Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.10.2015, Az. 3 StR 199/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2015, 3321

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Gegenstand

Putativnotwehr: Fehlen eines Verteidigungswillens; Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums


Tenor

Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 27. Oktober 2014 werden verworfen; jedoch wird die Entscheidungsformel des vorgenannten Urteils dahin geändert, dass der Angeklagte des Totschlags schuldig ist.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die den [X.] dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags "in einem minder schweren Fall" schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Dagegen wenden sich die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten und das zu seinen Gunsten eingelegte, vom [X.] vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Die Revisionen haben keinen Erfolg.

2

I. Nach den Feststellungen des [X.]s begaben sich der später getötete, am Tattag 16-jährige [X.]     und vier weitere Mittäter am 13. Dezember 2010 zum Grundstück des Angeklagten, um diesen auszurauben. Sie führten eine [X.] mit sich und hatten sich mit Mützen, Schals und/oder Strumpfhosen maskiert. Als der Angeklagte nach 21 Uhr sein Haus verließ, um seinen Hund zu füttern, wurde er von drei der [X.] überwältigt und zu Boden geworfen. Anschließend schleppten sie ihn ins Haus, wo er sich zu einem Stuhl im Wohnzimmer führen ließ, in dessen Armlehne er einige [X.] zuvor aus Angst vor einem Überfall eine scharfe und geladene Pistole versteckt hatte. Die [X.], die die Waffe nicht bemerkten, befragten den Angeklagten in aggressivem Ton nach den Aufbewahrungsorten von [X.]. Der später Getötete und ein Mittäter fixierten den Angeklagten dabei an den Armen, hielten ihm die [X.] an den Kopf und strangulierten ihn mit einem Schal. Die drei übrigen Täter durchsuchten das Haus nach Wertgegenständen und nahmen Geld und Schmuckstücke an sich. Dabei lösten sie versehentlich die Alarmanlage aus; im Haus erklang ohrenbetäubender Lärm und die Außenbeleuchtung ging an, die die Terrasse und den angrenzenden Gartenbereich erhellte. Die [X.] gerieten dadurch in Panik und verließen - da sie die Haustür abgeschlossen hatten - durch eine nur teilweise zu öffnende Terrassentür das [X.], um möglichst schnell zu ihrem Fluchtfahrzeug zu gelangen. Der später Getötete, der - von diesem unbemerkt - das Portemonnaie des Angeklagten mit über 2.000 € Bargeld eingesteckt hatte, zwängte sich als vierter durch den Türspalt. Der Angeklagte hatte inzwischen die Waffe ergriffen und durchgeladen und war den [X.]n in einen Zwischenflur nachgegangen, aus dem er die Terrassentür im Blick hatte. Als er meinte, einen Schuss gehört zu haben, war er der Auffassung, nunmehr ebenfalls schießen zu dürfen. Tatsächlich war kein Schuss abgegeben oder von einem der [X.] auch nur eine Waffe auf den Angeklagten gerichtet worden. Dieser gab aus dem Zwischenflur heraus ohne vorherige Androhung des Schusswaffengebrauchs oder einen Warnschuss vier Schüsse in Körperhöhe in Richtung der weiterhin in Panik fliehenden [X.] ab. Der dritte traf [X.]    , der sich noch in unmittelbarer Nähe der Terrassentür befand, in den Rücken, zertrümmerte einen Brustwirbel und verletzte den Herzbeutel sowie die Hauptschlagader; er verstarb binnen weniger Minuten an einem durch den Blutverlust verursachten Herz-Kreislauf-Versagen.

3

Der Angeklagte hielt bei den Schüssen den Tod eines der Flüchtenden, die er wegen der Außenbeleuchtung gut sehen konnte, für möglich und nahm dies billigend in Kauf. Er sah aufgrund der vorangegangenen Raubtat und eines am Tag zuvor stattgefundenen Überfalls, bei dem ein Opfer zu Tode gekommen war, sein Leben als bedroht an; zugleich war ihm allerdings bewusst, dass ein weiterer Angriff der fliehenden Täter, die ersichtlich keine Waffe auf ihn richteten, nicht unmittelbar bevorstand. Er schoss, um den [X.]n zu verdeutlichen, dass sie nicht zurückkommen sollten. Die Sicherung seines Eigentums spielte bei Abgabe der Schüsse keine Rolle.

4

II. Auf der Grundlage dieser Feststellungen erweist sich die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags auch unter Berücksichtigung der [X.] als rechtsfehlerfrei. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:

5

1. Die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, begegnet keinen durchgreifenden revisionsrechtlichen Bedenken. Die [X.] hat sich vom Vorliegen des Tötungsvorsatzes des Angeklagten im Wesentlichen wegen der besonderen Gefährlichkeit der Tathandlung (mehrere Schüsse intentional in Höhe des Oberkörpers aus vier bis fünf Metern Entfernung), des nach Angaben des hinzugezogenen Sachverständigen sehr zielgerichteten [X.], der Erfahrung des Angeklagten im Umgang mit Waffen sowie der guten Sichtbarkeit der fliehenden [X.] überzeugt. Bei dieser Sachlage war es nicht erforderlich, ausdrücklich die Äußerung des Angeklagten nach der Tat zu erörtern, er habe keinem Menschen etwas zu Leide getan; denn diese angesichts des vorangegangenen Geschehens offensichtlich unrichtige Erklärung legt den von der Revision bemühten Rückschluss nicht nahe, der Angeklagte habe bei Tatbegehung darauf vertraut, trotz der erkannten Gefährlichkeit seines Handelns werde der [X.] ausbleiben. Mit Blick auf die hochgefährliche Tatbegehung und insbesondere das zielgerichtete [X.] bedurfte auch der Umstand, dass die [X.] - dem psychiatrischen Sachverständigen folgend und letztlich unter Anwendung des [X.] - nicht hat ausschließen können, dass der Angeklagte infolge einer akuten Belastungsstörung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war, keiner eingehenderen Erörterung im Rahmen der Prüfung des Tötungsvorsatzes.

6

2. Zu Recht hat das [X.] eine Rechtfertigung der Handlungen des Angeklagten abgelehnt.

7

a) [X.] wegen eines gegenwärtigen Angriffs der [X.] auf Leib und Leben des Angeklagten kommt nicht in Betracht, denn das [X.] hat gerade nicht feststellen können, dass tatsächlich ein Schuss auf den Angeklagten abgegeben wurde.

8

b) Ohne Erfolg bleiben die Revisionen, soweit sie die Ablehnung eines [X.]s wegen der Wegnahme des Portemonnaies als rechtsfehlerhaft rügen. Wie der [X.] zutreffend ausgeführt hat, scheitert eine Rechtfertigung - was die Rechtsmittelbegründungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten verkennen - insoweit bereits an dem aus mehreren Gründen fehlenden Verteidigungswillen des Angeklagten, von dem die Verteidigungshandlung nach ständiger Rechtsprechung, von der abzuweichen der vorliegende Fall keinen Anlass bietet, getragen sein muss (RG, Urteil vom 19. Dezember 1919 - [X.], [X.], 196, 199; [X.], Urteile vom 15. Januar 1952 - 1 StR 552/51, [X.]St 2, 111, 114; vom 2. Oktober 1953 - 3 StR 151/53, [X.]St 5, 245, 247; vom 11. September 1995 - 4 StR 294/95, [X.], 29, 30; Beschluss vom 9. September 1997 - 1 StR 730/96, [X.], 465, 466; Urteile vom 6. Oktober 2004 - 1 [X.], [X.], 332, 334; vom 25. April 2013 - 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133, 2134 f. [X.]). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der [X.] ging der Angeklagte im Tatzeitpunkt davon aus, die [X.] hätten keine Beute erlangt. Er hatte also keine Kenntnis von der [X.]. Zudem gab er die Schüsse auch nicht ab, um sein Eigentum zu verteidigen; allein handlungsleitendes Motiv war vielmehr Angst um sein Leben, nachdem er meinte, einen Schuss gehört zu haben.

9

Selbst wenn man mit einer in der Literatur vertretenen Auffassung in Fällen, in denen das subjektive [X.] fehlt, eine Strafbarkeit wegen vollendeten Delikts entfallen lassen und - mit Blick auf strukturelle Ähnlichkeiten zum untauglichen Versuch - nur eine solche wegen Versuchs annehmen wollte (vgl. [X.], StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 268 [X.]; [X.], StGB, 62. Aufl., § 32 Rn. 27; s. auch - nicht tragend - [X.], Urteil vom 3. Dezember 1991 - 1 [X.], [X.]St 38, 144, 155 f. zu § 218 Abs. 1, § 218a StGB aF; dagegen eingehend NK-StGB-Paeffgen, vor 4. Aufl., § 32 ff. Rn. 128 [X.]), würde dies den Bestand des angefochtenen Urteils nicht gefährden. Denn das [X.] hat weiter mit umfassender und zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Schüsse in Höhe des Oberkörpers der fliehenden Täter nicht erforderlich waren, der Angeklagte vielmehr - jedenfalls mit Blick auf die Verteidigung allein seines Eigentums - gehalten war, auf die Beine der Flüchtenden zu zielen (vgl. zu den Grundsätzen des Einsatzes des mildesten Mittels bei lebensgefährlichen Verteidigungsakten, insb. beim Schusswaffengebrauch [X.] aaO, § 32 Rn. 175 ff. [X.]; [X.] aaO, § 32 Rn. 33a).

c) Der Angeklagte handelte auch nicht mit dem erforderlichen Willen, sein Hausrecht gegen einen gegenwärtigen Angriff der [X.] darauf zu verteidigen. Vielmehr waren nach den Feststellungen ursächlich für die Schüsse allein die Angst um sein Leben wegen des vermeintlichen Schusses auf ihn sowie sein Wunsch, den Angreifern zu verdeutlichen, dass sie nicht zurückkehren sollten.

Zur Verteidigung des Hausrechts stellten die Schüsse zudem keine gebotene Notwehrhandlung dar. Zwar ist anerkannt, dass auch das Hausrecht "grundsätzlich mit scharfen Mitteln" verteidigt werden darf, soweit es sich bei dem Angriff nicht um eine Bagatelle handelt ([X.], Beschluss vom 29. Januar 1982 - 3 StR 496/81, juris; Urteil vom 31. Juli 1979 - 1 StR 296/79, juris Rn. 12). Steht indes die mit der Verteidigung verbundene Beeinträchtigung des Angreifers in einem groben Missverhältnis zu Art und Umfang der aus dem Angriff drohenden Rechtsverletzung, so ist die Notwehr unzulässig ([X.], Beschluss vom 1. März 2011 - 3 [X.], [X.], 630, 631; Urteile vom 16. Juli 1980 - 2 [X.], NStZ 1981, 22, 23; vom 31. Juli 1979 - 1 StR 296/79 aaO [X.]; [X.] aaO, § 32 Rn. 230 ff. [X.]; S/[X.], StGB, 29. Aufl., § 32 Rn. 50 [X.]; MüKoStGB/[X.], 2. Aufl., § 32 Rn. 214 ff.). Dies war angesichts des Umstands, dass die [X.] im Begriff waren, das Grundstück fluchtartig zu verlassen und die Beendigung der Hausrechtsverletzung damit - wie von dem Angeklagten erkannt - auch ohne sein Zutun unmittelbar bevorstand, hier der Fall. Aus diesem Grund liegt auch der Einwand der Revision des Angeklagten, die [X.] habe sich mit der Intensität der ursprünglichen, in dem Überfall liegenden Hausrechtsverletzung nicht ausreichend auseinandergesetzt, neben der Sache.

3. Zu Recht hat die [X.] das Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums verneint, der gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB die Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Handelns entfallen lassen könnte (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 6. Juni 1952 - 1 StR 708/51, [X.]St 3, 105, 106 f.; vom 10. Februar 2000 - 4 StR 558/99, [X.]St 45, 378, 384; vgl. aber auch [X.], Urteil vom 2. November 2011 - 2 StR 375/11, [X.], 272, 273: Ausschluss der Vorsatzschuld). In einem solchen Erlaubnistatbestandsirrtum befindet sich, wer irrig Umstände annimmt, die - wenn sie vorlägen - einen anerkannten Rechtfertigungsgrund begründen würden (LK/[X.], § 16 Rn. 110).

a) Diese Voraussetzung war nach den getroffenen Feststellungen bei dem Angeklagten nicht gegeben.

aa) Er nahm - entgegen der Auffassung der Revision der Staatsanwaltschaft - nicht an, sich in einer Lage zu befinden, aufgrund derer sein Handeln durch Notwehr hätte gerechtfertigt sein können. Denn das [X.] hat ausdrücklich festgestellt, dass dem Angeklagten im Moment der Schussabgabe bewusst war, dass ein (weiterer) Angriff der flüchtenden [X.] nicht unmittelbar bevorstand und diese keine Waffe auf ihn richteten. In der Beweiswürdigung hat die [X.] dazu ausgeführt, der Angeklagte habe lediglich die Vorstellung gehabt, der von ihm vermeintlich gehörte Schuss habe möglicherweise ihm gegolten. Er sei indes nicht davon ausgegangen, dass die [X.] von ihrer weiteren Flucht hätten absehen und zurückkehren oder gar weitere Schüsse in seine Richtung hätten abgeben wollen. Mit seinen Schüssen habe er lediglich aufzeigen wollen, dass die Täter ihre Flucht fortsetzen und nicht zurückkommen sollten. Damit stellte sich der Angeklagte aber gerade keinen gegenwärtigen Angriff auf sein Leben oder seine Gesundheit vor: Der vermeintlich abgegebene Schuss auf ihn hatte ihn ersichtlich nicht verletzt; weil er erkannte, dass ein weiterer Schuss nicht abgegeben werden würde, dauerte der (angenommene) Angriff aus seiner Sicht auch nicht mehr fort, weil die Herbeiführung oder Vertiefung einer Rechtsgutsverletzung nicht zu erwarten war (vgl. MüKoStGB/[X.] aaO, § 32 Rn. 110 f. [X.]).

bb) Die getroffenen Feststellungen erweisen sich auch nicht als widersprüchlich. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass sich aus der Einlassung des Angeklagten einerseits ergibt, dass er sich durch den vermeintlichen Schuss in Lebensgefahr gewähnt habe, er indes andererseits im Moment der Tatausführung - wie dargelegt - nicht (mehr) von einem gegenwärtigen Angriff auf sein Leben oder seine Gesundheit ausging. Soweit der [X.] der Einlassung entnehmen will, der Angeklagte habe - "weil sonst mit einer akuten Lebensgefahr nicht vereinbar" - eine "alsbaldige" Rückkehr der [X.] befürchtet und sei damit im Widerspruch zu den Feststellungen der [X.] doch von deren unmittelbar bevorstehenden Rückkehr und mithin von einem gegenwärtigen Angriff ausgegangen, handelt es sich dabei um eine Schlussfolgerung, die das [X.] gerade nicht gezogen hat. Die Annahme des Angeklagten, sein Leben sei bedroht gewesen, mag infolge des von ihm vermeintlich gehörten, tatsächlich aber nicht abgegebenen Schusses als generelle Befürchtung subjektiv nachvollziehbar gewesen sein; dies steht aber nicht im Widerspruch dazu, dass er bei der anschließenden Abgabe der eigenen Schüsse erkannte, dass (nunmehr) ein weiterer Angriff der Täter auf ihn - sei es durch weitere Schüsse oder eine Rückkehr und Fortsetzung des Raubüberfalls - nicht unmittelbar bevorstand.

b) Die Angriffe der Revision des Angeklagten gegen die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung haben gleichfalls keinen Erfolg. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 [X.]). Diesem obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung hat sich darauf zu beschränken, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, was in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall ist, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. zuletzt [X.], Urteil vom 6. August 2015 - 3 [X.], juris Rn. 5).

In diesem Sinne für das Revisionsgericht beachtliche Rechtsfehler in der Beweiswürdigung des [X.]s zeigen die Rechtsmittel nicht auf. Die Beweiswürdigung ist insbesondere nicht lückenhaft. Die Revision des Angeklagten stellt zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung allein auf die Ausführungen der [X.] in der rechtlichen Würdigung ab, die zu seinen festgestellten Angaben nach der Tat gegenüber den anwesenden Polizeibeamten im Widerspruch stünden. Dabei übergeht der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung der [X.] zu diesem Punkt, die sich mit seiner Einlassung ausdrücklich befasst und ausführlich begründet hat, warum sie nicht von einer (irrtümlich angenommenen) [X.] ausgegangen ist.

4. Der Angeklagte war schließlich auch nicht gemäß § 33 StGB entschuldigt. Nach dieser Vorschrift wird der Täter nicht bestraft, der die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken (sog. asthenische Affekte) überschreitet.

Voraussetzung ist das Bestehen einer objektiv gegebenen [X.]; auf Fälle der sogenannten Putativnotwehr, also unter anderem in einer irrtümlich angenommenen [X.] (vgl. [X.] aaO, § 32 Rn. 51 [X.]), ist die Vorschrift des § 33 StGB nicht anwendbar (st. Rspr.; s. etwa [X.], Urteile vom 24. Oktober 2001 - 3 [X.], [X.], 141; vom 18. April 2002 - 3 StR 503/01, [X.], 203, 204; vom 23. Januar 2003 - 4 StR 267/02, [X.], 599, 600, jeweils [X.]; Beschluss vom 1. März 2011 - 3 [X.], [X.], 630; s. auch [X.] aaO, § 33 Rn. 24 ff.; MüKoStGB/[X.] aaO, § 33 Rn. 18; [X.]/[X.], § 33 Rn. 13; [X.], [X.], 2003, [X.]). Die asthenischen Affekte müssen weiter dafür ursächlich sein, dass der den Angriff wahrnehmende Täter die Grenzen der Notwehr überschreitet (MüKoStGB/[X.] aaO, § 33 Rn. 20, 22; NK-StGB-Kindhäuser aaO, § 33 Rn. 25; S/[X.] aaO, § 33 Rn. 5), wobei er gleichsam mit Verteidigungswillen handeln muss ([X.] aaO, § 33 Rn. 48 [X.]).

Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen eines [X.]es nicht erfüllt:

In Bezug auf das Rechtsgut Leben und Gesundheit lag ein gegenwärtiger Angriff - wie dargelegt - nicht vor; der Angeklagte überschritt auch nicht die Grenzen der Notwehr, vielmehr wären seine Schüsse - hätten die [X.] tatsächlich auf ihn gefeuert und wäre ihr Angriff noch gegenwärtig gewesen - gerechtfertigt gewesen. Es handelt sich insoweit mithin allenfalls um einen Fall allein der Putativnotwehr in Form eines Tatsachenirrtums über einen in Wirklichkeit nicht vorliegenden Angriff, nicht aber um einen [X.] (vgl. [X.] aaO, § 33 Rn. 22).

Mit Blick auf das Rechtsgut Eigentum fehlt es wiederum am Verteidigungswillen des Angeklagten, so dass auch insoweit die Anwendung des § 33 StGB ausscheidet.

Gleiches gilt - wie dargelegt - hinsichtlich der Verteidigung des Hausrechts des Angeklagten: Insoweit schoss er nicht aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken über den stattgehabten Angriff auf dieses Rechtsgut oder zu dessen Verteidigung gegen einen gegenwärtigen Angriff. Die nach den Feststellungen für die Schüsse ursächliche Angst um sein Leben sowie sein Wunsch, den Angreifern zu verdeutlichen, dass sie nicht zurückkehren sollten, belegen den erforderlichen Verteidigungswillen mit Blick auf das Hausrecht nicht, so dass es nicht darauf ankommt, ob die Todesangst wegen des vermeintlich gehörten Schusses im Rahmen der Überschreitung des das Hausrecht betreffenden objektiv gegebenen [X.]s überhaupt zu berücksichtigen ist, was entgegen den dargelegten Grundsätzen doch zu einer Berücksichtigung einer tatsächlich nicht bestehenden [X.] im Rahmen der Prüfung des § 33 StGB führen könnte. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob - wie das [X.] angenommen hat - in Fällen, in denen die Verteidigungshandlung in einem groben Missverhältnis zu der aus dem Angriff drohenden Rechtsverletzung steht, die Anwendung der Vorschrift des § 33 StGB ebenso ausscheidet, wie das [X.] (vgl. etwa NK-StGB-Kindhäuser aaO, § 33 Rn. 14; [X.]/[X.], 122. Lfg., § 33 Rn. 13; S/[X.] aaO, § 33 Rn. 7; [X.], Strafrecht [X.], 4. Aufl., § 22 Rn. 79; Kühl, Strafrecht [X.], 7. Aufl., § 12 Rn. 150; [X.], Strafrecht [X.], 2. Aufl., 20. Abschn. Rn. 29; [X.] aaO, S. 91 f.; [X.], Ratio und Grenzen des straflosen [X.]es, 2001, [X.] ff.; aA [X.] aaO, § 33 Rn. 3; [X.] aaO, § 33 Rn. 8; HK-GS-StGB/[X.], 3. Aufl., § 33 Rn. 4).

III. Der Senat hat den Schuldspruch neu gefasst, weil die Urteilsformel von allem freizuhalten ist, was nicht unmittelbar der Erfüllung ihrer Aufgabe dient, das begangene Unrecht zu kennzeichnen und die im Urteil getroffenen Anordnungen zu verlautbaren. Eine Bezeichnung der Tat als "minder schwerer Fall" erübrigt sich danach ([X.], Beschluss vom 11. März 2008 - 3 StR 36/08, juris Rn. 2; [X.]/[X.], [X.], 58. Aufl., § 260 Rn. 25 [X.]).

Becker                          Pfister                        Schäfer

                Gericke                        Spaniol

Meta

3 StR 199/15

27.10.2015

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stade, 27. Oktober 2014, Az: 10a KLs 2/12

§ 16 Abs 1 S 1 StGB, § 32 StGB, § 33 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.10.2015, Az. 3 StR 199/15 (REWIS RS 2015, 3321)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3321

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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