Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.12.2015, Az. 3 AZR 141/14

3. Senat | REWIS RS 2015, 1131

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Gegenstand

Waisenrente - Änderung einer Ermessensentscheidung - Nachranggrundsatz


Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 13. November 2013 - 6 [X.]/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine Waisenrente, die der Kläger aus übergeleitetem Recht geltend macht.

2

Der Kläger ist der Träger der Sozialhilfe iSd. § 3 Abs. 1 [X.]. Der Beklagte ist eine Pensionskasse in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit und wickelt für seine Trägerunternehmen deren Verpflichtungen aus der betrieblichen Altersversorgung ab. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im [X.]) des Beklagten bestimmen [X.].:

        

§ 10 Kinderzulage

        

…       

        

(3)     

Die Kinderzulage wird gewährt für:

                 

1.    

eheliche und als ehelich erklärte Kinder,

                 

...     

        
        

(4)     

Die Kinderzulage wird bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt, darüber hinaus nur, solange sich das Kind in Schul- oder Berufsausbildung befindet, längstens jedoch bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres.

        

(5)     

Der Vorstand kann die Kinderzulage auch nach dem 18. Lebensjahr gewähren, wenn und solange das Kind infolge geistiger oder körperlicher Gebrechen von mehr als einjähriger Dauer nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.

        

...     

        
        

§ 12 Waisenrente

        

Waisenrente wird an hinterbliebene Kinder des [X.]itgliedes gezahlt. § 10 Abs. 3 - 7 finden entsprechende Anwendung.“

3

Die [X.] ist eines der Trägerunternehmen des Beklagten. Bei dieser war bis zum Eintritt in den Ruhestand [X.] beschäftigt und bezog vom Beklagten [X.]. eine Pensionskassenrente, die eine Kinderzulage nach § 10 Abs. 5 [X.] für seinen im September 1965 geborenen, behinderten [X.] [X.] B umfasste. [X.] B ist aufgrund einer geistigen Behinderung höheren Grades und Störung des Sozialverhaltens mit emotionaler Symptomatik nicht in der Lage, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Seit dem Jahr 1988 ist er in einer stationären Einrichtung untergebracht. [X.] verstarb im November 2010. [X.]it Schreiben vom 21. Dezember 2010 bewilligte der Beklagte [X.] B ab Dezember 2010 eine Waisenrente und zahlte an diesen im Zeitraum Dezember 2010 bis [X.]ärz 2011 monatlich 85,70 [X.] als Pensionskassenleistung.

4

Der Kläger gewährt [X.] B seit dem 29. [X.]ai 1996 Sozialhilfe in Form stationärer Leistungen im Pflege- und Förderzentrum des [X.] (Eingliederungshilfe nach §§ 54 ff. [X.]). Die Kosten der Unterbringung belaufen sich auf ca. 160,00 [X.] täglich.

5

[X.]it Schreiben vom 1. Febr[X.]r 2011 leitete der Kläger die Ansprüche von [X.] B auf Waisenrente gegen den Beklagten auf sich über. Der Beklagte teilte dem Kläger am 30. [X.]ärz 2011 mit, dass er die Zahlung der Waisenrente ab April 2011 einstellen werde. Dem widersprach der Kläger und verfügte durch Bescheid vom 18. August 2011 erneut die Überleitung der Waisenrente nach § 93 [X.] ab dem 1. April 2011.

6

[X.]it seiner Klage hat der Kläger die Zahlung der Waisenrente an sich verlangt. Er hat die Einstellung der Zahlung durch den Beklagten für unrechtmäßig gehalten. Der Beklagte habe im Rahmen seiner Ermessensentscheidung den Nachranggrundsatz der Sozialhilfe zu beachten. Sozialhilfe sei nach dem Willen des Gesetzgebers subsidiär zu gewähren, wenn kein anderer den entsprechenden Bedarf des [X.] decke. Die Gewährung von Sozialhilfe sei daher kein sachlicher Grund für die Einstellung der [X.].

7

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.799,70 [X.] brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 85,70 [X.] seit dem 1. [X.]ai, dem 1. Juni, dem 1. Juli, dem 1. August, dem 1. September, dem 1. Oktober, dem 1. November, dem 1. Dezember 2011, dem 1. Jan[X.]r, dem 1. Febr[X.]r, dem 1. [X.]ärz, dem 1. April, dem 1. [X.]ai, dem 1. Juni, dem 1. Juli, dem 1. August, dem 1. September, dem 1. Oktober, dem 1. November, dem 1. Dezember 2012 und dem 1. Jan[X.]r 2013 zu zahlen,

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn monatlich, fällig zum [X.]onatsletzten, 85,70 [X.] brutto zu zahlen, beginnend mit dem [X.]onat Jan[X.]r 2013.

8

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, zur Einstellung der Waisenrente berechtigt gewesen zu sein. Der ursprüngliche Grund für die Gewährung der Waisenrente an [X.] B im Dezember 2010, diesem durch die finanzielle Leistung ein Stück mehr Lebensq[X.]lität zu verschaffen, sei durch die Überleitung des Anspruchs nachträglich entfallen. Nachdem dies bekannt geworden sei, habe man die Interessen an der Weitergewährung der Waisenrente abgewogen und sich entschlossen, die Waisenrente einzustellen.

9

Der Kläger hat seine Klage zunächst beim Amtsgericht erhoben; das hat sie an das Arbeitsgericht verwiesen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat sie auf die Berufung des Beklagten abgewiesen. [X.]it seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Der Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger mit einem an [X.] B gerichteten Überleitungsbescheid vom 19. Febr[X.]r 2015 den möglichen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung gegen den Beklagten mit Wirkung ab dem 1. April 2011 auf sich übergeleitet. Dieser Bescheid wurde [X.] B unmittelbar am 23. Febr[X.]r 2015 und seiner Betreuerin am 20. Febr[X.]r 2015 zugestellt.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Die Klage ist nicht begründet. Zwar ist der Kläger aktivlegitimiert. Der [X.] ist aber nicht verpflichtet, über den 31. März 2011 hinaus eine monatliche Waisenrente für [X.] iHv. 85,70 Euro an den Kläger zu zahlen. Die vom [X.]n im März 2011 getroffene Entscheidung, künftig keine Hinterbliebenenrente mehr zu leisten, ist nicht unbillig und verstößt auch nicht gegen den [X.] aus § 2 [X.].

I. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Dabei kann dahinstehen, ob es für die Aktivlegitimation des [X.] ausreichend ist, dass er den Anspruch gemäß § 93 [X.] durch Anzeige gegenüber dem [X.]n auf sich übergeleitet hat, oder ob es hierzu zusätzlich auch einer Bekanntgabe gegenüber dem ursprünglichen Anspruchsinhaber [X.] und/oder dessen Betreuerin bedarf. Jedenfalls im [X.]punkt der [X.] war die Überleitung auch gegenüber dem ursprünglichen Anspruchsinhaber und dessen Betreuerin bekannt gegeben worden. Dies ist auch im Revisionsverfahren zu berücksichtigen.

1. Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] kann der Träger der Sozialhilfe dann, wenn eine leistungsberechtigte Person für die [X.], für die Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden, einen Anspruch gegen einen anderen hat, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 des [X.] ist, durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf den Träger der Sozialhilfe übergeht. Nach § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] darf der Übergang des Anspruchs nur insoweit bewirkt werden, als bei rechtzeitiger Leistung des anderen entweder die ([X.] nicht erbracht worden wäre oder in den Fällen des § 19 Abs. 5 [X.] und des § 92 Abs. 1 [X.] Aufwendungsersatz oder ein Kostenbeitrag zu leisten wäre. Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 [X.] bewirkt die schriftliche Anzeige den Übergang des Anspruchs für die [X.], für die der leistungsberechtigten Person die ([X.] ohne Unterbrechung erbracht wird.

2. Danach setzt die Überleitung des Anspruchs und damit die Aktivlegitimation des [X.] jedenfalls voraus, dass dem [X.]n als „anderen“ iSv. § 93 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 93 Abs. 2 Satz 1 [X.] eine schriftliche Anzeige bekannt gemacht wurde, dh. ein entsprechender Verwaltungsakt (vgl. [X.] 4. Dezember 2014 - L 7 [X.] 4268/11 - zu 3 der Gründe mwN) zugegangen ist. Dies ist vorliegend der Fall. Die schriftliche Überleitungsanzeige vom 18. August 2011 wurde dem [X.]n bekannt gegeben.

3. Ob die Bekanntgabe der Überleitung auch gegenüber dem ursprünglichen Gläubiger und/oder dessen Betreuerin zu erfolgen hat, damit der Träger der Sozialhilfe aktivlegitimiert ist, kann dahinstehen. Zwischenzeitlich hat der Kläger die Überleitung der Waisenrente auch gegenüber [X.] und dessen Betreuerin bekannt gegeben. Die Rechtstatsache der durch Verwaltungsakt erfolgten Bekanntgabe der Überleitung gegenüber [X.] und dessen Betreuerin unterfällt nicht dem grundsätzlichen Verbot, in der Revisionsinstanz neues Tatsachenvorbringen zu berücksichtigen (§ 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Revisionsgericht hat entscheidungserhebliche Verwaltungsakte, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz bis zum Ende der [X.] ergehen oder enden, zu berücksichtigen ([X.] 15. September 2009 - 9 [X.] - Rn. 24, [X.]E 132, 88).

II. Die Klage ist unbegründet. Der [X.] war berechtigt, seine Ermessensentscheidung gemäß § 12 iVm. § 10 Abs. 5 [X.] vom Dezember 2010 nach der Überleitung der Ansprüche auf den Kläger im März 2011 neu zu treffen, weil die Waisenrente nicht mehr dem Hinterbliebenen [X.] zugutekommt. Der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe nach § 2 [X.] steht dem nicht entgegen.

1. Ob ein Anspruch von [X.] auf Waisenrente gegen den [X.]n besteht, ist im vorliegenden Rechtsstreit zu klären. Die Wirksamkeit der Überleitungsanzeige erfasst die Frage, ob der übergeleitete Anspruch besteht, nicht (vgl. BVerwG 26. November 1969 - V [X.] 54.69 - BVerwGE 34, 219; 27. Mai 1993 - 5 [X.] 7.91 - BVerwGE 92, 281; [X.] 22. November 2007 - L 7 [X.] 73/06 -). Vielmehr haben die dafür zuständigen Zivilgerichte bzw. Gerichte für Arbeitssachen selbständig das Bestehen des zivilrechtlichen Anspruchs zu prüfen.

2. [X.] hatte seit Dezember 2010 einen Anspruch auf Waisenrente gegen den [X.]n. Dieser hatte nach § 12 iVm. § 10 Abs. 5 [X.] eine zulässige Ermessenentscheidung iSv. § 315 BGB zugunsten von [X.] getroffen.

a) Nach § 12 iVm. § 10 Abs. 4 [X.] wird Waisenrente bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs gewährt, darüber hinaus nur, solange sich das Waisenkind in der Schul- oder Berufsausbildung befindet, längstens jedoch bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs. Des Weiteren kann Waisenrente nach § 12 iVm. § 10 Abs. 5 [X.] auch nach dem 18. Lebensjahr gewährt werden, wenn und solange das Waisenkind infolge geistiger oder körperlicher Gebrechen von mehr als einjähriger Dauer nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahrs eingetreten ist.

b) § 12 iVm. § 10 Abs. 5 [X.] stellt die Bewilligung einer Waisenrente über die Vollendung des 18. bzw. - bei noch andauernder Schul- oder Berufsausbildung - des 25. Lebensjahrs hinaus in das Ermessen des [X.]n.

aa) Einseitige Leistungsbestimmungsrechte sind nach § 315 Abs. 1 BGB im Zweifel nach billigem Ermessen auszuüben. Es ist daher im Einzelfall zu beurteilen, ob in der zugrunde liegenden [X.] - entgegen der Auslegungsregel des § 315 Abs. 1 BGB - eindeutig zum Ausdruck gebracht wird, dass die Leistungsbestimmung sich nicht am Maßstab der Billigkeit ausrichten muss, sondern nur die - stets geltenden - allgemeinen Schranken der Rechtsausübung, insbesondere der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, die Willkür- und Maßregelungsverbote sowie der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten sind (vgl. [X.] 31. Juli 2014 - 6 [X.] 822/12 - Rn. 12, [X.]E 148, 381; 13. November 2013 - 10 [X.] 848/12 - Rn. 38, [X.]E 146, 284).

bb) Danach steht die Gewährung der Waisenrente nach § 12 iVm. § 10 Abs. 5 [X.] im billigen Ermessen des [X.]n. Nach § 10 Abs. 5 [X.] kann unter den dort genannten Voraussetzungen eine Waisenrente gewährt werden. Durch die Verwendung des Wortes „kann“ in § 10 Abs. 5 [X.] wird eine Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen eröffnet. Die Formulierung „kann“ stellt eine Formulierung bei Einräumung von [X.] dar und begründet typischerweise Zweifel iSd. § 315 Abs. 1 BGB (vgl. [X.] 31. Juli 2014 - 6 [X.] 822/12 - Rn. 12, [X.]E 148, 381; 15. Juli 2008 - 3 [X.] 100/07 - Rn. 21; 10. Mai 2005 - 9 [X.] 294/04 - zu [X.] 2 b der Gründe). § 10 Abs. 5 [X.] enthält keine Regelung, wonach sich die Gewährung der Waisenrente nicht am Maßstab der Billigkeit ausrichten muss.

c) Der [X.] konnte zugunsten von [X.] ab Dezember 2010 eine Waisenrente gewähren, denn [X.] erfüllt die in § 12 iVm. § 10 Abs. 5 [X.] genannten Voraussetzungen. Er hat das 18. Lebensjahr vollendet, wurde durch den Tod seines [X.] [X.] im November 2010 zur Waise und ist infolge bereits vor dem 25. Lebensjahr eingetretener geistiger oder körperlicher Gebrechen von mehr als einjähriger Dauer nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Letzterem steht der Bezug von Leistungen nach dem [X.] nicht entgegen. Die betreffende Waise darf infolge der bestehenden Behinderung nicht in der Lage sein, einer auf die Erzielung eines Erwerbseinkommens gerichteten Arbeit nachzugehen und deshalb kein eigenes Einkommen iSd. Allgemeinen Versicherungsbedingungen des [X.]n verdienen. Der Bezug von Leistungen der Sozialhilfe nach dem [X.] stellt demgegenüber kein, die Gewährung einer Waisenrente ausschließendes Einkommen dar. Leistungen der Sozialhilfe sind weder Erwerbs- noch Erwerbsersatzeinkommen.

d) Die einmal erfolgte Bewilligung der Waisenrente nach § 12 iVm. § 10 Abs. 5 [X.] ist grundsätzlich unwiderruflich, es sei denn, es liegt eine nachträgliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen dieser Leistungsbestimmung vor, die es rechtfertigt, die Gewährung der Waisenrente einzustellen. Dies ist hier der Fall.

aa) Eine einseitige Leistungsbestimmung nach § 315 BGB ist grundsätzlich unwiderruflich. Bei Dauerschuldverhältnissen und ihnen vergleichbaren auf Dauer angelegten sonstigen Rechtsverhältnissen bedarf der Grundsatz der Unwiderruflichkeit jedoch der Beschränkung. Ändern sich die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen der ursprünglich der Billigkeit entsprechenden Leistungsbestimmung, kann diese nachträglich untauglich oder unbillig werden. Eine Änderung der Leistungsbestimmung oder Neubestimmung der Leistung kann daher aus Gründen der Billigkeit wegen einer Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen gestattet oder sogar geboten sein (vgl. [X.] 8. Mai 2003 - 6 [X.] 43/02 - zu II 3 a der Gründe, [X.]E 106, 151; 11. März 1981 - 4 [X.] 1070/79 - [X.]E 35, 141).

bb) Die Überleitung des Anspruchs auf Waisenrente ab April 2011 stellt eine nachträgliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen der Leistungsbestimmung nach § 12 iVm. § 10 Abs. 5 [X.] dar.

Die infolge der Gewährung von Sozialhilfe durch den Kläger als Träger der Sozialhilfe ermöglichte und erfolgte Überleitung des Anspruchs auf Waisenrente auf den Kläger ist ein nachträglich eingetretener Umstand. Auch wenn dem Vorstand des [X.]n die persönlichen Umstände von [X.] einschließlich seiner Unterbringung in einer stationären Einrichtung im [X.]punkt der Bewilligung der Waisenrente bekannt waren - wofür spricht, dass der [X.] dem verstorbenen Vater von [X.] eine Kinderzulage nach § 10 Abs. 5 [X.] gezahlt hat -, ändert dies nichts daran, dass die Überleitung des Anspruchs auf Waisenrente infolge der Gewährung von Sozialhilfe ein nachträglich eingetretener Umstand ist. Die Unterbringung einer hilfebedürftigen Person in einer stationären Einrichtung hat nicht zwangsläufig eine Inanspruchnahme durch den Träger der Sozialhilfe zur Folge. Soweit Leistungen an den hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs Berechtigten betroffen sind, setzt die Inanspruchnahme durch den Träger der Sozialhilfe einsetzbares Einkommen nach §§ 85 ff. [X.] voraus. Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] ist bei Einkommen unterhalb der Einkommensgrenze neben Zweckgleichheit des anderen Einkommens die Ausübung von Ermessen erforderlich. Bei einer Unterbringung in einer stationären Einrichtung soll über § 88 Abs. 1 Satz 1 [X.] hinaus in angemessenem Umfang die Aufbringung von Mitteln verlangt werden, wenn eine Person für voraussichtlich längere [X.] Leistungen in einer stationären Einrichtung bedarf, § 88 Abs. 1 Satz 2 [X.]. Bei einer Waisenrente iHv. 85,70 Euro monatlich besteht nach diesen gesetzlichen Vorgaben jedenfalls kein Automatismus zwischen einer stationären Unterbringung und dem Einsatz eigenen Einkommens.

cc) Die durch die vollständige Überleitung auf den Kläger entstandene Leistungspflicht des [X.]n gegenüber dem Kläger als Träger der Sozialhilfe ist ein im Rahmen der Ermessenausübung nach § 315 Abs. 1 BGB iVm. §§ 12, 10 Abs. 5 [X.] berücksichtigungsfähiger Gesichtspunkt. Die Einstellung der Waisenrente als Änderung der billigen Leistungsbestimmung wahrt die Grenzen billigen Ermessens (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB). Die vom [X.] vorgenommene Würdigung weist keinen Rechtsfehler auf.

(1) Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen - und damit auch deren Änderung - verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Welche Umstände dies im Einzelnen sind, hängt auch von der Art der Leistungsbestimmung ab, die der Berechtigte zu treffen hat ([X.] 10. Juli 2013 - 10 [X.] 915/12 - Rn. 28 mwN, [X.]E 145, 341). Maßgeblich ist der [X.]punkt, in dem die Ermessensentscheidung getroffen wird. Dem [X.] verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb des Spielraums können dem [X.] mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen ([X.] 15. Januar 2014 - 10 [X.] 243/13 - Rn. 33 mwN, [X.]E 147, 128).

(2) Es ist umstritten, ob die Wahrung billigen Ermessens iSv. § 315 Abs. 1 BGB in der Revisionsinstanz uneingeschränkt überprüfbar ist (so [X.] 23. September 2004 - 6 [X.] 567/03 - zu IV 2 a der Gründe, [X.]E 112, 80; 13. März 2003 - 6 [X.] 557/01 - zu II 1 der Gründe; 24. April 1996 - 5 [X.] 1031/94 - zu 1 der Gründe; 12. September 1996 - 5 [X.] 30/95 - zu 2 a der Gründe, [X.]E 84, 116; 16. Oktober 1991 - 5 [X.] 35/91 - zu II 2 c der Gründe), oder ob das Revisionsgericht nur zu prüfen hat, ob das [X.] den unbestimmten Rechtsbegriff des billigen Ermessens verkannt hat ([X.] 12. Januar 1989 - 8 [X.] 251/88 - zu [X.] 2 d cc der Gründe, [X.]E 60, 362; 30. April 1975 - 4 [X.] 351/74 -; GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 73 Rn. 10; [X.]/[X.] 16. Aufl. § 73 ArbGG Rn. 6). Gleichwohl besteht Einigkeit, dass die [X.] in erster Linie Aufgabe der Tatsacheninstanzen ist. Die [X.] erfordert die Feststellung der besonderen tatsächlichen Gegebenheiten eines Falls und deren Würdigung ([X.] 7. Juli 2011 - 6 [X.] 151/10 - Rn. 33 mwN).

(3) Der Meinungsstreit bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Selbst wenn man vorliegend zugunsten des [X.] von einer uneingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit des [X.] ausgeht, hält die Würdigung des [X.]s, der [X.] sei berechtigt gewesen, wegen des Übergangs nach § 93 [X.] die Zahlung der Waisenrente künftig einzustellen, einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

(a) Bei der Abwägung der wechselseitigen Interessen sind auf Seiten des [X.]n die Interessen des Betroffenen, dh. des Mitglieds des [X.]n und seiner weiteren Mitglieder zu berücksichtigen, wie sie in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ihren Ausdruck gefunden haben. Danach steht die Unterstützung von Waisen nach Vollendung des 18. Lebensjahrs grundsätzlich im Interesse der Mitglieder, wenn es sich um Menschen mit Behinderungen handelt, die infolge ihrer Behinderung den Lebensunterhalt nicht selbst verdienen können. In Regelungen zur Hinterbliebenenversorgung - wie der vorliegenden - konkretisiert sich regelmäßig das typisierte Versorgungsinteresse des betriebsrentenrechtlich zunächst versorgungsberechtigten Arbeitnehmers und dessen damit in Zusammenhang stehendes Näheverhältnis zum Hinterbliebenen (vgl. [X.] 18. November 2008 - 3 [X.] 277/07 - Rn. 34). Ein solches Näheverhältnis besteht zwischen dem verstorbenen Arbeitnehmer und dem Träger der Sozialhilfe nicht. Es stellt deshalb einen nach dem Zweck der Allgemeinen Versicherungsbedingungen des [X.]n naheliegenden Ermessensgesichtspunkt dar, dass der [X.] Ermessensleistungen einstellt, wenn diese vollständig nicht mehr dem Hinterbliebenen des ursprünglich versicherten Arbeitnehmers, sondern dem Träger der Sozialhilfe zugutekommen.

(b) Dies gilt auch unter Berücksichtigung des sozialhilferechtlichen [X.]es.

Das Sozialhilferecht ist von dem Grundsatz durchzogen, dass jeder nur insoweit staatliche Hilfe beanspruchen kann, als er die betreffenden Aufwendungen, insbesondere den Lebensunterhalt, nicht durch den Einsatz eigener Einkünfte und eigenen Vermögens bestreiten kann, er somit bedürftig ist. Sozialhilfe ist folglich nachrangig bzw. subsidiär. Das findet seinen Niederschlag in § 2 [X.]. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift bleiben Verpflichtungen anderer von der [X.] unberührt; auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil das Sozialhilferecht entsprechende Leistungen vorsieht. Zivilrechtliche Gestaltungen können mit diesem Grundsatz in Konflikt geraten, etwa wenn sie darauf gerichtet sind, die Bedürftigkeit einer Person gezielt herbeizuführen.

Der [X.] ist indessen schon im Sozialhilferecht selbst in erheblichem Maße durchbrochen ([X.] 21. März 1990 - IV ZR 169/89 - zu II 2 c bb der Gründe, [X.]Z 111, 36), vom Gesetzgeber für die unterschiedlichen Leistungsarten differenziert ausgestaltet und nicht überall beibehalten worden, weshalb dem Subsidiaritätsprinzip als Grundsatz die Prägekraft - jedenfalls im Hinblick auf behinderte Menschen - weitgehend genommen worden ist ([X.] 20. Oktober 1993 - IV ZR 231/92 - zu III 2 a der Gründe, [X.]Z 123, 368). Gerade bei Hilfebeziehern mit Behinderungen lässt sich keine hinreichend konsequente Durchführung des Nachrangs der öffentlichen Hilfe entnehmen ([X.] 19. Januar 2011 - IV ZR 7/10 - Rn. 23, [X.]Z 188, 96). Der Gesetzgeber respektiert bei allen Leistungsarten Schonvermögen des Leistungsempfängers, seines Ehegatten und seiner Eltern. Bei Leistungen für behinderte Menschen ist der Einsatz eigenen Vermögens zudem auf das Zumutbare begrenzt und vor allem die Überleitung von Unterhaltsansprüchen - insbesondere gegenüber den Eltern des Behinderten - nur in sehr beschränktem Umfang möglich (§ 19 Abs. 3, §§ 92, 94 Abs. 2 [X.]). Dies lässt erkennen, dass die mit der Versorgung, Erziehung und Betreuung von behinderten Kindern verbundenen wirtschaftlichen Lasten zu einem gewissen Teil endgültig von der Allgemeinheit getragen werden sollen (vgl. [X.] 20. Oktober 1993 - IV ZR 231/92 - aaO).

Bei einer am Versorgungszweck der Allgemeinen Versicherungsbedingungen ausgerichteten Ermessensentscheidung, die zur Einstellung von Leistungen führt, die vollständig auf den Träger der Sozialhilfe übergeleitet werden, greift der Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe daher nicht durch.

(4) Für die Frage der Billigkeit der Ermessensentscheidung des [X.]n, die Waisenrente an [X.] ab April 2011 nicht mehr zu gewähren, ist es ausreichend, dass der Kläger die Überleitung im Jahr 2011 allein gegenüber dem [X.]n vorgenommen hat. Mit dem gegenüber dem [X.]n angezeigten Überleitungsinteresse des [X.] wurde der Versorgungszweck der Hinterbliebenenleistung infrage gestellt. Sollte die Überleitung gegenüber [X.] letztlich keine Wirksamkeit - mehr - entfalten, müsste der [X.] eine neuerliche Ermessensentscheidung treffen und dabei berücksichtigen, dass der nachträglich eingetretene Umstand, der ihn zulässigerweise zur Einstellung der Waisenrente bewogen hat, entfallen wäre.

III. [X.] folgt für die Revision aus § 97 Abs. 1 ZPO und für die Vorinstanzen aus § 91 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Im Hinblick auf die vom [X.] in der angefochtenen Entscheidung unterlassene Kostenentscheidung hat der Senat aus Gründen der Klarstellung den [X.] für den gesamten Rechtsstreit neu gefasst und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

        

    Zwanziger    

        

    Spinner    

        

    Ahrendt     

        

        

        

    Blömeke     

        

    H. Trunsch     

                 

Meta

3 AZR 141/14

08.12.2015

Bundesarbeitsgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Frankfurt, 13. März 2013, Az: 14 Ca 5602/12, Urteil

§ 2 Abs 2 SGB 12, § 3 Abs 1 SGB 12, § 88 Abs 1 SGB 12, § 93 Abs 1 S 1 SGB 12, § 93 Abs 2 S 1 SGB 12, § 315 Abs 1 BGB, § 315 Abs 3 BGB, § 1 BetrAVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.12.2015, Az. 3 AZR 141/14 (REWIS RS 2015, 1131)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 1131

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