger, der im Streitjahr (2003) ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte, reichte im August 2008 eine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) ein. Das [X.] lehnte die Durchführung der Antragsveranlagung mit der Begründung ab, dass die Abgabefrist von zwei Jahren versäumt und auch bis zum 28. Dezember 2007 keine Steuererklärung eingereicht worden sei. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

3

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage statt.

4

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

5

Das [X.] beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

7

Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2010 erklärte der Kläger, die Klage zurückzunehmen. Das [X.] stimmte der Rücknahme nicht zu.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

9

1. Über die Revision ist sachlich zu entscheiden, obwohl der Kläger die Klage zurückgenommen hat. Denn eine wirksame Klagerücknahme ist im Revisionsverfahren nur mit vorheriger Zustimmung des [X.] möglich (§ 72 Abs. 1 [X.]O; Entscheidungen des [X.] --[X.]-- vom 5. März 1971 [X.]/68, [X.], 483, [X.] 1971, 461; vom 26. April 1972 IV R 156/71, [X.], 447, [X.] 1972, 625; Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 72 Rz 25; Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 125 Rz 2). Im Streitfall hat das [X.] seine Zustimmung versagt.

2. Das [X.] hat das [X.] zu Unrecht zur Durchführung der Veranlagung verpflichtet.

Besteht das Einkommen --wie im [X.] nach § 46 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt.

a) Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.[X.] des Jahressteuergesetzes 2008 (EStG n.[X.]) wird eine Einkommensteuer-Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird. Die --frühere zusätzliche-- Voraussetzung, dass der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres zu stellen war, ist entfallen.

§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.[X.] ist gemäß § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG n.[X.] erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und --hier einschlägig-- in Fällen, in denen am 28. Dezember 2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Letzteres trifft zu. Eine bestandskräftige Ablehnung des Antrags des [X.] auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagung für das Streitjahr liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Senats ist es nicht erforderlich, dass der Antrag auf Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 bereits vor dem 28. Dezember 2007 bei den Finanzbehörden eingegangen ist (Urteil vom 12. November 2009 VI R 1/09, [X.], 97, [X.] 2010, 406).

b) Im Streitfall steht der Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.V.m. § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG n.[X.] jedoch der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen (vgl. Senatsurteil in [X.], 97, [X.] 2010, 406, II. b).

Die Festsetzungsfrist für Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung ([X.]) vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 [X.]). Die Einkommensteuer für 2003 verjährte demnach mit Ablauf des Jahres 2007. Nach den Feststellungen des [X.] hat der Kläger den erforderlichen Antrag durch Abgabe der Einkommensteuererklärung für 2003 aber (erst) im Jahre 2008 beim [X.] gestellt.

c) Der Ablauf der Festsetzungsfrist war vorliegend nicht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] gehemmt, weil keine Steuererklärung einzureichen war.

Im Streitfall bestand, wie auch § 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 der [X.] deutlich macht (a.[X.] in Korn, § 46 EStG Rz 35.1), keine Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung. Der Kläger war gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.[X.] lediglich berechtigt, eine solche einzureichen. Ebenso wurde der Kläger vom [X.] nicht zur Abgabe der einschlägigen Erklärung aufgefordert (§ 149 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Im Fall einer Antragsveranlagung kommt daher § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] nicht zur Anwendung ([X.]/[X.], EStG, 30. Aufl., § 46 Rz 34; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 46 EStG [X.]; [X.] in [X.], EStG, 6. Aufl., [X.] 1998 ff., § 46 Rz 65 ff.; [X.] in [X.]/[X.]/ [X.], § 170 [X.] Rz 24), da eine Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht aus § 25 Abs. 3 EStG abgeleitet werden kann.

d) [X.] Bedenken hiergegen bestehen nicht. Denn Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verlangt lediglich nach der Gleichbehandlung nämlicher Sachverhalte. Zwischen Pflicht- und Antragsveranlagung bestehen jedoch [X.], die eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf eine Anlaufhemmung rechtfertigen. Denn die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] soll nach der Rechtsprechung des [X.] verhindern, dass durch eine späte Einreichung der Steuererklärung die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wird ([X.]-Urteil vom 6. Juni 2007 [X.], [X.]E 217, 393, [X.] 2007, 954, m.w.N.).

e) Der Senat hat zwar in seinem Urteil vom 15. Januar 2009 [X.] ([X.]/NV 2009, 755) entschieden, dass der Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.[X.] für Veranlagungszeiträume vor 2005 auch eine Verjährungsfrist nicht entgegensteht. Dies betraf allerdings den hier nicht gegebenen besonderen Fall, dass die Klage ohnehin auf Grundlage der Rechtsprechung des Senats (vgl. [X.]-Urteil vom 21. September 2006 [X.], [X.]E 215, 144, [X.] 2007, 45) zu § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG a.[X.] erfolgreich gewesen wäre. Denn die negative Summe der Nebeneinkünfte hatte [X.] als im streitigen [X.] dort den Betrag von 800 DM überstiegen. Der Senat hatte dabei insbesondere berücksichtigt, dass aufgrund seiner 2005 geänderten Rechtsprechung zu § 46 Abs. 2 EStG und der darauf folgenden Reaktionen des Gesetzgebers vielfach zeitliche Zufälligkeiten darüber mitentscheidend gewesen waren, ob Anträge und Klagen auf Durchführung der [X.] erfolgreich sein konnten.

Meta

VI R 86/10

14.04.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 21. Mai 2010, Az: 12 K 794/09 E, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 46 Abs 2 Nr 8 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 52 Abs 55j S 2 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 25 Abs 3 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 169 Abs 2 Nr 2 AO, § 170 Abs 2 S 1 Nr 1 AO, § 149 Abs 1 AO, § 72 Abs 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.04.2011, Az. VI R 86/10 (REWIS RS 2011, 7540)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7540

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