Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.03.2020, Az. IV ZB 8/20

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 11824

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2020:110320BIVZB8.20.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB
8/20
vom
11. März 2020
in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch die
Vorsitzende Richterin [X.], den
Richter Felsch, die Richterin [X.], die Richter
Lehmann und Dr.
Götz

am 11.
März 2020

beschlossen:

Die Vollziehung des Beschlusses des 12.
Zivilsenats des [X.] mit Sitz in [X.] vom 19.
Dezember 2019 wird einstweilen bis zur Entschei-dung des Senats über die Rechtsbeschwerde der Beklagten ausgesetzt.

Gründe:

[X.] Der Kläger, der bei der Beklagten eine private Krankenversiche-rung unterhält, wendet sich mit seiner Klage gegen mehrere von der Be-klagten
vorgenommene Beitragserhöhungen.

Mit ihrer Klageerwiderung reichte die Beklagte zur Begründung der Zulässigkeit der Beitragserhöhungen umfangreiche Unterlagen ein, die den zuständigen Treuhändern seinerzeit überlassen worden seien,
und beantragte, diese Unterlagen der Gegenseite erst nach Abgabe einer Verschwiegenheitserklärung zu überlassen. Obwohl der Kläger und seine Prozessbevollmächtigten eine solche Erklärung nicht abgaben, wurden ihnen die Anlagen versehentlich übersandt.

1
2
-
3
-

Mit Schriftsatz vom 3.
September 2018 beantragten die Klägerver-treter Akteneinsicht gemäß §
299 Abs.
1 ZPO. Diese wurde ihnen ge-währt, wobei erneut die Anlagen zur Klageerwiderung einsehbar waren.

Als Anlage zum Schriftsatz vom 24.
April 2019 reichte
die Beklagte dann ein weiteres Anlagenkonvolut ([X.]) ein, das
erneut die Unterla-gen, die nach ihrem Vorbringen dem Treuhänder vorgelegen haben [X.], enthielt,
sowie zusätzliche
Unterlagen, die die individuelle Beitrags-erhöhung des [X.] sowie
eine Tariferhöhung betreffen, bezüglich de-rer die Beklagte bis dahin von einer Verjährung möglicher Ansprüche des [X.] ausgegangen war.
Sie beantragte erneut, die Verpflichtung zur Verschwiegenheit für den Kläger, seinen Prozessbevollmächtigten und den Sachverständigen anzuordnen, hilfsweise auch für ihre eigenen Pro-zessbevollmächtigten. In einer weiteren Anlage zu diesem Schriftsatz konkretisierte die Beklagte, welcher Teil der Unterlagen in dem Konvolut B
71 geheimhaltungsbedürftig sei und aus welchem Grund.

Die Klägervertreter gaben daraufhin eine einseitige Verpflich-tungserklärung ab, in der sie sich zur
Geheimhaltung aller Unterlagen der Anlage B
71 verpflichteten, die von der Beklagten als geheimhal-tungsbedürftig bezeichnet worden waren. Jedoch erfasse die Verpflich-tung solche Informationen nicht, die die Beklagte von sich aus gegen-über Dritten

insbesondere Gerichten

ohne den Hinweis auf die [X.] einer Geheimhaltung bereits zugänglich gemacht habe.
Diese Erklärung wurde anschließend auch für den Kläger abgegeben.

In der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] vom 30.
Oktober 2019 wurde zunächst gemäß §
172
Nr.
2 [X.] die Öffent-lichkeit ausgeschlossen, weil damit zu rechnen sei, dass [X.] der Beklagten zur Sprache kämen. Sodann wurde dem Kläger 3
4
5
6
-
4
-
und dem Klägervertreter die Geheimhaltung von Tatsachen zur Pflicht gemacht, die durch die Verhandlung oder durch ein
die Sache betreffen-des amtliches Schriftstück zu ihrer Kenntnis gelangen, soweit sie die in der Anlage B
71 überreichten und in der Anlage B
72 als geheimhal-tungsbedürftig gekennzeichneten Unterlagen betreffen.

Die Parteivertreter haben anschließend übereinstimmend zu [X.] erklärt: "Die Ausfertigung der Anlage [X.] für die [X.]eite wird heute dem Gericht übergeben und soll der [X.]eite vom Gericht über-sandt werden, sobald der Beschluss über die Auferlegung der Geheim-haltung in Rechtskraft erwachsen ist. Sollte der Beschluss nicht in Rechtskraft erwachsen, verbleibt der Ordner beim Gericht."

Auf die sofortigen Beschwerden des [X.] und seiner Prozess-bevollmächtigten hat das [X.] die vom
[X.] ange-ordnete Geheimhaltungsverpflichtung aufgehoben.

Zur Begründung hat es
ausgeführt,
dass der angefochtene Be-schluss nicht von der Vorschrift des §
174 Abs.
3 [X.] gedeckt sei. Zwar
seien die als Anlage B
71 eingereichten Unterlagen, zumindest in der von der Beklagten vorgenommenen Konkretisierung, als [X.] anzusehen; diesen
Charakter als Geheimnis hätten sie nicht durch die zum Teil schon erfolgte Übersendung an die [X.]eite verlo-ren. Das
[X.] habe aber die Verpflichtung zur Geheimhaltung nicht auf den Kläger und dessen Prozessbevollmächtigte beschränken dürfen.
Der Wortlaut des §
174 [X.] spreche allgemein von den anwe-senden Personen und habe damit alle nach Ausschluss der Öffentlichkeit noch im Sitzungssaal verbliebenen Personen im Blick.

7
8
9
10
-
5
-

Hiergegen richtet sich die
Rechtsbeschwerde der Beklagten. Zu-gleich beantragt sie die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung bis zu einer erneuten Sachentscheidung, hilfsweise dem Kläger und dem Klägervertreter, äußerst hilfsweise auch der Beklagten-vertreterin, eine Geheimhaltungspflicht bezüglich der als geheimhal-tungsbedürftig gekennzeichneten Unterlagen der Anlage B
71 aufzuerle-gen.

I[X.] Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist begründet.

1. [X.] gemäß §
570 Abs.
3 Halbs. 1, §
575 Abs.
5 ZPO die Vollzie-hung einer Entscheidung des [X.] aussetzen, wenn durch die Vollziehung dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile drohen als dem Gegner, die Rechtsbeschwerde zulässig erscheint und das Rechtsmittel des Rechtsbeschwerdeführers nicht von vornherein [X.] ist ([X.], Beschluss vom 29.
November 2019

[X.], [X.], 85 Rn.
3 m.w.N.).

2. Diese
Voraussetzungen sind erfüllt.

a) Von der [X.] der in Rede stehenden, konkret bezeichneten Teile der Anlage B
71 ist aufgrund der überein-stimmenden
Beurteilung der Vorinstanzen auszugehen.

b) Der Beklagten drohen für den Fall, dass der Kläger und seine Prozessbevollmächtigten nicht mehr zur Geheimhaltung der bezeichne-ten Unterlagen verpflichtet sind, größere Nachteile als dem Kläger und seinen Prozessbevollmächtigten, wenn die Verpflichtung zur Geheimhal-11
12
13
14
15
-
6
-
tung bis zum Abschluss des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufrechterhal-ten bleibt. Derartige Nachteile
für die Beklagte
können sich vor allem [X.] ergeben, dass durch eine Verwendung der Unterlagen
in der Öffent-lichkeit
oder in anderen Gerichtsverfahren Geschäfts-
und Betriebsgeheimnisse unwiderruflich zur Kenntnis von Wettbewerbern gelangen. [X.] steht auf Seiten des [X.] und seiner Prozessbevollmächtigten die zunächst nur vorübergehende Untersagung, die aus einer Einsicht-nahme in die Anlage B
71 erlangten Erkenntnisse anderweitig zu verwer-ten.

Daran vermag der Umstand, dass die für die [X.]eite bestimm-te
Ausfertigung der Anlage [X.]
ihr aufgrund der protokollierten Erklä-rung der Parteivertreter erst nach Rechtskraft des [X.] übersandt werden soll, nichts zu ändern. Diese übereinstim-mend erklärte Absicht schließt ein versehentliches Übersenden oder Überlassen im Rahmen einer Akteneinsicht nicht aus, wie das erstin-stanzliche Verfahren bereits gezeigt hat. Gerade auch für einen solchen Fall ist die Geheimhaltungsanordnung deshalb nach wie vor von [X.].

Des Weiteren schließt die von den Prozessbevollmächtigten der Kläger einseitig abgegebene Verpflichtungserklärung das Bedürfnis für eine einstweilige Anordnung nicht aus. Sie lässt dagegen erkennen, dass dem Kläger und seinen Vertretern größere Nachteile durch eine Außer-vollzugsetzung des angefochtenen Beschlusses nicht drohen, was im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist.

16
17
-
7
-

3. Schließlich ist eine Erfolgsaussicht der gemäß §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2, Abs.
3 ZPO statthaften und auch sonst zulässigen Rechts-beschwerde nicht von vornherein zu verneinen.

[X.] Felsch [X.]

Lehmann

Dr. Götz

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 30.10.2019 -
11 O 60/17 -

OLG [X.] in [X.], Entscheidung vom 19.12.2019 -
12 W 54/19 -

18

Meta

IV ZB 8/20

11.03.2020

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.03.2020, Az. IV ZB 8/20 (REWIS RS 2020, 11824)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11824

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IV ZB 8/20 (Bundesgerichtshof)

Verpflichtung zur Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen des Prozessgegners: Einstweilige Aussetzung der Vollziehung der vom Beschwerdegericht angeordneten …


IV ZB 4/20 (Bundesgerichtshof)


IV ZB 8/20 (Bundesgerichtshof)

Zivilprozess: Rechtsmittel gegen die Ablehnung der Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung


IV ZR 272/15 (Bundesgerichtshof)


IV ZB 23/20 (Bundesgerichtshof)

Private Krankenversicherung: Schutz der Geheimhaltungsinteressen des Versicherers im Gerichtsverfahren über eine Prämienanpassung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IX ZB 56/19

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.