Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.08.2021, Az. 2 StR 217/21

2. Strafsenat | REWIS RS 2021, 3560

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Gegenstand

Strafverurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.: Strafzumessung und Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 3. März 2021 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und wegen dreier Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu drei Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Indes kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.

3

1. Das [X.] hat bei der Zumessung der Strafe für die Tat zum Nachteil der Nebenklägerin [X.]    bereits die Verneinung der Voraussetzungen eines minder schweren Falles im Sinne von § 176a Abs. 4 StGB auf durchgreifend rechtsfehlerhafte Erwägungen gestützt.

4

a) Es hat insoweit ausgeführt, auch die schwere Erkrankung des Angeklagten und dessen daraus folgende besondere Haftempfindlichkeit könne die Annahme eines minder schweren Falles für diese Tat nicht rechtfertigen und dies u.a. wie folgt begründet:

„Der Angeklagte wusste im Tatzeitpunkt bereits seit mehreren Jahren von seiner [X.] (...); dem Angeklagten wurde insbesondere erläutert, dass die Krankheit einen progedienten Verlauf aufweist, der aller Voraussicht nach im Laufe von zehn Jahren zum Tode führen würde. Der Angeklagte verstand dies (...). Indem der langjährig [X.] Angeklagte somit in Kenntnis seiner Erkrankung und seiner geringen Lebenserwartung die verfahrensgegenständliche Straftat beging, riskierte er bewusst die ihm verbleibende Zeit in Freiheit, in der er sich noch halbwegs selbständig um seine Angelegenheiten kümmern kann und kein absoluter Pflegefall ist. Insoweit mag zwar die besonders hohe Haftempfindlichkeit des Angeklagten einen mildernden täterbezogenen Umstand darstellen. Bei dem jederzeit über seine Situation umfassend im Bild befindlichen und seine Freiheit wissentlich riskierenden Angeklagten ist aber zugleich die vorhandene irrige Vorstellung zu korrigieren, seine Krankheit sei eine Art Freibrief, der ihm erlaube, sich ob der verbleibenden Lebenserwartung von wenigen Jahren bewusst über die Rechtsordnung hinwegsetzen zu dürfen, ohne höhere, resp. zu einer Inhaftierung führende Strafen befürchten zu müssen.“

b) Diese Erwägungen lassen besorgen, dass die [X.] dem an amyotropher Lateralsklerose leidenden Angeklagten die Begehung der Straftat als solche vorgehalten hat, ohne dass Besonderheiten vorliegen, die es rechtfertigen könnten, das Unrecht der Tat straferhöhend zu werten, und damit gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 9. November 2010 - 4 StR 332/10, [X.], 224; Senat, Beschluss vom 8. Januar 2015 - 2 StR 233/14 [X.]).

5

c) Soweit die [X.] in diesen Ausführungen mit der Notwendigkeit begründet wird, beim Angeklagten eine vorhandene irrige Vorstellung des oben näher beschriebenen Inhalts zu korrigieren, legt dies zudem die Annahme nahe, das [X.] habe sich bei der Strafzumessung von unklaren, weil gefühlsmäßig bestimmten oder von sachfremden Gründen leiten lassen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. Oktober 2020 - 2 [X.]; vom 6. Februar 2018 - 2 StR 173/17, [X.]. [X.]). Sie verdeutlichen nicht, welchen anerkannten Strafzumessungsgesichtspunkten zur Beurteilung von Tat und Täter sie zuzuordnen sind, sind vielmehr von moralisierendem Charakter und haben deshalb zu unterbleiben.

6

d) Dieser Rechtsfehler erfasst den Strafausspruch insgesamt, weil das [X.] bei den Taten zum Nachteil der Nebenklägerin [X.]auch hinsichtlich der besonderen Haftempfindlichkeit des Angeklagten „umfassend“ auf seine vorherigen Ausführungen Bezug genommen hat.

7

2. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB hat die [X.] mit nicht nachvollziehbaren Erwägungen verneint. Zum einen geht sie bei der Bestimmung der tatzeitrelevanten Blutalkoholkonzentration davon aus, der Angeklagte habe zunächst vier Dosen eines Mischgetränks konsumiert, wohingegen er nach den Feststellungen den Inhalt von fünf solcher Dosen trank. Zum anderen ist nicht ersichtlich, inwiefern dem Umstand, dass der Angeklagte „den Alkohol über den gesamten Abend verteilt“ konsumierte, für sich genommen Aussagekraft bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit zukommen kann, obgleich die [X.] bei der Ermittlung der Blutalkoholkonzentration bereits Berücksichtigung zu finden hat (vgl. Schäfer/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1428 [X.]).

Franke     

        

Krehl     

        

Eschelbach

        

Zeng     

        

Meyberg     

        

Meta

2 StR 217/21

03.08.2021

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Gera, 3. März 2021, Az: 9 KLs 470 Js 18438/20 jug

§ 46 Abs 3 StGB, § 176a Abs 4 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.08.2021, Az. 2 StR 217/21 (REWIS RS 2021, 3560)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3560

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Referenzen
Wird zitiert von

202 StRR 119/22

Zitiert

2 StR 233/14

2 StR 232/20

Zitieren mit Quelle:
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