Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.06.2017, Az. 2 StR 57/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 10058

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Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit


Tenor

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 16. September 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, weil er bei [X.] Einsichtsfähigkeit am 29. September 2015 einen fremden PKW und am 13. März 2016 einen mit Kleidung gefüllten Rollkoffer in einem von ihm genutzten Gebäude in [X.] gesetzt hat. Die Revision des Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg.

2

1. Nach Überzeugung des sachverständig beratenen [X.]s war der Beschuldigte aufgrund einer schizoaffektiven, gegenwärtig manischen Störung sowie einer Polytoxikomanie „seit September 2015 und auch zu den [X.] akut psychotisch“, wodurch bei beiden Straftaten seine Einsichtsfähigkeit vollständig aufgehoben gewesen sei. Es ist ohne Weiteres der Auffassung des Sachverständigen gefolgt, wonach bei dem bis zur ersten Tat im September 2015 unauffälligen Beschuldigten „Auffassungs- und Konzentrationsstörungen“, „Zeitgitterstörungen“ und „Ideenflucht“, „Beziehungs- und Beeinträchtigungswahn“, der „systemische Züge“ aufweise, sowie „Größen- und Allmachtsideen“ bestünden. Die Affektivität des Beschuldigten sei „maniform und dysphorisch gereizt“, er selbst sei [X.] unruhig und deutlich antriebsgesteigert; seine Zukunftsvorstellungen seien situativ verzehrt und wegen fehlender Wahrnehmung der eigenen Einschränkung besitze er „kein realistisches Lebens- und Zukunftskonzept.“

3

2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.

4

a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des [X.] zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16, [X.], 165, 166 und Senat, Urteil vom 1. Juli 2015 - 2 [X.], NJW 2015, 3319, 3320; vgl. auch [X.]/[X.]/[X.]/[X.], NStZ 2005, 57 ff.). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Täter eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit des [X.] zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des [X.] bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der [X.] für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des [X.] zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des [X.] in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16, [X.], 165, 166; Beschluss vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, [X.], 135).

5

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.

6

aa) Das angefochtene Urteil lässt bereits eine Auseinandersetzung mit dem Schweregrad der angenommenen psychischen Störung vermissen. Damit ist aber zu besorgen, dass das [X.] in rechtsfehlerhafter Weise davon ausgegangen ist, bereits die Diagnose einer schizoaffektiven Störung führe ohne Weiteres zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB.

7

bb) Das Urteil nimmt zudem keinerlei wertende Betrachtung zur Tatrelevanz der Störung vor. Dieses darf nach der Rechtsprechung des [X.] jedoch regelmäßig nicht offenbleiben (vgl. etwa [X.], Urteil vom 29. September 2015 - 1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom 22. April 2008 - 4 [X.], [X.], 46 f. und Senat, Beschluss vom 12. November 2004 - 2 [X.], [X.]St 49, 347, 351 f.).

8

Für die Frage eines Ausschlusses oder einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit kommt es maßgeblich darauf an, in welcher Weise sich die festgestellte und unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumierende psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat. Die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit kann daher - von offenkundigen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. [X.], Urteil vom 6. Mai 1997 - 1 StR 17/97, [X.], 485, 486) - nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf eine bestimmte Tat erfolgen (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 56/15, NJW 2016, 728, 729; Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 [X.], [X.]St 49, 45, 54). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass zur Tat, die Motivlage des Beschuldigten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (vgl. [X.], Urteile vom 21. Januar 2004 - 1 [X.] aaO mwN; vom 4. Juni 1992 - 5 [X.], [X.]St 37, 397, 402). An einer solchen spezifisch tatbezogenen Auseinandersetzung fehlt es hier.

9

c) Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten als Grundlage für die Anordnung nach § 63 StGB bedarf daher insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter.

3. Sollte gemäß § 416 Abs. 2 [X.] das Sicherungsverfahren in das Strafverfahren überzuleiten sein (zur Möglichkeit einer Überleitung nach Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht vgl. [X.], [X.], 60. Aufl., § 416 Rn. 5 mwN), wird auf § 358 Abs. 2 Satz 2 [X.] hingewiesen. Der neue Tatrichter wird zudem eingehender als bislang geschehen darzulegen haben, inwieweit der Beschuldigte zur schweren [X.]stiftung unmittelbar angesetzt hat.

Appl     

       

Eschelbach     

       

Zeng   

       

Grube     

       

[X.]     

       

Meta

2 StR 57/17

01.06.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Rostock, 16. September 2016, Az: 18 KLs 123/16 (3)

§ 20 StGB, § 63 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.06.2017, Az. 2 StR 57/17 (REWIS RS 2017, 10058)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10058

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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