Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.11.2010, Az. 2 StR 403/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 1548

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 403/10 vom 10. November 2010 in der Strafsache gegen alias wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 10. November 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 24. Februar 2010 mit den [X.]. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbe-fohlenen in drei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer vorange-gangenen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. 1 1. Nach den Feststellungen des [X.] vollzog der Angeklagte im Jahr 1999 in drei Fällen mit seiner damals 10jährigen Tochter, der Nebenkläge-rin [X.], vaginalen ungeschützten Geschlechtsverkehr. Anfang 1999 legte er sich auf die Nebenklägerin, die in Abwesenheit der Mutter im elterlichen Bett 2 - 3 - schlief, drang in sie ein und führte behutsam den Geschlechtsverkehr durch. Der jungfräulichen Nebenklägerin erklärte er, dass sie mit seinem Sperma nunmehr zur Frau geworden sei (Fall II. 1.). Im [X.] 1999 befanden sich der Angeklagte und die Nebenklägerin im [X.] der häuslichen Wohnung. Der An-geklagte stand hinter der Nebenklägerin, die sich nach vorne beugen musste. Er drang in sie ein und führte den Geschlechtsverkehr durch (Fall II. 2.). Am 18. September 1999, dem Geburtstag der Mutter, besorgten der Angeklagte und die Nebenklägerin noch ein Geschenk. Gegen Abend hielt der Angeklagte mit dem Pkw unter einer Brücke an, kurbelte den Beifahrersitz herunter, legte sich auf die Nebenklägerin und führte den Geschlechtsverkehr durch. In drei weiteren angeklagten Fällen, in denen Geschlechtsverkehr im Schlafzimmer erfolgt sein soll, hat die Kammer den Angeklagten freigespro-chen, weil sie keine hinreichenden Feststellungen zur Konkretisierung der Taten treffen konnte. 3 Der Angeklagte hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Die [X.] hat die Verurteilung im Wesentlichen auf die Angaben der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 21 Jahre alten Nebenklägerin gestützt, die [X.] 2008 aus der Haft heraus einen Brief an den Angeklagten geschrieben hatte, in dem sie ihn des sexuellen Missbrauchs bezichtigte. Der Brief war im Rahmen der [X.] angehalten worden. 4 2. Die Beweiswürdigung der Kammer hält revisionsrechtlicher [X.] nicht stand. 5 a) Die Wertung der Kammer, die Angaben der Nebenklägerin deckten sich in "wesentlichen Punkten" mit ihren Angaben gegenüber den Zeuginnen [X.]und [X.]sowie mit ihren Angaben in der polizeilichen Vernehmung ([X.]), findet in den Urteilsfeststellungen keine Stütze. 6 - 4 - Nach den Feststellungen hat die Nebenklägerin den Zeuginnen [X.]und [X.] den sexuellen Missbrauch ohne Nennung jeglicher Einzelheiten berichtet. Gegenüber dem [X.] Polizeibeamten hat die Nebenkläge-rin sechs Fälle des sexuellen Missbrauchs geschildert, wovon einer im Eltern-schlafzimmer, einer im [X.] am Geburtstag der Mutter und einer im Pkw unter einer Brücke stattgefunden habe. Weitere Einzelheiten hat sie nicht [X.]. Diese Feststellungen tragen indes nicht die Wertung, die Angaben der [X.] seien in den wesentlichen Punkten konstant. So hat die Nebenklä-gerin ihre überhaupt nur gegenüber dem Polizeibeamten erfolgten und für sich genommen sehr dürftigen Angaben in der Hauptverhandlung noch dahingehend korrigiert, dass nicht der Vorfall im [X.], sondern der Vorfall unter der Brücke am Geburtstag der Mutter stattgefunden habe. 7 b) Die beweiswürdigenden Erwägungen setzen sich auch nicht mit allen Umständen, die geeignet sind, die Entscheidung zu beeinflussen, in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise auseinander. In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen [X.], erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr. vgl. nur [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13 und 14). Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie vorliegend - der einzige Belastungszeuge nur ausgesprochen detailarm berichtet. 8 Insoweit begegnet es schon Bedenken, dass das [X.] ersichtlich nicht bedacht hat, dass die Detailarmut der Angaben der Nebenklägerin [X.] auf die Aussagekraft des [X.]kriteriums für die Bewertung der Glaubhaftigkeit einer Aussage haben kann (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Ok-tober 1999 - 4 StR 370/99). Die Kammer begründet die [X.] der Angaben 9 - 5 - der Nebenklägerin letztlich damit, dass sie in Übereinstimmung mit ihrer polizei-lichen Aussage auch im Rahmen der Hauptverhandlung keine näheren Details zu berichten wusste ([X.]). Jedenfalls wäre eine umfassende Würdigung von Anlass und Motiv des Briefes für die Würdigung der Aussagegenese und -entwicklung von Bedeutung gewesen. Insoweit hat die Kammer schon bei der Beurteilung der Frage, ob die Nebenklägerin den Angeklagten zu Unrecht belastet haben könnte, erkennbar nicht alle erheblichen Umstände in ihre Überlegungen miteinbezogen. Nach den Feststellungen wollte die Nebenklägerin mit ihrem Brief den Vater "wütend ma-chen" bzw. beeindrucken und verängstigen, weil sie ihre seit 2001 vom Ange-klagten getrennt lebende Mutter vor "eventuellen Angriffen" des Angeklagten schützen wollte. Wenn die Kammer daraus schließt, dass nur ein wahrer Vor-wurf geeignet sei, den Angeklagten zu verängstigen, überzeugt dies ohne nähe-re Begründung nicht, denn grundsätzlich kann auch der wahrheitswidrige Vor-wurf eines sexuellen Missbrauchs eine Person verängstigen und in [X.]. Zudem hat die Kammer bei ihrer Würdigung rechtsfehlerhaft außer [X.] gelassen, dass die Nebenklägerin den Angeklagten in demselben Brief auch wahrheitswidrig des sexuellen Missbrauchs anderer Kinder bezichtigt hatte und dies mit dem gleichen Ziel, ihn "wütend zu machen" ([X.]). 10 Vor diesem Hintergrund lässt die Würdigung der Kammer auch eine kriti-sche Auseinandersetzung mit dem von der Nebenklägerin genannten Motiv, die Mutter vor eventuellen, nicht näher bezeichneten Angriffen des Angeklagten schützen zu wollen, vermissen. Insbesondere die nahe liegende Möglichkeit, dass die Nebenklägerin dem Angeklagten zugleich drohen wollte, wird nicht erörtert. In die Wertung der Kammer wird insoweit auch nicht mit einbezogen, dass der Brief als solcher an die Freundin des Angeklagten adressiert war, während der Angeklagte nur "c/o" genannt wurde, und dass auch in einigen 11 - 6 - Textpassagen des Briefes mehrere Personen angesprochen wurden ("Ihr wollt sie töten, ihr wollt meine Mutter tot haben! Lasst die Finger von ihr, lasst sie endlich in Ruhe!!!" - [X.]). Letztlich hätte auch die Möglichkeit erörtert wer-den müssen, ob nicht der aus der Haft abgeschickte Brief, der den Angeklagten verängstigen und in Wut versetzen sollte, eine Eigendynamik dergestalt entwi-ckelt hat, dass die Nebenklägerin von den darin aufgestellten Behauptungen nicht mehr abrücken konnte. 3. Der Senat kann danach insgesamt nicht ausschließen, dass das Tat-gericht ohne die genannten Rechtsfehler zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin gelangt wäre. 12 [X.] [X.] Eschelbach Ott

Meta

2 StR 403/10

10.11.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.11.2010, Az. 2 StR 403/10 (REWIS RS 2010, 1548)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1548

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