Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.12.2017, Az. VIII ZR 204/16

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 1277

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:051217BV[X.]IZR204.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V[X.]I ZR
204/16

vom

5. Dezember
2017

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 310 Abs. 1 Satz 1; [X.] § 169 Abs. 1 Satz 1
Verkündungsmängel (hier: Verkündung nicht in öffentlicher Sitzung im angege-benen Sitzungssaal, sondern im Dienstzimmer des Richters) stehen dem wirk-samen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde.
Sind die Mindestanforderungen an eine Verlautbarung gewahrt, hindern auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse das Entstehen eines wirksamen Urteils nicht. Zu den Mindestanforderungen gehört, dass die Verlautbarung vom Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von dem Erlass und dem Inhalt der Entscheidung förmlich [X.] wurden (Bestätigung von [X.], Beschlüsse vom 14. Juni 1954 -
GSZ 3/54, [X.]Z 14, 39, 44; vom 8. Februar 2012 -
X[X.] [X.], [X.], 1591 Rn. 13; Urteile vom 31. Mai
2007 -
X [X.], [X.]Z 172, 298 Rn. 12; vom 12. März 2004 -
V [X.], [X.], 2019, unter [X.]).

[X.], Beschluss vom 5. Dezember 2017 -
V[X.]I ZR 204/16 -
LG Essen

[X.]
-
2
-

Der V[X.]I.
Zivilsenat des [X.] hat am 5. Dezember
2017
durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Milger, die Richterin Dr.
Hessel sowie [X.]
Dr.
Achilles, Dr.
Schneider und Dr.
Bünger

beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Re-vision in dem Urteil der 10. Zivilkammer des [X.] vom 18. August 2016 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren

festgesetzt.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat die auf Räumung einer Mietwohnung und Ersatz vorgerichtlicher Kosten gerichtete Klage abgewiesen.
Am Schluss der
Berufungsverhandlung
vom 21. Juli 2016 hat der [X.] Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den [X.], 12 Uhr, bestimmt. Zu der anberaumten [X.] fand die Beklagte den am 21. Juli 2016 angekündigten Sitzungssaal verschlossen vor. Es gelang ihr nicht, die Tür zum Sitzungssaal zu öffnen. Die Beklagte begab sich später am gleichen Tag erneut zum Berufungsgericht. Dort informierte sie der
Kammer-vorsitzende über den Erfolg der Berufung
des [X.]
und erklärte, dass die 1
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Tür
zum Sitzungssaal in der Annahme, es sei niemand gekommen,
nicht geöff-net worden sei.

Das vom Vorsitzenden unterschriebene Verkündungsprotokoll vom 18.
August 2016 weist die Anwesenheit der drei Kammermitglieder und eine Verkündung
"des anliegenden Urteils"
in öffentlicher Verhandlung aus.
Die Zu-stellung des in den Gerichtsakten unmittelbar
nach dem Verkündungsprotokoll abgehefteten
Berufungsurteils verfügte die
Geschäftsstelle am
25. August 2016; die Urteilszustellung
erfolgte ausweislich der bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisse
am 8. September 2016 an den Prozessbevollmächtig-ten der Beklagten und am 12. September 2016 an den des [X.].

In
den vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahmen erklärten die Beisitzer
der Berufungskammer, dass sie an der Verkündung -
wie
bei geson-derten [X.]en
üblich -
nicht teilgenommen hätten. Der Vorsit-zende
der Berufungskammer
teilte mit, dass er an die konkrete Verkündung keine Erinnerung habe; üblicherweise werde der Sitzungssaal verschlossen, wenn vor der Verkündung eine längere Pause liege; zur Verkündung werde die Eingangstüre dann von der Kammer geöffnet und die Entscheidung verkündet, was ausweislich des Protokolls auch geschehen sei.

[X.].
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Zulassung der Revision ist weder im Hinblick auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

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Insbesondere ist die
Zulassung der Revision nicht deshalb -
unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung -
geboten, weil es sich bei dem Berufungsurteil um einen allenfalls den
Rechtsschein eines Urteils erzeugenden Entscheidungsentwurf (sogenanntes
Schein-
oder Nichtur-teil)
handelte. Denn das Berufungsurteil vom 18. August 2016 ist an diesem Tag jedenfalls in der Weise
wirksam verkündet worden, dass es als Urteil exis-tent geworden ist.
Verkündungsmängel

stehen nach der Rechtsprechung des [X.] dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen ele-mentare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse versto-ßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr ge-sprochen werden kann. Sind deren Mindestanforderungen hingegen gewahrt, hindern auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse das Entstehen ei-nes
wirksamen Urteils nicht ([X.], Beschlüsse vom 14. Juni 1954 -
GSZ
3/54, [X.]Z 14, 39,
44; vom 8. Februar 2012 -
X[X.] [X.], [X.], 1591
Rn.
13; Urteil vom 12. März 2004 -
V ZR
37/03, [X.], 2019 unter [X.] 1
b). Zu den Mindestanforderungen gehört, dass die Verlautbarung vom Gericht be-absichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien vom Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden ([X.], Urteile
vom 12. März 2004 -
V [X.], aaO; vom 31. Mai 2007 -
X [X.], [X.]Z 172, 298 Rn. 12;
Beschluss vom 8. Februar 2012 -
X[X.] [X.],
aaO).
Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass aus Gründen der Rechtssicherheit nicht jeder Verkündungsmangel dazu führen kann, ein Urteil als bloßes Schein-
oder Nichturteil einzuordnen, das als solches nicht in Rechtskraft erwachsen kann und dessen Nichtexistenz somit auch noch nach vielen Jahren unabhängig von [X.] geltend gemacht wer-den könnte
([X.], Beschluss vom 14. Juni 1954 -
GSZ 3/54, aaO S. 48 ff.).
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Nach diesen Grundsätzen ist das Berufungsurteil ordnungsgemäß "ver-lautbart"
worden.
Denn das vom Vorsitzenden unterzeichnete Protokoll vom 18.
August 2016 über die "Verkündung des anliegenden Urteils"
sowie das von allen
Kammermitgliedern unterschriebene Urteil sind zeitnah zur Geschäftsstel-le gelangt und
den Parteien zugestellt worden. Die Beklagte war zudem nach ihren Angaben schon am [X.] auf ihre Nachfrage vom [X.] über den [X.] informiert worden.
Es steht daher nicht in Zweifel, dass die
Verlautbarung des Urteils vom Gericht beabsichtigt
war und die Parteien vom Erlass der Entscheidung auch förmlich unterrichtet worden
sind.
Dass das Protokoll insoweit unrichtig ist, als nur der Vorsitzende, nicht aber die Beisitzer anwesend waren, ist schon deshalb unschädlich, weil die Verkündung in einem gesonderten [X.] vom Vorsitzenden in Abwesenheit der anderen Mitglieder des [X.] vorgenommen wer-den kann (§ 311 Abs. 4 ZPO) und dies auch der üblichen Praxis entspricht.
Es kann auch dahinstehen, ob das Sitzungsprotokoll vom 18. August 2016
-
wofür nach den vom Senat im Freibeweis festgestellten Umständen vie-les spricht -
auch insoweit unrichtig ist, als die Verkündung nicht im
Sitzungs-saal, sondern
etwa
im Dienstzimmer des Vorsitzenden stattgefunden hat. Denn in diesem Fall läge zwar ein Verstoß gegen die dienstliche richterliche Pflicht zur Verkündung des Urteils in öffentlicher Sitzung (§ 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO; §
169
Satz 1
[X.]) vor. Gleichwohl handelte es sich bei dem Berufungsurteil auch dann
nicht um ein Scheinurteil. Vielmehr läge -
ebenso wie bei einer [X.] nicht in dem anberaumten [X.], sondern in einem an-deren, den Parteien nicht bekannt gegebenen Termin
(vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juni 1954 -
GSZ 3/54, aaO)
oder im Falle der
fehlerhaften
Ersetzung der Verkündung des Urteils durch dessen Zustellung ([X.], Urteil vom 12. März 8
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2004 -
V [X.] aaO; vgl. ferner [X.], Urteil vom 2.
April 1955 -
IV ZR 261/54, [X.]Z 17, 118, 122) -
auch (nur) ein solcher Verkündungsmangel
vor, der die Mindestanforderungen an das Existentwerden eines Urteils nicht in [X.] stellt.
Dass das Berufungsurteil bei der Verkündung bereits vorlag (zur [X.] des Vorliegens zumindest der schriftlich niedergelegten Urteilsformel im [X.]punkt der Verkündung vgl. nur [X.], Beschluss vom 21. April 2015 -

VI [X.], NJW 2015, 2342 Rn. 10 mwN)
ist durch das Sitzungsprotokoll bewiesen und wird auch durch die von der Beschwerde vorgetragenen
Um-stände nicht in Frage gestellt.
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz
2,
2. Halbs. ZPO abgesehen.
Dr. Milger
Dr. Hessel
Dr. Achilles

Dr. Schneider
Dr. Bünger

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 27.11.2015 -
15 [X.] -

LG Essen, Entscheidung vom 18.08.2016 -
10 [X.]/16 -

11

Meta

VIII ZR 204/16

05.12.2017

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.12.2017, Az. VIII ZR 204/16 (REWIS RS 2017, 1277)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 1277

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 165/11

VIII ZR 204/16

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