Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.01.2006, Az. 2 StR 348/05

2. Strafsenat | REWIS RS 2006, 5373

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 348/05 vom 25. Januar 2006 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u. a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 25. Januar 2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am [X.] Dr. [X.] und [X.] am [X.] Dr. Bode, [X.], Prof. Dr. [X.], [X.], [X.] als Vertreter der [X.]schaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des [X.] vom 22. April 2005 werden verworfen. 2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch und seine durch die Revision der [X.] entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und die Einziehung des sichergestellten Tatmessers angeord-net. 1 Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin. Sie rügen die Verletzung materiellen Rechts. Sie erstreben eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes in [X.] sowie die Anordnung einer Maßregel 2 - 4 - nach § 63 StGB oder § 66 StGB. Die Staatsanwaltschaft hält zudem die Straf-rahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB für rechtsfehlerhaft. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben keinen Erfolg. 3 [X.] 1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgenden Sachverhalt [X.]: 4 Der Angeklagte und die später geschädigte Nebenklägerin waren bis Februar 2004 miteinander verheiratet. Der Angeklagte neigt zu impulsiven Aus-brüchen und überschießenden Reaktionen, die auf eine Persönlichkeitsstörung impulsiven Typus zurückgehen. In der Ehe führte das dazu, dass er sehr leicht zornig und aggressiv wurde und seine Ehefrau und die aus der Ehe hervorge-gangene Tochter schlug. 5 Seit geraumer [X.] vor der Tat versuchte der Angeklagte einen [X.] von 7.500 • von der Nebenklägerin, mit der er schon längere [X.] nicht mehr zusammenlebte, zu erlangen. Unter anderem drohte er ihr, dass er sie umbringen bzw. sie "fertig machen" werde, wenn sie nicht bald zahle. Am [X.] Morgen des 15. Juni 2004 suchte der Angeklagte die Wohnung der [X.] auf, um das Geld persönlich einzutreiben. Er war als Postzusteller verkleidet, hatte sich den Schädel rasiert, um so durch Täuschung den Zutritt zur Wohnung zu erlangen, und hatte sich zwei Rollen Klebeband und ein schar-fes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 12,5 cm in eine Scannertasche eingesteckt. Das Messer sollte als Drohmittel eingesetzt werden. Die Tochter, die ihn wegen der Verkleidung nicht erkannte, öffnete die Tür, worauf der Ange-klagte diese mit [X.] aufstieß, das Messer aus seiner Tasche zog und so-6 - 5 - dann die Tür abschloss und den Schlüssel einsteckte. Die Geschädigte schloss sich beim Anblick des Messers sofort in ihr Schlafzimmer ein. Dem Angeklagten gelang es nicht, die Tür mit dem Messer aufzuhebeln. Die Nebenklägerin [X.] sie aber, als der Angeklagte ihr drohte, dass er ansonsten die Tochter um-bringen werde. Die Tochter floh in [X.]. Die Nebenklägerin versuchte den Angeklagten zu beruhigen. Dieser drehte sich während des nachfolgenden [X.] mit der Nebenklägerin, welches die private Situation und die Geldforde-rung zum Gegenstand hatte, eine Zigarette und rauchte diese. Die von einem Nachbarskind auf Veranlassung der Tochter herbeigerufene Polizei traf kurz darauf ein. Der Angeklagte bemerkte dies. Er war über das Verhalten seiner Familie enttäuscht und hatte [X.] vor der unmittelbar drohenden Verhaftung. Er entschloss sich deswegen spontan die Nebenklägerin zu töten und stach vielfach mit dem Messer auf sie ein. Diese erlitt lebensgefährliche Verletzun-gen, die ohne notärztliche Hilfe binnen weniger Minuten zum Tode geführt [X.]. Sie stellte sich zunächst tot, so dass der Angeklagte davon ausging, das Opfer getötet zu haben. Er wusch sich das Blut von den Händen und vom Mes-ser und versteckte dieses im Bad. Zu der in [X.] weinenden und nach der Mutter rufenden Tochter sagte er: "[X.] ist tot. Wein nicht mehr. [X.]". Sodann bemerkte er, dass die Nebenklägerin doch noch nicht gestor-ben war. Er trat ihr zweimal mit voller Wucht gegen den Körper und sagte zu ihr: "Bist du noch nicht gestorben, du Hure. [X.] Stirb! Stirb!". Dabei ging der Angeklagte davon aus, dass die Geschädigte an ihren Verletzungen alsbald sterben werde. In diesem Moment drang die Polizei in die Wohnung ein und nahm den Angeklagten, der sich nicht wehrte, fest. Die Geschädigte über-lebte auf Grund der sofortigen ärztlichen Hilfe. 2. Das [X.] hat beim Angeklagten zum [X.]punkt der Tat die Vor-aussetzungen des § 21 StGB bejaht. Es ist weiter davon ausgegangen, dass der Angeklagte "nur noch eingeschränkt in der Lage war, seine gefühlsmäßigen 7 - 6 - und triebhaften Regungen gedanklich zu beherrschen" und hat das [X.] der niedrigen Beweggründe beim Angeklagten ausgeschlossen, da ihm das entsprechende Bewusstsein gefehlt habe. I[X.] Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin zeigen keine durchgreifenden Rechtsfehler auf. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ist rechtlich nicht zu beanstanden; die Verneinung eines [X.] hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand. 8 1. Die Ablehnung des [X.] "niedrige Beweggründe" wegen Fehlens eines entsprechenden Bewusstseins des Angeklagten weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das [X.] durfte sich hier zur Vernei-nung des [X.] darauf stützen, dass dem Angeklagten wegen der bei ihm zur Tatzeit vorliegenden Voraussetzungen des § 21 StGB die subjektive Komponente des [X.] fehlte. Denn das [X.] hat im Ergebnis zutreffend die Voraussetzungen des § 21 StGB beim Angeklagten zur [X.] der Tat bejaht. Die Formulierung der [X.], "dass bei dem Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung impulsiven Typus, also eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB" vorliege ([X.]), deutet bei isolierter Betrachtung zwar darauf hin, dass die Kammer das Vorliegen einer Persönlich-keitsstörung und "schwere andere seelische Abartigkeit" gleichgesetzt hat. Das wäre rechtsfehlerhaft. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sagt nichts darüber aus, ob sie im Sinne der §§ 20, 21 StGB "schwer" ist. Hierfür ist maß-gebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und [X.] Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. [X.], 329; BGHSt 49, 45, 52 f.). Die Ausführungen im Urteil dürfen 9 - 7 - insoweit nicht allgemein gehalten sein und etwa nur Persönlichkeitsmerkmale anführen, die ohnehin innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens liegen (vgl. [X.], 75). Die [X.] führt hier jedoch aus, dass die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung den Angeklagten erheblich beeinträchtigt, nämlich in Form eines unsteten persönlichen Lebensweges, Neigung zu über-mäßigem und regelmäßigen Alkoholkonsum, leichte Verführbarkeit und unge-hemmte Hingabe an seine Neigungen, sowie Bereitschaft zu beliebigen [X.] ([X.]). Der Tatrichter gibt die Einschätzung des Sachver-ständigen hierzu wieder, dass die Störung den Lebensweg des Angeklagten schwer und mit ähnlichen Folgen wie eine krankhafte seelische Störung beein-trächtigte. Die konkrete Tat geschah in einer emotional zugespitzten Situation, bei der der Angeklagte plötzlich die Kontrolle über sich verloren und in "über-schießender Weise" reagiert hat. Die Kammer hat sich auch mit den Tatvorbe-reitungshandlungen als Gegenargument auseinandergesetzt und dazu ausge-führt, dass der konkrete Tatauslöser die zugespitzte Situation war. Danach diente die Tatvorbereitung gerade nicht dem Tötungsdelikt. Angesichts der vo-rangegangenen Drohungen, die nur im Zusammenhang mit der Geldforderung standen, ist dieser Schluss möglich und nachvollziehbar. Wenn auch die [X.] im Rahmen der Feststellungen ausführt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt in seiner Steuerungsfähigkeit "nicht ausschließbar erheblich ver-mindert" gewesen sei ([X.], es im Rahmen der Beweiswürdigung aber heißt, dass "der Angeklagte bei Begehung der Tat vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB war" und auch zunächst nicht klar gestellt wird, ob es sich um eine "erhebliche" Verminderung der Steuerungsfähigkeit handelt, so lässt sich doch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch hinreichend ent-nehmen, dass die [X.] von einer erheblich verminderten Steuerungs-fähigkeit ausgegangen ist. - 8 - Vor diesem Hintergrund begegnet die Verneinung des [X.] der sonstigen niedrigen Beweggründe keinen durchgreifenden Bedenken. Nach den Feststellungen der [X.] fehlte dem Angeklagten im Augenblick der Tat auf Grund seiner Persönlichkeitsstörung und seiner aktuellen geistig-seelischen Verfassung die Fähigkeit, die Umstände, die die Niedrigkeit der Be-weggründe ausmachen in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins [X.] aufzunehmen und zu erkennen und sie gedanklich zu beherrschen und gewollt zu steuern (vgl. [X.] StGB 25. Aufl. [X.]. 5 b zu § 211 StGB). Zwar kann die Frage, ob ein Täter sich der Umstände bewusst war, die den [X.] als besonders verwerflich erscheinen lassen, grundsätzlich erst dann be-antwortet werden, wenn die Motivation der Tat aufgeklärt ist (vgl. [X.], 87; [X.], 384, 385; [X.] in [X.]. § 211 [X.]. 34). Die [X.] hat hier keine niedrigen Beweggründe festgestellt. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung geschwiegen. Ein nahe liegender niedriger Be-weggrund, auf den der Tatrichter hätte schließen können, ist nicht ersichtlich. 10 2. Auch das Mordmerkmal der Heimtücke hat die [X.] im Er-gebnis rechtsfehlerfrei verneint. Eine Arglosigkeit des Opfers ist - auch wenn sich die Situation zwischenzeitlich etwas beruhigt haben sollte - angesichts der Bewaffnung des Angeklagten, den Umständen seines Eindringens in die [X.], den früheren Gewalttätigkeiten und der Anweisung der Geschädigten an ihre Tochter, die Tür nicht zu öffnen, fernliegend. 11 3. Trotz der Vielzahl der Messerstiche drängte sich für den Tatrichter die Erörterung des [X.] Grausamkeit nicht auf, da der Angeklagte dem Opfer nicht in gefühlloser unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen zufügen, sondern ersichtlich nur das für die Tötung erforderliche Maß einhalten wollte. 12 - 9 - 4. Der Strafausspruch lässt keinen durchgreifenden Rechtsfehler erken-nen. Dass der Tatrichter von der Milderungsmöglichkeit der §§ 21, 49 StGB Gebrauch gemacht hat, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, zumal dieser bei seiner nur beschränkt überprüfbaren Ermessensentscheidung durchaus berücksichtigt hat, dass der Angeklagte "durch sein vorangegangenes rechts-widriges Verhalten maßgeblich selbst zur Entstehung der Tatsituation beigetra-gen hat" ([X.]). 13 II[X.] [X.] der Sicherungsverwahrung ist rechtlich nicht zu [X.], da bereits die formellen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind. Es fehlt für eine Anordnung der Maßregel nach § 66 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Satz 1 StGB bereits an den notwendigen Vorverurteilungen oder [X.]. 14 IV. Die Verneinung der Voraussetzungen einer Unterbringung in einem psy-chiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) begegnet keinen durchgreifenden recht-lichen Bedenken. Die [X.] folgt dem Sachverständigen, der die Tat als Ausdruck einer klassischen Beziehungsproblematik ansieht, die keine Rück-schlüsse auf ein generell kriminelles Verhalten des Angeklagten und die Erwar-tung zukünftiger erheblicher Straftaten zulasse. Zwar kann auch die Gefähr-dung einer Person als Teil der Allgemeinheit für die Anwendung des § 63 StGB ausreichen, doch ist im vorliegenden konkreten Einzelfall die Beziehung endgül-tig beendet und es bestehen keine Anhaltspunkte für weitere Übergriffe. 15 - 10 - V. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 und 2 StPO (vgl. hierzu im Einzelnen Senatsurteil vom 30. November 2005 - 2 [X.] m.w.N.). 16 [X.] RiBGH Dr. Bode ist [X.]

erkrankt und an der

Unterschrift gehindert.

[X.]

[X.] Appl

Meta

2 StR 348/05

25.01.2006

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.01.2006, Az. 2 StR 348/05 (REWIS RS 2006, 5373)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 5373

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