Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.10.2016, Az. XII ARZ 40/16

12. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 3303

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Gegenstand

Gerichtsstandbestimmung bei Abgabe einer Kindschaftssache aus wichtigem Grund eines Oberlandesgerichts an ein anderes Oberlandesgericht, das zur Übernahme nicht bereit ist


Leitsatz

Will in einer Kindschaftssache ein Oberlandesgericht das Verfahren aus wichtigem Grund an ein anderes Oberlandesgericht abgeben und erklärt sich das angerufene Oberlandesgericht nicht zur Übernahme bereit, ist nicht der Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, sondern nach § 5 Abs. 2 FamFG das Oberlandesgericht, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.

Tenor

Die Vorlage an den [X.] ist unzulässig.

Gründe

I.

1

Die Vorlage betrifft den Streit zwischen zwei [X.]en über die Möglichkeit der Abgabe eines Beschwerdeverfahrens in Kindschaftssachen.

2

Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die Eltern der betroffenen Kinder [X.], [X.], [X.] und [X.]. In der [X.] von Mitte Juli 2012 bis Ende September 2014 waren die vier Kinder in einem Jugendheim in S.     untergebracht. Seit dem 1. Oktober 2014 leben [X.] und [X.] in einem [X.] in [X.]. [X.] befindet sich außerhalb des [X.] in [X.]in Obhut und [X.] ist zur [X.] unbekannten Aufenthalts.

3

Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - [X.] vom 12. September 2013 ist den Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder in Teilbereichen entzogen worden. Ihren Antrag, diesen Beschluss aufzuheben und ihnen das Sorgerecht für die vier Kinder wieder vollständig zu übertragen, hat das Amtsgericht - Familiengericht - [X.] mit Beschluss vom 13. August 2014 zurückgewiesen. Hiergegen haben die Eltern Beschwerde eingelegt, die vor dem [X.] [X.] anhängig war.

4

Da derzeit beim [X.] eine Beschwerde der Eltern gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - [X.] in einer dieselben Kinder betreffenden Umgangsrechtssache anhängig ist, hat das [X.] [X.] die Beteiligten zunächst auf die Absicht hingewiesen, das Verfahren gemäß § 4 FamFG an das [X.] abzugeben. Nachdem die Übernahme des Verfahrens telefonisch durch den Vorsitzenden des 3. Senats für Familiensachen des [X.] abgelehnt worden ist, hat das [X.] [X.] mit Beschluss vom 30. Juni 2016 das [X.] als zuständiges Gericht für das Beschwerdeverfahren bestimmt und das Verfahren an das Amtsgericht - Familiengericht - [X.] zur Vorlage und Übernahme des Beschwerdeverfahrens durch das [X.] abgegeben.

5

Das [X.] hat mit Beschluss vom 1. August 2016 die Sache in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 3 ZPO dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

6

Die Vorlage ist unzulässig. Eine Zuständigkeit des [X.]s zur Entscheidung ist weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 3 ZPO gegeben.

7

1. Nach § 36 Abs. 3 ZPO entscheidet der [X.], wenn ein [X.] bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen [X.]s oder des [X.]s abweichen will. Eine direkte Anwendung dieser Vorschrift kommt im vorliegenden Fall schon deshalb nicht in Betracht, weil die Abgabeentscheidung des [X.]s [X.] in einer Kindschaftssache im Sinne von §§ 111 Nr. 2, 151 Nr. 1 FamFG ergangen ist und sich daher das Verfahren allein nach den Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestimmt. Dort findet sich in § 5 FamFG eine spezielle Vorschrift, die die Zuständigkeit für die Bestimmung des zuständigen Gerichts regelt. § 36 Abs. 3 ZPO ist gemäß § 113 Abs. 1 FamFG nur in Ehesachen (§§ 111 Nr. 1, 121 FamFG) und Familienstreitsachen (§ 112 FamFG) anwendbar.

8

2. Eine Zuständigkeit des [X.]s zur Bestimmung des zuständigen [X.]s lässt sich auch nicht mit einer entsprechenden Anwendung des § 36 Abs. 3 ZPO begründen. Hierfür fehlt es bereits an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.

9

Möchte ein Gericht ein Verfahren nach § 4 FamFG aus wichtigem Grund abgeben und können sich die beteiligten Gerichte nicht einigen, wird das zuständige Gericht nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 FamFG grundsätzlich durch das nächsthöhere gemeinsame Gericht bestimmt. Ist das nächsthöhere gemeinsame Gericht der [X.], wird das zuständige Gericht durch das [X.] bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört (§ 5 Abs. 2 FamFG).

§ 5 FamFG enthält für Verfahren in Familiensachen - mit Ausnahme von Ehesachen und Familienstreitsachen, für die auf die Zivilprozessordnung verwiesen wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG) - und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine abschließende Regelung der gerichtlichen Zuständigkeiten in [X.]. Eine Bestimmungszuständigkeit des [X.]s sieht die Vorschrift nicht vor. Auch eine dem § 36 Abs. 3 ZPO vergleichbare Divergenzvorlage zum [X.] findet sich in § 5 FamFG nicht (vgl. [X.]/Sternal FamFG 18. Aufl. § 5 Rn. 42; Prütting/[X.]/[X.]. § 5 Rn. 36).

§ 5 Abs. 2 FamFG knüpft an die frühere Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] an (BT-Drucks. 16/6308 S. 176). Darin war bereits die Regelung enthalten, dass die Zuständigkeit durch das mit der Sache zuerst befasste [X.] bestimmt wird, wenn der [X.] das gemeinschaftliche obere Gericht ist. An dieser Entlastung des [X.]s von Aufgaben bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts wollte der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 5 FamFG ersichtlich festhalten. Auch der Hinweis in den [X.] auf § 46 Abs. 2 [X.] (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 176) belegt, dass der Gesetzgeber bei der Gestaltung von § 5 FamFG eine Zuständigkeit des [X.]s für Entscheidungen in [X.] vermeiden wollte. Denn § 46 Abs. 2 [X.] enthielt für den Fall der Abgabe einer Vormundschaft ebenfalls eine Regelung, die die Bestimmungszuständigkeit auf [X.] der [X.]e verlagerte, wenn der [X.] das gemeinschaftliche obere Gericht ist. Zudem sah der Entwurf des [X.] und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zunächst eine Zuständigkeit des [X.]s zumindest in den Fällen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 FamFG vor (BT-Drucks. 309/07 S. 24). In der endgültigen Gesetzesfassung wurde jedoch auf Empfehlung des Rechtsausschusses von dieser Regelung abgesehen, um die Vorschrift mit § 36 Abs. 2 ZPO zu harmonisieren (vgl. BT-Drucks. 16/9733 S. 24, 287), der ebenfalls keine reguläre Bestimmungszuständigkeit des [X.]s als höheres gemeinschaftliches Gericht vorsieht (vgl. [X.]/Vollkommer ZPO 31. Aufl. § 36 Rn. 4 a).

Dies erhellt, dass der Gesetzgeber zur Entlastung des [X.]s bewusst die Entscheidung von [X.] auf [X.] der [X.]e verlagern wollte. Eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 3 ZPO liegt daher nicht vor.

Der [X.] ist somit nicht zur Entscheidung über den [X.] berufen.

Dose                         Schilling                         Günter

               Botur                            [X.]

Meta

XII ARZ 40/16

26.10.2016

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

§ 36 Abs 3 ZPO, § 5 Abs 2 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.10.2016, Az. XII ARZ 40/16 (REWIS RS 2016, 3303)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3303

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