Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.08.2010, Az. 3 StR 195/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2010, 4236

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Erfolgsaussicht aufgrund von Umständen nach Erlass des Urteils; voraussichtliche Therapiedauer von 3 Jahren


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 27. Januar 2010 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge "unter Mitsichführens einer Schusswaffe" in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vortäuschen einer Straftat sowie wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Es hat außerdem die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit ihrer auf die Anfechtung des [X.]s beschränkten Revision, die vom [X.] vertreten wird, beanstandet die Staatsanwaltschaft die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

2

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

3

1. Die Beschränkung der Revision auf den [X.] ist wirksam; nach den Urteilsgründen ist eine Wechselwirkung zwischen der Unterbringungsanordnung nach § 64 StGB und dem Strafausspruch auszuschließen ([X.], Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, [X.]St 38, 362, 363). Das Rechtsmittel wirkt nunmehr nur noch zugunsten des Angeklagten, da die angefochtene [X.] ihn beschwert ([X.], Urteil vom 21. März 1979 - 2 StR 743/78, [X.]St 28, 327, 331; [X.], Beschluss vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03).

4

2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat keinen Bestand.

5

a) Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte seit seinem 15. Lebensjahr Kontakt zu Betäubungsmitteln. Während er anfangs nur Marihuana konsumierte, stieg er 1999 auf Heroin um, das er sich auch injizierte. Im [X.] 2005 gelang es ihm, vom [X.], nicht jedoch vom [X.] von Cannabis und Alkohol Abstand zu nehmen. Seit Anfang 2009 nahm er jedoch wieder Heroin zu sich, wobei er zuletzt eine tägliche Dosis von bis zu 7 g des Betäubungsmittels benötigte. Bei seiner Festnahme litt er unter erheblichen Entzugserscheinungen. Die abgeurteilten [X.] beging der Angeklagte, um sich Drogen und finanzielle Mittel zur Befriedigung seiner Sucht zu beschaffen.

6

Das [X.] hat sachverständig beraten einen Hang des Angeklagten zum Missbrauch von [X.] bejaht. Die [X.] belegen auch hinreichend eine mit der Betäubungsmittelabhängigkeit einhergehende Gefahr der Begehung weiterer Betäubungsmitteldelikte durch den Angeklagten. Zur Begründung einer hinreichend konkreten Aussicht auf einen Behandlungserfolg hat die [X.] darauf abgestellt, dass der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung geäußerte [X.] nicht lediglich vordergründig sei, was sich auch daraus ergebe, dass "der Angeklagte das gegen ihn ergangene Urteil akzeptiert und sich somit auf eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eingestellt" habe. Die voraussichtlich erforderliche Therapiedauer hat das [X.] der Sachverständigen folgend auf etwa drei Jahre bemessen.

7

b) Die Unterbringungsanordnung hält auf die von der Revision erhobene Verfahrensrüge nach § 261 StPO rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

8

Grundlage der Überzeugungsbildung des Richters und der Urteilsfindung darf nur das sein, was innerhalb der Hauptverhandlung, d.h. vom [X.] bis zum letzten Wort des Angeklagten mündlich so erörtert worden ist, dass alle Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme hatten ([X.], 6. Aufl., § 261 Rn. 6; [X.], Beschluss vom 10. Juli 2001 - 5 StR 250/01, [X.], 595 f.). Hiergegen hat das [X.] verstoßen. Es hat die für die [X.] nach § 64 StGB erforderliche hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg auch aus dem Umstand entnommen, dass der Angeklagte innerhalb der Frist des § 341 Abs. 1 StPO keine Revision eingelegt hat, und sich damit auf eine Tatsache gestützt, die nicht Inbegriff der Hauptverhandlung war, sondern erst nach Erlass des Urteils zutage getreten ist.

9

Der Senat kann nicht ausschließen, dass die [X.] auf diesem [X.] beruht. Denn die Sachverständige hat ersichtlich Zweifel an der Bereitschaft des Angeklagten bekundet, sich einer langfristigen Therapie im Rahmen des [X.] zu unterziehen. Diese Zweifel hat das [X.] jedoch maßgeblich mit der von der Revision beanstandeten Erwägung auszuräumen versucht.

c) Da das Urteil im angefochtenen Umfang bereits auf die erhobene Verfahrensrüge der Aufhebung unterliegt, kommt es auf die Sachrüge nicht mehr an. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass bei einer voraussichtlichen Therapiedauer von drei Jahren, wie sie das [X.] hier festgestellt hat, die für die [X.] nach § 64 StGB notwendige Aussicht eines Behandlungserfolgs zu verneinen ist (Senatsurteil vom 11. März 2010 - 3 [X.]  - obiter dictum -; s. aber auch [X.], Beschluss vom 6. Februar 1996 - 5 StR 16/96).

d) Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist deshalb erneut zu befinden. Der neue Tatrichter wird insbesondere Gelegenheit haben, neue Feststellungen zu der voraussichtlich notwendigen Therapiedauer zu treffen.

[X.]                               Sost-Scheible

                      [X.]

Meta

3 StR 195/10

05.08.2010

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hannover, 27. Januar 2010, Az: 40 KLs 22/09 - 6112 Js 54926/09 - 3 Ss 6/10, Urteil

§ 64 Abs 1 StGB, § 261 StPO, § 341 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.08.2010, Az. 3 StR 195/10 (REWIS RS 2010, 4236)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4236

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